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April 2008


“Zuviel” Staat ist für radikale Wirtschaftsliberale, auch “Neoliberale” genannt, der Urgrund aller Probleme. Der Staat solle nicht in die Märkte eingreifen, dies sei schädlich fürs Wachstum. Daß manche dann doch nach dem Staat rufen, wenn es (wie bei den Banken) im Markt kriselt, soll einmal nicht das Thema sein. Ich will auch konzedieren, daß es viele behördliche Eingriffe in geschäftliche Belange gibt, die schädlich, überflüssig und schlicht dumm sind. Es ist also durchaus richtig zu fragen, wo es solche Eingriffe gibt und wie man sie verhindern kann. Das ist im Interesse von Unternehmern und Bürgern gleichermaßen. Nicht diskutabel ist hingegen, ob der Staat das Recht dazu hat. Er hat, denn er ist bei allem das institutionalisierte Recht.
Wenn Vertreter des Staates, der Behörden und Regierungen, also die Belange der Wirtschaft berücksichtigen, ist das oft klug. Es ist darüber hinaus ein Zugeständnis, das der Staat machen kann, aber nicht muß. Das haben die Vertreter des Staates inzwischen weitgehend vergessen. Die Vetreter der Wirtschaftsverbände hingegen sehen das anders und fühlen sich berufen, selbst dem Staat Vorschriften zu machen. Sie dürfen das so sehen, denn im Gegensatz zum Staat sind sie zuerst sich selbst verpflichtet. Sie dürfen hemmungslos fordern. Ob das klug ist, ist eine andere Frage. Vor allem aber gibt es Grenzen der Einflußnahme, die bestehendes Recht verletzten und sogar das Recht als solches beschädigen. Wenn Wirtschaftsverbände und ihre mannigfaltigen Organisationen sich in behördliche Vorgänge regelrecht einschleichen und Konglomerate mit willfährigen Politikern bilden, ist das illegal. Sich darauf zu berufen, daß eine offensichtliche Bestechung nicht stattfindet, ist absurd. Wenn jemand einen Koffer mit Geld entgegennimmt als Belohnung für die Durchsetzung privater Interessen, ist das nicht die einzige Form von Bestechung. Sogar das kommt vor, und sogar das bleibt oft straffrei. Daß ein Schäuble noch Innenminister ist, ist ein nicht zu überbietender Skandal. Dies ist aber nur die Spitze des Eisberges. Was Lobbyisten inzwischen treiben, und wie weit ihnen die Tore dabei offenstehen, gefährdet die Integrität des Staates und den inneren Frieden. Es zeigt, daß Korruption nicht eine Summe von unerwünschten Vorgängen der Vorteilsannahme und -gewährung ist, sondern eine Haltung. Diese Haltung hat sich so breit und tief bei den “Eliten” festgesetzt, daß man an eine Selbstreinigung kaum mehr glauben kann. Ein neuerliches Beispiel ungeheuerlicher Ignoranz gegenüber den Rechten und Pflichten eines Amtsträgers ist die Selbstbedienung des amtierenden Ministerpräsidenten von Sachsen an Geldern der Landesbank. Er hat es sich zwar “nur” geliehen, aber jeder, der das in einer Firma macht, fliegt erst raus und landet dann vor dem Kadi.
Die tiefgreifenden Veränderungen, die notwendig wären, um noch von einer “Demokratie” sprechen zu können, sind benennbar:
Der Staat und seine Vertreter dürfen keine Amtsträger dulden, die nicht klar und deutlich Staatsgeschäfte und Wirtschaftsgeschäfte trennen. Amtsträger dürfen keinerlei wirtschaftliche Vorteile aus ihrem Tun ziehen. Sie düfen ihre Parteien und schon gar nicht sich selbst aus der Wirtschaft finanzieren lassen. Sie dürfen auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt keinerlei wirtschaftlichen Nutzen aus ihrer Amtstätigkeit ziehen. Es mag hier und da Grenzfälle geben, aber was Leute wie Milbradt, Schily, Schröder, Schäuble und Co. veranstaltet haben, ist nach demokratischen Maßstäben schlicht kriminell. Wenn es dennoch de jure nicht gegen geltendes Recht verstößt, muß man das Recht anders anwenden.
Was die Wirtschaftsverbände, ihre Organisationen und Vertreter angeht, so kann man sie einfach an ihren eigenen Forderungen messen. Möglichst wenig Staat in der Wirtschaft heißt umso mehr: Keinen Einfluß der Wirtschaft auf den Staat! Das erschütternde Gegenteil ist die Praxis, und es ist unbegreiflich, daß sich gewählte Parlamentarier nicht gegen die feindliche Übernahme durch das Netz von Lobbyisten und Geldgebern erheben.
Wie gesagt: Eine Selbstreinigung ist nicht in Sicht. Dies umso mehr, als daß die “Vierte Gewalt” ein nasser Papiertiger geworden ist. Wo ist das Sturmgeschütz der Demokratie? Wo ist auch nur eine ernstzunehmende publizistische Opposition? Es ist ein Trauerspiel.

Wie soll man Gewerkschaften kaufen, wenn die Beschäftigten genug in der Tasche haben? Das könnte doch kein Betrieb mehr bezahlen!

Sie laufen mir heute zum zweiten Mal innerhalb einer Woche vor die Flinte, nachdem ich Sie schon am 30.03. bei einem nützlich-depperten und recht peinlichen Interview erwischt habe. Gestern überflog ich die Zeilen in der SZ: “Auf der re:publica treffen sich die Bewohner des Internets offline. Sie reden über Blogs, Open Software, File-Sharing. Und, obwohl Nerds eigentlich als asexuell gelten: sogar über Pornos.”
“Wie kann man nur soviel Bullshit in ein paar Zeilen quetschen”, wollte mein Hinterhirn von mir wissen, aber ich beruhigte es – waren es doch nur die Sueddeutsche und die Bloggerei, die sich da trafen. Zwei Dinge, die nun mal nicht so gut zusammen passen. Ich beachtete es daher nicht weiter, traf aber heute bei Thomas Knüwer wieder auf Besagtes und las Ihren Namen. Herr Knüwer hat Ihre Leistung hinlänglich gewürdigt, daher stecke ich die Flinte auch wieder ein. Spätestens nach diesen Ohrfeigen wären Sie Opfer, nicht mehr Gegner.
Ich möchte Sie also mit einer Bitte entlassen: Wenn Sie zukünftig ihrem Beruf nachgehen, der Ihnen noch nicht wirklich Berufung zu sein scheint, dann machen Sie es doch, wie es ihre leider bereits völlig disqualifizierten Kollegen so plakativ fordern: Bilden Sie sich eine Meinung! Und zwar mit dem Handwerkszeug, das zu lernen Sie die Gelegenheit hatten. Schreiben Sie nicht einfach im Auftrag von irgendwem irgendetwas. Ich sage dies ganz ohne Hohn. Sie haben Fehler gemacht. Fehler, die in Ihrer Zunft leider eher kultiviert als korrigiert werden. Ihr Job ist nämlich wichtig, und zwar vor allem für Ihre Leser. Auch, wenn Ihre Redaktion das häufig anders sieht.

Heute: Manuel J. Hartung bei zeit.de:
Nichtsdestoweniger finanziert die Krankenschwester mit ihren Steuern das Studium des Chefarztsohns. Gibt es keine Studiengebühren, bedeutet das, »den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten«. Wer das schrieb? Karl Marx!
Wenn ich schon “Krankenschwester” lese, wird mir ganz anders. Der Axel-Springer-Preis-Träger Hartung ist wohl einer von denen, welche die Erotik der pflegenden Unterschicht mit der Muttermilch im Puff aufgesogen haben. Geiler geht’s nicht: Kittel, Titten, Schwitzarbeit, schlecht bezahlt und doch sozial so wertvoll. Anstatt zu fordern, daß die arme Krankenschwester sich und ihren Kindern ein Studium finanzieren kann, muß sie herhalten für die Absage an Solidarität, weil sie davon ja nicht profitiert. Nur als Arme taugt die Krankenschwester zum Argument. Nur als Arme bleibt sie erotisch, denn sie wäre unerreichbar, könnte sie es sich nur leisten.
Die Konsequenz: Da die arme Arme “Krankenschwester” und ihr soziales Umfeld sich kein Studium leisten können, sollen sie zwar weiter Steuern zahlen, aber von diesen Steuern soll weiterhin ihrer Klasse kein Studium finanziert werden dürfen. Mehr noch: Sollten sie oder ihre Kinder auf die abartige Idee kommen, studieren zu wollen, muß man ihr klar machen: Das kostet! Pech gehabt, Krankenschwester. Wir können es dir nicht zumuten, den Chefarztsohn zu finanzieren. Deshalb darf der Chefarzt auch deinen Sohn nicht finanzieren.
Ein wunderbares Beispiel agenda-sozialdemokratischer Solidarität. Und das Beste ist: Das meint Herr Hartung ernst. Dafür gebührt ihm der Feynsinn-Kittteltitten-Q-Journalismuspreis des Tages.
Karl Marx wird heute übrigens nicht dazu befragt. Der ist für mich schlicht Schnee von gestern.

sponbillig

Wie hättens’ denn gern? Die Reflexe der medial vermurksten Politeska ersetzen allmählich jeden Anflug von geistiger Auseinandersetzung. Vorab: Chinas Vorgehen in Tibet ist völlig inakzeptabel. Das sollte aber gerade ein Grund zur Differenzierung sein.
Daß CDU, meinetwegen auch SPD und SpOn sowieso die große Empörungstrommel rühren, wo immer sich die Linke zum Dämon aufpumpen läßt, ist ja noch beinahe nachvollziehbar. Die Motive sind offensichtlich, und wenn man nicht nachdenkt, tut man halt, was einem so in den schwachen Sinn kommt. Wie aber die Linke selbst, vor allem deren Chefetage reagiert, ist so undemokratisch, wie man ihr vorwirft zu sein. Allerdings nicht, weil ihre Mitglieder Meinungen jenseits des Mainstreams vertreten, sondern, weil man solche Meinungen unterdrückt, die scheinbar dem Image schaden.
Man kann vom Dalai Lama halten, was man will, aber er ist eine religiös-politische Figur ohne jede demokratische Legitimation. Selbst das, was im Vatikan vor sich hin schnorchelt, ist gewählt. Zwar nicht wirklich demokratisch, aber dafür ist der Vatikan auch kein rohstoffreiches Flächenland. Um den wird sich niemand prügeln. Und wenn der Papst meint, er müsse Bayern für autonom erklären, hätten die Deutschen ganz sicher auch etwas dagegen. Zugegeben, der Vergleich mit Chomeini ging noch ärger am Stock. Aber dahinter steckt ein durchaus berechtigter Punch gegen die Beliebigkeit, mit der heute Dieser, morgen Jener als Partner des Westens fungiert. Erst war das Verbecherregime des Schahs im Iran opportun, dann erschien es ganz recht, ihn wieder los zu werden. Pech gehabt: Die Mullahs sind keinen Deut besser. Wer ernsthaft glaubt, “seine Heiligkeit”, wie “Der Spiegel” den Dalai Lama anzusprechen beliebt, sei eine politische Trumpfkarte, hat den Knall nicht gehört.
Das alles spielt keine Rolle im großen Theater. “Political Correctness” war gestern, heute gibt es eine mediale Gesamtwahrheit, und wer dagegen ätzt, wird niedergebrüllt.
Die Fraktion (der Hamburger Linkspartei) wolle den Inhalt der Reden künftig vorab besprechen, berichtet die Zeitung. Der Vorfall sei auch der Unerfahrenheit der Fraktion geschuldet gewesen, sagte Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn.
“Unerfahren” heißt wohl, daß sie nicht passend für die Tagesschau formulieren. “Vorab besprechen” ist freilich nichts anderes als Zensur durch die Führung von Fraktion und Partei. Das also ist die Reaktion der Linken, um sich als “demokratisch” zu erweisen. Es ist zum Davonlaufen.

“Vollbeschäftigung” verspricht uns der Glos Michel dieser Tage. Der Arbeitgeber-Hundt assistiert ihm und stellt fest: Immer brav auf Agenda-Kurs bleiben, dann wird das schon. Bernd Rürup, Merkels treuer Hausökonom, findet das auch alles gut und klatscht ebenfalls Beifall. Am liebsten hätten sie es mit niedrigen Löhnen und Steuern.
Beim WDR hat heute Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Bremen, seine Meinung zu Michels Glaubensbekenntnis kundgetan. Leider ist sie nicht auffindbar dokumentiert. Hickel stellte zunächst einmal frech die Frage, was denn “Vollbeschäftigung” sei. Wenn damit gemeint sei, daß jeder irgend einen Job machen solle, von dem er dann aber nicht unbedingt leben kann, dann sei das möglich. Genau dies scheint Herr Rürup zu meinen, wenn er von der “Weiterentwicklung des Arbeitslosengelds II zu einem wirksamen Kombilohnmodell” spricht. Ohne das Faß aufzumachen, was ein solches Model für den “ersten” Arbeitsmarkt” bedeutet, darf man ja schon mal fragen, was denn erstrebenswert ist an dieser “Vollbeschäftigung”. Es gibt schon heute Millionen Jobs, die zum Leben nicht ausreichen. Das heißt: Menschen gehen arbeiten, zum Teil sogar in Vollzeit, und der Staat muß dennoch einen beträchtlichen Teil ihres Lebensunterhaltes finanzieren. Sie stehen also als Niedrigststlohnkräfte ihren Arbeitgebern zur Verfügung, und damit das funktioniert, zahlt der Staat. Derselbe Staat, der möglichst wenig Steuern erheben soll. Interessanter Ansatz.
Hickel erklärte weiterhin, daß die andere Variante der “Vollbeschäftigung” völlig unrealistisch sei. Vollbeschäftigung sei daher überhaupt nicht erstrebenswert, es komme vielmehr darauf an, möglichst viele Stellen zu schaffen, deren Bezahlung zur selbständigen Finanzierung des Lebenunterhalts reicht. So weit die Rekonstruktion seiner Ausführungen aus meinem Gedächtnis.
Im Kern der ökonomischen Auseinandersetzung steht die Frage der Beteiligung von Beschäftigten an den Früchten ihrer Arbeit. Hickel warnt schon seit langem vor der “endgültige(n) Abkopplung der Arbeitnehmer von der Produktivitätsentwicklung” und den äußerst schädlichen Folgen für die Volkswirtschaft. Bis heute kann niemand seiner Gegner auch nur ansatzweise nachweisen, daß möglichst niedrige Löhne sich ökonomisch rechnen. Die Nachteile liegen aber auf der Hand: Totale Abhängigkeit von irrwitzigen Exportüberschüssen, schwache Binnenachfrage selbst bei hohem Wachstum und ein eklatanter Mangel an Fachkräften bei ausgelasteter Produktion. An Innovation darf man gar nicht denken in einem Arbeitsmarkt, der nur nach der Statistik schielt und Scharen subventionierter Hungerlöhner bejubelt, anstatt für ausreichend motivierte und ausgebildete Kräfte zu sorgen.
Völlig außen vor sind bei den Vollbeschäftigungsträumern die Interessen der Arbeitnehmer, sprich: Bürger. Soziale Gerechtigkeit wäre das Gegenteil solcher Vollbeschäftigung, und mir fehlt allmählich jede Erklärung dafür, was die Rürups, Sinns und Hundts an menschenwürdigen Arbeitsverhältnissen so furchtbar finden.
Was Großökonom Glos antreibt, ist hingegen leicht zu erkennen. Ich erinnere an den Namensgeber des Agenda-Elends und die eigentliche Ursache für Hartz I-IV, die seltsamerweise kaum je erwähnt wird. Es ging damals ja nicht um Reformen, geschweige denn sinnvolle Investitionen. Es ging um ein legendäres Wahlversprechen, das die Moralisten der Anti-Linken so gern vergessen würden: Die “Halbierung der Arbeitslosigkeit” innerhalb von drei Jahren, die Hartz im Auftrag von Schröder versprach. Was daraus wurde: Ein Wahlsieg für den einen. Was es dem anderen brachte, weiß ich nicht. Vielleicht ein Schweigegelübde in bezug auf gewisse Vorgänge?
Glos wird es freilich gar nichts bringen außer dem üblichen milden Kopfschütteln der Wissenden. Aber es klingt halt so schön, “Vollbeschäftigung”.

Gleich zwei davon bringt Sueddeutsche.de heute auf der Frontseite:

“Die Deutsche Bank wird durch die weltweite Finanzmarktkrise stärker belastet als angekündigt.”

“Die Schweizer Großbank UBS ist weit schlimmer von der Finanzkrise betroffen als bislang bekannt.”

Die Banken sind von Bankgeschäften stärker betroffen, als die Banken je zugegeben haben. Das ist doch eine Meldung wert. Oder zwei.

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