Einer der ersten Politiker, die ich live und in Farbe gesehen habe, war Rainer Barzel. Es muß der Bundestagswahlkampf 1983 gewesen sein. Als bemühter Demokrat anarchistischer Gesinnung wollte ich damals auch hören, was der Feind sagt.
Es war erschreckend. Die Provinzprinzen, immerhin auch Landesweit mit großem Einfluß, trugen ihre politischen Weisheiten auf eine Art vor, die meine schönsten Vorurteile bestätigte: Verblödete Spießer, die keinen klaren Gedanken fassen konnten und keine drei Sätze gerade herausbekamen. Als Star des Abends kam dann Rainer Barzel, der versucht hatte, Willy Brandt zu stürzen. Welch eine Enttäuschung! Barzel gab einige Überzeugungen zum besten, die mir sehr fern waren, aber ich mußte eingestehen, daß mich von ihm weniger trennte, als ihn von seinen politischen Freunden. Das war eine völlig andere Welt, klare Gedanken, rhetorisch brillant vorgetragen.
Zähneknirschend stellte ich fest, daß der bourgoise Funktionär mir Respekt abgerungen hatte.
Das änderte an meiner politischen Einstellung freilich ebensowenig wie die Sprüche eines gewissen Heiner Geißler, der in den Achtzigern einen starken Hang zu unkontrollierter Polemik auslebte. Seitdem er sich dann, vielleicht geläutert durch das System Kohl, auf inhaltliche Debatten verlegt hat, freue ich mich oft, von ihm zu hören oder zu lesen. Ich bin seiner Partei nach wie vor sehr wenig gewogen, aber das mindert auch hier den Respekt keineswegs.
War früher alles besser? Macht das Alter die Menschen wirklich weise? Oder leben wir in Zeiten, die den Tiefpunkt politischer Kultur markieren und gerate ich deshalb ins Schwärmen für diese, Pardon, Opas der CDU?
Einer gehört übrigens selbstverständlich nicht dazu. Wenn einer den Untergang von Stil und Charakter in der deutschen Politik zu verantworten hat, ist es Helmut Kohl.