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2006


Ich kann die Aufregung gar nicht verstehen. Eine Geschichte, wie sie jeden Tag tausendfach vorkommt: Ein abmahn- und klagewütiger Anwalt, ein Konzern, den er vertritt, seine Opfer und kein ersichtlicher Sinn? Kennen wir doch! Akademische Fragen wie die, ob man jemanden, der sich als “Arschloch” bezeichnet, als “Arschloch” bezeichnen darf, ob man Medienkonzerne, die die Kunden der Konkurrenz beleidigen, beleidigen darf etc. sollte man doch den Fachleuten überlassen. Wie ich Anwälte kenne, bellen die gern und ziehen schnell den Schwanz ein, wenn man sich einen zulegt, der beißen kann. Nicht immer, okay, dann braucht man eben etwas mehr Unterstützung. Derweil werden wir uns weiterhin als “blöd” beschimpfen lassen, weil wir nicht bei Anwalt Arschloch sein Konzern einkaufen, sondern zum Beispiel in Krefeld bei
CE-Computer (Hardware und Service nebst Internetcafé)
Pro Foto
Oder in der Rille (Rheinstr. 70) DER Laden für Tonträger!
Gute Läden gibt es übrigens auch anderswo. Und die haben mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient wie dieser – verdammt, wie hieß der noch…?

Eine sehr unterschätzte Auszeichnung wurde jüngst verliehen: Der World Stupidity Award (Weltdummheitspreis). Die Juroren sind offenbar echte Philosophen, sie treffen so manche weise Entscheidung und wissen sie wohl zu begründen. Auch in diesem Jahr wurde wieder jemand ausgezeichnet, dessen Schicksal auch Feynsinn sehr am Herzen liegt: George W. Bush. Er wurde ausgezeichnet mit dem “Disinformation Stupidity Award for being most out of Touch with Reality”. Das ist extrem feynsinnig formuliert und entzieht sich deshalb auch einer halbwegs treffenden Übersetzung. Es handelt sich um den Preis für Desinformation und Realitätsverlust. Wir gratulieren der Jury und dem Kandidaten!

Als hätten sie nicht selbst Kandidaten des äußeren Mittelmaßes, lassen die Redakteure von Spiegel-online Herrn Schirrmacher die Welt der NPD-Wähler erklären. Zwar ist sein Hinweis auf die demographische Struktur vieler Landstriche im Osten richtig, aber er kann es natürlich nicht bei dem klugen Argument belassen. Vielmehr verbreitet er reaktionären Pessimismus, indem er weismacht, man könne nichts dagegen tun (“nicht heilen”) und das Phänomen habe nichts
wie gerade die Kulturkritiker immer noch gerne glauben, mit Arbeitslosenquoten und Weltbildern zu tun.” Nein, natürlich nicht. Wenn Neger geklatscht werden, hat das nichts mit Rassismus zu tun. Wenn Menschen abwandern, hat das nichts mit Arbeitslosenquoten zu tun. Und die Verkümmerung des Ostens hat nichts mit einer wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Die blühenden Landschaften blühen nur deshalb nicht, weil die Frauen einfach so in den Westen gegangen sind. Und weil der Reaktionär kein (anderes) “Morgen” kennt, muß er dem Untergang tatenlos zusehen. Dieselben Leute, die die Kohlschen Fehlentscheidungen stets bejubelt haben, tun jetzt so, als wäre die fatale Entwicklung, die daraus folgte, gottgegeben. Und jetzt erkläre mir mal einer, wieso ich diesen Blödsinn beim Spiegel lesen muß!

Die TAZ fragt, ob es Armut gäbe in Deutschland und kommt zu einigen interessanten Antworten, unter anderen der, daß “die große Mehrheit der Journalisten [...] ausschließlich Freunde [hat], die auch Journalisten sind“. Deshalb erfahren wir also von den Arbeitslosen nur, wie sie sind (faul, überflüssig, wertlos) und nicht, wie es ihnen geht.
Reichtum, so stellt die ZEIT fest, gibt es hingegen durchaus, zum Beispiel bei den Beckhams. Victoria, Gönnerin ihrerselbst, versuche, sich selbst zur Marke zu machen. Niemand weiß, wofür oder was die Dame überhaupt je geleistet hat, aber das will auch gar niemand wissen. Niemand neidet es den Beckhams, daß sie strunzdumm und meist unmotiviert sind und es trotzdem zu etwas gebracht haben. Im Gegenteil: “Die Beckhams sind die neue Königsfamilie der britischen working class“. Da sind die Briten wie die Deutschen: Die neue “working class”, eigentlich “unemployed class”, hat die soziale Ungerechtigkeit bereits derart verinnerlicht, daß sie psyschich davon lebt. Es ist geil, daß es pervers Reiche und abartig Arme gibt, denn nur so kann man davon träumen, die Seiten zu wechseln. Wenn einer aus dem White Trash, ungebildet, tölpelhaft und allseits desorientiert, die große Karriere macht, wenn eine magersüchtige Zippe nicht nur für ihren mittelmäßigen Gesang, sondern am Ende für jeden Furz, den sie läßt, die Millionen um die Ohren gehauen bekommt, das ist es, was das Leben lebenswert macht. Wenn die beiden dann noch kund und zu wissen geben, die Dame des Hauses wünsche sich “endlich ein Mädchen, zur Not adoptiert. Einen Namen
hat sie auch schon: Namulinda. Das heißt in einer afrikanischen Stammessprache Prinzessin
“, dann schließt sich der Kreis. Während die Neger aussterben, weil es kein Wasser gibt, lebt ihre schöne Sprache weiter – im Kinderzimmer der Beckhams. Und das Volk jubelt der Prinzessin zu.

Mit einer merkwürdigen Argumentation, der ich mich nicht wirklich anschließen möchte, hebt ein Artikel auf Spiegel-online an, der zu einem richtigen Schluß kommt: Daß nämlich im nur vorgeblich freien Handel Beschränkungen durchaus üblich und auch notwendig sind. Erschütternd ist die Erkenntnis, daß in dar Tat jede Ware subventioniert und jeder Markt irgendwo abgeschottet wird, nur die Ware Arbeit nicht. Ist das der Kern des Neoliberalismus, daß Arbeit als minderwertigste Ware überhaupt betrachet wird? Liegt das Versagen der Gewerkschaften darin, daß sie den Wert der Ware Arbeit nicht aktiv am Markt verteidigen? Die Forderung von Mindestlöhnen bleibt jedenfalls eine Lachnummer, wenn sie ernsthaft nur national angedacht ist.

Was derzeit in Deutschland über die Tumulte in Ungarn berichtet wird, liest sich, als hätte Ministerpräsident Gyurcsany einen höhnischen Witz über das blöde Wahlvolk gemacht und damit die Proteste heraufbeschworen. Einzig die FAZ kommt der Wahrheit näher, die auch in Österreich und der Schweiz diskutiert wird: Daß Gyurcsany nämlich in einer Klausursitzung mit drastischen Worten die eigene Regierungszeit kritisiert hat. Das klingt dann schon völlig anders, nämlich wie eine Polemik, die am richtigen Ort zur richtigen Zeit abgelassen wurde. Wer dann aus der Klausurtagung mit einer Tonbandaufzeichnung hinausrennt, ist genauso ein Geisteswicht wie die Journalisten, die sie verbreiten. Am Ende der Verwertungskette stehen Medien, die unkritisch zurechtgebogene Berichte funken, die sie vermutlich selbst nur abgeschrieben haben. Kann in diesem Land eigentlich niemand mehr lesen? Haben nicht gestern noch alle mit dem Finger auf die Muslime gezeigt, weil die immer alles mißverstehen?

So ein Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern vor der Wahl im Interview mit dem WDR. Das “-demokratisch” der NPD nimmt keiner ernst, und genau das macht sie attraktiv. Sie wird gewählt von denen, die von den Verwaltern der Demokratie nichts zu erwarten haben. Sie haben gut zugehört, als die Vertreter der großen Parteien den Stab über die ALG-II-Empfänger gebrochen haben. Sie haben verstanden, was jemand in diesem Land gilt, der sich nicht durch Erwerbsarbeit legitimieren kann und auch sonst nichts hat. Sie geben denen die Quittung, die die Ängstlichen allein lassen und die Schwachen beschimpfen, und sie laufen über zu denen, die ihnen eine Identität zuerkennen, die ihnen offenbar niemand nehmen kann. Bei denen sind sie Deutsche, Weltmeister der Herzen, Volksgenossen und Herrenrasse. Bei denen sind sie stolz, etwas zu sein, stark, radikal und trotzig.
Diejenigen, die es zugelassen haben, daß die Menschen sich massenhaft den dümmsten Rattenfängern an die Brust geworfen haben, stimmen jetzt den großen Katzenjammer an. Vor der eignenen Haustür kehrt niemand, und wenn sie dem Naziwähler als solchem mit mehr Respekt, sprich weniger Verachtung begegnen, als denselben Leuten in ihrer Rolle als Einkommensversager, erreicht die Heuchelei ihren Höhepunkt. Dadurch wird die braune Sauce nicht ausgelöffelt. Das einzige, worauf man sich verlassen kann, ist, daß die Freaks, die für die NPD in den Landtag einziehen, sich selbst unmöglich machen werden. Auf die Dauer ist das aber kein tragfähiges Konzept zur Gestaltung einer Demokratie.

Verantwortlicher Journalismus berichtet – und produziert die Nachrichten nicht selbst. Im Fall Ratzinger gegen die Muslime heißt das: Ratzinger ist real, “die Muslime” sind es nicht, und es gibt schon gar keine Reaktionen “der Muslime” auf den Vortrag des Papstes. Was da gequatscht wird, bezieht sich auf die Kameras und die Mikrophone, die dem Pöbel gereicht werden und hat nichts zu tun mit einem Beitrag zum innerchristlichen Diskurs. Es steht dabei auch nicht zur Debatte, ob jemand Schriften aus dem Spätmittelalter zitieren darf. Es steht auch nicht zur Debatte, ob jemand “beleidigt” ist. Die da krakelen, sind eh immer beleidigt, das darf uns aber nicht interessieren. So lange die christlich geprägten Kulturen noch meilenweit von dem Nihilismus gerade derjenigen enfernt sind, die Menschen anderer Kulturen als so minderwertig betrachten, daß man sie töten darf, will ich das Wort “beleidigt” nicht lesen. Ich will keinen Pöbel im Fernsehen sehen. Ich will keine aufgeregten Kommentare und Relativierungen lesen. Dieser Schwachsinn ist keiner Reaktion Wert, geschweige denn der ewigen Anstachelung durch westliche “Journalisten”. Gebt Ruhe!

Der US-Senat hat das Urteil des obersten Gerichtshofs bestätigt, indem er sich weigert, die Genfer Konvention zu relativieren. Im Klartext heißt das: Die Demokraten sowie vier Republikaner haben sich gegen Bushs Forderung gestellt, der CIA das Foltern zu erlauben.
Bush aber besteht auf das Recht auf “alternative interrogation practices” (alternative Befragungsmethoden):
“In order to protect this country, we must be able to interrogate people who have information about future attacks,” Bush said at the White House. “I will resist any bill that does not enable this program to go forward.”. Er wird sich “jedem Gesetzentwurf entgegenstellen”, der diese Befragungen nicht ermöglicht.
Es ist kaum je klarer geworden, daß der Präsident der U.S.A. persönlich und gegen massiven Widerstand auch in der eigenen Partei versucht, Folter zu legalisieren und die U.S.A. von der Genfer Konvention zu entbinden. Wer das vor einigen Jahren behauptet hätte, wäre noch maßlosen Anitamerikanismus’ beschuldigt worden.
Für den Begriff “alternative interrogation practices” sollte man Bush und die Seinen mit einem Preis für besonderen Sprachwitz auszeichnen – und sofort in Pension schicken.

Ich bin eben beim Stöbern auf eine sehr belustigende und nicht weniger melodramatische Geschichte gestoßen, so recht nach meinem Geschmack: Hier soll ein Bundesbürger nachweisen, daß er nicht katholisch ist. Dazu reicht es nicht, öffentlich dem Satan zu huldigen und Ratzingerbildchen zu verbrennen, wie man denken könnte. Man muß vielmehr eine Instanz zwischen Himmel und Erde finden, die das bescheinigt.
Ich biete dem jungen Mann gern an, mich als Oberhaupt seiner Religion anzuerkennen und würde es ihm sogleich beurkunden. Als refomierter Pastafarian habe ich unlängst meine eigene Kirche gegründet und warte seitdem auf das erste Gemeindemitglied. Eine Hand wäscht die andere, nicht wahr?

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