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November 2010


Das sind fast eine Million Menschen mit Top-Secret-Status.

Furchtbar, diese DDR! Ach, nicht die DDR? Dann wohl Südkorea? Schrecklich, ja. Ach, nicht Südkorea? Was dann?

Da bekomme ich einen Einlauf, weil ich Texte auch verkaufe, obwohl ich erklärtermaßen darum bemüht bin, selbst dabei gewisse Prinzipien einzuhalten. In diesem Blog verzichte ich auf die durchaus einträgliche Werbung für Waren von Amazon, weil ich Berichte über die dortigen Arbeitsbedingungen nicht ignorieren kann. Und so mancher kritisierte mich auch ob der Werbung für Mode aus Hanf, weil das ja schon kommerziell sei.

Die Welt ist schlecht. Man kann sie ein bißchen weniger schlecht machen oder schlechter, oder man kann alles gleich schlechtmachen, weil man damit auf der sicheren Seite ist. “Ich hab es euch ja gesagt”, heult man dann überlegen und tut, was sonst ein anderer täte. Eine Sünde ist wie die andere, wir sind alle Verbrecher. Am Ende ist kein Unterschied mehr zwischen einer Auftragsarbeit für einen Handwerker (Kapitalist) und der Vorbereitung des nächsten Holocaust.

Wenn man es sich weniger einfach macht, in die Niederungen der Kategorien steigt und die Grenze dessen sucht, was noch geht und was nicht mehr, trifft man auf Zweifelsfälle. Wohl dem, der nicht jedem erliegt und derart Schritt für Schritt den Zweifel mindert, wenn es nur das Einkommen mehrt. Und wehe dem, der es nicht einmal merkt, wenn er sich zum Büttel macht, zum Hofnarren, zur lächerlichen Figur. Allein die Vorstellung, noch von denen verachtet zu werden, die mich bezahlen, wäre mir ein Greuel.

Alle Spiegel abhängen müsste ich freilich, würde ich im Akkord Artikelchen abliefern, die nach Schleichwerbung förmlich stinken und das meinen Lesern als “seriösen Qualitätsjournalismus” unterzujubeln die Stirn hätte. Womit wir endlich beim Thema sind: Zuletzt sah ich mich häufig genötigt, die FAZ zu loben, einfach weil sie ihr Niveau gehalten hat, während fast alle anderen in den letzten Jahren souverän die noch erträglichen Schichten des Niveaus untertunnelt haben. Auch wenn das Blatt immer noch ziemlich weit rechts liegt und Schwurbel-Schirrmacher mich schwindeln macht, war es oft regulär lesbar.

Was aber dort inzwischen Usus ist an Verhökerjournaille, stürmt alle Charts. Allein in den letzten acht Tagen fielen mir drei Machwerke groben Gefälligkeitsgeschmieres auf. Das begann mit der Eloge auf klobige Fertighäuser (“Größer, edler, schöner, sparsamer“), setzte sich fort mit der fetischistischen Schleichwerbebroschüre für ein Auto (“Aufstand gegen die Erdanziehung“) und endet heute in dem “Müsst ihr sofort kaufen”-Geschwafel über das Macbook (“ein Objekt der Begierde, das man einfach haben muss“).
Wer soll ein Blatt noch ernstnehmen, das derart schamlos seine Käuflichkeit zur Schau stellt? Da kann ich ja gleich wieder SpOn lesen.

Ich hatte schon seit längerem die Absicht, mich zur Idee eines “bedingungslosen Grundeinkommens” (BGE) zu äußern, da ist der Artikel beim Spiegelfechter eine gute Gelegenheit. Jens Berger befasst sich dort einerseits nur mit dem “Althaus-Modell”, andererseits mit den Aspekten des BGE, die meiner Ansicht nach eher verzichtbar sind. Es geht dabei meist um Berechnungsgrundlagen, Finanzierbarkeit und einen Vergleich zum heute gegebenen Zustand.

ausbeutsrgDie Diskussion insgesamt ist typisch deutsch. Dazu hat auch und vor allem Götz Werner beigetragen, jener Milliardär, der schon ein Menschenfeind sein muss, weil er so stinkreich ist. Das von ihm propagierte Ulmer Modell zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass schlaue Ökonomen es durchgerechnet und ihm Finanzierbarkeit bescheinigt haben. Der ökonomische Ansatz, der besagt, alle Kosten – also auch Steuern und Sozialabgaben – würden im Endeffekt über den Produktpreis getragen, führt dabei zu der logischen Konsequenz, nur noch eine Steuer zu erheben, nämlich die auf den Preis. Die Mehrwertsteuer.

Und nun wird also fröhlich diskutiert, über Finanzierungsmodelle und die Folgen für die Volkswirtschaft, über sinistre Motive eines Milliardärs und die heuchlerische Adaption der Idee durch den gefallenen CDU-Funktionär Dieter Althaus. Dabei ist längst alles klar und gar nichts: Die Ulmer Porfessoren haben ja errechnet, dass es funktioniert, gleichzeitig aber betont, dass niemand vorhersagen kann, wie sich eine Umstellung auf das neue Modell langfristig auswirken würde. Ja wie denn auch? Das weiß man doch nicht einmal vom gegebenen System, da ist nur eines gewiss: Die neoliberalen Vorhersagen der Wirtschaft taugen weit weniger als die der Wetterfrösche.

Die Wiederherstellung der Menschenwürde

Im Kern geht es doch um etwas völlig anderes. Es geht um die Wiederherstellung der Menschenwürde. Deren real existierende Verlaufsform in den Ämtern, den Medien und der Politik, zwischen Arbeitszwang und Armenbeschimpfung, kann nicht das sein, was das Grundgesetz als “unantastbar” bezeichnet. Das Menschenrecht auf eine Existenz bedarf auch einer ökonomischen und ethischen Basis. Ökonomisch bedarf es der Möglichkeit zur Teilhabe, ethisch ist zu sichern, dass das Recht darauf nicht infrage gestellt wird. Genau dies geschieht aber, wenn Menschen sich für ihre Bedürftigkeit rechtfertigen müssen. Dieses Recht wird pervertiert, wenn es juristisch nur unter Zwängen zugestanden und moralisch durch eine aufgestachelte Öffentlichkeit vollends aberkannt wird.

eurosnakeDen Armen ihre Würde zurückzugeben bedeutet in einer vorläufig kapitalistischen Gesellschaft, sie unabhängig zu machen. Es bedeutet, sie von Zwang und Schikane zu befreien, und es bedeutet, ihnen eine souveräne Rolle im Marktgeschehen einzuräumen. Damit müssten sich eigentlich alle zufrieden geben können, nicht zuletzt diejenigen, die glauben, der Wettbewerb sei das Zaubermittel der marktwirtschaftlichen Alchimie. Es geht also auch darum, den Wettberb um Arbeitskräfte zu beleben, um Arbeit als solche einer positiven Entwicklung zuzuführen.

Darauf könnte man sich endlich doch einmal einigen: Dass ein Arbeitszwang sozial, ökonomisch und ethisch nicht hinnehmbar ist. Dass es niemandem hilft, sich mit der Hatz auf angebliche Faulpelze aufzuhalten, wenn die Wirtschaft auf ihre Mitarbeit problemlos verzichten kann. Dass das Prinzip “Fordern und Fördern” nicht funktioniert, weil Zwang niemanden fördert. Im Gegenteil zerstört er die Motivation der Betroffenen endgültig und verhindert Wettbewerb in einem der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft. Das haben sogar solche Leute erkannt, die persönlich kein Problem damit haben, Menschen auch mit der Peitsche zur Arbeit zu treiben.

Zwang fördert niemanden

Die Verwässerung dieses möglichen Konsenses durch Finanzierungs-Planspielchen und gegenseitige Unterstellungen kann nur denen dienen, denen die heutige Situation der Unterschicht zupass kommt und die sie deshalb gar nicht ändern wollen. Zur Umsetzung neuer Modelle hat man noch viel Zeit und Muße und kann viel ausprobieren. Ob sich wirklich allein durch eine Produktsteuer die öffentlichen Haushalte und das Sozialwesen finanzieren lassen, wird man sehen. Auch die Besteuerung großer Vermögen und vor allem Erbschaften darf weiter diskutiert werden.

Was aber schon morgen problemlos umgesetzt werden kann und eine völlig neue Dynamik auslösen würde, ist die Abschaffung des Arbeitszwangs für Bedürftige. Als nächstes muss man dann über eine Ausweitung der Zuverdienste und eine Vereinfachung der Bedürftigkeitsprüfung sprechen.
Man müsste dann allerdings auf einen gern genutzten Sündenbock verzichten, da dürfte das Problem liegen. Man will ja nicht nur noch auf den Ausländern herumhacken und dadurch unangenehme politische Konkurrenz nach vorn bringen.

Der “kühle Stratege” nimmt Einsparungen vor, hat “Löhne gekürzt, Schulen und Krankenhäuser geschlossen“, er weiß: “der drastische Schritt ist alternativlos“.

Um wen es sich handelt, um welches Land in welchem Zustand, das ist inzwischen völlig egal. Die Sprüche, Weisheiten und Erfolgsrezepte sind dieselben. Die Zitate beziehen sich übrigens auf Lettland und dessen Premier Valdis Dombrovskis. Ein Anfänger, wie man merkt, denn es heißt weiter:

“Er möchte sich nicht zum Lehrmeister für andere Regierungschefs aufschwingen, doch er gibt einen Rat: ‘Ziehen Sie die Sparmaßnahmen schnell durch.’

Sehr witzig, wir machen das hier seit 30 Jahren. Und die Sueddeutsche tut auch wieder so, als wüsste sie nicht, wo das endet:

Die Menschen halten ihn für ehrlich und glauben, dass er seine Machtposition nicht ausnutzt, um sich selbst zu bereichern. Damit bildet er eine Ausnahme in der politischen Elite Lettlands, die viele Bürger mit Korruption und Gier verbinden“.

Wessen Rezepte sind das wohl, welche Eliten haben die “Krise” ausgelöst und wer löfffelt das jetzt aus? Wer das System von Korruption, Gier und Bereicherung noch immer nicht duchschaut hat, muss schon Gründe dafür haben. Dass Matthias Kolb dabei von “Einsicht in die Notwendigkeit” spricht, ein Zitat, mit dem die Kommunisten gern jede Unterdrückung zu einem Akt der “Freiheit” erklärt haben, freut mich. Ich habe schon lange das Gefühl, dass die Propaganda sich kaum mehr von der des Politbüros unterscheidet.

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