zombecoDer ehemalige Vizepräsident von Goldman Sachs (London), den die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zum Präsidenten der EZB ernannt haben, geht in die Offensive und erklärt quasi das neoliberale Armageddon. Unter der falschen Flagge des Orwellschen Begriffs “Strukturreformen” sieht er das Ende des Sozialstaates gekommen – in Europa, dem reichsten Kontinent der Erde. Dergleichen war zu erwarten, es entspricht dem aggressiven Imperialismus der Investmentbänker, insbesondere der metastasierenden Krake Goldman Sachs. In dieser Deutlichkeit hätte ich das allerdings nicht erwartet.

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“Stephan” von Wiesaussieht sieht damit den demokratischen Bündnisfall eingetreten, für Deutschland also Artikel 20 (4), was man mit Recht als illusorisch betrachten darf. Zurecht allerdings deutet er an, dass die Menschen sich radikalisieren werden und dieser offene Klassenkampf irgendwann angenommen werden wird. In Griechenland ist das ja bereits sichtbar.

Nicht reformierbar?

Interessant ist die Ansicht des Erzkapitalisten Thomas Strobl zum Thema (erschienen 2009), der das Dilemma der Reformierbarkeit des Kapitalismus en passant aufzeigt. Denn was Strobl – völlig richtig – an Möglichkeiten nennt, den Karren kurz- oder mittelfristig aus dem Dreck zu holen, erscheint weniger realistisch als eine Weltrevolution. Seine Diagnose:

Denn allen vorschnellen Verurteilungen vermeintlich Schuldiger zum Trotz liegen die Ursachen der Krise [...] im Wesen der Marktwirtschaft selbst.

Seine Therapievorschläge sind im Kern: Stärkung des Binnenmarktes, Abschaffung von Markteintrittsbarrieren, den Faktor Arbeit von Verbrauchssteuern befreien, Erhöhung von Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern.

Mit welchen Kapitalisten will er das aber umsetzen? Wie er selbst ja längst erkannt hat, sind die zeitgenössischen Ökonomen durchgängig in der Wolle gefärbte Neoliberale, die das alles für Teufelszeug halten. Und selbst unter den paar Abweichlern werden nicht alle seinen Vorschlägen zustimmen. Ich fände es zu prickelnd, wenn Strobl sich einmal mit Lösungen jenseits der Rettung des Kapitalismus betäte. Und sei es eine ‘sozialistische Marktwirtschaft’, die ich für eine äußerst spannende Spielwiese halte.

Das Problem, das Strobl zu lösen versucht, ist die Stabilität des Kapitalismus, die aber durch nichts derart effektiv unterminiert wird wie durch den Neoliberalismus. Der scheitert nicht zuletzt am eigenen Neusprech, der die Propagandisten selbst verdummt. Wenn sie ihre Ode an die Chimäre “Chancengerechtigkeit” singen und damit bloß eine obszöne Ungerechtigkeit in der Realität rechtfertigen, übersehen sie dabei, dass die Opfer ziemlich viele Leute sind, die einen ziemlich dicken Hals haben. Da helfen keine schönen Worte mehr und auch kein Exkommunizieren. Das wird dieser Tage schon sehr deutlich. Die beste Strategie der Kapitalisten ist daher nicht mehr die, noch irgendwie mehr Volk am Profit zu beteiligen, sondern die Doofen gegen die nicht ganz so Doofen aufzuwiegeln.

So geht Klassenkampf

Denn so geht Klassenkampf: Die Griechen gegen die Deutschen, die Deutschen gegen die Griechen, die Mittelschicht gegen die Unterschicht, die Lohnarbeiter gegen die Arbeitslosen und die Hellgrünen gegen die Dunkelgrünen. Das ist derzeit die beste Lösung, die nichts Grundlegendes an den bestehenden Verhältnissen ändert. Vorläufig jedenfalls. In der nächsten Stufe werden wir die Ghettoisierung der Reichen erleben, in Gated Communitites und anderen postmodernen Trutzburgen. Das alles kennen wir längst aus Afrika und Südamerika, wo die ultimativen Märkte entstehen: Drogenhandel, Entführungen, Piraterie. Solange das Volk eben nicht erkennt, dass es Volk ist und sich in unterschiedlichen Waffenbrüderschaften aufeinander hetzen lässt.

“Revolution oder Tod”, das Motto scheint allmählich wieder erschreckende Aktualität zu gewinnen. Ich wünschte, es wäre so wie Thomas Strobl es möchte. Meinetwegen Kapitalismus mit ein bisschen weniger Ungerechtigkeit und einer breiteren Mittelschicht. Ich selbst habe das vor einiger Zeit auch noch so gesehen und dieselben Vorschläge diskutiert wie er. Ich fürchte nur, dass es inzwischen zu spät dafür ist. Für überzeugenden Widerspruch wäre ich mehr als dankbar.