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August 2008


Ich kenne niemanden, der auch nur halbwegs “hinter Clement steht” in der nämlichen Affäre. Seine politischen Ansichten gelten gemeinhin als untragbar, sein Verhalten als unterste Schublade.
Da geht dann das Lügeninstitut Forsa hin, von dem jeder, den es interessiert, weiß, daß es die Umfragen in bezug auf Belange der SPD ständig manipuliert, und behauptet, 68 % der Deutschen seien für Clement, nur 17 % gegen ihn. Daß dieser Schwachsinn von der Süddeutschen veröffentlicht wird – was soll man dazu noch sagen?
Nachdem die Lügen in den Überschriften und der Einleitung agendagerecht plaziert sind, folgt die Pointe:
Clement lässt SPD in Umfragen fallen” [...] “im Wochendurchschnitt ergibt sich für die SPD in der Sonntagsfrage von Stern und RTL allerdings ein Wert von 22 Prozent. Dies ist ein Punkt mehr als in der Vorwoche.”
Zwiesprech, immun gegen jede Kritik. Ist das Journalismus? Der mit den Qualitätsstandards?

Wenn man sich fragt, warum F.W. Steinmeier angeblich so beliebt ist, sucht man vergeblich nach überzeugenden Antworten. Immerhin weiß er sich gelegentlich in Pose zu setzen, allerdings nicht in seiner eigentlichen Tätigkeit – hier darf die Kanzlerin sich immer fein rausputzen und vor verschiedenen Urlaubskulissen in die Kameras grinsen.
Die Nebenschauplätze bleiben ihm – die, die eigentlich Sache der Staatssekretäre und niedrigerer Dienstränge sind. Hier kennt er sich besser aus, und womöglich mag man ihn deshalb so gern: Weil er sich trollt, wenn die Herrschaft ihn auf den Platz schickt. Die meisten Deutschen kennen das aus ihrem Alltag und können sich damit identifizieren.
Auftrumpfen darf Steinmeier immer, wenn ein Krisenstab gebildet wird, bzw. eine Entführung mit lebender Geisel beendet werden kann. Tagesschau.de klärt auf:
Werden Deutsche irgendwo auf dieser Welt von Terroristen entführt, wird in Berlin sofort ein Krisenstab eingerichtet.
Und das Krisenreaktonszentrum im Auswärtigen Amt sagt von sich selbst:
Neben der Bewältigung akuter Krisenfälle wird gerade der Bereich der Krisenvorsorge immer wichtiger. So werden im Krisenreaktionszentrum gemeinsam mit anderen Ministerien detaillierte Analysen zur Erfassung von Krisenpotenzialen mit dem Ziel erstellt, möglichst frühzeitig krisenhafte Entwicklungen erkennen zu können.”
Wie gesagt, Steinmeier posiert gern hemdsärmelig, wenn es deutsche Leben zu retten gilt. Er ist so wunderbar souverän und sachlich, wenn Leben in Gefahr sind. Womöglich liegt hierin ein weiterer Anlaß zur Identifikation: Der Deutsche wünscht sich, aus seiner dauernden Zwangslage gerettet zu werden. Daß ausgerechnet Steinmeier der Retter sein soll, paßt in ein bekanntes psychlogisches Muster. Es kommt regelmäßig vor, daß sich Geiseln in ihre Entführer verlieben.
Irgendwie muß man es sich erklären, daß niemand danach fragt, was aus Steinmeiers Arbeit wirklich resultiert. Während er nämlich wie vom Kurier geliefert auftaucht, wenn “Terroristen” oder Kriminelle Deutsche im Ausland entführen, ist es ihm völlig wurscht, wer von amerikansichen Geheimdiensten und ihren Handlangern entführt wird. Da wird kein Krisenstab eingesetzt, im Gegenteil: Man will die Geiseln gar nicht wiederhaben, wie etwa im Fall Kurnaz.
Der heutige Tag wäre eine feine Gelegenheit für den Herrn Minister, das Kleine Einmaleins zu lernen. Ein Deutscher wird in Afghanisan entführt. Auf deutsche Soldaten wird dortselbst ein Anschlag verübt. In den USA wird Unrecht gesprochen über Terrorverdächtige.
Es spielt dabei keine Rolle, was man dem Fahrer von Bin Laden vorwirft, was man ihm nachweist oder zu welchem Urteil man kommt. Die Meldung ist schon jetzt nur noch mit der Lupe zu finden, aber es ist kein Witz: Selbst Freigesprochene sollen in Haft bleiben, womöglich lebenslänglich. So will es das Pentagon. Da werden Menschen entführt, jahrelang ohne Anklage festgehalten, gefoltert, dann von illegalen Gerichten abgeurteilt und schließlich selbst bei einem Freispruch mit der Höchststrafe belegt. Dieses Verfahren kann nur zum Ziel haben, Unschuldige in den Selbstmord zu treiben. Die dies tun, sind “unsere Verbündeten”, denen Schröder und Steinmeier in “uneingeschränkter Solidarität” Soldaten für den Krieg in Afghanistan zur Verfügung gestellt haben. Jeder, der dort von den US-Truppen festgenommen wird, ist ein Entrechteter, die meisten der Gefangenen in Guantanamo kommen von dort.
Wäre es nicht Aufgabe des Auswärtigen Amtes mit seiner weitsichtigen Krisenerkennung, eins und eins zusammenzuzählen? Das Märchen, das uns so gern aufgetischt wird, die Afghanen fänden die deutschen Soldaten so toll, weil sie Frieden und Wohlstand bringen, glaubt schon lange niemand mehr. Sie wissen, daß die Deutschen den Barbaren Bush unterstützt haben. Und sie werden die Konsequenz daraus ziehen, immer öfter. Ich weiß nicht, was deutsche Soldaten in Afghanistan zu suchen haben, aber ich weiß ganz sicher, was afghanische Kämpfer mit allen Deutschen tun wollen, derer sie habhaft werden.
Der vorgebliche Friede in Norden Afghanistans löst sich in Rauch auf. Es ist Krieg, und das ist immer noch die Veranstaltung, in der getötet und gestorben wird. Wir werden noch reichllich Gelegenheit haben, uns daran zu erinnern.
Vielleicht hilft letztlich auch das noch dem tapferen Außenminister, der immer so besonnen wirkt, wenn andere leiden und sterben. Sein Job wäre es gewesen, diesen Schaden vom deutschen Volke zu wenden – und nicht nur vom deutschen. Was hätte es ihm genützt? Wäre er dann so beliebt?

Ich denke nach. Ich lese, recherchiere gar. Keine Ahnung, warum es diese Phasen gibt, in denen ich nicht die Energie aufbringe, etwas zu schreiben. Derzeit habe ich leider nicht die Zeit und Muße, den größeren Zusammenhang aus kleineren Artikeln und Meldungen abzuleiten, und Kommentare zu einzelnen Ergüssen der Frontsoldaten deutscher Einheitspresse wollen nicht so recht gelingen. Keine Ahnung, wo der Genuß bleibt, diese Geistesgrößen zu entbößen – mir fehlt sogar die Vorstellung davon, wie es mir sonst gelingt, mich darauf einzulassen. Ich erwähnte zuletzt Herrn Malzahn, auch ein Artikel in der “Welt”, den ich an besseren Tagen vielleicht zerpflückt hätte, hinterließ mich nur angeekelt. “So einen Mist kann ich nicht kommentieren”, denke ich, wohl wissend, daß ich kaum etwas anderes in diesem Blog veranstalte.
Ich denke darüber nach, zukünftig so etwas wie ein Konzept zu entwickeln. Es könnte in die Richtung gehen, die der Spiegelfechter verfolgt. Weniger Artikel, dafür mehr Recherche und Hintergrundinformation. Es beschleicht mich allerdings die Furcht, daß ich mich damit verzettele und vier von fünf Artikeln verwerfe, weil sie meinen Anforderungen nicht entsprechen. Kurz gefaßt, kann ich mich an der Oberfläche bewegen und nur hinabzustoßen, um Pointen zu setzen. Für gute Artikel taugt dieses Vorgehen nicht.
Neue Kategorien schwirren ebenfalls in meinem Kopf herum. Sport, Musik und der ganze Kurzweilhokuspokus würden mich ebenfalls reizen, sogar über Rätsel denke ich nach. Vielleicht sind diese scheinbar irrelevanten Bereiche sogar “politischer” als der Tinnef, der von ein paar Cliquen ausbaldowert und für große Politik verkauft wird.
Inspiration ist fast alles, von dem ich hier lebe, und wenn sie sich nicht einstellen will, ist Holland in Not. Fast drei Jahre ging das gut, aber inzwischen erwischt mich der Blogblues in so kurzen Abständen, daß sich etwas tun muß. Sicher keine Lösung, soweit bin ich inzwischen, ist eine Blogumschau. Wer Feynsinn liest, kennt auch die Nachdenkseiten, den Oeffinger Freidenker und duckhome/Jochen Hoff. Was diese auf ganz unterschiedliche Weise leisten, werde ich nicht einmal sinnvoll ergänzen können. Meinen Dank an dieser Stelle den werten Kollegen.
Immerhin kann ich mit einer sehr konkreten Idee enden, die ich hoffentlich in den nächsten Tagen umsetzen werde: Ein Artikel zur Rolle und Funktion des Kommentars im (alternativen) Journalismus. Nehmt es mir nicht übel, wenn ich ein wenig Zurückhaltung übe oder merkwürdige Experimente mache. Das Schiff schlingert, aber es wird nicht untergehen, ich bin ja nicht die SPD ;-)

Wolfgang Clement ist der Rüge wegen seines parteischädigenden Verhaltens mit der üblichen Arroganz begegnet. Wann immer ihm goldene Brücken gebaut wurden, hat er sie zertrampelt und noch einen draufgesetzt. Die Konsequenz aus diesem seinen Verhalten hat er heute bekommen: Er wurde aus der Partei ausgeschlossen.
Ausgeschlossen haben ihn auf Antrag der Mitglieder die zuständigen Gremien, respektive die Schiedskommission. Die Reaktion der Partei und der Medien ist unisono ein Eindreschen auf diejenigen, die eine alternativlose Konsequenz gezogen haben – mit bekannt wirren Argumenten. Aus der Rolle fällt lediglich Hubertus Heil, der im Stile eines Jahhundertwaschlappens nichts sagt, um ganz sicher eine passende Interpretation nachzuliefern, wenn die SPD ihren Rückzieher gemacht haben wird. O-Ton:
Die engere Führung der SPD ist sich einig, daß sich alle im Gesamtinteresse der Partei besonnen und auch umsichtig äußern sollten. Auf Basis unserer Grundwerte kann jeder solidarisch für seine Überzeugung streiten in der SPD. Die Schiedsgerichtsbarkeit SPD beurteilt also nicht politische Überzeugung, sondern Verhalten.”
Die SPD ist also in Wahrheit eine soziologische Partei. Verhalten ist ihr Gegenstand, nicht etwa politische Überzeugung. Das kann hinkommen. Der Aufruf, sich besonnen zu äußern, kommt spät. Jahre zu spät. Nicht nur, daß die SPD Clements “Überzeugungen” unbeanstandet ließ, etwa die, HartzIV-Empfänger seien Parasiten. Nein, man ließ ihn auch während des längst laufenden Verfahrens fröhlich weiter pöbeln, ohne daß der Generalsekretär dem öffentlich entgegen getreten wäre. Das rhetorische Gehampel um “soldiarischen” Streit könnte Heil zum Mühlstein werden, denn genau dies wirft die Schiedskommission Clement vor, und da hilft kein Winkeladvokat der Welt: Unsolidarischer als Clement geht nicht. Der Generalsekretär hätte sich, wüßte er denn, was er sagt, damit für den Rauswurf ausgesprochen. Ist das “besonnen und auch umsichtig”? Nicht so gemeint wird es sein, hoppla!
Das Beste an dem klebrigen Statement des verurlaubten Generalsekretärs ist aber seine Formulierung “die engere Führung”. Wer bitte ist denn das? Man ahnt es schon, und sie werden fleißig auf allen Kanälen zitiert: Sigmar Gabriel, Franz Müntefering, Franz W.Steinmeier, Johannes Kahrs. Johannes wer? Daß Kahrs sogar in der Tagesschau vor die Kamera treten darf (und auch sonst in der willfährigen Agenda-Presse omnipräsent ist), zeigt, was die SPD für eine Partei ist. Kahrs ist “Sprecher des Seeheimer Kreises”. Die Seeheimer und die Netzwerker, beides Klüngelkonglomerate ohne jede Legitimation, sind die Speerspitzen der Agenda-Politik. Ihre Angehörigen, und sei es irgend ein Wicht aus dem letzten Hinterwald, brüllen ihre besonnene Parteinahme für Clement ungehemmt in die Welt, die anderen halten still oder werden nicht zitiert. Es geht nicht um Überzeugung und ebensowenig um Verhalten, es geht um die Macht der Partei in der Partei. Die “engere Führung” entmündigt einmal mehr Seit an Seit mit ihren Duzkumpels aus den Medien die eigenen Parteimitglieder. Wenn man sich etwa anschaut, was SpOn zum Thema zusammenkratzt, ist Nüchternheit angesagt. Sonst kommt einem nämlich die letzte Mahlzeit hoch. Was der unerträgliche CC Malzahn dort zum besten gibt, ist so dummdreist, daß es nur noch Masochisten zu empfehlen ist. Wir üben daher bewußte Linkzurückhaltung.
Wenn es kommt, wie es kommen muß, und Clement mithilfe seiner Seilschaften weiter offensiv die Reste der Sozialdemokratie in der SPD ruinieren darf, bin ich einmal gespannt, wie man das noch irgendwem erklären will. Am Ende wird es wohl wieder heißen, linke Fanatiker seien am Niedergang schuld. Solche wie die Bochumer, die sich und ihre Genossen nicht unwidersprochen von Clement demütigen lassen wollen. Wenn dann der betroffene Ortsverein geschlossen in die LINKE eintritt, wäre das sicher die Bestätigung für solche Thesen.
Ein gutes Argument gegen Clements Parteiausschluß gibt es gleichwohl: Würde man diesen Auswuchs widerwärtigster Machtpolitik entfernen, gäbe das nur wieder Hoffnung, wo längst keine mehr ist. Dann lieber ein Ende mit Schrecken.

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