bruenzwonullWer bei der FAZ Anspruchsvolles zur Wirtschaftskrise lesen will, wird bekanntlich im Feuilleton bedient. Unter der Verantwortung ihrer Wirtschaftsreaktion finden sich hingegen nach wie vor bloß neoliberale Durchhalteparolen. Dort erschien mir heute der Geist des Valdis Dombrovskis, so dachte ich, seines Zeichens ehemaliger lettischer Premierminister. Dombrovskis ist aber tatsächlich noch immer Regierungschef, obwohl seine Partei nach der letzten Wahl nur noch drittstärkste Kraft ist und herbe Verluste einstecken musste. Er ist der Liebling neoliberaler Strategen, er hat es geschafft, sein Volk fürchterlich bluten zu lassen und sich dennoch an der Macht zu halten.

Der lettische Weg aus der Krise gilt als vorbildhaft“, kann sich die Redaktion nicht entblöden zu behaupten. Wir hatten das schon: Wo “gilt als” draufsteht, steht “sollt ihr gefälligst denken” drin.
Lettland hat nach dem Einbruch von 2008/2009, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Parex-Bank, ein gnadenloses Sparprogramm aufgelegt und wächst dennoch wieder langsam, auf dem Niveau vor dem Boom der 2000er Jahre. Auch in Lettland hat sich eine gewaltige Immobilienblase gebildet, deren Platzen noch gar nicht seine volle Wirkung entfaltet hat. Die Zeit nannte das Ganzeharte Reformen” und schlug gleichfalls die Trommel jener Propaganda, die glauben macht, “Fleiß und Arbeit” lohnten sich – lieferte aber immerhin die Fakten, die dem völlig widersprechen:

Löhne runter, Leute raus

Die Löhne im öffentlichen Dienst wurden um 40 Prozent gesenkt. Lettland erhöhte die Umsatzsteuer auf 22 Prozent, verkürzte die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld und kappte die Zuschüsse an den öffentlichen Nahverkehr“.

Das wird sicher den Fleiß der Menschen beflügeln, zumal derjenigen, die an die Versprechungen der Finanzinstitute und ihre Wachstumsprognosen geglaubt haben:
Laut Statistik haben von 600.000 lettischen Haushalten 120.000 Kredite aufgenommen; davon kann inzwischen jeder dritte die Raten nicht mehr regelmäßig bedienen.
Alles paletti aber, denn:
Noch halten sich die Banken mit Zwangsversteigerungen zurück, weil es kaum Käufer gibt.

Den Verwalter dieser “Reformen” interviewt die FAZ-Wirtschaftsredaktion gern, denn er hält an den großen neoliberalen Weisheiten fest, die den Jüngern Hayeks so am Herzen liegt. Dombrovskis und FAZ-Redakteur Rainer Hank wurden vor einer Woche mit dem Hayek-Preis ausgezeichnet, der vom “Finanzdienstleistungsteilkonzern” “Wüstenrot & Württembergische” vergeben wird. Das nenne ich “unabhängig”!

Diese Qualitätsjournalisten bescheinigen sich daher gleich quasi selbst, dass das ganz anders gepolte Feuilleton der FAZ auf der falschen Seite steht:
Dieser Befund macht es den Kritikern leicht, die Politik in den Fängen des Finanzsektors zu sehen. Das Feuilleton der F.A.Z. scheint geradezu eine Kampagne unter diesem Motto zu führen.
„Das Schaf ist ein brutales Raubtier“, heulte der Wolf. Nach Jahren neoliberaler PR-Feldzüge und einer beispiellosen Instrumentalisierung der Sprache haben diese Mietfedern die Stirn, von “Kampagne” zu sprechen!

Das Vertrauen der Schafe

Der also als Weiser Hayeks ausgezeichnete Regierungschef Dombrovskis weiß nicht, warum er eigentlich abgewählt wurde und dennoch weiter regieren darf. Er weiß auch nicht, warum die hohe Abwanderung sich immer drastischer entwickelt, aber er weiß, was “die Märkte” wollen:

Voraussetzung für Wachstum ist, dass ein Land das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnt.

Die Leute schröpfen, sie in Zinsknechtschaft halten, sie mit der Drohung der Zwangsräumung allein lassen, während die Banken, die sich mit solchen Krediten verspekuliert haben, gerettet werden – woher kennt man dieses Programm? Besonders gelungen ist dabei, dass man auf das Vertrauen der Menschen in die Institutionen offensichtlich gänzlich verzichtet. Gerade heute kommt die Meldung von einem regelrechten Bank Run in Lettland. Das also ist das “Vorbild” für ganz Europa? Dann wissen wir wenigstens, warum der Untergang alternativlos gewesen sein wird.