Die Süddeutsche hat in ihrer gestrigen Ausgabe einige sophistische Phrasen von Herrn Ratzinger nachgebetet. Dem unbedarften Leser kann schwindlig werden von den verzopften Thesen um Religion und Vernunft, die da aufgereiht werden. Der Schreiber läßt seine Leser damit allein.
Es ist ärgerlich, denn so einen spätmittelalterlichen Unfug zu sezieren macht keinen Spaß, und es ist eine Widerlegung von “Thesen” umso schwieriger, je wirrer diese sind. Soweit es um die Aufhebung von Religion in Vernunft geht, empfehle ich dem Herrm Papst Webers “Wirtschaft und Gesellschaft”, wenn er’s hart braucht, auch “Dialektik der Aufklärung”. Die monotheistische Religion ist eine Phase der Kulturentwicklung, nicht mehr und nicht weniger. Es ist also blanker Unsinn, darüber zu fabulieren, wie Vernunft ohne Religion aussähe oder umgekehrt.
Der Passus über Religion und Ethos läßt mich vermuten, daß der Autor bei seiner Zusammenfassung sich selbst nicht mehr folgen kann. Sei’s drum, die zentrale Aussage: “Was an ethischen Versuchen von den Regeln der Evolution oder von Psychologie und Soziologie her bleibt, reicht nicht aus” trifft de Kern der Sache. Althergebrachtes Ommomm kann dem nämlich noch weniger abhelfen, und es ist übrigens eine Dummheit, die großen asiatischen Religionen zu unterschlagen, die sich nicht auf den einen Gott berufen.
Die Frage ist also: Wie kann eine postmoderne Ethik entstehen, die fest auf dem Boden der Wirklichkeit(en) steht? Ist eine Form tätiger Fürsorge denkbar, die verbindende ethische Prozesse ermöglicht? Im Mittelpunkt einer solchen Religiosität steht dann kein jenseitiges Wesen mehr, sondern der Mensch in all seinen Facetten. Ziemlich dumm, daß die großen monotheistischen Religionsgemeinschaften kein Interesse an einer solchen Entwicklung haben, denn es würde ihr Ende bedeuten.
2006
Die Türsteherin der Gesundheitsreform
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12. Sep 2006 23:04
Wenn eine wirklich gute Idee präsentiert wird, muß man professionell reagieren. Stellt man fest, daß es nicht die eigene ist, gilt es, sofort Makel daran zu finden. Der geübte Diskutant weiß sofort, welche Bedenken dagegen vorzubringen sind und warum das alles so auf keinen Fall funktionieren kann. Handelt es sich dann noch um eine neue Idee, bringt man alles in Stellung, was vom Status Quo profitiert und eventuell einen Nachteil davon hätte. Schließlich holt man seine Brüder, baut sich breitbeinig auf und erklärt: “Hier komms du nich vorbei, ey!” oder, wie Ullalala Schmidt präzise verlautbaren ließ: “Für ein Konzept, das die Trennung von Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung aufhebt, findet sich derzeit nirgends eine Mehrheit.” Wo kämen wir auch hin, wenn sich etwas substanzielles änderte?
Einen “Flatterflink” gibt es gar nicht! Fast ein Jahr lang konnte ein Blogger die Gemeinde hinters Licht führen. Jetzt aber hat er sich selbt enttarnt, als er nach einem Gang zur Meldebehörde in seinen neuen Ausweis schaute und seinen wahren Namen las.
So ungefähr liest sich die Story vom lonelygirl15, die einmal mehr die Frage aufkommen läßt, ob das ganze Getue vom “Web 2.0″ und dem Drumherum irgendeine Substanz hat. Es ist ein großes kommunikatives Bällchenbad, und die sich darin lümmeln, haben in der Regel nicht einmal etwas zu brabbeln. Das liegt in der Natur der Sache, heißt es doch nicht zufällig: “Vox populi, vox Rindvieh”. Wenn dann, wie in diesen Zeiten üblich, der sinnfreie Personenkult allgemeiner Selbstzweck ist, darf es eigentlich niemanden wundern, wenn die Stars der öffentlichen Privatsphäre aus der Retorte kommen – Profis können das eben besser.
Nachdem also eine dicke Seifenblase geplatzt ist und die enttäuschte Web-Gemeinde sich das Pril aus den Augen gewischt hat, könnte sie ja zu einer Erkenntnis kommen: Daß nämlich relevante Inhalte der einzige Schutz gegen die Okupation durch PR-Agenten ist. Dafür allerdings müßte man etwas zu sagen haben.
Was will er denn noch? Gleichgültigkeit gegenüber Gott moniert der Papst. Gibt es noch nicht genug Irre, die mordend und brandstiftend durch die Weltgeschichte marschieren und sich dabei auf den großen Ommomm in irgendeinem Himmel berufen? Oder meint er vielleicht den katholischen Gott?
Aber im ernst: Ist es Aufgabe eines Nachrichtenmagazins, das Gequatsche losgelassener Mystiker unkommentiert zu verbreiten? Oder ist es nicht vielmehr Aufgabe der Journalisten, dazu beizutragen, daß die fatale Spekulation “Gott” dahin zurückgewiesen wird, woher sie kommt?
Hui Buh!
In Spiegel-online findet sich ein sehr lesenswertens Interview mit Prof. Zbigniew Brzezinski, dem einstigen Sicherheitsberater von Jimmy Carter. Seine klugen Einsichten machen in beschämender Weise deutlich, wie tief die amerikanische Politik unter dem Bush-Regime gesunken ist. Der Präsident, der derzeit noch versucht, mit seiner widerlichen Doktrin der Menschenrechtsverletzungen innenpolitisch zu punkten, bekommt ansonsten von allen Seiten was auf die Ohren, aktuell etwa wegen seiner Begründung des Irak-Krieges. Anstatt sich endlich von diesem Möchtegerndespoten abzuwenden, fällt es etwa dem ewigen Schäuble ein, waschlappendiplomatisch zu säuseln, “die Amerikaner” hätten “einen Fehler gemacht”, als ihr Präsident sich ermächtigen ließ, auf die Einhaltung der Menschenrechte zu verzichten. Wer solche außenpolitischen Ansichten äußert, zumal als Weltinnenpolitik, vertritt keine klare rechtsstaatliche Auffassung. Aber es ist ja wohl ohnehin niemand der Meinung, Schäuble sei qualifiziert für das Amt des Innenministers.
Wirtschaftweise steigen aus
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07. Sep 2006 15:02
Es ist deprimierend, was Drogenmißbrauch aus Menschen macht. Die sogenannten “fünf Weisen” haben sich offenbar kürzlich zu einer Party verabredet und derart einen durchgezogen, daß sie spontan und vollständig den Verstand abgestreift haben. Splitternackt marodierten ihre kognitiven Restressourcen daraufhin über den Datenhighway und grölten den Dead-Kennedys-Klassiger “Kill the Poor”.
Um satte 30 Prozent wollen sie zwei Millionen Menschen das Arbeitslosengeld II kürzen, um damit vielleicht 350 000 Arbeitsplätze zu schaffen. Hatte ich bislang gedacht, es sei Politikern vorbehalten, völlig weltfremde Vorstellungen von Ökonomie zu pflegen, muß ich nunmehr feststellen, daß unsere Ökonomen auch das noch besser können. Daß Deutschlands Wirtschaftsberatung ein “Sanierungsfall” ist, wurde hier bereits erwähnt. Es kommen Zweifel auf, ob da noch etwas sanierbar ist. Welchen wirtschaftlichen Nutzen hätte es, den Ärmsten weitere ca. 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entziehen? Es handelt sich dabei um Mitttel, die unmittelbar in den Konsum fließen müssen. Für Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit würde das bedeuten, daß weitere Arbeitsplätze verloren gingen. Hinzu kommt, daß notwendiger Konsum, für den die Mittel fehlen, dennoch stattfinden wird. Die Menschen werden sich das Nötige beschaffen. Die Kriminalitätsrate wird steigen, nicht nur, weil hungrige Menschen selten gesetzestreu sind, sondern, weil man nichts mehr davon hat, legal zu leben. Dies wird weiteren ökonomischen Schaden anrichten.
Daß Menschen unter solchen Verhältnissen leiden, muß den Ökonomen nicht weiter stören. Wenn er aber aus sozialer Inkompetenz zum Aufrührer wird, sollte er darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit wäre, einfach mal, Pardon, die Schnauze zu halten.
Merkels Staatsräson und andere schlechte Witze
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06. Sep 2006 23:58
Frau Merkel hat heute im Bundestag eine Phrase wiederholt, mit der sie seit einigen Wochen hausieren geht, und je öfter sie sich derart reden hört, desto offensiver geht sie vor: Wie sie meint, ist das “Existenzrecht Israels Staatsräson deutscher Politik”. Das ist erst einmal bunt dahergeplappert. Was genau in diesem Sinne “Staatsräson” bedeutet, wüßte man gern. Dann ergäbe sich vielleicht auch eine verbindliche Vorstellung davon, was daraus folgt. Wörtlich genommen heißt es doch nur, daß die BRD Israel nie das Eixstenzrecht absprechen darf. Mit dieser großen Weisheit grenzt man sich allerdings gerade einmal von rechtsradikalen und islamistischen Fanatikern ab. Man vermutet solche auch eher nicht in der CDU oder der Bundesregierung.
Aber sie geht ja viel weiter: Aus der Binsenweisheit wird ein Argument für jeden außenpolitischen Unsinn, den man im Nahen Osten treiben kann. Als sei mit jener Staatsräson die Pflicht verbunden, die Existenz Israels um jeden Preis mit deutschen Truppen zu verteidigen. Das Handelsblatt kann sich auch schon nicht entblöden, diesen Unfug seinerseits zu verbreiten. Die neue offensive Außenpolitik wähnt sich selbstbewußt und ist doch schlicht ignorant. Als sei Israel kein eigener Staat mit einer eigenen Staatsräson. Als könne man von Deutschland aus bestimmen, wie Israel verteidigt werden soll. Oder will Frau Merkel die Bundeswehr einsetzen, um die Interessen des Likud durchzusetzen? Ist es “Staatsräson”, die Folgen jeder Dummheit zu tragen, die eine israelische Regierung begeht?
Eine kluge Außenpolitik macht sich nicht durch solche lax ausgespuckten Sätze vom eigenen Grosmaul abhängig. Sie behält sich vor, sensibel auf Entwicklungen zu reagieren und die Lage stets aktuell und differenziert zu betrachten. Es mag sein, daß es gute Gründe gibt, Truppen zu entsenden. Es mag sein, daß es eine Verpflichtung gibt, die Existenz Israels zu sichern. Es folgt aber niemals eine militärische Aktion im Nahen Osten unmittelbar aus einer deutschen “Staatsräson”. Das nämlich wäre deutsc
Man freut sich noch mehr auf die neue Sicherheit, wenn man sieht, wie verantwortungsbewußt deutsche Behörden und Beamte mit der Einschränkung der Freiheitstrechte verfahren: Immer nach dem Motto “Wer einmal als verdächtig gilt, hat sicher auch Dreck am Stecken”. Im Polizeipräsidium München sieht man die Sache bei angeblichen Hooligans so: “Unsere szenekundigen Beamten haben gemeinsam mit unserer WM-Einsatzabteilung diese Leute festgelegt. Dass einer unbescholten war, das kann ich mir nicht vorstellen.” Vae victis!
Bald kann man endlich das Taxi rufen, das Osama abholt. Die nunmehr beschlossene Terrordatei beinhaltet nämlich zuvörderst Namen und Adressen der bösen Buben. Wer sagt’s denn, dann wissen wir endlich, wo die Schurken wohnen! Wers genau wissen will und darf, entnimmt der geheimen Datei in der Datei noch die näheren Umstände.
Dazu gehört etwa die “Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung”, laut tagesschau. Das nenne ich Datenschutz, erst wenn man Zugang zu den geheimen Daten hat, erfährt man, daß der Terrorist Mitglied in einer Vereinigung ist!
Dies und das erfährt man überdies: So sei “vorgesehen, dass die einstellende Behörde eigene Bewertungen in der Datei speichern kann.” Das heißt wiederum alles oder nichts. Und wenn es denn eine Datei sein soll, auf der alle Behörden zugreifen können, wie kann dann jede eigene Bewertungen speichern? Gibt es dann doch wieder fünfzehn verschiedene Dateien? Oder steht in einer zentralen Datei jeder Senf, der irgendwem zu dem “Verdächtigen” eingefallen ist?
Außerdem heißt es bei tagesschau.de: “In der Datei sollen auch Daten von Kontaktpersonen der Verdächtigen gespeichert werden.” Ähnliches verbreitet der SPIEGEL. Sollte das so kommen, darf man sich warm anziehen. Wie viele “Kontaktpersonen von Verdächtigen” mag es geben? Es können hunderte sein. Hier genau liegt der Knackpunkt: Mit ein paar Leuten, die schon aufgefallen sind, macht man keinen Staat, mehr Sicherheit gewinnt man so nicht, zumal die meisten Täter vorher nie in Erscheiniung treten. Man müßte also schwer in Richtung Totalüberwachung gehen, um Verbrechen wie geplant zu verhindern.
Dazu kommt ein Aspekt, der im Augenblick ganz vernachlässigt wird: Es denkt kaum jemand daran, daß er einmal selbst betroffen sein könnte. Was aber, wenn Militante von links oder rechts einst wieder so aktiv werden in den 70ern? Wenn es nicht um Abschiebe-Ali geht, sondern um unauffällige Staatsbürger ohne Bart? Wieviel Macht gibt ein solches Gesetz jemandem, der es nicht gut meint? Und schließlich: Kann man etwa den Verbündeten auf Guantanamo solche Daten überlassen?
Was da zusammengebraut wird, führt nicht zu mehr Sicherheit, es ist eine Verwundung des Rechtsstaats. Soll man es so beschließen, und möge es gnädig vom BVG kassiert werden!
Es ist einer dieser rhetorisch ungemein feinsinnigen Vergleiche – Klimawandel oder Terror – was ist gefährlicher? Aber er inspiriert doch, wenn es um die Frage geht, welche Themen die öffentliche Kommunikation beherrschen. Von “Gefahren” sprechen sie gern zu uns, von den Opfern, den unschuldigen, und sie meinen damit nicht Rechte, die abgeschafft werden sollen, sondern Menschen, die theoretisch eventuell in ihrer ganzen nackten Unschuld zerfetzt und verstümmelt werden könnten etcetera. Das ist natürlich großes Kino, und Action macht noch immer mehr Kasse als Umwelt, da kann Ronald Emmerich die USA noch so oft frosten oder absaufen lassen.
Ähnlich ist es mit dem Einfluß, den Politik und Kultur hätten. Es wird immer Fanatiker geben, die gern töten. Na und? Setzt sich deswegen wer auf den Friedhof und wartet, bis er dran ist? Muß man jeden argwöhnisch beäugen, der ein Messer tragen kann? Im Gegenteil: Mehr Toleranz und Verständnis, i.e. mehr Kommunikation kann helfen, den Haß zu mindern. Mehr Vernunft in Komsum und Produktion kann der Umwelt ebenso helfen wie den Menschen, aber ist das ein Thema? Den Lesern scheint es nicht spannend genug zu sein und der Politik ist es wohl nicht daran gelegen. Denn was wäre gefährlicher als ein vernünftiges, aufgeklärtes Volk ohne Angst?
