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2006


War das schön, als man noch diskutierte, wie man das Gesundheitssystem verbessern könnte! Als dann klar wurde, daß die große Koalition eine Reform versuchen würde, gab es schon gute Gründe, sich Sorgen zu machen. Je klarer wurde, daß es einen Kompromiß gäbe, desto schneller schwand die Hoffnung auf ein taugliches Resultat. Seit Tagen habe ich mich um einen Kommentar gedrückt, denn die Erkenntnis, daß am Ende nur irgend ein Kompromiß gesucht wurde, der schon gar keinen inhaltlichen Bezug mehr zum Vorhaben hat, macht Kritik schwer. Sie ist von nörglerischer Totalablehnung kaum mehr zu unterscheiden. Die professionellen Kollegen sehen das aber genau so, wie die Presseschau beim SPIEGEL zeigt. Man wünschte sich, die Parteien hätten sich nicht geeinigt. Von daher ruht die Hoffnung jetzt auf den (CDU-) Ministerpräsidenten, denen nicht nur ihre Kanzlerin zuwider ist, sondern auch diejenigen in der Bundesregierung, die die Entscheidungen treffen. Wer immer das sein mag.

Airbus muß sparen. Man hat das eine oder andere Fiasko auszubügeln, das das Management dem Konzern beschert hat. Und siehe da – in der Fertigung sollen keine Stellen abgebaut werden, denn so ein Ding setzt sich ja nicht von selbst zusammen, und man kommt schon den Aufträgen nicht nach.
In der Verwaltung, da schon, aber man fragt sich: Wieso arbeiten da Leute, die man nicht braucht? War das bis jetzt ein Luxus, einfach ein bißchen mehr verwalten?
Und dann der Klopper: Bei “Material und Qualitätsmanagement” soll gespart werden. Gibt es dieselbe Materialqualität auch preiswerter? Warum hat man dann nicht gleich günstiger eingekauft? Ist Qualitätsmanagement nicht nötig? Ich glaube, ich möchte nicht mit einem Ding fliegen, bei dem an dieser Stelle Abstriche gemacht wurden.
Das Ganze sieht doch arg so aus, als würde man schlicht an der Qualität sparen. Man hätte besser, wie so oft, rechtzeitig am Management gespart.

In Österreich ergibt sich dieser Tage die Möglichkeit, daß der “konservative” noch-Kanzler Schüssel eine Koalition mit den Rechtsradikalen eingeht. Diese sind dort die “Freiheitlichen”, ehemalige Liberale also, und deren noch weiter rechts angesiedelte Abspaltung, die BZÖ. Niemand würde die Hand dafür ins Feuer legen, daß Schüssel den rechten Brandstiftern nicht den Hof macht, wenn es seine Macht erhält. Spannender aber ist für mich die Frage, wie sich der Liberalismus in Zukunft entwickeln wird. Auch in Deutschland wurden und werden Figuren wie Möllemann oder von Stahl zumindest geduldet. Die Rhetorik beschränkt sich auf (neo-)wirtschaftsliberale Plattitüden, und ein eigentlich liberales Programm im Sinne einer Idee findet sich seit Jahren nicht.
Linksliberales Gedankengut scheint sich auch international allmählich vollständig zu den Grünen zu flüchten. Diese haben das noch nicht wirklich gemerkt, ebensowenig wie die Liberalen je bemerkt hätten, wie gut sie sich mit ihrem Lieblingsfeind ergänzen könnten. Stattdessen legen die Restliberalen die Politik lahm und erzwingen Koalitionen, die sie selbst am wenigsten wünschen können. Aus Angst vor dem attribut “sozial” rücken sie quasi automatisch nach rechtsaußen. Die Karriere des “Liberalismus” in Österreich sollte die Freiheiltichen in Deutschland zum Nachdenken anregen – darüber, wer wirklich Freund ist und wer Feind.

Da lacht der Hartzer:

“Der Übergang in eine andere Staats- und Gesellschaftsordnung und der Strukturwandel in der Wirtschaft in den neuen Bundesländern sind gelungen ­ soweit für solche Aufgaben nicht die Kräfte und Anstrengungen von Generationen nötig sind.
An vielen Orten der ehemaligen DDR zeigen sich die blühenden Landschaften.”
Helmut Kohl in RP-online.

Ein Tag, an dem schon die Topmeldungen nicht viel hergeben. Heute keine Empörung. Eine klitzekleine Meldung bei der TAZ über weitere Massenerfassungen von DNA-Proben hätte mehr Aufmerksamkeit vedient. Aber in diesen Zeiten ist Freiheit die Freiheit der gläsernen und unverdächtigen. Su-shee hat dieser Tage darauf aufmerksam gemacht. (ebenso im darauf folgenden Artikel “Das mit dem Verbergen”). Im Gegensatz zu ihr bin ich allerdings der Ansicht, daß gerade Blogs die Möglichkeit bieten, gezielt Risiken einzugehen. Es stimmt zwar, daß man im Jahr 2006 vorsichtig mit seinen persönlichen Daten umgehen muß, aber es gibt durchaus auch die Möglichkeit, offensiv zu handeln. Nicht nur das gezielte Streuen von Falschaussagen (wie schon beim weichen Volkszählungsboykott) ist eine Strategie gegen die Datensammelwut, sondern auch die vernetzte Reaktion auf Ereignisse, die in der Mainstream-Öffentlichkeit nicht stattfidet.
Natürlich ist es auch richtig, festzustellen:
“Schade, leider können wir diese Diskussion nicht führen, weil niemand
sicher stellen kann, dass durch die Preisgabe dieser persönlichen
Fragen in der digitalen Öffentlichkeit niemand von uns Schaden erlitte.”
Aber auch hier muß ich ansatzweise widersprechen. Manchmal muß man nämlich ein solches Risiko eingehen und darf nicht darauf zählen, daß man sicher ist vor denen, die so um unsere Sicherheit bemüht sind.

Nachdem schon die Siemens-Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze durch Lohnverzicht gesichert hatten, übernehmen jetzt die Arbeitnehmer von VW diese erfolgreiche Strategie. Es wird mehr gearbeitet, evtl. auch viel mehr, und dafür werden die Gehälter nicht erhöht. Daß Unternehmen und Managements gern Löhne drücken, ist nichts Neues. Daß sich Arbeitnehmervertreter immer wieder auf solche Deals einlassen, verstehe, wer will. Makroökonomisch ist Lohnverzicht schon lange ein Gift, das die heimische Wirtschaft belastet. Aber auch betriebswirtschaftlich sind solche Patentideen reine Augenwischerei. Ein Betrieb kann nicht überleben, wenn sich die Produkte nicht verkaufen. Er taugt nichts, wenn sich keine angemessene Entlohnung erwirtschaften läßt. Wer glaubt, er rette irgendetwas, indem er die Produktionskosten künstlich verringert, hat etwas fundamental mißverstanden.
Für die Arbeitgeber gilt dasselbe. Wenn ein Betrieb unrentabel ist, weil die Produkte unrentabel sind, muß nicht an den Gehältern der Mitarbeiter herumgepfuscht werden, sondern der Laden gehört umstrukturiert. Letzteres kann auch bedeuten, daß er dichtgemacht werden muß. Ein gutes Management leitet solche Prozesse rechtzeitig ein und wartet nicht darauf, daß nichts mehr geht.
Alles andere sind Methoden, mit denen die Mitarbeiterschaft ausgeplündert werden soll. Siemens-BenQ hat gezeigt, wie so etwas aussieht.
Für gute Produkte kann man gute Löhne zahlen. Für schlechte Produkte ist der Standort Deutschland gänzlich ungeeignet.

So darf man nun auch nach dem Sanierungsplan fragen, den Siemens und BenQ ausgeheckt hatten, angeblich um die Produktion von Mobiltelefonen in Deutschland zukunftssicher zu machen. Ja sicher, die Zukunft ist heute, und morgen wird es eben keine mehr geben.
Na und? Die Entscheidung war richtig, Siemens macht weniger Verlust. Allein deshalb schon ist die Erhöhung der Managergehälter um 30% berechtigt. Daß dieselben Schnarchnasen, die so elegant den Konkurs an die Konkurrenz weitergereicht haben, die Katastrophe selbst vor Jahren verursacht haben – who cares? Daß jeder, der auch nur ein bißchen von “Handys” versteht, schon lange wußte, was der Unterschied zwischen einem Nokia und einem Siemens ist, muß ja das Management nicht stören, denn dort hat man wichtigeres zu tun, als die eigenen Produkte in die Hand zu nehmen.
Und daß die Neider und Habenichtse aufschreien, weil sie nicht gönnen können und nicht wissen, wie unterbezahlt die Herren jahrelang waren? Auch davon fängt das Geld nicht an zu stinken.
Allerdings sollte sich der sozialneidische Normalbürger endlich hinter die Löffel schreiben, daß Wirtschaft mit vielem zu tun hat, aber ganz sicher nichts mit Gerechtigkeit.

Darf man noch etwas tun, ohne Rücksicht auf sie zu nehmen? Muß man demnächst in prophylaktischem Gehorsam vor den Terroristen jeden Geschlechtsverkehr anmelden, weil sich daraus unmittelbare Konsequenzen für die beruflichen Pflichten erwachsen?
Was die Arbeitsagenturen sich inzwischen einfallen lassen, um ihr Klientel oder das, was sie dafür halten, zu schikanieren, ist unfaßbar. Oder geht es nur darum, scheinheilig Gründe aus allen Ecken zusammenzukratzen, um Das ALG nicht überweisen zu müssen? Während die Zeitungen voll sind von Angstartikeln über Muslime und die halbe Welt ausrastet, weil in Pakistan ein Paar analphabetische Pfeifenraucher auf die Straße spucken, läuft hier eine Behörde täglich Amok und produziert tausende Opfer. Wann reicht es eigentlich?
Ceterum censeo: Schafft endlich die Arbeitsagentur ab!

Da ich bis Mittwoch Abend unterwegs sein werde und nicht zu einem ordentlichen Eintrag komme, feiere ich bei dieser Gelegenheit die damals spontane Idee, mir ein Weblog zuzulegen. Das war vor genau einem Jahr, in dem dann 287 Einträge zustande kamen. Ein guter Grund, sich an den Straßenrand zu stellen und sich zuzujubeln. *Konfettiiiiii*

“Intelligenten” und “innnovativen” Journalismus bescheinigen sich Financial Times Deutschland und der Verlag Gruner+Jahr selbst. Es geht aber nicht etwa um investigativen oder visionären Wirtschaftsjournalismus, sondern um Strategien zur Lösung eines der wichtigsten Probleme der Menschheit: Wie die Leute, die vor Geld nicht mehr laufen können, ihre Kohle loswerden sollen. “How to spend it” heißt das “Luxus-Magazin” der FTD, und es biedert sich den Geldsäcken an, daß man ohne Anlauf mitgleiten kann. Betont wird in der Eigenwerbung vor allem, daß HTSI mit (großformatigen) “Hochglanzseiten” aufwartet. Innovativ! Wie haarsträubend intelligent der Journalismus ist, erkennt man schon an den knallhart recherchierten Hintergrundinformationen über die Leserschaft, die “Top-Verdiener Deutschlands“: “Sie agieren international, haben einen erlesenen Geschmack und aufwendige Freizeitinteressen.” Aha. Sicher klettern sie, um ein Buch zu lesen, kopfüber die Wand hoch, treiben es nur in rotierenden Wasserbetten und gehen jeden Morgen mit einem Rudel Hyänen spazieren. Aufwendig! Ihr Geschmack ist ganz selbstverständlich “erlesen”, denn Geld kann Kultur kaufen, und wer viel davon hat, hat viel davon – Noblesse oblige!
Schwamm drüber – daß niemand so etwas braucht, daß es schon Jahre früher eine englische Ausgabe gab, daß das gedruckte Gesülze innovativ ist wie der Neoliberalismus und intelligent wie Paris Hilton. Denn es ist herrlich obszön. Am besten gefällt mir das Titelbild mit dem Kopf von der Schwarzafrikanerin und den Wahnsinnsbrillis. Diese wunderbare Allegorie der Vergänglichkeit! Während der Schmuck für die Ewigkeit geschaffen wurde, ist die Dame womöglich schön während des Shootings verhungert.

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