Wer will sie noch hören, die Experten von der Murmelakademie, Facherbsenzähler, Hüter der einzig wirklichen Wahrheit, Bewahrer der Wertschöpfung? Hans Werner Sinn etwa macht sich derzeit nach Kräften lächerlich, indem er tapfer versucht, den einzigen Fall herbeizuführen, in dem seine “Targetgefahr” real werden könnte. Wer den letzten Satz nach Erkennen des Namens weitergelesen hat, sei für seine Tapferkeit belobigt. Im allgemeinen steige ich an der Stelle schon aus.
In seinem kürzlich verlinkten Vortrag sagt Heinz-Josef Bontrup, dass niemand im Fachbereich Volkswirtschaftslehre befürchten muss, zu Marx geprüft zu werden. Wohl kaum, weil dessen Theorie so dumm oder unzutreffend ist, sondern weil sie der geltenden Ideologie widerspricht. Ich kann mir vorstellen, dass selbst die Seminare zur “politischen Ökonomie” weniger intolerant gegenüber ‘bürgerlichen’ Theorien waren, die man vielleicht kennen durfte, um sie widerlegen zu können. Aber wir sind ja auch nicht die Deutsche Demokratische Republik. Wir sind die Guten von der sozialen Marktwirtschaft®.
Priester und Tempel
Wissenschaft als Mythologie funktioniert, weil die Priester und die Tempel dafür eingerichtet sind. Wer die Mittel und Wege der “Aufklärung” festlegt, legt die Wahrheit fest. Es wird nicht geforscht, sondern bestätigt. Es wird nicht gelehrt, sondern verkündet. Es wird nicht gelernt, sondern nachgeeifert. Das ist übrigens kein Problem der Ökonomie allein, sondern das von “Wissenschaften”, die autoritär und hierarchisch strukturiert sind.
Ein Musterbeispiel dieser Wissenschaft ist die Geschichte der Kontinentaldrift und ihres unglücklichen Vertreters Alfred Wegener. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts präsentierte er eine Theorie, die an Plausibilität kaum zu überbieten war, nämlich dass die Kontinente einmal eine gemeinsame Landmasse bildeten und dann auseinander drifteten. Die Indizien dafür waren und sind erdrückend, aber Wegener wurde dafür verlacht und gemobbt – wohlgemerkt: nicht im finsteren Mittelalter, sondern im 20. Jahrhundert. Die Leugner der offensichtlichen Wahrheit waren erfolgreich bis Anfang der 1960er Jahre, erst dann war sie nicht mehr von der Hand zu weisen.
Nicht vor und nicht zurück
Es musste erst bewiesen werden, dass es eine Kraft gibt, welche die Kontinente in Bewegung setzt. Anstatt also das Offensichtliche zu akzeptieren und sich auf die Suche nach Belegen zu machen, mauerten die ‘Experten’ so lange, bis einer kam, der es ihnen ins Gesicht rieb. Der war dann auch ein echter Geologe und wurde daher als Eingeweihter von den anderen Geweihten gehört. Als “Plattentektonik” kam die Wahrheit doch noch zu ihrem Recht, mit 50 Jahren Verspätung.
So borniert kann ‘Wissenschaft’ sein, und wer je als kritischer Student auf einer Hochschule unterwegs war, hat die besten Chancen, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. Es ist nicht hilfreich, innovativ zu sein oder geistig flexibel, wenn man dazugehören will. Schon gar nicht bei den Ökonomen, die seit Jahrzehnten denselben Sermon von sich geben, keinen Schritt vorwärts gekommen sind und obendrein einen maßgeblichen Teil bereits vorhandenen Wissens ausblenden. So bestehen sie denn darauf: Alles, was nicht den gültigen Regeln kapitalistischen Wirtschaftens entspricht, darf nicht sein. Daraus folgt unmittelbar, dass diese Regeln eben gelten. Das soll ihnen erst einmal jemand widerlegen.
Oktober 14th, 2012 at 22:05
Ich weiß nichts über Marx, das aber ganz genau.
Oktober 14th, 2012 at 22:08
ich höre gerade, jemand sei abgesprungen und habe dabei die schallmauer durchbrochen.
ich möchte auch einmal die schallmauer der abwehr von wahrheit durchbrechen.
Oktober 14th, 2012 at 22:09
… und das kann ich auch belegen!
Oktober 14th, 2012 at 22:44
Wissen vs. Wissenschaft
… die herrschenden Gedanken als ideeller Ausdruck der materiellen Herrschaft, odda so^^
Oktober 14th, 2012 at 22:55
Ich lese grade “Theorie der Unbildung” von Konrad Paul Liessmann – paßt hierzu, wie der Deckel aufn Topf.
Oktober 14th, 2012 at 23:06
Während meines Studiums an der Fachhochschule gab es bei betriebswirtschaftlichen Fächern selten Diskussionen. Bei naturwissenschaftlichen Fächern war dies eher der Fall. Man diskutierte hier über Anwendungsbeispiele in der Praxis (z.B. bei Fertigungsverfahren oder Computeralgorhythmen). Bei BWL und VWL war stets stures auswendig lernen angesagt. Mir kamen diese Fächer deshalb auch nicht sehr wissenschaftlich vor. Sie erinnerten mich eher an Religonen mit entsprechenden Dogmen.
Oktober 14th, 2012 at 23:43
Wie soll man denn auch bei “Wissenschaften”, die ganz wesentlich mit Geld zu tun haben, bei der Mehrheit ihrer Vertreter etwas Anderes erwarten können als ausschließliches Streben nach Geld und Macht.
Ist ja auch auffallend, dass gerade denjenigen “Akademikern”, deren Fachgebiete mit der Streitsucht, der Niedertracht, der Gier und den Schwächen und Gebrechen der Menschen zu tun haben, die höchsten Einkommen und – zumindest bei der Mehrheit, den Deppen – ein hohes Sozialprestige zuerkannt wird.
Oktober 14th, 2012 at 23:48
Da wundert es mich denn nicht mehr, dass mein Neffe genau das Fach studiert, dass ich einmal abgebrochen habe, weil ich zu diesen Weltanschauungspropheten nicht gehören wollte.
Welches?
BWL-Schwerpunkt Managment – Er macht Management mit dem Schwerpunkt Technik.
Übrigens als Ex-BWL-Student weiß ich, dass BWler nur eines interessiert, dass die gegen alle Widerstände verteidigen – Der Profit.
Gleichsam eine Art Gott für BWLer, und zwar gegen alles andere – was sozial, umweltgerecht und menschlich ist.
Tja, aber anscheinend sind mittlerweile seit 1997 neue Generationen herangewachsen, die der neoliberalen Verblödung nichts mehr entgegenzusetzen haben – Im Gegenteil, Teil dieser Macht werden wollen bzw. auf die Dunkle Seite der Macht wechseln wollen (um mal Starwars zu zitieren).
Soll ich noch erwähnen, dass ich mit dem oben erwähnten Neffen eigentlich gut auskomme?
Frägt sich nur wielange noch, wenn der die “Weisheiten” seiner Professoren reinzieht, die du hier – völlig richtig – angreifst, lieber flatter.
Gruß
Bernie
PS: Lustig wird es, wenn man erfährt womit er sein Geld für das Studium verdienen will – Mit der Betreuung schwerstbehinderter Menschen – Tja, vielleicht wird er ja mal ein sozialer Manager? Oder so….
Oktober 15th, 2012 at 00:06
Ich erkenne nichts mehr von Wissenschaftlern und Experten an, deren Dissertation oder education path nicht auf Herz und Nieren geprüft ist … alles Penner und Blender die ihre Bildungsabschlüsse in den Haferflocken gefunden haben …!
Oktober 15th, 2012 at 02:05
@ lazarus09
‘Dissertationen’? -: Junge=Leute=Arbeiten; zu 9.999 pro Myriade unreifes Zeug! Auch so’ne Sorte Inflation; nur gut zum zusätzlichen Beweis, daß die Welt eine äußerst schiefe Richtung angenommen habe. (Arno Schmidt)
@ bernie
bwl läuft bei mir quasi als synonym für faschismus, die gründe hast du unter “übrigens” und “gleichsam” genannt. Deswegen rede ich auch schon mal von bwl-faschisten (gilt im übrigen auch für die neoliberaliban): der mensch im allgemeinen – eine ziffer, eine null, wo und wie die verheizt wird ist bwl´ern egal (gilt nur nicht für diese wichtigmänner selbst).
Oktober 15th, 2012 at 08:04
Lt. Wikipedia sind Experten so definiert:
Schlüsseleigenschaften von Experten sind (nach Chi, Glaser und Farr 1988):
Sie erkennen große Bedeutungszusammenhänge.
Sie arbeiten schneller und machen weniger Fehler.
Sie haben ein besseres Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis.
Sie achten mehr auf Strukturen als auf oberflächliche Eigenschaften.
Sie verwenden viel Zeit auf qualitative Analysen.
Sie können ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen richtig beurteilen.
All das gilt nur in ihrem jeweiligen Fachgebiet.
Nach diesen Kriterien dürfte praktisch keiner der derzeit so genannten Experten übrig bleiben.
Oktober 15th, 2012 at 08:53
Ich bin “stolz” darauf………….keinen BWL-er in meinem Bekanntenkreis zu haben.;-)
Oktober 15th, 2012 at 09:49
Ja, das Priesterliche und Hierarchische an der Wissenschaft erkenne ich wohl. Ich habe aber dazu Jahre gebraucht, vorher habe ich alles geglaubt. Hilfe kam von ganz unerwarteter Seite: “Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!” Bildnis ist hier jegliches festgefügte Wirklichkeitsverständnis, dass nicht durch tatsächliches Geschehen erschüttert werden kann. Wir haben tatsächlich eine Neigung dazu, unsere Gedanken und Systeme gewissermaßen anzubeten und von ihnen alles Gute zu erwarten. Dabei sind es halt nur Bilder der Wirklichkeit, die manchmal etwas erklären oder sogar gestalten. Aber nicht immer ist das, was wirklich passiert, im Rahmen enthalten.
Oktober 15th, 2012 at 09:52
Unser Gott-Markt-Leviathan ist unfehlbar!
“Der unerbittliche Gott-Markt-Leviathan ist eine bewusst unsichtbare Religion. Seine Tempel und Kirchen sind Banken und Einkaufszentren. Seine Hohepriester sind Ökonomen, Manager, Unternehmensberater und Versicherungsvertreter. Seine Machtsymbole und Insignien sind Anzug plus Krawatte, Geldscheine, Autos und Eigentumswohnungen. Seine heiligen Schriften sind in der Werbung, in den Massenmedien sowie in Kauf– und Arbeitsverträgen zu finden. Seine Gebote sind Gewinnstreben, Konsumpflicht und Lohnarbeitszwang. Seine Normen und Werte sind Konkurrenz, Wettbewerb, Profit und Eigennutz. Seine Gesetze sind das Wettbewerbs-, das Eigentums– und das Vertragsrecht. Seine Ketzer sind Konsumverweigerer, Sozialisten, Anti-Materialisten und Gesellschaftskritiker.”
klick
Oktober 15th, 2012 at 10:00
‘Materialismus’ – auch so ein erfolgreich verballhornter Begriff…
Oktober 15th, 2012 at 10:01
Während die Ökonomie die Theologie als Leitwissenschaft abgelöst hat, ist die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften zur Arbeit von Sklaven heruntergekommen. Wenn sie doch bloss nicht kriegswichtig wären.
Oktober 15th, 2012 at 10:52
Die Kritik an Theorien von Verfechtern althergebrachter Lehrmeinungen ist doch nichts neues. Nicht nur Wegener hatte darunter zu leiden.
Cantor wurde von (seinem Lehrer) Kronecker kritisiert, weil er sich mit dem Unendlichen (im Großen wie im Kleinen) befasste.
Die Quantentheorie wurde von Einstein mit den Worten “Gott würfelt nicht!” kritisiert. Wie sich herausstellte scheinen es die Quanten aber sehr wohl zu tun.
Es gibt noch viele weitere Beispiele, in denen eine Theorie sich erst nach Jahren der Kritik als richtig erwies.
Offensichtlich scheinen viele Wirtschaftswissenschaftler das gleiche von ihren Theorien zu hoffen. Man muß nur lange genug standhaft seine Theorie vertreten, dann findet sich schon ein Beweiß für die Richtigkeit.
Dummerweise gibt es auch genug Beispiel für Theorien, die sich als nicht haltbar erwiesen haben.
Aber lassen wir unsere meinungsführenden Wirtschaftswissenschaftler doch weiter auf ihrer flachen Erde leben und hoffen, dass sie am Rand hinunterfallen :)
Oktober 15th, 2012 at 11:18
Das Dumme ist nur – sie befinden sich längst im freien Fall, merken es aber nicht.
Oktober 15th, 2012 at 11:36
Die Tschechen beginnen zu ahnen, dass der Kapitalismus schlimmer ist als der Kommunismus:
Bei den Wahlen haben die “Demokraten” 78 Mandate verloren, die Sozialdemokraten 75, die Kommunisten 68 mehr gewonnen. Kommunisten und Sozialdemokraten sind die stärkste Kraft jetzt im Lande.
In Ungarn herrschen souveren Faschisten, Orban erklärte klipp und klar, er brauche keinen Euro, …
Und was fällt den Qualitätsmedien dazu ein?
Wahlen in Tschechien: Kollektiver Gedächtnisverlust
Der Standard >>>
Oktober 15th, 2012 at 12:52
In Afghanistan und im Irak werden nicht viele Menschen die Auffassung teilen, dass Europa ein Kontinent des Friedens ist. Und natürlich kommen wir mit den schlimmsten Schurkenstaaten der Erde bestens zurecht, solange es eben unsere Schurken sind.
Aber der Kontinent, vom dem die “Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte” ausgegangen ist, ist in Wahrheit nur ein Appendix Asiens, und wir wissen inzwischen, dass durchaus nicht die ganze Welt die parlamentarische Demokratie für das Ende der Geschichte hält. Im Gegenteil. Das Wort “Demokratie” wird in weiten Teilen der Welt als Umschreibung für militärische Intervention und gewaltsamen Regime-Umsturz verstanden.
Im besten Fall hat der Westen für den Rest der Welt Mitleid übrig. Und ist noch stolz darauf. Dabei braucht die Welt nicht das Mitleid des Westens, sondern seinen Respekt. Denn Mitleid ist etwas anderes als Nächstenliebe. In Wahrheit versteckt sich dahinter nichts als Egoismus.
Das ist eine andere Variante der berüchtigten Ben-Tre-Ideologie, benannt nach einem Ort im Süden Vietnams, an dem ein US-Major jenen Satz sagte, der westliche Hybris und Irrsinn des Krieges zusammenfasst: “Wir mussten Ben Tre zerstören, um es zu retten.”
SPON – Hut ab Jakob >>>
Oktober 15th, 2012 at 13:51
Pff, der Augstein … der ist das, was hier als “Linker” rumgereicht wird, damit nicht wirklich ein Linker daherkommt. Ganz miese Shiow.
Oktober 15th, 2012 at 17:50
“So wurde in den Richtlinienentwurf zum Wertpapierhandel (Mifid II/”Markets in Financial Instruments Directive”) des EU-Parlaments die Verpflichtung aufgenommen, Orders mindestens 0,5 Sekunden lang zu halten…”
Die machen echt ernst gegen die Spekulation…
Oktober 15th, 2012 at 17:54
Und was machen die in der ganzen Zeit zwischendrin? Müßiggang?!!
Oktober 15th, 2012 at 18:06
BOAH … ich seh schon die Schlagzeilen ‘Mysteriöse Selbstmorde unter Spekulanten’ ruinöse Haltezeit im High speed Handel :D
Bei dem Wurf fahren die erst mal fett in Puff ….
Oktober 15th, 2012 at 20:26
@flatter:
Ich wundere mich schon etwas.
Hat sich Deine Meinung zu Marx geändert ?
@klaus baum [2]:
siehe Dir mal folgenden Link an:
https://www.der-postillon.com/2012/10/linie-ubertreten-rekordsprung-aus-39.html
Oktober 15th, 2012 at 21:13
zu @25
“Hat sich Deine Meinung zu Marx geändert ?”
Für den Fall, dass @flatter keine Zeit hat, zu antworten:
Wieso dies: Er schrob in
“Marx, eine sinnlose Strapaze”
https://archiv.feynsinn.org/?p=14118
“So wie die Psychoanalyse als Philosophie und Denkmodell großartig, als Therapie aber eine Katastrophe ist, sind Marx’ Analysen des Kapitalismus geniale Wissenschaft, aber völlig untauglich zur politischen Auseinandersetzung.”
Also: die Marx’sche Ökonomik-Analyse des Kapitalismus sollten heutige VWL-Studenten schon noch zur Kenntnis nehmen dürfen, statt nur zu “wissen”, dass sie natürlich Unsinn sei.
Oktober 15th, 2012 at 23:09
Ich denke, Hierarchie ist DAS Problem der Menschheit zurzeit. Ansätze wie Anonymous oder Occupy aber auch der Widerstand gegen S21 oder “X-tausendmal quer” zeigen, dass Schwarmintelligenz funktionieren und ziemlich erfolgreich sein kann. Ich jedenfalls beteilige mich lieber an einem Schwarm, als mich einer Befehlsstruktur zu unterwerfen. Ob die Menschheit jedoch je ihr Hierarchiedenken zu überwinden vermag, werden Du und ich wohl leider nicht mehr erleben.
Oktober 15th, 2012 at 23:31
@Testosteron: Nö, wieso? Ich weiß auch gar nicht, ob ich eine “Meinung zu Marx” habe; wenn, dann mehrere.
Ich empfehle allerdings, meine Äußerungen zu Marxisten nicht mit solchen zu dem Mann aus Trier bzw. seinen Werken zu verwechseln. Manchmal provoziere ich diese Verwechslung vielleicht. Dann regen sich die Jünger so lustig auf ;-)
Oktober 16th, 2012 at 20:48
@flatter [28]:
Äußerst interessant !