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August 2012


 
spies

Mein Platz an der Sonne oder unter dem Regen ist das Glück der wärmeren Monate, und wenn es so weitergeht mit dem April, gibt’s den bald rund um die Sonne und ich kann jeden Tag des Jahres hier sitzen. Diesen ‘Sommer’ gab es schon 4000 Seiten von einem Schmöker äußerst zweifelhafter Machart, der nur in sehr bescheidenem Maße zur Bildung beiträgt. Revolution könnt ihr mit mir nicht mehr machen, jedenfalls nicht, bevor ich das Kapitel zu Ende gelesen und den Kaffee ausgetrunken habe. Es sei denn, ich würde gentrifiziert. Dann wäre ich sehr solidarisch mit mir und stünde auf, um der Macht entgegenzutreten. Vermutlich mit einer Streitaxt. Mit einem Langschwert könnte ich hier ja nicht mal ausholen.

Nachdem der SPD-Chef für den Durchmarsch des ESM gesorgt hatte, hat er sich bekanntermaßen dafür ausgesprochen, dagegen zu sein und verhindern zu wollen, dass seine Unterstützung Merkels zu den gewünschten Resultaten führt. Nunmehr hat er sich die Meinung dreier großer Männer zueigen gemacht, die noch einen Schritt weiter gehen wollen. Gabriel weiß zwar nicht, in welche Richtung, ist aber entschieden dafür. Aus gut informierten Kreisen heißt es, er arbeite bereits an einem vehementen Widerspruch zu seiner aktuellen Meinung.

Drei, die niemand gefragt hat – Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin, wollen einen “Verfassungskonvent”, um endlich die lästige Haushaltssouveränität des Bundestages abzuschaffen. Dabei zeigen sie sich recht geschmeidig in der Frage, wer das Geld den Menschen künftig abpressen und weiterleiten darf: “Europäische Institutionen” sollen es sein, nur welche, das bleibt ungewiss.

Zwar ist vom Europäischen Parlament die Rede, das aber vertritt weder “Kerneuropa” noch die Eurozone, wäre also nach wie vor der falsche Repräsentant. Ganz außen vor lassen die drei Genies, dass eine EU-Verfassung nicht erwünscht ist und der “Vertrag” all dem widerspricht, was sie fordern sowie all dem, was längst getan wird. Wollen sie vielleicht so lange Abstimmungsmikado spielen, bis sich endlich kein Widerstand mehr gegen eine Blankoermächtigung regt?

Fair is foul and foul is fair

Der Kniefall der Politik vor der Verwüstung Europas durch die neoliberale Ökonomie soll endgültig sein, und das ist nicht bloß alternativlos, sondern die einzige Rettung vor Hölle und Verdammnis: Alles andere nämlich sei der “Abschied von der Weltgeschichte“. Es gab Zeiten, da hat man sich mit einem tausendjährigen Reich bescheiden können. Die deutsche Geistesgröße von heute hingegen droht gleich mit der Ewigkeit.

Dass Gabriel nicht der Einzige ist, der sogar mit diesem intellektuellen Limbo unter der Türkante überfordert ist, wird sogleich dröhnend unter Beweis gestellt. Diejenigen, die eigentlich dafür sein müssten, weil der von ihnen angeleierte Putsch nur so zum Erfolg geführt werden kann, sind erst einmal dagegen und nennen das Vorhaben “Schuldensozialismus”; ein Wort, das so dumm ist, dass man beim Versuch einer semantischen Annäherung selbst den Verstand zu verlieren droht. Wenn sie sich beruhigt und die nächste Landtagswahl überstanden haben werden, darf man ihrer nicht minder lauten Zustimmung gewiss sein.

Woran erinnert mich das? An Ozeanien, Eurasien und Ostasien. Es ist egal. Alles egal. Heute dafür, morgen dagegen, mit denselben Argumenten oder den Gegenargumenten, es spielt keine Rolle. Die neuen Bosse sind die alten Bosse.

Wenn es derzeit einen gibt in Europa, der die inkarnierte Verschwörung darstellen könnte, so ist es Mario Monti. Der Ministerpräsident Italiens, von der Finanzwirtschaft Gnaden Nachfolger Berlusconis, mauschelt in jedem sinistren Club mit, den es eigentlich nicht geben dürfte, von den Bilderbergern über Rockefellers “Trilaterale Kommission” bis hin zu Think Tanks und der schon obligatorischen führenden Tätigkeit für Goldman Sachs ist alles dabei. Ein Musterdemokrat, wie man also annehmen darf, und so tritt er auch auf.

Die Regierungen sollten ihre “Parlamente besser erziehen“, lässt er verlauten und stellt damit zwar jedes Verständnis von Demokratie auf den Kopf, aber auch klar heraus, was er von der ganzen Veranstaltung hält: Gar nichts. Wenn es also noch immer Parlamente gibt – wohlgemerkt nicht Regierungsfraktionen, sondern einschließlich der Opposition -, die sich dem geschmeidigen Abnicken der finanzmarktlichen Notwendigkeiten in den Weg stellen, so ist “Erziehung” nötig. Gut, dass er nicht mitteilt, welche Mittel er sich da so vorstellt, es hätte vielleicht für einen Skandal gereicht.

Griechen raus!

Nicht weniger beeindruckend ist allerdings die Reaktion der königlich bayrischen Wahlkämpfer auf den anderen Kollegen von Goldman Sachs, der die EZB vorsitzlich besetzt, Mario Draghi. Nicht etwa, weil sie sich Sorgen um die Demokratie machten oder nicht am Gängelband der Oligarchen zappeln wollten, nein. Weil sie ein “Exempel statuieren” wollen an “den Griechen“, die gefälligst den Euro zu verlassen hätten. Die seien selbst schuld, an allem. Nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang der von der europäischen Dreifaltigkeit eingesetzte Interimscoach Papademos, der ganz zufällig mit trickreicher Hilfe von Goldman Sachs als Notenbankchef Griechenlands an der Euroeinführung beteiligt war.

Mit solchen Hintergründen, die direkt in die Hölle der Geheimzirkel hie und also der Verschwörungstheorie dort führen, gewinnt man aber keine Wahlkämpfe. “Griechen raus!” kommt da schon besser. So haben alle etwas von dem Abenteuer zwischen dem großen Geld und der kleinen Welt. Es wird auch weiterhin keine Partei rechts von der CSU geben.

 
neopirEin “liberales” Stück Seife ist der Vorsitzende der Piratenpartei, Bernd Schlömer. Im Gespräch mit Katja Kipping und Jakob Augstein weicht er jeder Profilierung aus, nennt Inhalte “Ideologie” und hält die persönliche Meinung eines Politikers für ein “Vorgreifen” von Beschlüssen. Sein Auftreten ist recht inkongruent; verbale Lässigkeit wird von einer verkrampften Körpersprache konterkariert. Er scheint tatsächlich als Person lieber nicht stattfinden zu wollen, ein Fisch im Schwarm, der zufällig der Vorsitzfisch ist.

Nun sollte man hoffen, dass eine Person an prominenter Stelle im Politikbetrieb, die sich so bescheiden formlos gibt, eben ein Programm vertritt, dem sie sich ganz verschreibt. Dazu sagt Schlömer aber, die Piraten würden zwar
ein Stückweit aufgrund ihrer Programmatik gewählt“, in erster Linie aber wegen einer allgemeinen “Wechselstimmung“. “Insbesondere junge Menschen” seien “von pragmatischen Lösungen geprägt, nicht von Ideologie.”

Bevor ich mich dem eingehender widme, noch ein Beispiel für solche “Pragmatik”:
Von Kipping nach einer Abschaffung der Netzneutralität befragt – unter dem Hinweis, dass jene wie im echten Leben den Reichen Vorfahrt einräume, beschränkt sich Schlömer auf ein Verständnis von Netzneutralität, das aufhorchen lässt:
Die Piraten seien für Lösungen, mit denen “Monopolbildung verhindert wird“, “Monopolbildung und Oligopolbildung reduziert und ausgeglichen werden“.

Liquid Charaktermask

Wenn der Mann nun weder als Vertreter einer Programmatik noch als Person stattfinden will, darf man dann wenigstens das, was an Äußerungen noch übrig bleibt, wörtlich nehmen? Eine Marktregelung, die Monopole und Oligopole “reduziert” ist also das pragmatische Ziel der Piraten? Die Oligopole zulässt, aber “ausgleicht”? Selbst die Netzneutralität beschränkt sich demnach auf eine Art kartellamtlich überwachte Förderung des Kapitals. Und das ist dann also “ideologiefrei”?

Der ganze Sermon ist politisch nicht ernstzunehmen. Schon die Definition als Partei der “Wechselstimmung” taumelt willig dem Untergang entgegen, der eben kommt, wenn die Stimmung kippt. Es lässt keinerlei Inhalt erkennen und wird dann noch mit dem Etikett “liberal” versehen. Ein Stückweit liberal mit Markt und ausdrücklicher “Staatsskepsis”, also? Mich gruselt’s.

Der “Wechsel”, der sich andeutet, ist der von einem bewussten neoliberalen Klassenkampf zu einem naiven Aufguss, der das Resultat jahrzehntelanger Propaganda “Pragmatismus” nennt. In einem Anfall gefühlsseliger Schwärmerei hätte Schlömer dann gern noch ein Stückweit Solidarität, will sie aber nicht so nennen, vielleicht weil das uncool wirkt. Er sagt stattdessen “Verantwortung füreinander” und wiederholt ganz ideologiefrei die neoliberale Parole.

Gähnende Leere

Sich nach allen Seiten offen Zeigen und sich dabei tief Bücken scheint die piratische Kunst werden zu sollen. Am ESM zum Beispiel hat der Vorsitzende den Entscheidungsprozess zu kritisieren, nicht etwa das Resultat. Inhalte interessieren ihn nicht einmal, wenn die Welt aus den Angeln gehoben wird. Sollte ein angemessener Entscheidungsprozess dazu führen, erklären wir also Polen den Krieg oder wie?

Es ist extrem ermüdend, Schlömer zuzuhören. Wo er nicht neoliberale Parolen drischt, wiederholt er monoton sein Selbstlob über die großartigen Strukturen in der Piratenpartei, die alles ändern würden. Er selbst hingegen schwitzt aus allen Poren, dass die Piraten keine Alternative sind, sondern eine Karikatur. Er redet einen Brei wie alle anderen, die sich auf nichts festlegen, damit niemand das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit überprüfen kann. Davon haben wir mehr als reichlich. Selbst Augstein hält ihm das vor, und Katja Kipping lässt ihn in der Hälfte der Redezeit schlicht alt aussehen.

Der Bürokrat als Chef der “Piraten” zerlegt eigentlich das Letzte, was sie noch attraktiv macht: Ihr Design, das coole Image, den Ruch von den Outlaws, die sich ihre Gesetze selber machen. Am Ende werden sie aber doch bloß eine Variante sein jener Plünderer, die den Armen nehmen und den Reichen geben. Denn dagegen gibt es noch keinen Beschluss des virtuellen Parlaments, also ist das wohl so in Ordnung.

 
fon

Was sagt wohl der Lobo dazu? Hätte er das kommen sehen müssen? Oder sollte er am Ende auch nicht besser beraten können als die gelackten Jungs mit dem Strick um den Hals?
Beim Gesichtsbuch gab es also einen Kotorkan, nachdem jemand sich bei Vodafone öffentlich über miese Behandlung beschwert hatte. Aber Halt! Service aus der untersten Schublade? Abzocke womöglich? Bei einem Telefonanbieter? In Deutschland? Das kann nicht sein, das gibt es doch gar nicht!

Wer könnte nicht Romane erzählen von solchen Erfahrungen? Ich selbst hatte sogar bei zwei Anbietern mit Früchten zu tun, die so hohl waren, dass sie mir noch vor Vertragsabschluss sämtliche Folterinstrumente ihrer unfähigen Company gezeigt haben. Ein Unternehmensberater, der noch Kleinunternehmern in die Augen schaut, sagte mir einmal: “Sie können genau erkennen, wer von McBerger oder Roland Kinsey beraten wurde: Da geht niemand mehr ans Telefon.”

Telefonterrorzentrale

Ausgerechnet die Telefongesellschaften haben nämlich den neoliberalen Terror kultiviert, unterbezahlte biersaure “Agenten” in die Legebatterien sogenannter “Callcenter” zu pferchen, um ihren Kunden bei jeder Gelegenheit zu demonstrieren, dass Telefonieren ein einziges sinnloses Ärgernis ist. Selbst sportliche junge Menschen treiben sie damit in Windeseile an den Rand eines Schlaganfalls. Für die Zahlenakrobaten des Managements und ihre kondebilen Berater sind ihre Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen Menschenmaterial, das nur einem Zweck dient, nämlich dem beschleunigten Schaufeln von Kohle auf die Halden der sogenannten “Investoren”.

Dies ist das Musterbeispiel für die widerwärtige Philosophie des “Shareholder Value” und belegt anschaulich, warum jeder diesen Begriff kennt, während niemand weiß, was ein Stakeholder Value sein soll. Dabei ist der nicht einmal böser Kommunismus, sondern bloß ein kapitalistischer Ansatz, der erkennt, dass es suboptimal sein könnte, wenn alle Beteiligten ausgequetscht werden wie die Zitronen, damit die Teilhaber fetter werden.

Tagesbefehl: Spaß für alle!

Im Schlepptau solcher Menschenfreunde kriechen Horden von Paragraphenzombies übers Land und stürzen sich auf alles, was nicht bei drei gezahlt hat oder öffentliche “Tatsachenbehauptungen” äußert, welche jene Tatsachen behaupten. Die sind nämlich völlig unerwünscht, da muss man sich ja nur einmal die PR-Gülle anschauen, mit der sich die Konzerne von willigen Drogenopfern ihre Felder fluten lassen.

Die bunte heile Welt voller sympathischer Menschen, wo der Chef sich persönlich um seine Kunden kümmert und ihnen den Anschluss legt. Wer jemals mit den Originaldilettanten solcher Firmen zu tun hatte, kann nur mühsam die spontane Gewaltneigung unterdrücken, die ihn angesichts dieser Lügen überkommt. Auch wenn man Sascha Lobo nicht eh schon immer mal den Pornobalken rot färben wollte.

Kurzum: Das habt ihr euch verdient, und ihr werdet wie immer nichts daraus lernen. Wie auch? Was sind eure Alternativen? Ehrlichkeit? Wäre ruinös. Mehr Kundenfreundlichkeit? Habt ihr gar nicht drauf, machen eure Aktionäre und ihre nadelgestreiften Edelsklaven auch nicht mit. Qualifizierte, gut bezahlte und motivierte Mitarbeiter? Siehe oben. So ist das halt am Markt®. Da haben 99% keinen Bock mehr, und das müssen sie sich dann auch noch als ganz großen Spaß verkaufen lassen.

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