Die TAZ weist darauf hin, daß es sich bei der bevorstehenden Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt nicht um einen Gnadenakt, sondern um die Umsetzung eines Rechtsanspruchs handelt. Daß die Presse im Schulterschluß mit vorwiegend rechtskonservativen Politikern das in einen Topf mit dem Gnadengesuch von Christian Klar wirft, ist klar. Der Titel “Gnade” ist griffiger, Gnade muß man sich verdienen, und Terroristen verdienen keine Gnade. Das zuwiderläuft zwar nicht nur der Idee der Gnade und hat eben nichts mit der Resozialisierung von Lebenslänglichen zu tun, aber es paßt ins rechte Weltbild.
Ich wundere mich beinahe, daß die Debatte dennoch nicht mit Schaum vor dem Mund geführt wird. Denn selbst Menschen, die die Anschläge der ersten Generation der RAF als Widerstand gegen die amerikanische Kriegsmaschinerie (im Vietnamkrieg) und den militärisch-industriellen Komplex legitim fanden, können nicht umhin zu erkennen, daß gerade Klar und Mohnhaupt brutale Killer waren, die erst über Leichen gingen und dann nach dem Sinn der Aktion fragten. Dennoch sieht das Justizsystem auch für solche Menschen noch eine Chance vor, wenn sie nach 24 Jahren und einem halben Leben in Haft nicht mehr als gefährlich gelten. Die Zeit hat nicht nur die Gefangenen geändert, sondern die politische und soziale Situation völlig umgekrempelt. Der Kampf der RAF ist absurd geworden, und sie hat das erkannt.
In dem Entwicklungsprozeß, der mit der Freilassung der Gefangenen zu einem Abschluß kommen kann, stecken lebendige Geschichte, Trost und Hoffnung. Denn er zeigt, wie einst fanatisch und blutig umgesetzte Ideologien in wenigen Jahrzehnten völlig irrelevant werden können. Die Absurdität von Militanz und Terror läßt sich hier vortrefflich studieren: Sowohl als Tat der Mörder als auch als überzogene Gegenaufrüstung des Staates wird im Rückblick der Krieg im Innern zur Farce. Daraus kann man lernen. Was den Terror überwunden hat, war keine Schleppnetzfahndung und kein Ausschalten von Rädelsführern, es war die schlichte Erkenntnis, daß sich eine Gesellschaft nach anderen Gesetzen als denen der direkten Machtausübung entwickelt. Es ist die Erkenntnis, daß Zukunft nicht planbar ist und schon gar nicht erzwungen werden kann. Wer das erkennt, kann zumindest teilnehmend gestalten. Wer immer wieder die alten Rezepte herauskramt und auf jede Frage eine Antwort aus dem Nähkästchen hat, mag den Jubel des Pöbels ernten, bewegen wird er damit aber nichts.