kidNach satten neun Monaten sprichwörtlichem Nichtstun hat er sich so ans Wachstum ohne Eigenleistung gewöhnt, dass er erst einmal weitere Monate bestenfalls den Mund aufmacht, um sich zu ernähren. Und selbst den Gang zur Toilette lässt er weitere Jahre lang andere für sich besorgen – der Mensch. Den Verfechtern der Eigenverantwortung und Selbstsorge kann es nichts Widerlicheres geben als schutz- und hilfebedürftige Kleinkinder. Die Zeiten, in denen ein Beschützerinstinkt noch das Gegenteil bewirkte, liegen hinter uns. Das können wir uns in Zeiten der globalen Konkurrenz nicht leisten.

Selbstsorge ist das Gebot der Zeit. Kein gegenseitiges Behüten, schon gar kein einseitiges soll mehr sein. Jeder schlägt sich selbst durch. Was er erbeutet, gehört ihm ganz allein. Wer nichts erbeutet, hat auch keinen Anspruch auf die Beute der anderen.

Wir gehen nicht mehr in den Wald, um zu jagen, wir sind organisiert und effizient. Die Ausbeute steigt mit der Effizienz, mit dem Grad an Organisation, in der die Eigenverantwortlichen sich um einen Teil der Beute bemühen. Hier kann jeder für sich sorgen, wenn er sich einfügt. Wer hingegen nicht passt und nicht passend gemacht werden kann, bleibt außen vor. Zwei konkrete und sehr unterschiedliche Beispiele für diese Abläufe:

Organisiert und effizient

Beispiel eins: Ich möchte einen Telefonanschluss haben. Ich bestelle einen bei einer ‘Hotline’. Nach vielem Hin und Her und inhaltslosen Gesprächen mit fremden Unsichtbaren nötigt mich einer von ihnen, meine Adresse falsch anzugeben, im Rahmen einer “Voice-Aufzeichnung”. Er habe sie sich so notiert, und das lasse sich jetzt nicht mehr ändern. Dass ich nicht bereit bin, meine eigene Adresse falsch anzugeben, akzeptiert er nicht. Er könne den Vorgang dann nicht mehr bearbeiten. Es gibt niemanden außer ihm, der zuständig ist. Ich ziehe meinen Auftrag zurück und beauftrage eine andere Firma.

Diese schickt mir einen Link, ich drucke Papier aus, unterschreibe es, schicke es ab. Ich bekomme eine Mail, in der steht, ich könne den Status des Auftrags jederzeit einsehen. Ich könne eine Nummer anrufen. Nachdem ich sechs Wochen nichts mehr gehört habe, versuche ich die Statusabfrage. Sie funktioniert nicht. Ich schreibe eine Mail und bekomme keine Antwort. Dann rufe ich die Firma an. Kurzversion: Der sechste unsichtbare Fremde ist derselbe wie der erste. Niemand ist zuständig. Einer weiß, wo meine Daten liegen, darf sie aber nicht aufrufen. Ich werde sogar an eine “Clearingstelle” verwiesen. Die aber ist nur für Privatkunden, und ich sei ja “Businesskunde”. Ich storniere auch diesen Auftrag.

Enteignung der Fleißigen

Beispiel zwei: Eine Frau wohnt in einer schimmeligen, von Ungeziefer befallenen Bruchbude [via]. Die Lage ist kompliziert, deshalb kommt eine menschenwürdige Lösung bis heute nicht zustande. Ein Sprecher der ARGE sagt:
Wir sind an klare Richtlinien gebunden, brauchen Nachweise und müssen jeden Einzelfall prüfen.”

hartzkostFürsorgliche Geister fragen sich: “Warum kümmert sich keiner um die Frau?”, aber das sind schon zwei völlig unzeitgemäße Begriffe in einem Satz. Fürsorge, das gilt heute als falsche Gnade, als Enteignung der Fleißigen zugunsten der Faulen. Sich kümmern? Haben wir nicht gelernt, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist?

Und schließlich sind wir immer noch organisiert. Sicher, es gibt immer Ausnahmen von der Regel, aber damit können wir uns nicht aufhalten. Macht man für einen eine Ausnahme, kommt der nächste und will auch eine Ausnahme. Wo soll das enden? Die Verfahren sind erprobt, zertifiziert und durchgeplant. Der Kunde hat nachzuweisen, in welche Kategorie er gehört, das heißt dann “Einzelfallprüfung”. Die “Einzelfallprüfung” stellt sicher, dass es keine Einzelfälle gibt, denn für die kann es keine Richtlinien geben und keine Ablaufplanung.

Alle tun, was sie können. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Für mehr reicht die Zeit nicht und schon gar nicht das Geld. Der nächste Kunde bitte!