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Oktober 2011


Let the Jobs rest. Kill Bill.

Es mag etwas kapriziös erscheinen, aber ich habe heute einen Artikel von Dietmar Dath gelesen, der mich geärgert hat. Er hat mich deshalb geärgert, weil er den Begriff “Ideologie” willkürlich mit Assoziationen behängt, die ihm eine unsinnige Komplexität verleihen und damit mehr verschleiert als erhellt. Das mag daran liegen, dass der Autor, der hier einen merkwürdigen Anspruch an “Praxis” formuliert, dieser wohl kaum selbst standhält.

   dogma

Dath zieht eine nicht ungefährliche Schublade auf, die nämlich, in der die Dämonen der Fleischhauers lauern, eine flache Kritik der nach-68er:

“In den siebziger und achtziger Jahren [...] verstand man unter Ideologie das schlechthin “affirmative” Denken und Reden, also jede Form der gesellschaftsbezogenen Äußerung, mit der vorhandene Widersprüche unzutreffenderweise als versöhnt dargestellt wurden.”

Das bürgt für Qualität: “Er gilt als …”, “Man versteht …” Wer bitte verstand das wo und woher hat er das bloß? Nein, affirmatives Reden ist nicht Ideologie. Ideologie ist hingegen affirmativ. Ideologie kennt nichts anderes als Bestätigung und daher keine Kritik. Nicht jedes Befürworten eines Zustandes ist aber deshalb gleich Ideologie.

Common Sense ist noch keine Ideologie

Und auch gesellschaftliche Widersprüche, die in Rituale übergehen, ein Habitus oder das, was man eben mitmacht, sind nicht unbedingt Ideologie. Common Sense ist nicht grundsätzlich ideologisch, deshalb taugen auch die Beispiele wenig, wie dieses:

“Wir trennen bereits den Müll, haben aber noch keine stimmige Energiewirtschaft”

Na und? Auf das eine hast du Einfluss, auf das andere nicht. Niemand behauptet, mit der Mülltrennung sei alles gut. Ich trenne auch Müll, obwohl die Energiewirtschaft für mich genauso eine Mafia ist wie die Entsorger. Wo ist jetzt das ideologische Moment? Und warum befragt Herr Dath ausgerechnet Lenin und Engels? Haben die auch ihren Müll getrennt?

“Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es Leute, die sich auf den Begriff sogar positiv bezogen: Noch Lenin schreibt lobend von einer proletarischen oder dialektisch-materialistischen Ideologie, die er der von ihm abgelehnten bürgerlichen und idealistischen entgegensetzt.”

So, dann gehen wir doch bitte mal an die Wurzel des Begriffs. Er entstammt meines Wissens dem Enzyklopädismus, dem Versuch, das gesamte Wissen der Welt lexikalisch festzuhalten. Ein für das 18. Jahrhundert zeitgemäßer, wenn auch rührender Ansatz. Im Anschluss daran versteht man auch das Problem der Ideologie: Sie möchte vollständig sein, strebt zwangsläufig zum totalen Weltbild und gerät deshalb zu einer Ideenlehre, die schon bald nur mehr damit beschäftigt ist, auszuschließen anstatt zu erschließen. Sie verbreitet eine fertige Idee und entwickelt diese nicht weiter. Das ist der Kern jeder Ideologie. Dath schaufelt weiter die Kohlen in seine Lok, die leider auf dem falschen Gleis davon rattert:

Das sagt mir gar nichts

“Aber Engels sagt mehr. [...] Er sagt, was genau an der Sorte Bewusstsein falsch ist, die Ideologie produziert: Weil ihr Träger die in gesellschaftlichen Verhältnissen gebundenen Kräfte, die ihn bewegen, nicht kennt, imaginiert er falsche und vergisst, dass sein Denken von seinem Handeln abhängt”

Schön, dass Engels das sagt, mir sagt das aber überhaupt nichts. Warum muss man den Begriff “Ideologie” mit diesem Praxis-Schmarrn behaften? Warum kann ein theoretischer Versuch nicht theoretisch bleiben, vor allem aber: Warum muss ich den Umweg über ein “Handeln” gehen, wenn Ideologie auf der theoretischen Ebene, der sie angehört, bereits zum Scheitern verurteilt ist? Ihre Grundpfeiler, der Anspruch auf Vollkommenheit und die Anmaßung, Ideen zu lehren, sind vormodern. Deshalb taugt das Ganze nichts. Die Kritik Adornos und der Frankfurter Schule ging deshalb sehr viel tiefer als Dath sie vorführt: Sie richtet sich am Ende gegen jede Theorie, die ins Positive dreht. Einfach gesagt: Alles Wissen hat ein Haltbarkeitsdatum. Das ist es, was die Ideologen nicht begreifen.

Schließlich:

“Sozialkritik, die nicht ihre Positionen offen vermittelt mit der Praxis derer, die da reden, ist Anlauf zur Errichtung oder Verschärfung von Herrschaft”

ist die falsche Diagnose. Es ist recht verständlich, dass die Theorie der eigenen Praxis nicht unmittelbar widersprechen sollte. Sich von Mutti die Bütterkes schmieren lassen und die Weltrevolution planen kommt einfach nicht gut. Das ist aber nicht das Problem. Die Praxis derer, die da reden, ist bereits geprägt von den Möglichkeiten, die Herrschaft noch lässt. Hier ist Theorie geradezu darauf angewiesen, die Praxis virtuell außen vor zu lassen. Was Herrschaft errichtet und verschärft, ist die Gewalt der Ideologie: Ihre Propaganda.

… heißt einer “Chefvolkswirt”, der weder Chef ist noch Volkswirt?

Ich habe seit Januar ein Fragment hier, das vor sich hin rottet. Ich habe es nie online gestellt, weil es mir zu offensichtlich, zu banal ist. Ich nehme das mal als Besipiel für Texte, die man sich sparen kann. Deshalb habe ich auch schlicht abgebrochen – was nützt es denn zu sagen, was eh jeder weiß? Ich kann den Text nur noch mit der Frage verbinden, wie man noch sprechen kann, wenn man nicht mehr kommunizieren kann. Wenn alle Erfahrung aus Alltag und Intellekt gleichermaßen untergehen in einer See von Geschwätz:

           sponbillig

Es ist das Zeitalter der allgegenwärtigen Lüge. Lügen ist nützlich. Nur wer lügt, so hat es sich eingeschliffen, kann verkaufen. Nur wer betrügt, hält die Vorgaben ein, erfüllt die Gewinnerwartungen. Das beste Beispiel sind die sogenannten Verbriefungen und weitere Strategien der Finanzwirtschaft: Da werden Kreditschulden wild gemischt mit anderen undurchsichtigen Papieren und weiter verkauft. Diese Päckchen erhalten dann den Segen von Ratingagenturen und werden als tolle Wertanlage verkauft. Tatsächlich kann niemand wissen, ob sie überhaupt einen Wert haben.

Es ist, als steckte man wahllos Zeug in eine Kiste: Schmuck, faules Obst, Werkzeug, Bücher. Dann geht man hin und sagt, das sei sein Gewicht in Gold wert und morgen noch mehr. Der Clou: Wer die Kiste kauft, darf auf einen fetten Gewinn hoffen, wenn er sie nur rechtzeitig weiter verkauft. Der Betrug, der in diesem System steckt, vollzieht sich in kaum mehr zählbaren Dimensionen. Man muss im Grunde doof sein wie ein Eimer, um das nicht zu durchschauen. Und doch gibt es eine offizielle Wahrheit, die behauptet, so und nicht anders sei es richtig. Das ist “alternativlos”.

Vollbremsung vorm Irrenhaus

In diesem Irrenhaus haben diejenigen den Generalschlüssel, deren Ideen jede Wahnvorstellung übersteigt. Die Finanzindustrie hat auf alle westlichen Regierungen einen fatalen Einfluss. Das ist keine Verschwörungstheorie, im Gegenteil: Die Regierungschefs schmücken sich regelrecht mit ihren “Freunden” aus der Branche.

Dasselbe gilt für jeden Kernbereich des öffentlichen Lebens. In Deutschland teilen sich vier Konzerne die Energieversorgung und handeln mit der Regierung Verträge zu ihren Gunsten aus. Es wimmelt in der Hauptstadt nur so von Lobbyisten aller Sparten, die sich die Gesetze gleich selber schreiben. Politiker wechseln nach gefälliger Arbeit in die Wirtschaftszweige, deren Profite sie befördert haben. Sogenannte “Unternehmensberater”, vornan die beiden Marktführer, wirken an Gesetzen mit, strukturieren öffentliche und private Körperschaften.

Das alles spielt sich nicht im Verborgenen ab. Wer das wissen will, kann das wissen. Natürlich werden die Lügen von kommerziellen und parteiabhängigen Medien permanent wiederholt.

privateNein, es hat sich nicht plötzlich und unerwartet ein revolutionäres Subjekt materialisiert, das Proletariat erhebt sich nicht und die Türsteher der Bundesmeile am Spreebogen machen nach wie vor ihren Job. Dennoch tobt drinnen der Pöbel – in Gestalt des politischen Großgenies Pofalla, dereinst von der Physikerin selbst aus dem Steiß des Peter Hintze geklont. Hätte sie doch bloß jemanden gefragt, der sich damit auskennt!

Wolfgang Bosbach geht ihm auf den Sack, echt mal. Das ist ganz verständlich. Auch, dass er seine “Fresse nicht mehr sehen” kann, wer will ihm das verdenken? Okay, schon möglich, dass Bosbach “ja doch nur Scheiße” redet, aber wenn man dergleichen unter Kollegen denkt, ist das gemeinhin keine Berechtigung, dass dem Kontrahenten auch so ins Gesicht zu geifern. Dies gilt mit Recht als Mobbing, zumal wenn man es gegen Minderheitsmeinungen auffährt. Zumal, wenn die offenbar wirklich ernst gemeint und lange durchdacht sind. Zumal, Herrgott, wenn man der Bundesregierung und dem Parlament angehört.

Herr Bosbach gilt unter Kennern der Szene durchaus als Quatschkopf. Das geht ja so weit, dass sein Gequatsche es zu einem ganz eigenen Verb gebracht hat, dem “Bosbachen” (für Schlaumeier: Ja, das ist hier substantiviert). Das hat bislang aber weder Pofalla noch sonstwen in der “Union” gestört, wenn etwa diverse Forderungen nach Überwachung, noch mehr Datensammelei oder dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren gebosbacht wurden. Im Gegenteil haben sich die Experten für stumpfe Verschärfung gern wie bei der Echternacher Springprozession hinterher geschlichen und sind nach Bosbachs Zweischrittgeplapper nur einen zurück gehopst.

Drop jedrisse

Jetzt kommt der Mann ihnen aber mit seinem Gewissen und weist zaghaft darauf hin, dass sie alle dem eigentlich verpflichtet sind. Kommt ihnen mit dem Grundgesetz, dass kann ja nur “Scheiße” sein, weil sie sich schon rituell dieses Papiers bedienen, um ihren Kot zwischen dessen Seiten zu hinterlassen. Bislang hat der Wolfgang das auch gern mitgemacht.

Wer nicht mehr mitmacht, wird geächtet, verfemt, ausgestoßen, fertiggemacht. Das ist so üblich, wo das Pack bewusstlos voran marodiert, da darf es keine halbgaren Ausnahmen geben und schon gar keine Gnade. Jeder muss das wissen, und in diesem Sinne sind Pofallas Worte wohl gewählt. Man kann ja keinen mehr aufspießen und auf dem Hügel verrotten lassen, aber ein deutliches Signal will schon gesetzt sein. Das sind die Spielregeln der modernen Demokratie.

Jetzt gibt es halt zwei Möglichkeiten für jene, die künftig abweichlerisches Gedankengut pflegen. Entweder sie reihen sich ein und kassieren weiter schweigend ihre Tantiemen oder sie ziehen gleich mit der angemessenen Bewaffnung ins Feld. Was wäre das für ein munterer Parlamentarismus, wenn wir letzteres in Zukunft häufiger erleben dürften.

 
Soso, Nokia hat in Rumänien auch schon wieder fertig. Das kommt davon, wenn man nicht weiß, was eine Investition ist und bloß blöde Erbsen zählen kann. Ich habe in 12/2005 folgendes geschrieben:

‘Management wird dort überhaupt erst gebraucht, wo man nicht mehr quantifizieren kann – und dennoch handeln muss.’
Während jeder Depp nämlich errechnen kann, wie sich ein Gewinn durch Kostensenkungen steigern läßt, sind weder der Erfolg kluger Investitionen noch die politisch/ökonomischen Folgekosten von Unternehmensentscheidungen vorab quantifizierbar.

Und noch in 09/2007, also ebenfalls vor dem Umzug Nokias ins Billigland, dies hier nachgelegt:

nokiaDie Behauptung, ‘die Wirtschaft’ müsse nachgerade ins Ausland fliehen, weil dort alles besser sei, war schlicht falsch. Grundfalsch. Sie diente einzig dem Drücken von Löhnen hier, in dem Glauben, derart die Margen steigern zu können und damit keinen weiteren Schaden anzurichten. Tatsächlich aber hatte das Ganze böse Nebeneffekte. Es wurden nämlich nur noch sogenannte Ökonomen und Manager gehört und gefördert, die tumb auf die Kostenseite schielten und hysterisch den Untergang heraufbeschworen, wenn irgendwer vermeintlich einen Euro zuviel investierte. Sie hatten immer recht, denn was man nicht ausgibt, spart man ja. Wer hält schon mit Visionen dagegen und vertritt die völlig richtige Auffassung, daß höhere Investitionskosten sich nicht nur rechnen können, sondern zu stabileren Gewinnen führen? Einer solchen Prognose fehlt nämlich oft eine Kalkulation in Euro und Cent. Sie ist reine Überzeugungsarbeit, die nichts zählt(e) in diesem Land.

Dass ein Technologiekonzern wie Nokia sich die Dummheit geleistet hat, lieber Schrott für möglichst kleines Geld zu produzieren als sich Gedanken zu machen, wie man eine gewachsene Struktur zur Verbesserung der Produkte nutzen könnte, ist schon große Komik.

Lohnkosten? Damit kann man sich abfinden

Erinnert sich wer an BenQ? In der Folge diverser Lohnabschlüsse, die sich immer nur an angeblicher “Standortsicherung” orientierten, VW folgte da Siemens/BenQ, war hier zu lesen (09/2006):
Makroökonomisch ist Lohnverzicht schon lange ein Gift, das die heimische Wirtschaft belastet. Aber auch betriebswirtschaftlich sind solche Patentideen reine Augenwischerei. Ein Betrieb kann nicht überleben, wenn sich die Produkte nicht verkaufen. Er taugt nichts, wenn sich keine angemessene Entlohnung erwirtschaften läßt. Wer glaubt, er rette irgendetwas, indem er die Produktionskosten künstlich verringert, hat etwas fundamental mißverstanden. [...] Für gute Produkte kann man gute Löhne zahlen. Für schlechte Produkte ist der Standort Deutschland gänzlich ungeeignet.
Damals waren Nokias Produkte übrigens noch eine Orientierungsmarke.

Langfristig ist die neoliberale Ideologie der Kostensenkung fatal. Das gilt für alle Gesellschaften, die keine Sklavenwirtschaft betreiben. Diese Erkenntnis scheint bislang weitgehend verboten, aber nur, wer drauf gepfiffen hat, macht auf Dauer die Umsätze. Man stelle sich vor, ein Jungmanager hielte mit einer Präsentation dagegen, die statt ‘Sparen’ hohe Ausgaben vorsähe und keine Gewinne garantieren würde. Jemand, der unternehmerisches Risiko predigte anstatt effizientere Produktion, sprich: Ausbeutung. Welche Zukunftsaussichten hätte der?

Ich schätze, das liegt eher im Minutenbereich, wenn man ihn überhaupt ausreden lässt. Dabei ist das die Strategie zum Beispiel von Apple, die nicht eben dumm gewesen zu sein scheint. Vielleicht ist solche Weitsicht aber etwas für Freaks und Gutmenschen. Wer ein guter Manager sein will in diesen Zeiten, gibt nicht lange, wenn er einfach nur nehmen kann. Wer zu hohe Löhne zahlt, ist ein Depp, der nicht kapiert hat, dass das alles von seiner Abfindung abgeht.

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