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Februar 2007


Endlich ziehen sie konsequent durch und streifen den ganzen Ballast der Kultur ab, wie ihn etwa Old Europe mit sich herumschleppt. Nachdem sie neulich erkannt haben, daß Vernunft Gift für eine gute Argumentation ist, gehen sie jetzt auch praktisch in die Vollen und passen endgültig das Rechtssystem dem ihrer islamischen Feinde an. Terror, so wissen George W. und seine Getreuen, ist ein Problem der Moderne, und die kann man per Dekret überwinden. Wie man in guten Kinofilmen sehen kann, war im Mittelalter alles besser. Es war gerechter, es gab keinen Terror, und das Gute gewann immer gegen das Böse. Dann kamen irgendwann diese Ideen auf, die Amerika schwach machten: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und dieser ganze Mist. Deshalb sind die Muslime auch so erstarkt, weil sie nämlich darauf verzichten. Damit ist jetzt Schluß. Jeder kennt die Schuldigen, und jetzt ist der Beweis endlich dementsprechend einfach. Knarre an den Kopf halten, Geständnis oder Beschuldigung notieren, fertig! Sie müssen nicht einmal mehr kochendes Wasser hinzugeben.

Peter Hintze soll Luft- und Raumfahrtkoordinator werden, so die FTD. Für diese Meldung bzw. die paar Zeilen, die den Anschein erwecken sollen, es handele sich dabei um einen Artikel, braucht die Financial Times Deutschland drei Autoren. Kein Wunder, denn wen würden beim Gedanken an Peter Hintze nicht spontan Gähnkrämpfe übermannen? Die drei mußten sich gegenseitig wach halten! Hoffnung naht, wenn Luft-und Raumfahrt endlich koordiniert sind und fließend ineinaner übergehen. Dann könnte Hintze schon bald die ersten Raumfahrttouristen begleiten – und da draußen ein Büro eröffnen.

Vordergründig handelt der Artikel der SZ von bayrischen Beamten. Beeidruckend ist allerdings nur die Beschreibung der Nöte vor allem junger Polizisten. Lehrern geht es nicht nur ungleich besser, es ist auch ein Witz, daß sie noch immer verbeamtet werden. Was ein Polizeibeamter verdient, reicht oft nicht einmal zum Leben. Was ihm abverlangt wird, ist hingegen oft mehr als in anderen Berufen, und außerdem muß man von Polizisten erwarten, daß sie in besonderem Maße dienstbeflissen sind. Was tun gerade diejenigen dafür, die in puncto “Sicherheit” so gern die Hose anschwellen lassen? Der zuständige Innenminister und bald zuständige Ministerpräsident Beckstein etwa, der gern alles verbieten und verfolgen läßt, läßt seine Verfolger elend im Regen stehen. Der Staatshaushalt soll schlank bleiben, und da spart man an allem, also auch am Sold der Polizisten. Dieser Widerspruch zwischen Ideologie und politischer Praxis ist für sich bereits skandalös. Es wird noch schlimmer, wenn man die Folgen bedenkt:
Wer strebt einen Job an, der so mies bezahlt wird und derart fordert? Was bietet der Beruf an Gewinn? Welche Mentalität entwickeln Menschen unter solchen Umständen? Talent und hohe Qualifikation zieht man so nicht an. Die Gefahr, daß der Reiz der Macht, den die Uniform verleiht, viele anlockt, ist immens. Und schließlich wird die Gemeinschaft der Frustrierten, Harten und Uniformächtigen nachgerade zum Corpsgeist provoziert. Überdies ist die Bezahlung eine Aufforderung zur Korruption.
Aber nicht nur die Verlogenheit konservativer Ideologie wird hier sichtbar, sondern ebenso die des neoliberalen Zeitgeists, der gern unheilige Koalitionen damit eingeht. So sieht ein schlanker Staat aus. Dieselben Sparfüchse aber, die solche Zustände prickelnd finden, weil sie Steuern sparen, haben andererseits kein Problem damit, diese Beamten für ihre Sicherheitsbedürfnisse auszubeuten. Sei es die Villa, der Castor oder der Kongreß, man kann den Bullenpleb meist gratis bestellen, damit er sich draußen die Nacht um die Ohren haut, während drinnen Party ist.
Schließlich, und das macht es wahrlich nicht besser, ist die Alternative zur Polizei, die so langfristig nicht zuverlässig genug sein dürfte, der private Sicherheitsdienst. In manchen Städten der Welt haben solche längst die Gewalt übernommen. Vor allen dort, wo der Staat besonders schlank oder besonders korrupt ist – oder eben beides. Mit einem demokratischen Rechtssystem haben weder reaktionäre Sicherheitspolitik noch neoliberales Staatsverständnis etwas zu tun. Die Kombination aus beidem ist eine Katastrophe.

Die durchaus ernst gemeinten “Argumente”, mit denen die US-Republikaner ihre wirre Politik begründen,werden immer bizarrer. Darin könnte eine äußerst aussichtsreiche Strategie für kommende Wahlkämpfe liegen. Die Erfolgsgeschichte des George W. zeigt, was das Volk will: Triefenden Pathos, grellen Patriotismus, angereichert durch einen guten Schuß Paranoia und gewürzt mit konsequenter Debilität. Von daher ist die Idee, Klimaveränderungen seien das Produkt von Dinosaurierfürzen, in der Anlage hervorragend, aber extrem inskonsequent umgesetzt. Es macht keinen Sinn, darüber zu spekulieren, ob Dinosaurier und Rindviecher den Treibhauseffekt ausgelöst haben, um derart eine “Beweiskette” zu klöppeln, die jede Ameise zerreißen könnte. Rhetorisch geschickt wäre es gewesen, Dinosaurier für das aktuelle Klima verantwortlich zu machen. Dabei wäre es am geschicktesten, offenzulassen, ob es heute noch Dinosaurier gibt. Genau so gut wie Dinosaurier täten es auch Aliens, der Iran oder andere dunkle Mächte. Wenn schon Schwachsinn, dann richtigen, das wirkt immer noch am besten. Als Begründung für das dümmste militärische Abenteuer seit dem Vietnamkrieg hat so etwas ja auch funktioniert. Und schließlich ist es eine Allzweckwaffe gegen die rührenden Bemühungen der Demokratischen Konkurrenz, die glaubt, auf dem Boden der Tatsachen könnte man Wahlkämpfe gewinnen.

Wer ein Musterbeispiel für eine durch und durch blödsinnige Argumentation sucht, dem sei dieser Quark zur Erbschaftssteuer wärmstens ans Herz gelegt. Thomas Straubhaar (nomen est omen) fordert dort, die Erbschaftssteuer abzuschaffen und stattdessen den Konsum zu besteuern – weil das “nachhaltiger” sei. Einer Volkswirtschaft, die sich durch eine paranoide Spaarquote und einen immer lahmenden Binnenkonsum auszeichnet, solche “Nachhaltigkeit” verordnen zu wollen, ist schon recht originell. Und selbst die Konstruktion ist reiner Unsinn: Wer heute ein Vermögen aufbaut, wird vermutlich nicht nachhaltig wirtschaften, sondern den schnellen Gewinn suchen. Jedenfalls, wenn er erfolgreich sein will.
Dieses Maximum ökonomischer Inkompetenz wird schließlich rhetorisch durch die Headline kompensiert, in der die Erbschaftssteuer “Todessteuer” genannt wird. Wer kann so etwas schon befürworten? Das erinnert mich übrigens an das Gequase des Polizisten, der gestern im WDR das heimliche Hacken privater Computer anpries, weil das gut gegen Kinderpornographie sei. Und genau deshalb beiße ich mir so oft auf die Unterlippe und versuche im Zweifel immer, etwas leiser zu argumentieren, damit ich nicht in die falsche Gesellschaft gerate.

Den Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und einer Diktatur sieht Horst Teltschik darin, daß Politiker in einer Diktatur nicht vor Demonstranten geschützt werden müssen. Das ist ein interessanter Ansatz. Die landläufig bekannten Diktaturen tun sich nämlich recht schwer damit, ohne solchen Schutz auszukommen. Allgelegentlich müssen dort Menschen von Panzern überrollt, eingesperrt, gefoltert und ermordet werden, damit sie nicht die Ordnung stören. Die Diktatur, die Teltschik meint, die also ohne die Tragik der freien Meinungsäußerung auskommt, ist wohl eine der präventiven Art, die den Leuten auf die Schliche kommt, ehe sie sich zu sinnlosen Kundgebungen zusammenrotten. Damit liegt er voll im Trend. Eine ordentliche Sicherheitspolitik wartet nicht auf den Terror, sie übt ihn aus weiß vorab, wer in Frage kommt und separiert rechtzeitig die braven Bürger von den bedrohlichen. Sie erkennt, daß die Gefahr von den Schläfern und Sympathisanten ausgeht. Wer heute gegen Sicherheit demonstriert, wird morgen für Chaos sorgen. Nichts gegen Meinungsäußerung, Persönlichkeitsrechte und freie Wahlen, aber bitte nur, solange das die Sicherheit nicht gefährdet!

Man muß nicht immer glauben, was telepolis schreibt, aber in diesem Fall ist es gar nicht wichtig, ob es alles stimmt, was da über die Geldverschwendung steht, die die US-Administration im Irak betreibt. Offenbar darf sich dort jeder quasi ohne weitere Prüfung bedienen, wenn er einen kennt, der einen kennt, und wenn das nicht cool genug ist, werden die Dollars eben über der Wüste abgeworfen. Im Kampf gegen den Terrorismus ist niemand so kleinkariert, wegen ein paar Miliarden dumme Fragen zu stellen, das wäre nämlich unpatriotisch. Es ist wirklich egal, ob die Meldungen den Tatsachen entsprechen, denn sie sind nicht unglaubwürdig. Damit handelt es sich, so oder so, um Realsatire. In diesem Sinne machen die Bushmänner in der Tat einen phantastischen Job.

Wer sich in Berlin einbürgern lassen will, wird aufgefordert, folgendes zu erklären: Ich erteile ferner ausdrücklich meine Einwilligung zur Verarbeitung [von] personenbezogenen Daten besonderer Kategorien, hier zur rassischen und ethnischen Herkunft. Das hat gute Gründe, denn “nach Aussage [eines] Mitarbeiters könnten hier beispielsweise Bezeichnungen wie ‘Kosovo-Albaner’, ‘Roma’ oder auch ‘Jude’ eingetragen werden, wobei diese lediglich dem besseren Verständnis der persönlichen Umstände des Antragstellers dienten, ‘etwa bei Flüchtlingsschicksalen’ “, so weit SPIEGEL Online. Sicher, der Neger kann auch “Neger” eintragen, dann weiß man, daß er aus dem Elend kommt. Oder er kann deutlich machen, daß er ein schwuler Schwarzer jüdischen Glaubens mit Schwerbehinderung ist, dann wird er sicher Verständnis dafür haben, daß der nächste Witz auf seine Kosten geht. Steht der Einbürgerung ja nicht im Wege. Im Zeitalter der Auschwitzwitze werden nur Gutmenschen daran Anstoß nehmen. Ich erinnere mich übrigens daran, selbst im Jahr 1990 einmal ein Vertragsverhältnis eingegangen zu sein, bei dessen Zustandekommen ich angeben mußte, ob ich aus der Sowjetisch Besetzten Zone geflohen sei. Habe ich deswegen aufbegehrt? Man soll doch die Synagoge im Dorf lassen und das ganz modern sehen: Die jüdische Rasse etwa ist als Flüchtlingsschicksal doch durchaus unverfänglich, und die Zustimmung zur Datenspeicherung gute Bürgerpflicht. Wer das nicht einsieht, kann ja anders fliehen – zum Beispiel in die Gegenrichtung.

Die Bedrohung ist nicht nur real, die Bombenleger am Fundament der Verfassung geben nicht auf und sind bereits dort, wo sie den größten Schaden anrichten können. Allein die Justiz kann sie noch aufhalten, wenn sie es kann. Die Rede ist von denen, deren Werk die Veralltäglichung des Ungesetzlichen ist, die Rede ist vom Extremisten Schäuble und seinen Spießgesellen. Er will es nicht lassen, und wenn er noch so oft von Bundesrichtern was auf die ungewaschenen Finger kriegt. Nicht nur Flugzeuge und Schiffe will er abschießen dürfen, nicht nur permanenten Alarm schlagen und die Bundeswehr im Innern einsetzen, er will jetzt auch heimlich Computer überwachen lassen. Wie immer beweist er damit, daß er Grundrechte nicht leiden kann und überdies keine Ahnungvon der Materie hat. Justizministerin Zypries weist nicht zu unrecht darauf hin, daß es die Möglichkeit gibt, Computer zu beschlagnahmen, womit man auch gleich Beweismaterial in der Hand hätte. Aber nein, Schäuble will keine Haussuchung, er will eine Bespitzelung, die einer heimlichen Durchsuchung gleichkommt. Genial, denn wie soll man sich gegen eine Maßnahme wehren, von der man nichts weiß? Mit diesem neuerlichen Faustschlag ins Gesichts des Rechtsstaats ist er exakt auf Stasi-Niveau. Womöglich Jahre später könnten unschuldige Opfer solcher Überwachungsmaßnahmen dann in Akten lesen, was andere bereits alles über sie wissen. Permanent würden privateste Daten in ungeheuren Mengen erhoben, ohne daß die Betroffenen etwas davon wüßten. Dem Mißbrauch der derart erhobenen Daten wären Tür und Tor geöffnet, denn es wäre völlig unkontrollierbar, wer wann wem auf die Festplatte geschaut hat. Schließlich gäbe es nur zwei Gruppen, die effektiv vor solchem Zugriff geschützt wären: Computerexperten und Leute, die damit rechnen, bespitzelt zu werden.
Wer schützt die Verfassung vor Schäuble? Wann schmeißt die Kanzlerin diesen Freak endlich aus dem Kabinett?

Helmut Schmidt räsonniert über die fehlende Kontrolle von Fonds in den Finanzmärkten. Bei Sabine Christiansen schreien sie wie immer durcheinander, heute sollte es um so etwas wie “Rentengerechtigkeit” gehen, und ich frage mich, wie es gelingen kann, die entscheidende Frage noch immer und überall zu umgehen. Die Rentendiskussion zeigt deutlich, daß das vorgebliche Dilemma längst ein Selbstläufer ist: Die Jüngeren werden weniger aus den Rentenkassen zurückbekommen als sie einzahlen, gleichzeitig wird das Rentenalter zunhemend angehoben, einhergehend mit dem Problem, daß immer weniger Arbeitnehmer gebraucht werden, was vor allem die Älteren trifft, womit sie noch weniger von ihrem eingezahlten Geld haben werden. Währenddessen steigt die Produktivität ebenso wie die entscheidende Größe, der absolute Produktausstoß. Es werden mehr Güter produziert, es könnten vor allem noch mehr Güter produziert werden, stieße man nicht irgendwo auf eine Grenze in Form mangelnden Absatzes, gleichzeitig werden aber weniger Menschen am Produktionsprozeß beteiligt. Dieses Problem interessiert die Ökonomen in Form des Problems stagnierender oder gar rückläufiger Absätze – immerhin. Es interessiert sie allerdings nur am äußeren Rande, betrachtet man die Attraktivität parasitären Marktverhaltens, wie es große Fondgesellschaften so sehr lieben. Daß nämlich mit kurzfristigen Gewinnen auf Kosten von Infrastruktur die Basis erodiert, muß langfristig dazu führen, daß ganze Wirtschaftssysteme zusammenbrechen. Wenn die konsumfähige Minderheit weiter schrumpft, wer soll dann noch Gewinne erzeugen?
Aber das ist nur ein blasser Hinweis auf die Frage, um die es eigentlich geht. Die Psychose der Geldwirtschaft, die sich von Absatz, materieller Produktion und deren Bedingungen unabhängig wähnt, ist derart in die Ökonomie eingesickert, daß die Wahnsinnigen in den Marmoranzügen glauben, nur Kommunisten könnten die Frage nach der Verteilung von Gütern im 21. Jahrhundert noch ernsthaft stellen. Wie der Derivatehandel in den Märkten, von denen sie glauben, es handele sich um substanzielle Geschäfte, ist auch Geld selbst nur Funktion und Sediment des Handels mit Waren. So selbstverständlich wie das ist, wird es geleugnet. Die große Maschinerie von Produktion und Verteilung hat jegliche soziale und gesetzliche Korrespondenz verloren. Im Klartext heißt das: Was heute als “Wirtschaft” bezeichnet wird, hat mit der Versorgung der Menschen und der Verteilung von Gütern immer weniger zu tun. Das eine ist unabhängig vom anderen.
Daraus folgen einige wichtige Konsequenzen:
- Nachfrage und Bedarf sind unabhängig voneinander. Die Entwicklung der Nachfrage und die Befriedigung essenzieller Bedürfnisse sind zerfallen.
- Die Märkte können also durch Angebot und Nachfrage soziales Gleichgewicht nicht mehr herstellen, im Gegenteil wird letzteres allein dem Reststaat überlassen.
- Arbeit und Eigentum sind nur noch äußerst schwach aneinander gebunden. Wer es zu etwas bringen will, kann sich Erwerbsarbeit nicht leisten.
Unter diesen Bedingungen und eingedenk des Produktionspotentials ist die entscheidende Frage der Ökonomie von heute die nach den Möglichkeiten einer Verteilung von Gütern unabhängig von den bislang bekannten Mechanismen der Geld- und Marktwirtschaft. Warum wird das nirgends wirksam diskutiert?

p.s.: Es gibt einen dahingerotzten Ansatz zu einer Theorie der Fürsorge, zu dessen Ausarbeitung ich nie gekommen bin. Wer sich das antun will (60 Manuskriptseiten), kann sich HIER einen runterladen.

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