Archiv

September 2012


Ich zum Beispiel:

Es sind die anderen, auf die man setzen muss. Der demographische Wasserkopf, die Leute, die zigmillionenfach im Alter von der Stütze leben werden. Die Massen, denen man alles nehmen wird, was sie noch haben, ehe sie in die Sozialrente gehen. Die nicht einmal mehr viel Leben zu verlieren haben. Vor denen hätte ich zukünftig Angst.

Wenn ich aus dem Artikel von Judith Butler schlau werde, muss Antisemitismus eine Art Seinsgeschick sein. Etwas Ewiges und Unteilbares. Zwar spricht sie von “Rassismus und Antisemitismus“, aber dass dieser in jenem aufgehen könnte, scheint unmöglich sein zu müssen. Konsequent zitiert sie daher auch eine “antideutsche Linke”, eine Splittergruppe, an der ich nichts Linkes finden kann, die jeden Diskurs mit einer bräsigen Ideologie ruiniert.

Ich halte mich mit Äußerungen zu Israel und den Machenschaften seiner Regierung bekanntlich zurück, einfach weil es eben nur Reflexe auslöst, wenn ein nichtjüdischer deutscher Staatsbürger simple Kritik übt. Ich vertraue da auf kluge Menschen anderer Nationalitäten. die auch sehen, was nicht zu übersehen ist und sagen, was ist. Zum Antisemitismus in Deutschland muss ich Stellung beziehen, und da fällt mir auf, dass er längst ein Rassismus ist, der mit Juden und Judentum erkennbar nichts zu tun hat. Ich stelle ohne Häme fest, dass es schwer sein muss für die Nachkommen der Opfer des Holocaust, aber ihr Schicksal ist nicht frei von einer furchtbaren Beliebigkeit. Antisemitismus ist dementsprechend austauschbar.

Banales Grauen

Wer Opfer eines Verbrechens wird, ist meist nicht der einzige, dem dies widerfahren kann, es hat ihn bloß erwischt. Die Opfer werden von den Tätern nach Kriterien ausgesucht, die der Täter für sich definiert. Er hält sie in der Regel für leichte Beute, das Ziel muss ‘schwach’ sein. Der Übergang von Mobbing über den Rassismus, die Gewalt und den Krieg zur Massenvernichtung ist fließend. Das Grauen ist banal. Es hat nichts Mystisches oder Ontologisches.

Die Struktur dessen, was zynisch als “Islamkritik” verbrämt wird und dem Antisemitismus ist nicht bloß analog, sondern identisch. Die Horden hassbewegter Rassisten, die ‘den Moslems’ genetisch bedingte Dummheit und Gewaltbereitschaft andichten, sind dieselbe Charge, die den Juden das Streben nach Weltherrschaft nachsagen. Beide ‘Rassen’ sind demnach gefährlich und daher Feinde, im Kampf ums Überleben also Todgeweihte.

Der Herrenmensch und die Anderen

Der asymmetrische dritte Weltkrieg verklärt längst die halbzivilisierten Muselmanen zum Freiwild wie im zweiten das Judentum zum Ungeziefer degradiert wurde. Beide Varianten sind Konsequenzen kapitalistischer Verwertung, der ein passender Rassismus stets die letzten Mittel in die Hand gibt. Dass nur der heutige Exportweltmeister so gründlich war, gleich Millionen von Menschen zum Material des Prozesses zu machen und sie wie jedes andere in Produkte oder Asche zu transformieren, wird ein Wert für die Ewigkeit bleiben.

Daraus gelernt hat hier kaum wer. Das Hetzwerk Sarrazins trumpft mit demselben Rassismus auf wie einst ‘Mein Kampf’, ist dabei allerdings noch perfider. Die rassistische Diskriminierung von “Türken und Arabern” folgt dem bekannten Muster, Menschengruppen für minderwertig zu erklären und damit zum Feind, zum potentiellen selbstverschuldeten Opfer. Dass er aber im gleichen Atemzug die Juden diskriminiert, die “intelligenter” seien, ist der Diskussion weitgehend entgangen. Wo das drin steht, kann auch bald “verschlagener” stehen, “hinterhältig” oder sonst etwas. Die Zuschreibungen des Rassismus sind Variablen. Sie können mit beliebigen Werten gefüllt werden. Daher ist Sarrazins Machwerk nachgerade virtuos. Sein widerliches Herrenmenschenurteil über ‘die Juden’ kommt daher wie das Trojanische Pferd, als Schmeichelei.

Selber schuld

Antisemitismus ist kein Thema. Schon gar nicht von Deutschen, die schon glauben, sie seien keine Antisemiten, weil ihnen zu Juden nichts einfällt und sie eh keinen kennen. Die Rituale der geheuchelten Scham unserer Repräsentanten bei Gedenktagen machen es nicht besser. Zu viele von ihnen waren längst als Menschenhasser aufgefallen, Rassisten und Freunde von Rassisten, Parteifreunde von Nazis oder gleich selber welche, als sie ihre schlecht geübte Trauermiene aufsetzten. Das funktioniert nur leidlich und sagt nichts. Schlimmer kann man das Vergessen kaum organisieren.

Was zu tun ist, ist die Ächtung von Rassismus und Diskriminierung schlechthin. Man muss ihn und seine Ursachen erkennen, benennen und eindämmen. Dazu sind aber alle jene nicht bereit, die ihren Popanz brauchen. Und alle diejenigen, die im Konkurrenzkampf Munition für ihre Gnadenlosigkeit brauchen. Schließlich jene, die eine schale Rechtfertigung brauchen dafür, dass sie über Leichen gehen. “Selber schuld” ist das Motto der Rassisten. Wo das erklingt, wird zugeschlagen.

« Vorherige Seite