Kultur


Sie nennt sich “Thea Dorn”, weil sie einmal etwas von “Theodor W. Adorno” gehört hat und das irgendwie sexy und schlau klingt. Werden uns bald Pornodarstellerinnen namens “Gina Einstein” oder “Lola Descartes” beglücken? Diese Albernheit fand ich schon immer mehr als grenzwertig. Adorno hat mich sehr beeinruckt und vermutlich gar beeinflußt. Wer je etwas von ihm gelesen und verstanden kann, wird das Pseudonym dieses Starlets mehr als peinlich finden.

Nun hat sie sich zu einer Sache geäußert, die man durchaus mit Bedacht betrachten sollte, was sie von den Opfern ihrer “Argumentation” ja auch verlangt. Was sie allerdings selbst zum Besten gibt, ist so von Propaganda und Halbbildung durchzogen, daß auf dem Frankfurter Hauptfriedhof seitdem ein Ventilator unter der Grasnabe läuft.

Eigentlich hat Dietmar Dath schon alles gesagt zu der bellizistischen Pseudokritik der Medienblondine an den Kriegsgegnern, die im “Freitag” zu einem Abzug aus Afghanistan auffordern. Allerdings hat Dath soviel Kreide gefressen, daß da noch en kleiner Nachtritt fällig ist.

Schon der Titel ihres Artikels “Vulgärpazifismus” ist blanker Blödsinn. Sie macht sich dann auch nicht die Mühe nachzuweisen, was denn vulgär oder pazifistisch an der Forderung sei. Sie meint im Grunde ganz einfach, wer gegen Krieg ist, solle dafür sterben, so wie Hamlet und Sokrates. Was sie im Windschatten dieser bizarren Konstruktion ihren Gegnern vorwirft, bleibt dann auch nicht lange beim Titelwort stehen. Alle, die gegen den Krieg sind, sind “Pazifisten“, sie begleitet der “Antiamerikanismus” und sie, die “intellektuellen” Pazifisten, haben kein Gespür für die “Tragik der Zeit“, im Gegensatz zur Kanzlerin.

Mit “Tragik der Zeit” meint sie nicht ihren Auftritt in der gleichnamigen Zeitschrift, sondern etwas, das verdammt an die schicksalsschwangere Rhetorik alter Zeiten erinnert. Sie verkauft diese “Tragik” einerseits als “Dilemma”, andererseits ist für sie glasklar, daß deutsche Soldaten am Hindukusch töten müssen, um den armen Afghanen zu helfen. Und damit sie sich gar nicht erst mit den Verbrechern auseinandersetzen muß, die diesen Krieg und den im Irak, Abu Ghreib und Guantanamo gleichermaßen für gerechtfertigt halten, schlägt sie mit der Keule des “Antiamerikanismus” zu.

“Thea Dorn” will nicht argumentieren, schon gar nicht eine intellektuelle Auseinandersetzung führen. Sie will auch nicht über Krieg oder Außenpolitik sprechen. Die Kunst der Negation, der Bezug auf den politischen und kulturellen Rahmen oder wenigstens eine Beschäftigung mit den Inhalten der “pazifistischen” Argumentation haben in ihrem selbstgefälligen Geschwätz keinen Platz. Das ist das Gegenteil dessen, was die Frankfurter Schule unter dem “Kritischen” ihrer Theorie verstand.

Sie will posieren, ein paar große Namen nennen, ein bißchen neben jedem Zusammenhang zitieren und für das Restgeld noch was Politisches sagen. “Vulgär” ist solche “Kritik”, die ihren eigenen Begriff entwürdigt, indem sie ihr Stammtischniveau mit vermeintlich kultivierten Versatzstücken anreichert.
“Thea Dorn” möchte ihre Zuschauer und Leser glauben machen, sie selbst sei eine Intellektuelle, wenngleich eine aus dem Volk. So wie die Kanzlerin eben.
Am Ende erinnert mich diese billige Aufführung an den alten Schlager “Asi mit Niveau”. Frau Dorn ist dessen zeitgemäßes Pendant: die schreibende Blondine.

Die Sueddeutsche hat Neues vom Spocht:

Von sich selbst umzingelt: Die Münchner werden bedrängt von Profis wie Misimovic, Trochowski oder Jansen, die sie selbst ausgebildet oder besessen haben.”

Manchmal ist das Banale recht tiefsinnig. Im zitierten Satz, der vom ihm folgenden Artikel nur illustriert wird, steckt die ganze Welt von Eigentum, Besitz und Erfolg, die Essenz des Größenwahns der zeitgenössichen Ideolgie. Wer etwas werden will, glaubt an sich. Wer an sich glaubt, glaubt an den Erfolg. Erfolg ist, was man ist und was man ist, ist was man hat. Wer an sich glaubt, dem ist der Himmel zu nah, seine Ziele gehen weiter. Die Welt ist nicht genug, alles ist eins, alles ist dreizweieins Meins!

Der große Fußballkonzern aus München ist so ein Konglomerat von Besitzern und Teilhabern, die gemeinsam ihren vermeintlichen Besitz und damit sich selbst vergöttern und vergöttern lassen. Sie werden immer Deutscher Meister, und der Meister aus Deutschland ist ein Welt-Meister. Es gehört alles ihnen. Christof Kneer ist einer von ihnen, es stößt ihm daher auch nicht auf, wenn er völlig ironiefrei von Spielern spricht, die Bayern “besessen” hat. Es fällt ihm als Spochtjournalist auch nicht auf, wovon er da redet, nämlich von der ganzen Bundesliga, dem ganzen deutschen Fußball. Bayern kauft seit Jahrzehnten jedes Jahr Spieler anderer Vereine, um sie zum großen Teil auf der Bank oder der Tribüne zu patinieren, Hauptsache, sie spielen nicht für den Gegner. Derart wird jedes Talent, das nicht die Größe hat, ihnen vor die Füße zu spucken, irgendwann im “Besitz” der Bayern landen.

Den Fan ficht’s nicht an, im Gegenteil: Daß alle anderen die Bayern hassen, liegt ja nicht daran, daß irgendetwas nicht so ganz richtig wäre an der Vereinspolitik oder daß sie einfach denkwürdig grottentief unsympathisch sind. Nein, das ist der pure Neid der Besitzlosen, Erfolgsneid, Sozialneid. Das balltechnische Fußvolk, das nur von den Einschaltquoten der Münchner lebt, lohnt die Almosen mit Undank. Es ist wie im echten Leben, wo der Schmarotzer dem Leistungsträger seine Boni madig macht.

Die Neider, die Sozialdemokraten, Sozialhilfeempfänger und sozial Solidarischen haben das Prinzip nicht verstanden. Es kann nur einen geben. The Winner Takes It All. Entweder man ist für sie oder man sie gegen sie. Am Ende aber gilt für alle, Freund und Feind, Sieger und Neider, Leistende und Empfänger: Sie sind frei und gleich im Eigentum. Und einige sind eben Eigentümer.

In der Diskussion um meinen gestrigen Artikel habe ich mich bemüht, auf einige Kommentare nicht gar so unwirsch zu reagieren wie mir zumute war. Ich wundere mich nicht zuletzt darüber, daß einerseits der Satz “Schafft die Schulen ab” ohne Empörung hingenommen wurde, andererseits aber Elemente meiner Polemik en detail kritisiert wurden.
Dabei lag mir der Satz auf der Zunge: “Geht doch einfach mal hin und schaut Euch eine beliebige Schule an. Wer Jahre in solchen Löchern zubringen muß, wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen.”
Betonquader mit Aufputzleitungen, vorn die Schmachtafel, Möbel, die zwar orthopädisch geformt sind, aber eben die Funktionalität ausstrahlen, die ihre Besitzer zum Teil des Möbels werden lassen. Wäre ein Kinder- oder Jugendzimmer so eingerichtet, man wäre zurecht alarmiert.
Die TAZ schreibt heute über den Architekten Peter Hübner, der Schulen gar mit Strafanstalten vergleicht. Ich mag da einfach keine Ausreden mehr hören, es steht die Frage im Raum: Wie kann so etwas als akzeptabel, gar als “normal” hingenommen werden?
Wenn ich viele Jahre an derselben Einrichtung zu verbringen gezwungen bin, sollte ein gewisser Mindestkomfort selbstverständlich sein. Bei Schulen ist das anders. Man kann zwar 35 Schüler in eine Klasse pferchen, man gibt ihnen aber nicht die Möglichkeit, diese wenigstens zu gestalten. Das scheitert nicht zuletzt daran, daß, wie auch Hübner feststellt, die Klassen und ihre Schüler ja “Nomaden” sind, die keinen eigenen Platz haben. Sie werden nach funktionalistischen Raumplänen zugeteilt, manchmal wechseln sie zweimal im Jahr ihren Raum. Wer kommt da schon auf die Idee, es sich gemütlich zu machen? Da zum Teil auch unterschiedliche Klassen dieselben Räume benutzten, ist das Verhältnis zum “Platz” dem entsprechend: Ich hinterlasse meinen Müll einfach dem Nächsten.
Es gibt viele dolle Argumente, warum das alles so sein muß, vor allem ist es natürlich “das Geld”. Die Schüler sind keinen Eimer Farbe wert. Lehrer sind keine Maler. Und überhaupt ist die Gestaltung der Räume nicht der Job von Lehrern und Schulleitung. Womöglich stehen gar Brandschutz, Bauordnung und höhere religiöse Werte einer liebevollen Gestaltung des Arbeitsplatzes im Wege.
Man wundert sich dann, daß Schüler die Einrichtung randalieren, das Klo nicht putzen und überhaupt keinen Respekt vor öffentlichem Eigentum haben. Ich weiß, daß jetzt so mancher in den Startlöchern steht und von engagierten Lehrern und Eltern zu berichten weiß, die aber hier und dort echt was bewegt haben. Setzen, sechs! Solche Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Sie sind Operationen an einem todkranken Patienten.
Das Signal ist fatal, das von solchen Räumen ausgeht: Dies ist der karge Ort, an dem ihr eure Schulpflicht zu erfüllen habt. “Willkommen” heißen sie niemanden. Dabei muß man gar kein Menschenfreund sein, um diese Zustände bedenklich zu finden. Pädagogen sollten die “Broken-Windows-Theorie” kennen. Soll man ihnen dann nicht auch abverlangen, daraus Schlüsse auf ihre Schulwelt zu ziehen?
Die Schule ist einer der wichtigsten Teile der Lebenswelt ihrer Schüler. Ein Blick genügt um zu erkennen, wieviel Respekt sie ihnen entgegenbringt.

Fragt man heute Hauptschulabgänger danach, was “Exxon Valdez” bedeutet, wissen die beleseneren unter ihnen, daß es sich dabei um einen Fußballspieler handelt. Man würde ihre Leistung mit “drei plus” einstufen, da es sich immerhin bei beiden Valdez um Großkatastophen handelt und die Schüler ihr Ziel ebenso stets knapp verfehlen wie Nelson Valdez und der Öltanker. Letzterer zwar nur einmal und vor 20 Jahren, dafür aber umso gründlicher. Diese Bewertung paßt bestens in System, das planlos “Leistung” abruft, zu der sie nicht ausbildet, weil sie keine Zusammenhänge herstellt. Vor allem einen nicht: Den zwischen der Schule und dem Leben.
Zurecht bemängeln Andreas Poltermann und Stephan Ertner in der FR die “Erfolge” vor allem der Hauptschulen und daß sich ein riesiger Bodensatz von Abgehängten bildet, die schon nicht mehr fähig sind, eine Tageszeitung zu lesen. Das Drama beginnt aber nicht in der Hauptschule, und es ist nicht damit getan, einige weitere “Reformen” über die Schulen ergehen zu lassen. Das Leistungsprinzip als solches taugt nichts. Wenn zur Leistung erzogen und auf Leistung gelehrt wird, am Ende aber nicht einmal Leistungsfähigkeit dabei herumkommt, hat das Prinzip völlig versagt. Nicht nur die Hauptschulen gehören abgeschafft, sondern das Leistungsprinzip, zumindest in den unteren Klassen.

Erziehung zur Nützlichkeit

Es gibt hervorragende Lern-und Bildungskonzepte, die nicht ins System passen. Sie passen vor allem deshalb nicht, weil sie fördern und fordern, nämlich die Kreativität aller Beteiligten. Wenn Lehrer so gern zu Protokoll geben, was sie “nicht leisten” können, liegt das nicht nur daran, daß sie sich das Versagen des Systems nicht eingestehen wollen. Es liegt vor allem daran, daß sie die Phantasie für Alternativen nicht aufbringen. Wie denn auch? Verzahnte Lehrpläne, ein starrer Beamtenapparat, normierte Leistungsanforderungen, die dann nicht in Leistungs- sondern in Jahrgangsklassen beackert werden. Dümmer geht’s nimmer.
Warum wird in Grundschulen so wenig gespielt? Ein sechsjähriges Kind hat das Recht und das Bedürfnis zu spielen. Der Spieltrieb ist eine grandiose Motivation zu lernen. Die kindliche Neugier ein gigantischer Fundus an Lernbegierde. Wo sind die Konzepte, die dies aufgreifen? Wo findet eine ausgewogene Mischung aus Spiel und Wissensvermitllung statt? Etwa in den lächerlichen “Projektwochen”, wo Schüler plötzlich Eigeninitiative zeigen sollen, die man sonst systematisch unterdrückt? Die “Pädagogik vom Kinde aus”, auch “Reformpädagogik” genannt, ist so betagt wie der schulische Beamtenzirkus und wurde im Bildungssystem schmählich vernachlässigt. “Bildung vom Menschen aus” ist nur noch Utopie. Weder Humboldt noch die Reformpädagogik wurden so weiterentwickelt, daß man heute noch etwas von den guten Ideen und Vorsätzen wiedererkennen kann. Es wird zur Nützlichkeit erzogen, belehrt und zugerichtet. Der “Nutzen” selbst hat sich dabei noch weiter vom Menschen entfernt als die schulische Praxis: Es ist die Nützlichkeit im Wirtschaftssystem, worin das Ziel der Veranstaltung besteht.
Das Versagen ist allumfassend: Es werden eben nicht einmal die Kompetenzen vermittelt, auf die hingearbeitet wird, von sogenannten “sozialen” Kompetenzen ist da noch gar nicht die Rede. Warum quält man Schüler noch immer in solchen Schulen? Warum nimmt man nicht endlich zur Kenntnis, daß immer mehr Schüler völlig unmotiviert sind? Daß sogar diejenigen, die motiviert erscheinen, weil sie sich der Leistungsforderung beugen, nicht wirklich wollen, was sie da tun?

Schafft die Schulen ab!

Man hangelt sich von einer Pizzastudie zur nächsten, stellt fest, daß man noch mehr Mathematik, noch mehr Naturwissenschaften, noch mehr Textkenntnis braucht und ganz nebenbei natürlich auch höfliche wohlerzogene Kinder, die sich möglichst selbst gängeln sollen, weil weder Eltern noch Lehrer dieser Aufgabe mehr gewachsen sind. Das Ganze gemahnt an gängige Psychotherapien: Nach Jahren der Selbstoffenbarung und tiefsinniger Hirnschau ist der Klient “schon einen wichtigen Schritt weiter”. Welcher Therapeut wagt es festzustellen, daß der ganze Aufwand für die Katz war und weder das Problem noch eine Lösung wirklich erkannt wurden? Irgendwer zahlt ja dafür.
Zehn bis dreizehn Jahre Schule sind bislang Standard. Was dabei herumkommt, ist haarsträubend. Zehn Jahre jeden Tag, meist sechs Stunden plus Hausaufgaben und jetzt auch noch “Ganztag”. Dabei bleibt mehr auf der Strecke, als originär schulisch gelernt wird. Ich bin beinahe geneigt zu behaupten, daß eine ersatzlose Abschaffung aller Schulen ein Segen für die Menschheit wäre. Das durchschnittliche Leistungsniveau würde darunter vermutlich nicht einmal leiden. Und unsere Schulen sind so großartig, daß sogar das beste Argument dagegen nicht mehr sticht: Daß die “bildungsfernen” Schichten unter der totalen Schullosigkeit am meisten leiden würden. Das können die vorhandenen Schulen nämlich auch so bestellen.
Woran an eine echte Reform scheitert, liegt auf der Hand: Schüler und Eltern haben keine Lobby. Sie stehen gegen einen Beamtenapparat auf der einen Seite und eine Leistungsideologie auf der anderen, die alles im Blick hat, nur nicht die Menschen, die sie “Schüler” nennen. Daß Eltern oft ihren verdammten Job auch nicht im Mindesten tun, spricht nicht dagegen. Es macht das Ganze nur noch aussichtsloser.

Der Mensch und was er will

Es wird zu nichts führen, wenn man Leistungsbewertungen zu Kurven zusammenfaßt und sich dann fragt, wie man den Output verbessern kann. Es ist die völlig falsche Frage, wie man im internationalen Vergleich besser abschneiden könnte. Es macht keinen Sinn, zu fragen, wie man genügend Ingenieure und Krankenschwestern heranzüchtet. Die wichtigen Fragen sind: Was wollen Schüler, was können sie, wie bringt man beides zusammen und entwickelt anhand einer vorhandenen Motivation Fähigkeiten, die zu weiterer Motivation führen? Wie fördert man kindliche Neugier? Wie entfaltet man menschliche Kreativität? Wie bündelt man individuelle Kompetenzen so, daß junge Menschen sich mit Freude zu konzentieren lernen?
Wenn man etwa wissen will, was Schüler wollen und was sie interessiert, warum zur Hölle fragt man sie dann nicht? Wo ist der Unterricht, der sich an den Fragen der anwesenden Schüler orientiert? Wo ist die Lehrerausbildung, die dazu befähigt, solche Ressourcen zu nutzen? Etwa bei der Bertelsmann-Stiftung?
Der Fetisch “Leistung” zerstört sich selbst, weil er zwangsläufig außer Acht läßt, daß es Menschen sind, die da etwas leisten sollen. Wer Leistung fördern will, muß Menschen fördern, und zwar um ihrer selbst willen. Die mechanistischen Ansätze der gängigen Bildungspolitik vernachlässigen die simple Erkenntnis, daß Menschen keine Maschinen sind. Eine Maschine versagt nämlich nicht, weil sie keine Lust mehr hat.

Fernsehen entspannt. Ich habe eben wieder festgestellt, daß hohles Glotzen eine der wenigen Möglichkeiten ist, mein Gegrübel zu durchbrechen. So lange nicht Schlüsselwörter erwähnt werden, die die Grübelmaschine wieder in Gang setzen, kann ich mich erholen. Ich schalte die Glotze allerdings gar nicht erst ein, wenn ich nicht etwas finde, das zu gucken eine Form von Unterhaltung verspricht, die ich für erträglich halte. Ich habe da diese TV-Zeitung, die an sieben Tagen in der Woche auf 30 Kanälen Bullshit verzeichnet. Es gibt vielleicht ein halbes Dutzend Sendungen darunter, die mich ansprechen.
Es ist ja ganz offenbar so, daß die anderen geschätzten 500 Sendungen pro Woche (bezogen nur auf die zeit zwischen 20 und 22 Uhr) auch von irgendwem gesehen werden müssen. So viel Entspannung fürs Volk! Manche sitzen gar den ganzen Tag vor der Glotze, und man möchte das Geflimmer nicht in Valium umrechnen. Es würde vermutlich alle Wale dieser Welt in Schlaf versetzen können.
Das reicht aber noch nicht. RTL will uns mit einer Reihe von Spartenkanälen beglücken, auf denen der Schwachsinn der Woche noch einmal komprimiert serviert wird, damit man sich nicht mehr mit der quälenden Abwechslung zwischen Schnulze, Krimi und Soap herumschlagen muß – geschweige denn mit Nachrichtensimulationen. Der Tennisarm vom Zappen ist dann auch Schnee von gestern, und man kann sich in eine Welt begeben, die einem die liebste ist. Ist das der neue Trend? Das erinnert mich alles schwer an die attraktiven Finanzprodukte, die im vergangenen Jahr noch angepriesen wurden. Ein guter Mix aus exklusiven und hochwertigen Titeln, an denen ihr Besitzer viel Freude haben wird.
An der Börse haben die Konsumenten ihr Geld verloren, vor dem Fernseher ist der Verstand reif. “RTL Crime”, um ein Beispiel zu nennen, ist ein Müllhaufen von Uralt-Serienschrott und aktuellen Unerträglichkeiten in Sachen Zischbummpeng, Mord und Totschlag in Slowmotion und dilettierenden Halbschauspielern in Hochglanzverpackung. Meine Lieblingsserie ist auch dabei: “Alarm für Cobra 11″. Wer so etwas durchsteht, ist angekommen in der Welt der Psychocandy eating Zappzombies. Die Einschaltquoten stimmen, ganz ohne Dazutun von Forsa-Güllner. Womöglich sind das die Genies, die heute FDP wählen.
Dabei ließen sich Spannung, große Emotionen, Reality-TV und hoher kultureller Anspruch auch ganz anders präsentieren. Die sich häufenden Fälle unfaßbarer Kriminalität, vor der wir uns wirklich gruseln dürfen, hätten einen eigenen Sender verdient. Der Renner heute wäre der Anschlag auf Unschuldige Menschen und die gesamte Zivilisation, die sich ein Großbäcker geleistet hat. Ein weiteres Beispiel, wie Recht und Justiz widerlichst mißbraucht werden, um Arbeitnehmer zu unterdrücken.
Warum solche Fälle allerdings nicht zu großem Pantoffelkino taugen, liegt auf der Hand: Man gerät bloß wieder ins Grübeln.

[Siehe dazu auch nebenbei Bemerktes]

Ich habe eben gefühlte 300 Artikel zur aktuellen “PISA-Studie” überflogen und könnte ein Buch schreiben oder mich wiederholen – immer wieder im November habe ich das eine oder andere zum Thema polemisiert. Es macht mich eher müde. Daß Sachsen und Bayern sich jetzt einen hobeln können auf ihre “Erfolge” hat die komische Note, daß die Systeme völlig unterschiedlich sind. Im Süden ein Spagat zwischen vielen Hauptschulen und Gymnasien, im Osten zwei Drittel (quasi) Gesamtschulen. Ein weites Feld.
Interessant ist ein Interview in der TAZ, das sich im Kern mit Migranten am Gymnasium befaßt. Die Lehrerin Ursula Rogg spricht mir im Gespräch mit Anna Lehmann beinahe aus dem Herzen, an einer entscheidenden Stelle fasse ich mir aber mit Anlauf an den Kopf:

Das ist eine besondere Schülerschaft, die es über die zehnte Klasse hinaus schafft, wir haben fantastische Schülerinnen und Schüler. Dieses Grüppchen müssen wir vergrößern, das ist die Herausforderung der Schule. Wir brauchen sie später dringend als Erzieher, Polizisten und Sozialarbeiter.

Erzieher und Polizisten brauchen kein Abitur. Sozialarbeiter schon, aber was läßt Frau Rogg denken, Ausländerkinder sollten hier das Gymnasium schaffen, um Funktionsroboter im Rinnstein der Gesellschaft zu werden? Die doppelte Verkürzung des Schulziels auf einen Beruf in einem begrenzten Feld, der “Gebrauch” von Menschen, die eine Schule ausspuckt, ist also die Leitlinie?
Wie wäre es, junge Menschen mit ihren Fähigkeiten und Vorstellungen vorurteilsfrei und optimal zu fördern? Diese Leute wollen nicht schon wieder auswandern, um endlich Menschen sein zu dürfen.

Ich gucke gern. Zum Beispiel meiner Liebsten beim Einschlafen zu. Das vollzieht sich beim Fernsehen, sie guckt sich Klamotten im TV an, die mir Zahnschmerzen bereiten, aber so bleibe ich immerhin in der Welt. Eine der Sendungen, die da regelmäßig flimmern, ist derzeit “Mein Restaurant” auf “VOX”.
Das Ding ist so übel, daß ich mir auf die Zunge beiße, um nicht ins Vulgäre abzudriften. Da werden Leute vom Sender angestiftet, ein Restaurant zu eröffnen, mit Mitteln des Senders, der die Sache mit einem Sprecherhansel und einem Team von “Experten” begleitet, welche das Ganze beurteilen. Geld gibt es abgestuft nach Leistungsbeurteilung, u.a. durch Tim Mälzer, den charmanten Starletkoch und zwei anderen unsympathischen Leuten, die auch was zu sagen haben.
Inzwischen haben eine gute Handvoll (vielleicht sind es auch zehn – was weiß ich) Restaurants eröffnet, alle mit einer Idee, einem Konzept und mehr oder weniger talentierten Teams. Diese Restaurants sind real, mit echten Chefs und Angestellten und aufwendig gestalteten Räumlichkeiten. Der Wahnsinnclou an der Nummer ist nun folgender: Es darf nur eines geben. Am Ende der Reality-Soap soll nur ein Restaurant bleiben dürfen, die anderen müssen dichtmachen (Lest diesen Satz getrost zweimal). Nachdem sich also hundert Leute Hoffnungen auf einen Job oder eine “Existenz” gemacht haben, läßt man sie nach und nach ins Nichts zurücktaumeln. Diese perverse Geschichte begleitet die Sendung mit aberwitzig-infantilen Ritualen: Wenn ein Laden per Telefonvotum ausgeschieden ist, haben die Teams noch 15 Minuten Zeit, ihre privaten Sachen zu packen, die Gäste rauszuschmeißen und abzusperren. Dazu kommentiert die Stimme auf dem Off: “Für immer, für immer… für immer”.
Das ist in jeder Dimension so behämmert, daß auch ein abendlich sedierter Restverstand hoffen darf, die Inhaber bekämen nach Ende dieses Idiotenentertainments die Schlüssel zurück und dürften weitermachen. Das wäre freilich fast zu schade, denn der losgelassene Zynismus nimmt doch argen Schaden, wenn er posthum in Menschelei endet.
Reality eben: Ihr könnt euch verbiegen, wie ihr wollt, ihr könnt Erfolg haben oder nicht, es mögen Arbeitsplätze daran hängen – who cares?! Wenn der Geldgeber den Hahn zudreht aus irrationalem Anlaß, seid ihr draußen, in fünfzehn Minuten, zackzack!
Als erstes Restaurant hat es eines in Leipzig erwischt, das besonders kinderfreundlich war. Die Kunden konnten ihre (kleinen) Kinder mitnehmen, darauf war das Konzept abgestellt. Aber hallo: Ossis und Kinder? Braucht kein Mensch, wie im richtigen Leben. Wir weinen also kurz mit ihnen und schalten dann um auf Sport und Titten.

Ein Artikel zu einem widerlichen Vergleich findet sich bei “ad sinistram”. Ich habe meinen Kommentar dort hinterlassen.

Es nervt. Da kommt ein Club daher, den keiner kennt, der keine Fans und keine Geschichte hat und spielt allererste Liga. Jeder weiß, daß es das Geld eines Milliardärs war, das dies ermöglichte. Geld kauft nämlich doch Tore, auch wenn das nicht immer funktioniert.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es nicht sogar begrüßenswert ist, wenn Vereinen wie den Bayern einmal gezeigt wird, daß mit ausreichendem Geld jeder Erfolg kaufen kann. Hoffenheim hat ja nicht einmal die teuersten Spieler der Welt eingekauft, sondern nur erstklassiges Spielermaterial, das von einem ebenfalls gekauften Trainer-Team hervorragend eingestellt wird. Wo ist das Problem?
Daß es noch immer nervt, zum Beispiel. Wer will derart dreist vor Augen geführt bekommen, daß man sich nach oben kaufen kann, wo andere sich jahrelang abmühen? Der Sport, zuallererst der Fußball, ist längst ein Geschäft, in dem einige den Hals nicht voll bekommen können. Längst haben sich in vielen traditionsreichen Clubs Strukturen breitgemacht, die dem Gewinn dienen und parasitär von einem Jahrhundert Fußballkultur zehren.
Ist es angesichts dessen wirklich schlimm, wenn ein Milliardär seinem Noname-Club einen Platz in der Bundesliga kauft?
Ja, es ist, denn es könnte ein Dammbruch werden. Ein Ausverkauf der Clubs könnte daraus entstehen, ein Hype, der den Sport als Geschäft durch das vollends unsportliche Geschäft ablöst. Hoffenheims Besitzer Hopp spielt sich dabei selbst noch als Retter auf vor dem, was er womöglich gerade lostritt:
Wenn irgendwann mal ausländischen Investoren die Tür geöffnet wird in der Bundesliga und Leute kommen wie der Scheich aus Abu Dhabi, dann wird man vielleicht sagen: Wäre schön gewesen, wenn wir noch den einen oder anderen Hopp hätten.
Wir sind ja so dankbar! Wohin das führt, was Hopp da treibt, konnte man jahrelang in der Eishockey-Bundesliga/DEL sehen: Meisterschaften wurden von Clubs gewonnen, die in den Folgejahren nicht mehr aus dem Quark kamen, weil sie ihre Schulden abzahlen mußten – oder sie sind gleich ganz bankrott gegangen. Dabei ist im Eishockey nicht ein Minimum dessen zu holen, was im Fußball durch die Kassen fließt. Die DEL hat zwischenzeitlich sogar den Auf-und Abstieg abgeschafft, der finanziellen Planung wegen. Gerade in Zeiten, da Großinvestoren nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, droht hier der totale Ausverkauf.
Von gekauften Siegen will Hopp freilich nichts wissen. Der Mann, der keine Betriebsräte braucht, ist ein Sympath ohne Vergleich und macht sich sogar Sorgen um seine Feinde: Die bösen Fans anderer Clubs. Er zeigt sie zwar an, zieht seine Anzeige aber mit großer Geste zurück, wenn sie sich “entschuldigen”. Er hat Verständnis für alle. Zum Beispiel für Leute, die ein Transparent mit der Aufschrift “Hoppe hoppe Reiter – wenn er fällt, dann schreit er” ins Stadion mitbringen wollen. Aber auch für den Club, der auf Hopps Drohgebärden gehorsam reagiert und die Leute damit nicht reinläßt:
Der DFB will wohl unterbinden, dass Leute im Stadion festgenommen werden müssen.”
Eine höchst interessante Ansicht von Strafrecht und Demokratie – und eine kaum verhohlene weitere Drohung.
Sein Pressesprecher läßt sich öffentliche Kritik schon gar nicht gefallen und boykottiert deswegen den “Tagesspiegel”.
So dreist ist nicht einmal Uli Hoeneß, und der hat Jahrzehnte gebraucht, um seine Arroganz auf den heutigen Stand zu bringen.
Nein, solche Privatclubs braucht kein Mensch, in keiner Liga der Welt. Es ist nur zu hoffen, daß der zu erwartende Niedergang des 1899 Hoffenheim sich ereignet, ehe das Beispiel Schule macht. Die zerstörerische Wirkung des Kapitalismus auf die Kultur muß gebremst werden – wahrlich nicht nur bei den Banken.

“Fernsehpreise” und Kultur, darüber kann man stundenlang räsonieren. Überhaupt ist der Zusammenhang zwischen der Glotze und dem Bildungsniveau der Glotzer alles und nichts. Es gibt ihn, er ist fast unmittelbar, aber Fernsehen ist eben kein Bildungsgut, sondern ein Komplex, der als wichtigster Verwertungsraum des Unterhaltungsmarktes auf Affekte zielt. Verblödung ist ein unvermeidlicher Kollateralschaden.
Eine Preisverleihung als Einzelveranstaltung kann in diesem Zusammenhang nicht herhalten für eine fundierte Kritik am Betrieb. Allein die Kritik an der Durchführung des Events von der Kritik an den Produkten der Branche zu trennen, ist eine fast unlösbare Aufgabe. Elke Heidenreich hat sich damit gar nicht lange aufgehalten, sie bietet einen bunten Mix an Unbehagen über einen langweiligen Abend, über doofe Sendungen und darüber, daß die Clowns im großen Zirkus die Stirn haben, ihre einzig ernsthaften Künstlerkollegen mit ihren Albernheiten zu beleidigen.
Als Sahnehäubchen auf diese ungenießbare Melange setzt Heidenreich ihre heuchlerische Grandiosität mit sicherem Instinkt für die Affekte des Publikums. Sie war nur dabei, um nicht dazu zu gehören. Sie, die Nachfolgerin des einzig wahren Hüters der Kultur in der Unkultur, will sich “schämen” und dabei doch nur alle anderen beschämen, im Kielwasser des Großen Marcel Reich-Ranicki.
Sie verdankt dem Fernsehen alles, worauf ihr Ruhm und ihr Kontostand beruhen. Das ist nicht “ein klein bisschen heuchlerisch“, das ist die aggressive Heuchelei einer Medienperson, die sich nie Gedanken darüber gemacht hat, daß sie selbt gemacht ist. Wenn “Sozialgeschnatter” feststellt:
Das Niveau der Fernsehpreis-Verleihung und von Grabscher Gottschalk dürfte ihr schon seit Jahren bekannt sein“, ist das nur ein Detail. Sie selbst ist Teil des Betriebs und hat herzlich wenig zu einer fundamentalen Kritik dieses Betriebs beigetragen. Im Gegenteil: Sie will nichts davon davon wissen, daß sie Macht ausübt – im Rahmen eines Mediums, das eben nicht aufklärt, sondern verkauft:
“DIE WELT: Macht Ihnen diese Macht keine Angst?
Heidenreich: Ich mag das Wort nicht. Dann hat jede Konditorei auch Macht. Ich kann an keiner vorbeigehen, ohne mir ein Törtchen zu kaufen.
DIE WELT: Aber die hat nur Macht über fünf Passanten. Auf Ihre Tipps verlassen sich Millionen Menschen, und so manch kleiner Verlag ist von der plötzlichen Nachfrage schon überfordert worden.
Heidenreich: Daran darf ich nicht denken. Und manchmal machen mich die Ansprüche auch wütend.”

Wütend, aber eben nicht (selbst)-kritisch. Ihre Argumente sind nicht weniger albern als Gottschalks Moderationen.
Jürgen Kaube hat in der FAZ festgestellt:
Überhaupt steht alles „in einem Zusammenhang vom Mittelalter bis heute“ (Heidenreich), wer wird sich da bei Einzelheiten, gar bei Fragen der Verständlichkeit aufhalten. Doch darum geht es ja auch gar nicht, sondern um die Beschwörung des Lesens als solchem, ganz unabhängig vom Denken.
Elke Heidenreich besorgt ein Geschäft, das sich nur dank ihrer Herkunft von dem unterscheidet, was Unterschichtenfernsehen preiswürdig macht. Sie macht Bildungfernsehen zu einer Geschmacksfrage und zu einer ihres Selbstwertgefühls. Was sie anfrißt, ist nicht der Betrieb als solcher, sondern die Tatsache, daß andere mehr Aufmerksamkeit einheimsen, als sie selbt. Daß Fernsehen in seiner dümmsten und ödesten Machart noch mehr Erfolg hat als die Restkultur, deren einträgliche Gralshüterin sie sein möchte. Sie und der Marcel, das sind die Leute, deren Lebenswerk nicht beschmutzt werden soll durch den hohlen Alltag eines Geschäfts, das ihr die Plattform für ihre Überlegenheit bietet. Denken liegt ihr nur so weit am Herzen, wie ihr eigenes Talent das zuläßt. Sich selbst zu hinterfragen, kommt ihr dabei nicht in den Sinn.

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