Wirtschaft


Die ProSiebensat.1 Media AG verspricht höhere Gewinne. [via Dean] Und zwar eine Steigerung von 22,2 % auf demnächst 25 % EBITDA. Hintergrund ist die Übernahme der SBS Broadcasting Group für rund 3,3 milliarden Euro. ProsiebenSat1 “rückt damit auf Platz zwei unter allen TV-Anbietern in der EU.”
Eine weitere Konzentration auf dem Medienmarkt, da sollte doch durch Synergien und Abbau von Verwaltung schon einiges mehr an Gewinn drin sein, und davon ist durchaus auch die Rede. Dennoch reicht die Fusion allein nicht aus. Veränderungen im Programm, etwa das verschwinden der Sat.1-Nachrichten zugunsten von noch mehr Entertainment (und Werbung) sollen die Gewinne noch mehr steigern. Angekündigt ist das ja jetzt.
Fast kann man sich angesichts solch unfaßbarer Gier den Kommentar sparen, aber es gibt da einige Feinheiten, die genauerer Betrachtung würdig sind. Die angekündigten 25% sind nämlich reine Augenwischerei. Wer ernsthaft glaubt, durch den normalen Geschäftsbetrieb ließen sich derartige Margen erzielen, hat denn Knall nicht gehört. Der Blödsinn, einen schon fast unverschämten Gewinn noch überbieten zu wollen, entspringt den grottigen Köpfen von Managern, die keine Ahnung haben, was sie tun müssen, wenn das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Die Flucht nach vorn ist verständlich. Nach einem solchen Kauf ist Gähnen in der Kriegskasse. Wenn jetzt die Aktien sinken, ist Landunter. Also erstmal das Blaue vom Himmel versprechen, dann wird alles gut.
Mal sehen, was in einem Jahr ist. Wenn die Qualitätsoffensive flächendeckend so phantasievoll angegangen wird wie bei Sat.1, wird der ganze Laden nächstes ganz sicher weiter verramscht. Leute rausschmeißen, noch mehr vom Gleichen? Dumm nur, daß man den Zuschauer nicht zwingen kann, einzuschalten. Sicher, die Nachrichten der Privaten braucht nicht wirklich jemand. Aber die Mentalität, nur aufs Geld zu glotzen und die Zuschauer zu vergessen, wird nicht aufgehen. Selbst Unterhaltung ist mehr als lustige Filmchen zeigen und Werbeeinnahmen verbuchen. Von Respekt vor dem Kunden einmal ganz abgesehen. Am besten noch ein paar dieser preiswerten Call-In-Verarschungen ins Porgramm, das rechnet sich auf dem Papier ganz prima. Das böse Erwachen kommt dann mit den Bilanzen, die ganz anders ausfallen werden, als derzeit versprochen wird.
Von daher kann man heute schon darauf wetten, daß nächstes Jahr öffentlich erklärt werden wird, man habe das Planziel erreicht. Zauberei? Ja. Dahinter wird allerdings ein böser Hokuspokus stehen, denn wer solche Margen anpeilt, verpflichtet sich damit schon vorab zur Bilanzfälschung.

Der Herdentrieb berichtet über den Jahresbericht der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und zitiert:
Angesichts der enormen und andauernden strukturellen Änderungen lässt sich … durchaus die Meinung vertreten, dass wir die wirtschaftlichen Abläufe heute womöglich noch weniger verstehen als in der Vergangenheit.
Dieter Wermuth stellt überdies fest:
Keinen der Wendepunkte der Wirtschaftgeschichte des vergangenen Jahrhunderts haben die Ökonomen vorhergesagt“. Ich kann man mir das Lästern über die Spökenkieker ja eh nicht verkneifen, zumal, wenn nach jeder Prognose, egal, wie sie lautet, Leute entlassen werden.
Wermuth konkretisiert: “Niemand hat beispielsweise eine unbestrittene Vorstellung darüber, wie Inflation aus dem Zusammenspiel von Kapazitätsauslastung, Produktivität, Löhnen, Einfuhrpreisen, Geldmenge und Erwartungen entsteht“.
Nehmen wir einmal an, die quantifizierbaren Faktoren, die da genannt werden, entzögen sich nicht einer präzisen Berechnung, dann wäre da immer noch der entschdeidende Faktor “Erwartung“. Die Erwartungen und Erwartungserwartungen, das Gezocke an den Börsen, wird nicht berechenbarer, schon gar nicht, wenn staatliche Kontrollen fehlen, die ja den Oguren des Kaptials als das Böse schlechthin gelten. Das “Heuschrecken”-Treiben sorgt dabei für Chaos pur, denn wo wirtschaftliche Vernunft der schnellen Rendite zum Opfer fällt und Kapital in solcher Masse plötzlich bewegt wird, werden Prognosen eben extrem schwierig. Ein weiterer Faktor trägt nicht eben zur Ordnung der Märkte bei. Wermuth weist indirekt darauf hin:
Wenn sie [chinesiche Kapitalgeber] jetzt anfangen, Aktien statt Bonds zu kaufen, also Sachvermögen zu erwerben, werden sich die protektionistischen und xenophobischen Tendenzen in den USA verstärken. Mit anderen Worten, hier steuern wir auch schnurstracks auf die Krise zu.”
Die größte Marktmacht der Welt spielt nämlich falsch. Immer. Ganz selbstverständlich geht der Ökonom schon davon aus, daß den Amerikanern keine Protektion oder Subvention zu schäbig ist, wenn es um die eigenen Leute geht. Hinzu kommt, daß die Konzepte der Administrationen unterschiedlicher nicht sein könnten, zwischen Clinton und Bush liegt eine ganze Welt.
Das einzige, was die Ökonomen der Großen wirklich können, ist große Töne Spucken. Mit den Brustton einer irrwitzigen Überzeugung posaunen sie ihre PR-Weisheiten in die Welt hinaus, als hätte es kein Gestern gegeben. Der Markt, der Markt, hat immer recht, auch wenn eigentlich keiner weiß, was er eigentlich ist oder wie er funktioniert. Nur eines ist klar: Bloß keine Kontrolle! Die könnte nämlich für Ordnung sorgen und käme denen überhaupt nicht zupaß, die vom Chaos so vortrefflich profitieren.

WDR2 meldet: “Die Bayer AG strukturiert ihre Sportförderung um.
Vom Sommer 2008 an will sich der Leverkusener Konzern ausschließlich auf den Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen sowie auf das Sponsoring des Breitensports konzentrieren. Aus der Sportwerbung für Basketball, Handball, Volleyball und Leichtathletik wird sich Bayer zurückziehen.”

Diese unscheinbare Meldung ist eine echte Zäsur für eine ganze Region.
Schon 1995 gab es ein ähnliches Ereignis, als der Bayer-Konzern den Fußballclub Uerdingen05 fallen ließ, der 42 Jahre lang “Bayer” Uerdingen gewesen war. Die Geschichte der Bayer-Sportabteilungen ist die konsequente Fortsetzung der Entwicklung des Verhältnisses eines Konzerns zu “seinen” Menschen. Bayer war in der Mitarbeiterschaft wie in den Kommunen rund um die Werke extrem beliebt. Die Niederrheiner waren stolz auf “ihr” Bayer wie die Menschen im Pott auf ihre Zechen. Es war eine Ehre, Jahrzehnte im Betrieb geblieben zu sein und etwas geleistet zu haben.
Wie aber die Kostenfaktoren aus den Werken entlassen und gegen Leiharbeiter ausgetauscht wurden, so werden jetzt die unrentablen Sportvereine abgestoßen. Die AG interessiert sich nicht mehr für die Region. Die Menschen sind ihr egal. Daß sie zu Zeiten, als zuverlässige Arbeitnehmer noch etwas wert waren, von diesen gut profitiert haben, ist Geschichte. Daß die Bayer-Vereine dem Konzern ein Image eintrugen, das keine PR der Welt zusammenlügen könnte, haben die globalisierten Profithanseln vergessen. Bayer hinterläßt verbrannte Erde. Und die Söldnertruppe aus Leverkusen wird niemals Deutscher Meister.

Ein sehr lesenswerter Artikel findet sich heute bei FR-online. Die Autoren nehmen sich der fatalen Dynamik der Märkte an, die durch neoliberale Ideologien und Strategien geprägt sind. Besonders das Auseinanderdriften von Produktivitätszuwachs und Produktionszuwachs führt zu volkswirtschaftlich unerwünschten Effekten, wie ich neulich bereits schilderte.
Es kommt noch ein Aspekt hinzu, der selbst Neoliberalen aufgehen dürfte und nur von den verbohrtesten Ideologen geleugnet werden kann: Ein Übermaß an Aneignung schadet der Marktdynamik. Werden Konzerne oder Personen also aufgrund ungeregelter Eigentumszuwächse zu mächtig, wird Konkurrenz als tragende Säule der Wirtschaft außer Kraft gesetzt. Gegen Monopolbildung gibt es (schwache) Gesetze, die Aneignung selbst darf weiterhin ungebremst stattfinden. Daraus folgt, daß Entscheidungen häufig nicht mehr an Rationalität gebunden sind und die ohnehin in den Konzernhierarchien angelegten autokratischen Strukturen noch durch das Treiben einzelner Marktdespoten überboten werden. Eine Kontrolle wirtschaftlichen Handelns findet so nicht mehr statt, weder personell noch strukturell. Während nun neoliberale Demagogen bei jeder Besteuerung von “Enteignung” sprechen und das Abendland untergehen sehen, entgeht ihnen vollkommen die Gefahr ungeregelter Aneignung. Letztere ist die aktuelle Gefahr, und man kann eben nicht alles dem Markt selbst überlassen. Überlegungen, die zu mehr Kontrolle über die Märkte führen sollen, sind also sehr im Sinne des Funktionierens der Marktwirtschaft und keineswegs zwangsläufig bürokratische Schikane.

Wie die WAZ meldet, hat die deutsche Versicherung “Extremus”, die gegen die Folgen von terroristischen Anschlägen versichert, die “Trendwende geschafft” und 2006 nach vier mageren Jahren erstmals wieder steigende Einnahmen verzeichnet.
Zu den Gründen für die erfreuliche Entwicklung gehöre auch ein gestiegenes Bewusstsein der Terrorbedrohung“, heißt es. Daß es sich dabei um “Bewußtsein” handelt, darf bezweifelt werden. Brennend interessiert mich nun die Frage, wer bei der “Extremus” (welch ein selten dämlicher Name btw) Beraterverträge hat oder nach dem Ausscheiden aus dem Amt einen hochdotierten Posten beziehen wird.
Wir werden das beobachten!

Daß die Deutsche Telekom ihre Mitarbeiter auslagert, ist Tagesgespräch. Wieder einmal setzt sich ein Sparkurs durch, der nicht zuletzt notwendig erscheint, weil jahrelange Managementfehler auszubügeln sind. Daß Sparen da nicht hilft, hat sich noch immer nicht herumgesprochen, und es ist egal, wer dem Konzern vorsteht, sie machen alle dieselben Fehler.
Noch deutlicher wird das bei einer Randnotiz der heutigen Nachrichten, betreffend den absehbaren Personalabbau in Europas Opelwerken. Dort wird nämlich deutlich, wie irrwitzig und parasitär das Primat des Shareholder Value ist. Um Kosten zu minimieren und vermeintlich Gewinne zu maximieren, werden Kosten gesenkt und auf “Effizienz” gesetzt. Für die Angestellten heißt das, in einen Wettberwerb einzutreten, an dessen Ende ganz konsequent die eigene Entlassung steht. Produziert wird nämlich stets in den Werken, die mit minimaler Manpower ein Maximum an Produkten herstellt. Wer also seinen Arbeitsplatz behalten will, muß dafür sorgen, daß möglichst viele andere den ihren verlieren. Der “Erfolg” der Sache ist eventuell der, daß man tendenziell mehr Absatz hat, denn bei derselben Marge kann man das Produkt preiswerter anbieten. Dadurch wird also der Rationalisierungseffekt zumindest konzernintern abgemildert. Branchenweit ist natürlich das Gegenteil der Fall, und auf lange Sicht schaffen sich die Angestellten derart selbst ab. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das hirnrissig, denn es fehlen so auf die Dauer Konsumenten, die Kosten, die dem Staat für Arbeitslose aufgehalst werden, steigen, damit auch die Steuern und Abgaben, die wiederum durch höhere Effizienz kompensiert werden müssen. Das Ganze funktioniert nur so lange, wie Geld aus dem Ausland fließt, sprich: viel exportiert wird und/oder solvente Kunden durch die Beschäftigung in anderen Branchen nachrücken.
Welche Alternativen gibt es zu diesem parasitären Effizienzideal? In der Tat ist es denkbar, durch eine hinreichende Umverteilung der so konzentrierten Einkünfte und Vermögen dafür zu sorgen, daß das System intakt bleibt. Dafür hätte der Staat zu sorgen, der immer mehr Menschen versorgen muß, deren Chancen auf eine Anstellung extrem gering ist und die keine Einkünfte aus Vermögen haben. Ob als Hartz-Notbefütterung oder in Form eines Grundeinkommens, der Staat müßte dafür sorgen, daß das Volkseinkommen nicht zusehends auf wenige Reiche und Angestellte verteilt wird, sondern auch die große Masse erreicht. Der offenbare Nachteil dieses Weges sind explodierende Kosten.
Eine andere Möglichkeit wäre die Ausrichtung der Wirtschaft auf den Stakeholder Value, also die Umkehrung des Primats betriebswirtschaftlichen Denkens gegenüber dem volkswirtschaftlichen. Nachhaltiges Wirtschaften, das die Interessen der Stakeholder in den Vordergrund stellt, also auch die der Mitarbeiter, der Handelspartner, der Kunden, des Staates und aller Systeme rund um den Produktionsprozeß, wird nach wie vor gewinnorientiert sein. Wer sich die Geschichte der BRD und des Rheinischen Kapitalismus’ anschaut, wird nicht leugnen können, daß es ein sehr erfolgreiches Modell ist. Global betrachtet und systemisch gedacht, ist es dem Effizienzmodell in allen Belangen überlegen. Daß die Helden des Shareholder Value diejenigen sind, die derzeit den Ton angeben, liegt vor allem daran, daß das Scheitern des Konzeptes noch eine Weile auf sich warten läßt. Noch gibt es Wiesen, die man abfressen kann. Sehr lange hat es keine nennenswerten Aufstände mehr gegeben von Menschen, die am Ende der Verwertungskette stehen. Noch gibt es genug Kunden, die zahlen.
Das alles aber ist gefährdet. Auf lange Sicht müssen sich gerade in Deutschland die Produzierenden umorientieren. Nicht billiger dasselbe mit weniger Menschen produzieren ist das Ziel, sondern teurer etwas Besseres mit mindestens genau so vielen. Absatz muß durch überzeugende Qualität gesichert werden anstatt durch marktschreierische Anpreisung von Ramsch nach dem Motto “Geiz ist geil”. Gleichzeitig müssen diejenigen, die kurz- und mittelfristig aus dem Produktionsprozeß ausscheiden, bei der Stange gehalten werden. Sie müssen motiviert und eingebunden bleiben. Hier muß das System der Lohnersatzleistungen radikal umgebaut werden, das die Armen heute als faul diskreditiert. Schließlich muß von seiten der Wirtschaft wie von seiten des Staates ein gemeinsames Ziel verfolgt werden, muß eine Vorstellung von Leben und Gesellschaft entwickelt werden, die konsensfähig ist. Davon sind Politik und Wirtschaft im Jahr 2007 Lichtjahre entfernt.

Nachdem schon die “Hartz-Reform” zwei Millionen Arbeitsplätze innerhalb von zwei Jahren schaffen sollte, steht jetzt die Glos-Reform an. Auch Glos setzt darauf, das faule Pack nicht ohne Gegenleistung zu fördern, aber er hat bessere Chancen, denn es soll keine Ausnahmen mehr geben. Vorneweg paßt die Gloswacht gut darauf auf, daß sich niemand mehr die bisher erlaubten 100 € zum ALG II hinzuverdient. Hartzjahre sind schließlich keine Herrenjahre. Als nächstes kommt dann die Arbeitsverpflichtung. Noch immer erklärt uns keiner der Wirtschaftsgenies in den Ministerien, woher die Stellen kommen. Glos wird das wohl ändern und den Bundesarbeitsdient einführen. Löcher buddeln, zuschütten, wieder neu buddeln. Krankfeiern gilt nicht. Jeder muß mitmachen. Das bringt uns nach vorn, hat schließlich damals auch geklappt.
Wenn eine deutsche Regierung eine “Arbeitsmarktreform” ankündigt, ist man gut beraten, schnell in den Bunker zu flüchten. Das beginnt immer mit der irrwitzigen Ankündigung, es schaffe Arbeitsplätze, wenn man Arbeitslosigkeit anders verwalte. Dann kommt grundsätzlich ein Vorschlag, wie man denen, die nichts haben, noch etwas wegnimmt. Schließlich werden alle, die eh schon den Kürzeren gezogen haben, gedemütigt und für alle wirtschaftlichen Probleme des aktuellen Jahrzehnts verantwortlich gemacht.
Was bisher nicht geschah:
- Eine halbwegs brauchbare Reform der Arbeitsämter, deren Schlampigkeit, Ineffizienz, Zynismus und Inkompetenz sich kein Arbeitsloser in seinem Privathaushalt leisten könnte. Will heißen: Das Arbeitsamt wird jährlich umbenannt, anstatt es endlich abzuschaffen.
- Ideen, wie man Synergien zwischen Staat und Wirtschaft schaffen kann, kreative Anreize zu Existenzgründungen, Unterstützung regionaler Netzwerke zur Entwicklung tragfähiger Strukturen.
- Irgendein Versuch, Menschen zu motivieren, ihnen mit Respekt zu begegnen, diejenigen abzuholen, die gern ihre Fähigkeiten in sinnvolle Tätigkeiten einbringen würden.
Da scheinen sie sich in der Nachschröderzeit noch immer einig zu sein: Wirtschaftspolitik ist die Kunst der Diskriminierung sozial Benachteiligter. Als ob das noch irgendwer hören könnte!

Die Wirtschaft floriert. Die Binnennachfrage entwickelt sich positiv. Die Arbeitslosenquote sinkt. Widerlich. Gegen die aktuelle Dynamik kann man national wenig tun, da müssen schon Immobilienblasen in Übersee platzen und sich mit überbordenden Rohstoffpreisen zusammentun, um eine Panik auf einem unerwartet nicht abgefederten Kollateralmarkt auszulösen. Ist nicht zu erwarten. Aber wir können unser Schärflein dazu beitragen, daß es so bald wie möglich wieder bergab geht. Führende Sozialpolitiker gehen mit gutem Beispiel voran. Nach der grandiosen allgemeinen Gesundheitsreform kommt jetzt die spezielle Refom der Pflegeversicherung. Der Systemspasmus bleibt: So viel verwalten wie möglich, Beiträge erhöhen und ja nicht die Fundamente antasten! Die sind zwar so vergammelt, das sie schon nach Torf riechen, und was darauf errichtet wurde, sieht aus wie ein Bild von Escher auf Koks, aber feste weiter so! So werden wenigstens die Lobbyisten nicht enttäuscht.

Daß die DAX-Konzerne trotz guter Gewinne massiv Stellen abbauen, berichtet Spiegel Online und formuliert: “Der Aufschwung geht an den deutschen Belegschaften vorbei.” Das stimmt ganz und gar nicht, wie etwa der Herdentrieb verdeutlicht. Der Zusammenhang zwischen Wachstum und Beschäftigung bleibt evident. Allerdings zeigt sich wieder, daß mittlere und kleine Betriebe für die Beschäftigung sorgen. Martin Kannegiesser schiebt das Elend auf die quasi normale Flurbereinigung und erklärt, “eine Firma könne auch bei günstiger Ertragslage nicht Mitarbeiter behalten, die sie nicht brauche“. Das klingt sehr plausibel, ist aber blanker Unsinn. Soziale Marktwirtschaft stellt an dieser Stelle nämlich die Frage, wie man die vorhandenen Mitarbeiter zumindest kostenneutral einsetzt. Bei noch besserer Auftragslage hätte man überdies motivierte und eingespielte Leute, die man eben doch braucht. Gewinne kann man auch so noch machen, und die reichen den nicht börsennotierten Gesellschaften derzeit. Wenn man allerdings selbst bei günstiger Ertragslage den Hals nicht voll kriegt oder einem gierige Großaktionäre im Nacken sitzen, ist das etwas anderes.
Was lehrt uns das? Es macht keinen Sinn, bei Großkonzernen ans Gerechtigkeitsgefühl zu appelieren. Konzentrieren wir uns lieber auf die Dynamik der Wirtschaft unterhalb der Konzerne, die in puncto “Gewinne” ein immer höheres Plansoll zu erfüllen haben. Hier herrscht noch ökonomische Rationalität, und hier ist der erste Arbeitsmarkt. Dem wird häufig viel zu wenig Beachtung geschenkt.

Die Diskussion um die Rente ab 67, oder wie der große Glos fabuliert, mit 69, zeigt, wie eindimensional die politische Diskussion in Deutschland ist. Wer “Rente” sagt, meint immer noch “Alter”, einen gesicherten Lebensabend, eben “ains is sischä – die Rändä”. Die einen tun so, als gäbe es das noch, damit man sie nicht abwählt, die anderen empören sich und fordern, daß es bald wieder so werde, als könne man die Zeit rückwärts drehen. Es wird sie nicht mehr geben. Es arbeiten zu wenige, die demographische Struktur wirft das nicht ab, und die Regierung Kohl hat den Karren aufgemotzt, um ihn mit einer phantastischen Geschwindigkeit an die Wand zu fahren. Rien ne vas plus.
Wozu also eine Diskussion um “die Rente”? Warum so tun, als erwarte die meisten Erwerbstätigen unter den heutigen Bedingungen etwas anderes als Armut? Warum eine Kuh schlachten wollen, die schon bis auf die Knochen verwest ist? Politiker verwalten, Journalisten schreiben ab – das ist der politische Diskurs im Jahr 2007. Wir haben zigmillionen Betroffene, die nicht mehr arbeiten dürfen, weil sie zu alt dazu sind – und doch zu jung für die Rente. Wir haben Geld satt im System und eine florierende Wirtschaft. Wir haben zigmillionen “ältere” Konsumenten, die noch kaum berücksichtigt werden und von den jugendwahnsinnigen Koksern der PR-Branche schlicht ignoriert. Was kann da wohl helfen? In der Tat kann der Markt hier eine ganze Menge tun. Er muß aber in Bewegung gesetzt werden. Was Not tut, ist ein Ideenwettberwerb um die Zukunft der “Alten”. Eine ganze Infrastruktur kann sich da noch bilden, die auch und gerade von erfahrenen Arbeitnehmern in Gang gehalten wird. Es ist gar nicht unrealistisch, daß Menschen auch über 60 noch “arbeiten”, daß sie noch produktiv tätig sein können. Dazu bedarf es allerdings eines Marktes, der nicht auf Akkord-Effizienz setzt, sondern auf Synergien, die entstehen, wenn man die Welt nicht in Lesitungsroboter und Nichtsnutze unterteilt. Zweiter Arbeitsmarkt? Wohl bedacht, könnte er der erste werden. Zumal, wenn man den Gedanken des Bedingungslosen Grundeinkommens einmal fruchtbar umsetzen würde. Es ist so vieles, das wirtschaftlich sein kann, wenn es sich entfalten darf. Aber da sind sie sich in ihrer Phantasielosigkeit alle einig: Etwas ganz Anderes wollen sie nicht, ob Gewerkschaften, Neoliberale oder Beamtenbund. Sie gehen lieber im Meer ihrer eigenen Lügen unter.

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