Wirtschaft


 
schroebushStefan Tillmann hat sich in der FTD eines Themas angenommen, das deutlich macht, wie weit deutsche Spitzenpolitiker nur noch Darsteller ihres Amtes sind. Die Dauerfinanzkrise ist längst kein öffentliches Theater mehr, in dem sich vermeintliche Helden auf die Bühne stellen und den Retter spielen. Die Fäden sind deutlich sichtbar, an denen angebliche Volksvertreter hängen. Wer daran zieht, wird gemeinhin verschwiegen. Schlimmer noch: Das Einwirken der Hintermänner wird als “Sachverstand” verkauft. Bislang hielt Frau Merkel es sogar noch für chic, Josef Ackermann die Entscheidungen treffen zu lassen. Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag zu treffen hätte.

Dabei macht Ackermann keinen Hehl daraus, dass all sein Handeln den Interessen der Deutschen Bank dient. Weiß Frau Merkel, dass die ein privater Finanzkonzern ist?
Es ist nachvollziehbar, dass nicht jeder Abgeordnete ein talentierter Volkswirtschaftler ist. Umso wichtiger ist es dann aber, den “Sachverstand”, dessen sich Parlament und Regierung bedienen, aus unabhängiger Quelle zu beziehen. Tatsache ist, dass die ganze Mischpoke von Deutscher Bank über INSM bis hin zu Finanzdienstleistern, die den Spreebogen spannen und die vermeintliche politische Elite schmieren, sich davon unmittelbar Profit versprechen, und das zurecht. Diese Republik hat sich regelrecht verkauft, an Ackermann, Maschmeyer, Kannegießer, Rürup und wie sie alle heißen.

Invasion am Spreebogen

Der Korruption scheint aber noch nicht genüge getan, indem Entscheidungen, die ganz nebenbei inzwischen jedes Budget eines Ministeriums überschreiten, den Profiteuren überlassen werden. Es reicht auch noch nicht, dass eine fahrlässige oder organisierte Ahnungslosigkeit wehrlos ist gegen diese Einflüsse. Hinzu kommt auch noch ein permanenter Zeitdruck, unter dem Parlamentarier die Beschlüsse der Invasoren abzunicken haben – damit Widerstand sich erst gar nicht erst formiert. Und über all dem lächelt die Kanzlerin ihr fürchterliches Lächeln und nennt es “gemeinsame Lösung”.

Der Krieg gegen den Sozialstaat ist längst zum Krieg gegen den Staat als Institution geworden. Er soll nur mehr ein Lieferant von billigsten Arbeitskräften und Gratisversicherung der Finanzindustrie herhalten. So dumm ist das tatsächlich: Volkswirtschaftlich betrachtet, müsste ja wenigstens noch jemand für Produktion und Konsum sorgen, aber die Magier des Neoliberalismus kommen offenbar ohne aus. So lange das eben gut geht.

Parlamentarische Befehlsempfänger

Dabei gäbe es durchaus andere Konzepte und fähige Köpfe. Heiner Flassbeck etwa ist ein solcher, dereinst Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Hans Eichel hat ihn entlassen, weil er der neuen Mitte und ihrem Voodoo im Weg stand. Zuvor war er gemeinsam mit dem zuständigen Finanzminister einer der letzten in Europa, die sich dem neoliberalen Tsunami entgegen gestellt haben. Der Minister galt deshalb auch als “gefährlichster Mann Europas”. Nachdem sich Schröder durchgesetzt hatte, verließ Lafontaine konsequent nicht nur die Regierung, sondern auch die SPD.

Der neoliberale Putsch, der in Deutschland seinen Erfolg sogenannten “Sozialdemokraten” zu verdanken hat, hat alle Tore geöffnet für Lobbyisten, Profiteure und Großeigentümer, deren Interessen inzwischen “Wirtschaftspolitik” genannt werden. An allen demokratisch legitimierten Strukturen vorbei werden sie durchgesetzt, und inzwischen kapituliert der Bundestag ganz offen. Wir werden nicht einmal mehr regiert. Wir wählen uns Vertreter, die sich unverblümt als Befehlsempfänger verstehen.

 
flattr, der Webzombie

Ich lese in den letzten Tagen wieder häufiger Artikel von Journalisten, die nach einem gefühlten Jahrhundert Webzwonull noch immer keine Ahnung haben und diesen Mangel durch Superlative kompensieren wie zum Beispiel “meist geklickt” “erfolgreichstes”, “größtes” et cetera. Heraus kommt dabei re:publica, Beckedahl und der übliche Schrott der Selbstinszenierer. Die sind nämlich irre wichtig, und darum ist auch ganz wichtig, was sie sagen, zumal wenn wieder einmal re:publica ist. Das heißt so viel wie “geheime Sache”. Die Journaille hilft gern aus, wenn das ach so publike noch immer nicht esoterisch genug ist und würzt mit Irrelevanz, was eh niemanden interessiert.

Im Zweifelsfall kommt noch der blanke Blödsinn zur Garnierung hinzu. Ganz neu nämlich: flattr, das Bezahlsystem, das bald überall für volle Kassen sorgen wird. So klingen sie immer, die Abgesänge der Noobs aus dem Off, wenn eine brauchbare Idee auf dem Weg ins Nirwana ist. Was ich so sehe, ist flattr gewaltig auf dem Rückmarsch. Nicht nur in meinem Blog, die Zahlen schrumpfen überall in gewaltigen Dimensionen. Ich schätze, zu viele haben inzwischen bemerkt, dass sie selbst die zwei Euro im Monat nicht einnehmen, die sie selbst mindestens ausgeben müssen. Zum bloßen Spenden haben die wenigsten sich den Account zugelegt, und jetzt merken sie plötzlich: Was keiner ausgibt, nimmt niemand ein. Das ist der Wahrheit.

Heim verstrahlt, Porto bezahlt

Was ist Ihnen Ihr Heim wert? Satte 8300 Euro zahlt Tepco den Strahlenvertriebenen von Fukushima. So sieht es aus, wenn es ans Begleichen der Schäden geht in dieser unversicherten Branche, die so sicher ist, dass keine Assekuranz so dämlich ist, Verträge mit ihr abzuschließen. Muss man sich mal vorstellen: Da hat man das Glück, von Erdbeben und Tsunami verschont geblieben zu sein, dann platzen einem die AKW um die Ohren und man kommt nie wieder nach Hause. Dafür gibt’s dann den Gegenwert eines Kleinwagens ohne Räder. Für den Rest des Elends kommt der Steuerzahler auf. Passt doch.

Strom wird höllisch teuer

Noch eine Kampagne: Die allseits so genannte Energie-”Wende”. Dieses Land kennt nur drei Wörter, die es in Überschriften schaffen: Wende, Aufschwung, Augenmaß. Unterhält die INSM eigentlich schon eine Zensurbehörde? Und klar: Das wird furchtbar teuer alles, weil nur Atomstrom günstig ist. Dann werden ein paar Zahlen mit dem Nachnamen “Milliarden” durch die Arena gekullert, und schon haben alle wieder Sehnsucht nach dem gemütlichen AKW um die Ecke. Oder wissen von nun an, warum sie die komischen Stachelhalsbänder tragen müssen mit dem Anhänger RWE, Eon, EnBw, Vattenfall. Der Ökostrom ist schuld, nicht etwa ein kriminelles Kartell.

Überhaupt ist der Geisterglaube auf Kindergartenniveau unerträglich, mit dem volkswirtschaftliche Zusammenhänge in die jeweils genehme Form gegossen werden. Es ist schlicht falsch zu behaupten, eine Energiewende “kostete” soundsoviel. Es gibt Einnahmen und Ausgaben, die je nach Modell eine Nullsumme sind oder eine gewisse Fließrichtung haben. Sicher ist aber: Was einer ausgibt, nimmt ein anderer ein. Geht es um die Infrastruktur, kommt obendrein ein Effekt hinzu, der sich höchstens schätzen lässt. Wird nämlich in die Energienetze investiert, ist das ja keine Ausgabe ohne Gegenwert. Im Gegenteil. Je mehr davon übrigens von der öffentlichen Hand investiert wird, umso besser – wenn das nicht nachher wieder “privatisiert” wird. Das kostet nichts anderes als ein gewisses Quantum Material und Arbeit, das im beste Falle allen zugute kommt. Wer freilich an das Modell der Schwäbischen Hausfrau glaubt, wird sich panisch fragen, wie die Ärmste all die Kabel verlegen und danach noch ihrem Gatten die Kartoffeln braten soll. Ein furchtbares Schicksal!

Juso-Aufstand, kommunistischer

Die Jungsozialisten fordern per Volksentscheid Höchstlöhne. Nicht mehr als das 12-fache der unteren Betriebsangehörigen sollen die Topverdiener bekommen, oder andersherum soll es nicht weniger als ein Zwölftel für die gleiche Arbeitszeit geben.
Diese Jusos! Keine Bange, die weichgespülte Truppe, aus der hierzulande die korruptesten Verräter der Arbeiterschaft hervorgehen, ist diesmal nicht gemeint. Es sind die Schweizer. Die vestehe ich sowieso nicht, aber lustig sind sie immer wieder.

Puff-Peters Nachhut

A propos Verlierer, Verräter, Scherzkekse: “Wirtschaftskompetenz, Scholz und Steinbrück” brauche die SPD, meint Lobbyist und SPD-Rechtsausleger Dieter Spöri. Ich breche schon jedesmal zusammen, wenn ein Arbeiterhasser aus der Schröder-Hartz-Bande von “Wirtschaftskompetenz” phantasiert. Ganz selbstverständlich kommt dann die Forderung, Leute nach vorn zu bringen, die in jeder schwarzgelben Regierung den Einpeitscher machen könnten. Wichtigste Voraussetzung: Völlige Inkompetenz in Sachen Politik und immer eine offene Hand. Die Schweizer werden uns beneiden.

radioaktivherzDie deutschen Banken, allen voran die Deutsche Bank, sind nicht einfach Geldinstitute oder Gewinnmaximierer. Sie sind eine tragende Säule der Bundesrepublik, sie sind Teil der Gesellschaft, sie arbeiten für die Menschen und mit den Menschen in Deutschland. Und sie wissen sehr genau: Ohne eine grundlegende gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich kein Geschäft auf Dauer nachhaltig oder erfolgreich betreiben.

Wir müssen nach der Finanzkrise offen über Sicherheitsthemen neu diskutieren. Darüber, ob die Anforderungen dem entsprechen, was wir als Gesellschaft an verbleibenden restlichen Risiken zu tragen bereit sind.

Wir jedenfalls wollen uns an einem offenen und transparenten Dialog zur Transformation des deutschen Finanzsystems beteiligen.

Ein Teil der Gesellschaft

Wir wollen einen Umbau des Systems mit Augenmaß.
Augenmaß heißt, nicht einfach nur die Frage nach einigen Regulierungen mehr oder weniger zu beantworten. Augenmaß muss vielmehr heißen, die Zeit nutzen, um einen Fahrplan für Deutschlands Zukunft zu entwickeln, der über Parteigrenzen hinweg getragen wird und breite gesellschaftliche Akzeptanz findet.

Einfach wird es sicher nicht. Dafür sind die noch ungelösten Fragen zu komplex.
Wie erhalten wir Arbeitsplätze und Wohlstand für uns und unsere Kinder? Denn auch auf deren Zukunft kommt es heute an! Darauf brauchen wir Antworten. Und zwar bevor endgültige Entscheidungen über einen schnellen Umbau des Finanzsystems fallen. Nur so schaffen wir einen tragfähigen Umstieg mit Augenmaß.

Wer jetzt glaubt, es könne sich dabei nur um einen Aprilscherz handeln, fällt ein bitteres Urteil über die Rhetorik deutscher Manager und die Bereitschaft von Printmedien, deren Blabla abzudrucken. Ausgerechnet die von mir sehr geschätzte Frankfurter Rundschau gibt Eon-Chef Teyssen die Gelegenheit, solchen Sermon abzulassen. Dass sich dessen Phrasen (ich hätte auch den kompletten Text adaptieren können) nahtlos auf eine andere Branche und einen anderen Zusammenhang portieren lassen, macht deutlich, wieviel luftleere Propaganda da mitschwingt.

Friss das!

Energiekonzerne sind “ein Teil der Gesellschaft”, sie sind gar keine Monopole, die rücksichtlos ihre Kunden ausplündern. Sie arbeiten auch nicht für Gewinne und den Shareholder Value, sondern aus Selbstzweck. Sie arbeiten für Arbeitsplätze. (Dass Teyssen versehentlich Kinderarbeit propagiert, lassen wir ihm einmal als Freudschen Versprecher durchgehen.) Sie arbeiten, damit es eine Zukunft hat, die fällt nämlich sonst aus. Ihnen steht auch gerade gar nicht der kalte Schweiß der Panik auf der Stirn, weil ihre Großkraftwerke die Zukunft der Vergangenheit verkörpern. Nein, das sind einfach gute Menschen, die völlig selbstlos unser Bestes wollen!

Auffällig ist nicht zum ersten Mal, dass Regierung und Energiekonzerne wortgleich ‘argumentieren’ und ihre Rhetorik von der Resterampe offenbar koordiniert haben. Von der “Brückentechnologie” zum “Ausstieg mit Augenmaß” in Null Komma nix, so schallt es quasi Stereo auf den Bürger ein. Diese “Friss das!”-Mentalität hat inzwischen nicht nur dem politischen Diskurs ersetzt, sondern die ganze Sprache. Ihre 08/15-Propaganda ist gelebtes Bullshit-Bingo.

Der FR kann man diesen Fauxpas nur deshalb durchgehen lassen, weil das Machwerk an dem einen Tag im Jahr veröffentlicht wurde, an dem derartiges tolerabel ist. Dass ihnen das Wasser offenbar bis zum Hals steht, ist keine akzeptable Begründung. Solches Product Placement beschleunigt nicht nur ihren Untergang, er wäre auch noch ein denkbar unwürdiger. Und wenn es um eine Tageszeitung wirklich schade wäre, dann um die FR.

tietmeyerWenn ein kleiner Teil der Öffentlichkeit – Publizisten, Politiker, Wissenschaftler – fordert, es müsse das Primat der Politik hergestellt werden, dann bezieht sich das zumeist auf die Entscheidungen, die im politischen Kontext getroffen werden. Parlamente, Regierungen, Ausschüsse, die unter Einflussnahme von Lobbyisten und im Sinne einer herrschenden ökonomischen Lehre handeln, anstatt sich zu fragen, wer sie gewählt hat und wie sie diesen Menschen gerecht werden können.

Bildquelle: Wikimedia Commons/Bundesarchiv

Es kommt schon kaum mehr jemand auf die Idee zu fragen, inwiefern politisches Handeln auch in der “Wirtschaft” selbst stattfindet und inwieweit eigentlich die Handelnden dafür qualifiziert oder legitimiert sind. Nicht nur, dass Wirtschaftsführer, die Politik beeinflussen auch in dieser Hinsicht ihr Tun überschauen sollten. Spätestens, wenn sie politisch relevant handeln, muss die kritische Öffentlichkeit danach fragen, ob dies auch legitim ist. Das hört auf, wo Joe Ackermann im Kanzleramt ein- und ausgeht und beginnt beim privaten Gespräch potentieller “Investoren” mit dem Gemeinderat.

Nun wird aber gerade von Ökonomen gern stur geleugnet, wirtschaftliches Handeln habe eine politische Dimension, die zu berücksichtigen wäre. Der Grundtenor ist der, es gebe objektiv günstige und weniger günstige ‘Standortfaktoren’, die von der Politik zu schaffen seien. Dabei wird verschwiegen, dass es sich dabei immer um Interessenskonflikte handelt, bei denen der eine den Vorteil und der andere das Nachsehen hat. Da ist nicht allzuviel “objektiv”, und “wissenschaftlich” ist das schon gar nicht. Eine Ökonomie, die sich zur Verfügung stellt, um strategische Interessen sog. “Marktteilnehmer” zum objektiven Sachzwang zu verklären, hat jede Reputation verspielt und ist nicht zu legitimieren.

Instrument von Interessenten

Wenn also der begründete Verdacht besteht, dass eine wissenschaftliche Kaste (von Ökonomen) sich zum Instrument von Interessenten (der Finanzwirtschaft) gemacht hat, ist spätestens der Zeitpunkt gekommen, an dem jede relevante Personalie in der “wissenschaftlichen” Ökonomie zu hinterfragen ist. Umso mehr, wenn es sich um ein hochrangiges öffentliches Amt handelt. Der Fall des Wechsels von Weber zu Weidmann an der Spitze der Bundesbank ist also ein Politikum ersten Ranges, ein Aufruf zu strenger kritischer Prüfung.

Äußerst enttäuschend fällt in dieser Hinsicht aktuell der Artikel von Robert von Heusinger und Markus Sievers dazu aus. Da werden zur Eloge die Meinungen von Ökonomen zum Ökonomen eingeholt, da wird die Bankenrettung ernsthaft zur Zauberei verklärt: Ein “fast magisches Trio” seien Weidmann, Asmussen und Weber bei der ‘Bankenrettung’ gewesen. Kein Wort von Interessen, vom Einfluss Ackermanns, von der Verteilung von Gewinnen und Risiko auf Banken und Steuerzahler.

merkel2Magie? Ja sicher: Billigstes Varieté, an dem sich posthum jetzt auch Heusinger beteiligt. Dabei wird wiederholt die Frage nach “Unabhängigkeit” genannt, ohne je gestellt zu werden. Wer hat wen beeinflusst, wer mit wem gesprochen, wer warum was entschieden? Darüber liegt der Schleier der “Magie”. Erbärmlich. Erwartet hätte ich die Frage nach Alternativen. Wenn ein Grünflächenamt Rasenmäher kauft, wird das europaweit ausgeschrieben. Der Chef der Bundesbank aber wird mal eben benannt. Wo keine Alternativen sind, da ist Zwang. Wo dieser innerhalb undurchschaubarer Zirkel ausgeübt wird, herrscht Korruption. Politisch ist das nicht, Politik erfordert Transparenz und eine überzeugende Wahl bei der Besetzung öffentlicher Spitzenämter.

Bildquelle: א(Aleph)/Wikimedia Commons

Journalistische Blaskapellen

Wenn aber die Öffentlichkeit schläft und in Form journalistischer Blaskapellen zur Freude und Feier der Herrschaft aufspielt, kann man nicht erwarten, dass sich im inneren Zirkel jemand Gedanken darüber macht, ob die Entscheidungskriterien den Ansprüchen demokratischer Politik entsprechen. Wo einst die Macht einer kontrollierenden Öffentlichkeit drohte, waltet meist nur mehr kritiklose Kumpanei.

Dabei geht es auch anders. Lucas Zeise etwa nimmt die politisch motivierte Ökonomie der Bundesregierung auseinander, zeichnet den Weg von Tietmeyer bis Merkel und nennt Ross und Reiter. In der gebotenen Kürze zwar, gelingt es ihm aber, sowohl einen Einblick in ökonomische Zusammenhänge zu vermitteln als auch in die Verflechtung eines Politikansatzes mit einer bestimmten Sichtweise von Wirtschaft. Er kommt dabei nicht zufällig zu interessanten Schlüssen, zu denen die meisten seiner Kollegen nicht mehr fähig sind. Die riskieren halt auch ungern die doppelte Majestätsbeleidigung gegen die Mächtigen in Politik und Wirtschaft.

Kurt Becks große Sorge ist, die Politik insgesamt nehme Schaden, wenn keine “Lösung” im Streit um Hartz IV gefunden werde. Die SPD bemüht sich also schon wieder, den Ärmsten in den Rücken zu fallen und wird sich nachher darüber wundern, dass sie damit noch immer keine Wahlen gewinnt. Dabei macht sie doch alles richtig.
In den Gazetten laufen die wirrsten Kommentare dazu auf, selten aber wird darauf verwiesen, dass die “Opposition” staatstragender ist als die Regierung, dabei aber nicht minder untreu gegen die Verfassung. Sonst müsste sie nämlich die Ansicht vertreten: Macht, was wir wollt, wir stimmen dem dann zu, wenn es nicht schon wieder dem Grundgesetz widerspricht.

ballerbStattdessen das Signal: Wenn ihr nicht noch grausamer zu den Menschen seid als wir, dann stimmen wir auch einer verfassungswidrigen Regelung zu. Es hat bis heute keine Ermittlung des Grundbedarfs stattgefunden, die auch nur annähernd den Vorgaben entspricht. So etwas kann und darf nicht Gesetz werden. Das müssten alle so sehen: Regierung, Opposition, Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident. Am Ende wird es aber wieder nur das Gericht in Karlsruhe sein, das so erkennt und entscheidet. Und weiter geht die wilde Fahrt, auf zur nächsten Runde!

Im Interview mit der Sueddeutschen (die ich vorläufig nicht mehr verlinke) stellt sich derweil der neue “Wirtschaftsweise” vor: Lars Feld, der jüngste seit jeher, ein in der Wolle gefärbter Neoliberaler. Die Kosten für die Masse erhöhen, “Subventionen” bei der Masse sparen (Pendlerpauschale), Schulden drücken, Fordern ohne zu fördern, das ist sein geniales Programm für die Zukunft. Solche Geistesschnösel sprießen wie die Pilze aus den Akademien.

Ökonomische Flakhelfer

Ernsthaft ist derzeit Jens Weidmann als Bundesbank-Chef im Gespräch, und nicht minder ohne Witz Peer Sparbrück als EZB-Präsident. Dorthin würde er todsicher den noch Fehlenden im Bunde mitnehmen, Freund Jörg Asmussen, der seit Jahren tatkräftig dabei hilft, Deutschland und Europa in die Krise zu dilettieren.

Passend dazu meldet die FR, dass die Kommunen ohnehin an der Gebührenschraube drehen. Sparen war gestern, heute gibt es dafür weniger Leistung für mehr Geld. Ist ja ganz was Neues.
Bevor der Kapitalismus sich selbst abschafft oder die Rettung in der Inflation sucht, quetscht er noch mal raus, was schon nicht mehr drin ist. Was kann denn schon noch passieren?

Dass die Schlüsselpositionen inzwischen offenbar von ökonomischen Flakhelfern eingenommen werden, macht Mut. Das Ende scheint nahe. Es wäre wohl vermessen, einen Wechsel der Strategie zu erwarten oder auch nur das geringste Abweichen von der Linie. Dazu sind Ideologien mit Absolutheitsanspruch nicht in der Lage, und der Neoliberalismus ist unzweifelhaft eine solche. Das Motto für die diesjährige Session der Alternativlosen darf also lauten: Der Kurs stimmt, nur der blöde Eisberg gehört nicht hierher.

Okay, wir haben Heiner Flassbeck und viellicht noch Rudolf Hickel. In Frankreich rotten sich aber gleich Scharenweise Ökonomen zusammen und nehmen den Neoliberalismus nach Strich und Faden auseinander. Interessant: Wie radikal der Umbau der BRD vonstatten ging, sieht man anhand ähnlicher Strategien in Frankreich, die aber nicht ganz so erfolgreich waren. Vor allem wohl deshalb, weil die Löhne dort nicht adäquat abgewürgt wurden.

Eine Analyse einschließlich entsprechender Maßnahmenvorschläge ist dieses Manifest. Besonders gut gefällt mir der deutliche Hinweis darauf, dass ein Staatshaushalt etwas völlig anderes ist als die Kasse der Schwäbischen Hausfrau. Die Argumentationen unserer “Elite” taumeln ins Lächerliche.

Die Krise ist vorüber. Peer Steinbrück, Joe Ackermann und Angela Merkel haben das Land gerettet. Der Aufschwung ist da, die Schuldenbremse ist da. Was brauchen wir noch, um glücklich zu sein? War da noch was?

Letzt bloß kein Krisengerede, wir haben gerade das nötige Vertrauen wiederhergestellt. Zum Beispiel in die Ratingagenturen, jene Ratespielhallen, in denen festgelegt wird, wie teuer die Raten werden, wenn die Bremse versagt. Oder wenn man feststellt, dass sie nur auf der Rechnung steht und eigentlich gar nicht existiert.

eursnakeEs waren ganz vorne an die Ratingagenturen, die maßgeblich für die übelsten Auswüchse der Zockerei an den Finanzmärkten verantwortlich sind. Nicht nur, dass sie noch jedem verbrieften Gammelfleisch höchste Qualität bescheinigt haben, sie stehen auch immer wieder im Mittelpunkt des Pokers mit Staatsschulden. Hätte man auch nur irgend etwas kapiert nach dem letzten Schub der Sklerose des Kapitalismus, man hätte sich dieser Augenwischer- und Feigenblattproduzenten zuerst entledigt. Sie haben den Rauch nicht gerochen, als schon der ganze Wald in Flammen stand und maßen sich schon wieder an, systemrelevante Urteile über den Wert von Staaten und Konzernen zu sprechen.

Als hätten diese Erbsenzähler auch nur eine entfernte Ahnung davon, wie die Zukunft der Industriestaaten aussieht, folgen die Lemminge an den Börsen und in den Regierungsbunkern wieder den magischen Zeichen, die sie an die Türen malen. Japan pfui, Deutschland hui, dreimal schwarzer Kater.

Die Ratings der Agenturen sind nichts anderes als die Aufforderung, weiter zu marschieren, bis alles in Scherben fällt – und zwar weil es sie gibt. Über die tatsächliche Ratlosigkeit täuscht das Rating in souveräner Bewusstlosigkeit hinweg, und alle, die es auch nicht wissen wollen, freuen sich, dass dieses Rädchen im Getriebe sich unbekümmert dreht. Nähme man es aus dem Mechanismus, käme der zum stehen und man müsste sich zumindest mit etwas anderem behelfen. Genau das aber – dass sich irgendetwas ändert – steht nicht auf der Agenda. Warum auch, die Krise ist ja vorbei, weil der Markt sich wie immer ganz von allein geheilt hat.

privateDas sagten sich wohl Ende der 90er alle, die ‘groß im Internet’ waren. So entstanden vielbesuchte Chats u.a. bei Verlagen, Providern und Fernsehsendern. Das musste man haben, denn das Internet war die Zukunft. Hunderttausende meldeten sich in einzelnen Communities an, der cassiopeia-chat mit Gästebüchern und Foren war der Renner.

Nachdem das alles ein paar Jahre gelaufen war und sich echte Gemeinschaften entwickelt hatten, denen ein paar tausend bis zehntausend Chatter angehörten, kamen Zweifel am Erfolg auf. Man stellte fest, dass die Zahlen trogen. Hunderttausende Karteileichen, Probleme mit der Betreuung und nicht das große Geschäft. Außerdem galt Chatten nicht mehr als der neueste Schrei. “Community” in dieser Form war aus, weil sie nie gewollt war. “Business” war gewollt, und dazu taugte es nicht. Wenige Jahre später schlossen Anbieter wie Pro7 und GMX ihre ‘Communities’ wieder.

Chatsterben

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Aufwand an Personal und Serverleistung nicht durch Werbung refinanziert worden ist, die Einnahmen blieben aber offenbar weit hinter den Erwartungen zurück. Außerdem erwiesen sich die Communarden als wilder Haufen, der so gar nicht den makellosen Gestalten aus der Werbung entsprach. Eher schon denen, die bei den Castingshows in der ersten Runde rausfliegen.

Dann aber kam Web zwonull. Das musste auch jeder haben. Man wusste zwar nicht, was das war, ließ sich aber von Sascha Lobo erzählen, dass am Ende des neuen Regenbogens wieder ein Eimer Gold stehe. Das neue Internet, interaktiv, authentisch, jugendlich, wartete nur darauf, von hippen Slogans und gefaketen Elogen über alle möglichen Produkte überflutet zu werden. Interaktiv, so stellten sich die Inhaber von Callcenters und Anbieter von Warteschleifen wohl vor, das ist, wenn man die Leute vollquatscht und die dann freiwillig mehr davon verlangen.

Web zwonull

Blogs waren der erste Hype. Unternehmen mussten jetzt auch welche haben, weil die Leute da so schön aktiv sind und diskutieren. Dass sie zuallererst interessiert sein müssen, was an zweiter Stelle eine gewisse Qualität verlangt, hatten ihnen die Berater verschwiegen. Ehe sie aber noch zu irgend einer Erkenntnis gelangten, wurden sie schon auf die jetzt aber ganz sicher ganz viel Gold bescherenden neuen Plattformen getrieben, vor allem Twitter und Facebook. Daran verdienen sie auch wirklich eine Mörderkohle – Twitter und Facebook. Was ein Unternehmen da verloren hat, wissen sie genauso wenig wie vorher von den Chats, Foren und Blogs. Dabei sein ist alles.

verberg

Auf der anderen Seite der Trends stehen die User, die ebenfalls wie blöde durchs Netz ziehen und sich alle paar Jahre anderen an den Hals werfen, ihre Daten für umme verschleudern und stets auf den größten Haufen … laufen. Verstehen muss man das nicht, es ist halt der Herdentrieb, und das Vieh auf Stampede hat sich noch selten Gedanken darüber gemacht, wem die Rennerei nützt – oder schadet.

Der Rest sinnentnehmenden Lesens

Unter die Hufe kommt dabei allmählich auch der letzte Rest sinnentnehmenden Lesens, denn obwohl jeder Mensch auch ein Texter ist auf diesen Spielwiesen, werden die AGB und sonstige Verpflichtungserklärungen nicht einmal mehr in der plakativen Kurzfassung gelesen. Oder hat sich eine neue Leidenschaft entwickelt, die ich an mir noch nicht entdeckt habe: Sich hemmungslos verkaspern zu lassen? So hat das derzeitige “Muss-ich-dabei-sein”-Angebot nr. 1, Facebook, auf der Eingansseite angenagelt:

Facebook ist kostenlos und wird es auch immer bleiben.

Um die Ecke heißt es dann:

Wir garantieren nicht, dass die Facebook-Plattform stets kostenlos sein wird.”

Aha. Immer, aber nicht stets. So sieht er aus, der postmoderne Lügendetektor. Wer sich so frech hinter den Serverschrank führen lässt, ist hier willkommen. Zieht euch aus, spreizt die Beine, wir wollen mit euch reden.

Zieht euch aus

Erstaunlich ist auch, für was die User sich und ihre Privatsphäre da hergeben. Dass die Software nicht so irre originell ist, zeigen schon die flugs hochgezogenen Plagiate, die an rasender Inkompetenz und einem misslungenen Marketing scheitern. Was Facebook bietet, kann eh jede Blogsoftware, und man könnte völlig unabhängig woanders dasselbe haben. Aber nein, “ich bin bei Facebook”, wissen die Avantgardisten der Kommunikationsgesellschaft.

Ihr seid nirgends. Ihr ladet eure Daten auf einen Server. Der speichert die noch ganz woanders und macht Datenabgleiche, für die selbst Polizisten verhaftet würden, vorab, flächendeckend und ungefragt. Das Ergebnis serviert er euch als “eure Freunde”, zu denen jeder gehört, dem ihr einmal eine Mail geschrieben habt. Das ist eure “Community”. Anstatt eine eigene Klitsche aufzumachen und Links auf die privaten Seiten eurer Freunde zu setzen, lasst ihr euch von einem privaten Geheimdienst vernetzen.

Mein Gott, seid ihr eine dankbare Kundschaft!

Meine Nachticht an flattr:

” ‘To get money out of the system, we currently support PayPal only.

Please change this as soon as possible. Supporting that bank is no longer acceptable. ”

Antwort von flattr:

“You are right and we agree. We are working on finding an alternative.”

Jetzt noch die Taten zu den Worten …

kidNach satten neun Monaten sprichwörtlichem Nichtstun hat er sich so ans Wachstum ohne Eigenleistung gewöhnt, dass er erst einmal weitere Monate bestenfalls den Mund aufmacht, um sich zu ernähren. Und selbst den Gang zur Toilette lässt er weitere Jahre lang andere für sich besorgen – der Mensch. Den Verfechtern der Eigenverantwortung und Selbstsorge kann es nichts Widerlicheres geben als schutz- und hilfebedürftige Kleinkinder. Die Zeiten, in denen ein Beschützerinstinkt noch das Gegenteil bewirkte, liegen hinter uns. Das können wir uns in Zeiten der globalen Konkurrenz nicht leisten.

Selbstsorge ist das Gebot der Zeit. Kein gegenseitiges Behüten, schon gar kein einseitiges soll mehr sein. Jeder schlägt sich selbst durch. Was er erbeutet, gehört ihm ganz allein. Wer nichts erbeutet, hat auch keinen Anspruch auf die Beute der anderen.

Wir gehen nicht mehr in den Wald, um zu jagen, wir sind organisiert und effizient. Die Ausbeute steigt mit der Effizienz, mit dem Grad an Organisation, in der die Eigenverantwortlichen sich um einen Teil der Beute bemühen. Hier kann jeder für sich sorgen, wenn er sich einfügt. Wer hingegen nicht passt und nicht passend gemacht werden kann, bleibt außen vor. Zwei konkrete und sehr unterschiedliche Beispiele für diese Abläufe:

Organisiert und effizient

Beispiel eins: Ich möchte einen Telefonanschluss haben. Ich bestelle einen bei einer ‘Hotline’. Nach vielem Hin und Her und inhaltslosen Gesprächen mit fremden Unsichtbaren nötigt mich einer von ihnen, meine Adresse falsch anzugeben, im Rahmen einer “Voice-Aufzeichnung”. Er habe sie sich so notiert, und das lasse sich jetzt nicht mehr ändern. Dass ich nicht bereit bin, meine eigene Adresse falsch anzugeben, akzeptiert er nicht. Er könne den Vorgang dann nicht mehr bearbeiten. Es gibt niemanden außer ihm, der zuständig ist. Ich ziehe meinen Auftrag zurück und beauftrage eine andere Firma.

Diese schickt mir einen Link, ich drucke Papier aus, unterschreibe es, schicke es ab. Ich bekomme eine Mail, in der steht, ich könne den Status des Auftrags jederzeit einsehen. Ich könne eine Nummer anrufen. Nachdem ich sechs Wochen nichts mehr gehört habe, versuche ich die Statusabfrage. Sie funktioniert nicht. Ich schreibe eine Mail und bekomme keine Antwort. Dann rufe ich die Firma an. Kurzversion: Der sechste unsichtbare Fremde ist derselbe wie der erste. Niemand ist zuständig. Einer weiß, wo meine Daten liegen, darf sie aber nicht aufrufen. Ich werde sogar an eine “Clearingstelle” verwiesen. Die aber ist nur für Privatkunden, und ich sei ja “Businesskunde”. Ich storniere auch diesen Auftrag.

Enteignung der Fleißigen

Beispiel zwei: Eine Frau wohnt in einer schimmeligen, von Ungeziefer befallenen Bruchbude [via]. Die Lage ist kompliziert, deshalb kommt eine menschenwürdige Lösung bis heute nicht zustande. Ein Sprecher der ARGE sagt:
Wir sind an klare Richtlinien gebunden, brauchen Nachweise und müssen jeden Einzelfall prüfen.”

hartzkostFürsorgliche Geister fragen sich: “Warum kümmert sich keiner um die Frau?”, aber das sind schon zwei völlig unzeitgemäße Begriffe in einem Satz. Fürsorge, das gilt heute als falsche Gnade, als Enteignung der Fleißigen zugunsten der Faulen. Sich kümmern? Haben wir nicht gelernt, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist?

Und schließlich sind wir immer noch organisiert. Sicher, es gibt immer Ausnahmen von der Regel, aber damit können wir uns nicht aufhalten. Macht man für einen eine Ausnahme, kommt der nächste und will auch eine Ausnahme. Wo soll das enden? Die Verfahren sind erprobt, zertifiziert und durchgeplant. Der Kunde hat nachzuweisen, in welche Kategorie er gehört, das heißt dann “Einzelfallprüfung”. Die “Einzelfallprüfung” stellt sicher, dass es keine Einzelfälle gibt, denn für die kann es keine Richtlinien geben und keine Ablaufplanung.

Alle tun, was sie können. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Für mehr reicht die Zeit nicht und schon gar nicht das Geld. Der nächste Kunde bitte!

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