Stefan Tillmann hat sich in der FTD eines Themas angenommen, das deutlich macht, wie weit deutsche Spitzenpolitiker nur noch Darsteller ihres Amtes sind. Die Dauerfinanzkrise ist längst kein öffentliches Theater mehr, in dem sich vermeintliche Helden auf die Bühne stellen und den Retter spielen. Die Fäden sind deutlich sichtbar, an denen angebliche Volksvertreter hängen. Wer daran zieht, wird gemeinhin verschwiegen. Schlimmer noch: Das Einwirken der Hintermänner wird als “Sachverstand” verkauft. Bislang hielt Frau Merkel es sogar noch für chic, Josef Ackermann die Entscheidungen treffen zu lassen. Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag zu treffen hätte.
Dabei macht Ackermann keinen Hehl daraus, dass all sein Handeln den Interessen der Deutschen Bank dient. Weiß Frau Merkel, dass die ein privater Finanzkonzern ist?
Es ist nachvollziehbar, dass nicht jeder Abgeordnete ein talentierter Volkswirtschaftler ist. Umso wichtiger ist es dann aber, den “Sachverstand”, dessen sich Parlament und Regierung bedienen, aus unabhängiger Quelle zu beziehen. Tatsache ist, dass die ganze Mischpoke von Deutscher Bank über INSM bis hin zu Finanzdienstleistern, die den Spreebogen spannen und die vermeintliche politische Elite schmieren, sich davon unmittelbar Profit versprechen, und das zurecht. Diese Republik hat sich regelrecht verkauft, an Ackermann, Maschmeyer, Kannegießer, Rürup und wie sie alle heißen.
Invasion am Spreebogen
Der Korruption scheint aber noch nicht genüge getan, indem Entscheidungen, die ganz nebenbei inzwischen jedes Budget eines Ministeriums überschreiten, den Profiteuren überlassen werden. Es reicht auch noch nicht, dass eine fahrlässige oder organisierte Ahnungslosigkeit wehrlos ist gegen diese Einflüsse. Hinzu kommt auch noch ein permanenter Zeitdruck, unter dem Parlamentarier die Beschlüsse der Invasoren abzunicken haben – damit Widerstand sich erst gar nicht erst formiert. Und über all dem lächelt die Kanzlerin ihr fürchterliches Lächeln und nennt es “gemeinsame Lösung”.
Der Krieg gegen den Sozialstaat ist längst zum Krieg gegen den Staat als Institution geworden. Er soll nur mehr ein Lieferant von billigsten Arbeitskräften und Gratisversicherung der Finanzindustrie herhalten. So dumm ist das tatsächlich: Volkswirtschaftlich betrachtet, müsste ja wenigstens noch jemand für Produktion und Konsum sorgen, aber die Magier des Neoliberalismus kommen offenbar ohne aus. So lange das eben gut geht.
Parlamentarische Befehlsempfänger
Dabei gäbe es durchaus andere Konzepte und fähige Köpfe. Heiner Flassbeck etwa ist ein solcher, dereinst Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Hans Eichel hat ihn entlassen, weil er der neuen Mitte und ihrem Voodoo im Weg stand. Zuvor war er gemeinsam mit dem zuständigen Finanzminister einer der letzten in Europa, die sich dem neoliberalen Tsunami entgegen gestellt haben. Der Minister galt deshalb auch als “gefährlichster Mann Europas”. Nachdem sich Schröder durchgesetzt hatte, verließ Lafontaine konsequent nicht nur die Regierung, sondern auch die SPD.
Der neoliberale Putsch, der in Deutschland seinen Erfolg sogenannten “Sozialdemokraten” zu verdanken hat, hat alle Tore geöffnet für Lobbyisten, Profiteure und Großeigentümer, deren Interessen inzwischen “Wirtschaftspolitik” genannt werden. An allen demokratisch legitimierten Strukturen vorbei werden sie durchgesetzt, und inzwischen kapituliert der Bundestag ganz offen. Wir werden nicht einmal mehr regiert. Wir wählen uns Vertreter, die sich unverblümt als Befehlsempfänger verstehen.

Die deutschen Banken, allen voran die Deutsche Bank, sind nicht einfach Geldinstitute oder Gewinnmaximierer. Sie sind eine tragende Säule der Bundesrepublik, sie sind Teil der Gesellschaft, sie arbeiten für die Menschen und mit den Menschen in Deutschland. Und sie wissen sehr genau: Ohne eine grundlegende gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich kein Geschäft auf Dauer nachhaltig oder erfolgreich betreiben.
Wenn ein kleiner Teil der Öffentlichkeit – Publizisten, Politiker, Wissenschaftler – fordert, es müsse das Primat der Politik hergestellt werden, dann bezieht sich das zumeist auf die Entscheidungen, die im politischen Kontext getroffen werden. Parlamente, Regierungen, Ausschüsse, die unter Einflussnahme von Lobbyisten und im Sinne einer herrschenden ökonomischen Lehre handeln, anstatt sich zu fragen, wer sie gewählt hat und wie sie diesen Menschen gerecht werden können.
Magie? Ja sicher: Billigstes Varieté, an dem sich posthum jetzt auch Heusinger beteiligt. Dabei wird wiederholt die Frage nach “Unabhängigkeit” genannt, ohne je gestellt zu werden. Wer hat wen beeinflusst, wer mit wem gesprochen, wer warum was entschieden? Darüber liegt der Schleier der “Magie”. Erbärmlich. Erwartet hätte ich die Frage nach Alternativen. Wenn ein Grünflächenamt Rasenmäher kauft, wird das europaweit ausgeschrieben. Der Chef der Bundesbank aber wird mal eben benannt. Wo keine Alternativen sind, da ist Zwang. Wo dieser innerhalb undurchschaubarer Zirkel ausgeübt wird, herrscht Korruption. Politisch ist das nicht, Politik erfordert Transparenz und eine überzeugende Wahl bei der Besetzung öffentlicher Spitzenämter.
Stattdessen das Signal: Wenn ihr nicht noch grausamer zu den Menschen seid als wir, dann stimmen wir auch einer verfassungswidrigen Regelung zu. Es hat bis heute keine Ermittlung des Grundbedarfs stattgefunden, die auch nur annähernd den Vorgaben entspricht. So etwas kann und darf nicht Gesetz werden. Das müssten alle so sehen: Regierung, Opposition, Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident. Am Ende wird es aber wieder nur das Gericht in Karlsruhe sein, das so erkennt und entscheidet. Und weiter geht die wilde Fahrt, auf zur nächsten Runde!
Es waren ganz vorne an die Ratingagenturen, die maßgeblich für die übelsten Auswüchse der Zockerei an den Finanzmärkten verantwortlich sind. Nicht nur, dass sie noch jedem verbrieften Gammelfleisch höchste Qualität bescheinigt haben, sie stehen auch immer wieder im Mittelpunkt des Pokers mit Staatsschulden. Hätte man auch nur irgend etwas kapiert nach dem letzten Schub der Sklerose des Kapitalismus, man hätte sich dieser Augenwischer- und Feigenblattproduzenten zuerst entledigt. Sie haben den Rauch nicht gerochen, als schon der ganze Wald in Flammen stand und maßen sich schon wieder an, systemrelevante Urteile über den Wert von Staaten und Konzernen zu sprechen.
Das sagten sich wohl Ende der 90er alle, die ‘groß im Internet’ waren. So entstanden vielbesuchte Chats u.a. bei Verlagen, Providern und Fernsehsendern. Das musste man haben, denn das Internet war die Zukunft. Hunderttausende meldeten sich in einzelnen Communities an, der cassiopeia-chat mit Gästebüchern und Foren war der Renner. 
Nach satten neun Monaten sprichwörtlichem Nichtstun hat er sich so ans Wachstum ohne Eigenleistung gewöhnt, dass er erst einmal weitere Monate bestenfalls den Mund aufmacht, um sich zu ernähren. Und selbst den Gang zur Toilette lässt er weitere Jahre lang andere für sich besorgen – der Mensch. Den Verfechtern der Eigenverantwortung und Selbstsorge kann es nichts Widerlicheres geben als schutz- und hilfebedürftige Kleinkinder. Die Zeiten, in denen ein Beschützerinstinkt noch das Gegenteil bewirkte, liegen hinter uns. Das können wir uns in Zeiten der globalen Konkurrenz nicht leisten.
Fürsorgliche Geister fragen sich: “Warum kümmert sich keiner um die Frau?”, aber das sind schon zwei völlig unzeitgemäße Begriffe in einem Satz.
