Lettlands Brüning gilt als Vorbild
Posted by flatter under Journalismus , Politik , Wirtschaft[31] Comments
12. Dez 2011 16:21
Wer bei der FAZ Anspruchsvolles zur Wirtschaftskrise lesen will, wird bekanntlich im Feuilleton bedient. Unter der Verantwortung ihrer Wirtschaftsreaktion finden sich hingegen nach wie vor bloß neoliberale Durchhalteparolen. Dort erschien mir heute der Geist des Valdis Dombrovskis, so dachte ich, seines Zeichens ehemaliger lettischer Premierminister. Dombrovskis ist aber tatsächlich noch immer Regierungschef, obwohl seine Partei nach der letzten Wahl nur noch drittstärkste Kraft ist und herbe Verluste einstecken musste. Er ist der Liebling neoliberaler Strategen, er hat es geschafft, sein Volk fürchterlich bluten zu lassen und sich dennoch an der Macht zu halten.
“Der lettische Weg aus der Krise gilt als vorbildhaft“, kann sich die Redaktion nicht entblöden zu behaupten. Wir hatten das schon: Wo “gilt als” draufsteht, steht “sollt ihr gefälligst denken” drin.
Lettland hat nach dem Einbruch von 2008/2009, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Parex-Bank, ein gnadenloses Sparprogramm aufgelegt und wächst dennoch wieder langsam, auf dem Niveau vor dem Boom der 2000er Jahre. Auch in Lettland hat sich eine gewaltige Immobilienblase gebildet, deren Platzen noch gar nicht seine volle Wirkung entfaltet hat. Die Zeit nannte das Ganze “harte Reformen” und schlug gleichfalls die Trommel jener Propaganda, die glauben macht, “Fleiß und Arbeit” lohnten sich – lieferte aber immerhin die Fakten, die dem völlig widersprechen:
Löhne runter, Leute raus
“Die Löhne im öffentlichen Dienst wurden um 40 Prozent gesenkt. Lettland erhöhte die Umsatzsteuer auf 22 Prozent, verkürzte die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld und kappte die Zuschüsse an den öffentlichen Nahverkehr“.
Das wird sicher den Fleiß der Menschen beflügeln, zumal derjenigen, die an die Versprechungen der Finanzinstitute und ihre Wachstumsprognosen geglaubt haben:
“Laut Statistik haben von 600.000 lettischen Haushalten 120.000 Kredite aufgenommen; davon kann inzwischen jeder dritte die Raten nicht mehr regelmäßig bedienen.”
Alles paletti aber, denn:
“Noch halten sich die Banken mit Zwangsversteigerungen zurück, weil es kaum Käufer gibt.”
Den Verwalter dieser “Reformen” interviewt die FAZ-Wirtschaftsredaktion gern, denn er hält an den großen neoliberalen Weisheiten fest, die den Jüngern Hayeks so am Herzen liegt. Dombrovskis und FAZ-Redakteur Rainer Hank wurden vor einer Woche mit dem Hayek-Preis ausgezeichnet, der vom “Finanzdienstleistungsteilkonzern” “Wüstenrot & Württembergische” vergeben wird. Das nenne ich “unabhängig”!
Diese Qualitätsjournalisten bescheinigen sich daher gleich quasi selbst, dass das ganz anders gepolte Feuilleton der FAZ auf der falschen Seite steht:
„Dieser Befund macht es den Kritikern leicht, die Politik in den Fängen des Finanzsektors zu sehen. Das Feuilleton der F.A.Z. scheint geradezu eine Kampagne unter diesem Motto zu führen.“
„Das Schaf ist ein brutales Raubtier“, heulte der Wolf. Nach Jahren neoliberaler PR-Feldzüge und einer beispiellosen Instrumentalisierung der Sprache haben diese Mietfedern die Stirn, von “Kampagne” zu sprechen!
Das Vertrauen der Schafe
Der also als Weiser Hayeks ausgezeichnete Regierungschef Dombrovskis weiß nicht, warum er eigentlich abgewählt wurde und dennoch weiter regieren darf. Er weiß auch nicht, warum die hohe Abwanderung sich immer drastischer entwickelt, aber er weiß, was “die Märkte” wollen:
“Voraussetzung für Wachstum ist, dass ein Land das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnt.”
Die Leute schröpfen, sie in Zinsknechtschaft halten, sie mit der Drohung der Zwangsräumung allein lassen, während die Banken, die sich mit solchen Krediten verspekuliert haben, gerettet werden – woher kennt man dieses Programm? Besonders gelungen ist dabei, dass man auf das Vertrauen der Menschen in die Institutionen offensichtlich gänzlich verzichtet. Gerade heute kommt die Meldung von einem regelrechten Bank Run in Lettland. Das also ist das “Vorbild” für ganz Europa? Dann wissen wir wenigstens, warum der Untergang alternativlos gewesen sein wird.
Dezember 12th, 2011 at 16:40
Da haben die Letten aber schnell aufgeholt und ihre Lektion Alternativlos hurtig umgesetzt … feinstes Schön und Neusprech sowie Reformen™ die einen Vergleich nicht scheuen brauchen !
Alternativlose Angleichung an das Große Vorbild dem “goldenen Westen”…*abwink*
Dezember 12th, 2011 at 17:26
flatter gilt in kennerkreisen als sprachgewaltiger blogger.
Dezember 12th, 2011 at 17:31
anlässlich obigen textes hätte ich mal eine frage: warum bietet mir die bank santander in regelmäßigen abständen einen kredit in höhe von 20.000.– euro an, obwohl sie wissen müssten, anhand meiner zahlungseingänge, dass ich einen solchen kredit gar nicht zurückzahlen kann?
was steckt da dahinter?
Dezember 12th, 2011 at 17:47
@2: Willste mir beleidijen?
@3: Santander gräbt halt auf diesem Markt rum und scheint dabei gar nicht so erfolglos zu sein. Mit irgendwas muss ne Bank ja Geschäfte machen, und das Ausfallrisiko bei solchen Krediten ist offenbar auch nicht höher als bei – sagen wir – Staatsanleihen.
Dezember 12th, 2011 at 17:48
@ klaus baum
Dahinter stecken die Märkte. Die wollen dich verbriefen. Einmal verbrieft, kannst du dich dann selber kaufen.
Dezember 12th, 2011 at 18:05
klaus baum
Es ist natürlich die Alternativlosigkeit zur Provision aus Kredit und Ausfallsversicherung … und zur Not vollstrecken die dich bis zum abwinken *lol*
PS (2) Schleimer ;-)
Dezember 12th, 2011 at 19:07
@ klaus baum
Dahinter stecken die Finanz-Aussagen von Wirtschaftsauskunftsunternehmen wie Schufa, Creditreform oder Infoscore im Hinblick auf Dein Schulden-Profil. Die sagen, das Du liquid genug bist, um einen Kredit angeboten zu bekommen. Ob Du ihn dann auch abrufen kannst, ist eine andere Frage, welche erst dann final geklärt wird.
Dezember 12th, 2011 at 19:26
@katze usm sack.
wenn die auskunftsunternehmen befragt worden sind, müssten sie doch wissen, dass ich keine schulden mache. alte familientradition.
Dezember 12th, 2011 at 19:26
p.s.: Die “Wüstenrot & Württembergische”, die den Hayek-Preis finanziert, hat offenbar Mitarbeiter mit Puffbesuchen belohnt – das schient so üblich zu sein in diesen feinen Kreisen. Wer darüber berichtet, führt vermutlich auch eine “Kampagne”.
Dezember 12th, 2011 at 20:35
@ flatter #9:
Die haben aber versprochen, den “Aufschwung” nach Deutschland zurückzuholen. In einer Stellungnahme dazu wurde gesagt, dass zukünftig die Erfolgsprämien in deutschen Landen verjubelt werden sollen.
Also reitet man in Zukunft in deutsche Puffs ein. Und raus. Und hoch. Und runter. Aber auch da soll es ja Brasilianerinnen geben …
Dezember 12th, 2011 at 21:08
“Dann wissen wir wenigstens, warum der Untergang alternativlos gewesen sein wird.”
Im Lichte der Biografie des letzten demokratisch legitimierten deutschen Sparkanzlers vor Hitler besehen wird dieser Satz Dich dereinst in den Olymp der Weissager gehoben haben.
Dezember 12th, 2011 at 21:57
Mr. Euro ist als “undogmatischer Wirtschaftswissenschaftler” bekannt. Der Erfinder des zwei Säulen-Blablas ist ein Goldman Sachs Sprachrohr. Nett, wie er die halbe Welt zusammenhangslos daherzitiert. Einen Verweis auf Jesus v. N. bleibt er uns allerdings schuldig.
Was will er uns aber sagen? Für mich liest sich das wie “We are Goldman Sachs. We are the 1 percent. We will assimilate you. All resistance is futile.”
Wenn Litauen ein Vorbild ist, dann schließt dies wohl die Duldung rechtsnationalistischer Kräfte in der Regierung mit ein. Auf 20-25% Arbeitslose darf man sich dann auch einstellen. Naja, solange sie pünktlich ihre Schulden samt Zinsen zurückzahlen, ist alles andere wohl nicht so wichtig und deren Sache. Vielleicht kann man das Heer der Arbeitslosen ja irgendwann für Medikamententests gebrauchen – Schließlich stellen sie das Zeugs auch in großen Mengen her.
Und nicht motzen: Geldpolitik bleibt schließlich Geldpolitik.
Dezember 12th, 2011 at 22:07
P.S.: Mir kommt gerade noch die Idee, die beiden Säulen mit den Türmen bei J. R. R. Tolkien gleichzusetzen.
Dezember 12th, 2011 at 22:18
Kriegshetze gegen den Orient und Arbeitslosen die Stütze streichen…
Ist das der Linksrutsch??
Wir werden von Faschisten regiert
Dezember 12th, 2011 at 23:31
Wer wird denn gleich von Faschisten reden. Der gängige Begriff ist doch der von “Technokraten”. Und hinter den Technokraten stehen auch nur Technokraten. Versprochen.
Apropos Geld: Die faz hat da noch einen Tipp: Griechische Staatsanleihen – 3800 Prozent Rendite
Dezember 13th, 2011 at 08:32
[...] Lettlands Brüning gilt als Vorbild [...] “Die Löhne im öffentlichen Dienst wurden um 40 Prozent gesenkt. Lettland erhöhte die Umsatzsteuer auf 22 Prozent, verkürzte die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld und kappte die Zuschüsse an den öffentlichen Nahverkehr“. Das wird sicher den Fleiß der Menschen beflügeln, zumal derjenigen, die an die Versprechungen der Finanzinstitute und ihre Wachstumsprognosen geglaubt haben: “Laut Statistik haben von 600.000 lettischen Haushalten 120.000 Kredite aufgenommen; davon kann inzwischen jeder dritte die Raten nicht mehr regelmäßig bedienen.” Alles paletti aber, denn: “Noch halten sich die Banken mit Zwangsversteigerungen zurück, weil es kaum Käufer gibt.” Den Verwalter dieser “Reformen” interviewt die FAZ-Wirtschaftsredaktion gern, denn er hält an den großen neoliberalen Weisheiten fest, die den Jüngern Hayeks so am Herzen leigt. Dombrovskis und FAZ-Redakteur Rainer Hank wurden gleichzeitig mit dem Hayek-Preis ausgezeichnet, der vom “Finanzdienstleistungsteilkonzern” “Wüstenrot & Württembergische” vergeben wird. Das nenne ich “unabhängig”! Diese Qualitätsjournalisten bescheinigen sich daher gleich quasi selbst, dass das ganz anders gepolte Feuilleton der FAZ auf der falschen Seite steht: „Dieser Befund macht es den Kritikern leicht, die Politik in den Fängen des Finanzsektors zu sehen. Das Feuilleton der F.A.Z. scheint geradezu eine Kampagne unter diesem Motto zu führen.“ „Das Schaf ist ein brutales Raubtier“, heulte der Wolf. Quelle: Feynsinn [...]
Dezember 13th, 2011 at 08:51
Hayeks Ideen sind im Grunde interessant zu lesen. Mich wundert, dass so wenige seiner Gläubigen die getroffenen Annahmen nicht Hinterfragen. Solche Dinge werden (habe ich das Gefühl) nur von Menschen gefordert die anderen Menschen helfen wollen. Wenn es um eine Ideologie des Egoismus geht, dann braucht man die wesentliche Grundannahme, dass jeder Mensch egoistisch sei und immer nach seinem optimalen Marktergebnis sucht nicht zu Hinterfragen. Acuh spielt Zeit bei Hayek und seinen Jüngern keinerlei Rolle. Natürlich brechen Monopole irgendwann zusammen, darum sollte man sie nicht verhindern (der Markt regelt das schon). Das vorher jede Menge Schaden angerichtet werden kann interessiert nicht. Auch, dass die Größe des Unternehmens einen Einfluss auf die Rechtsgleichheit hat wird gnadenlos ignoriert. So können große Firmen bestimmte Dinge einfach aussitzen. Kleine können dies nicht. Die Grundannahme der Waffengleichheit ist niemals gegeben.
Da die Jüngere Hayeks sicher nicht dumm sind, nutzen sie die Philosopie als Ideologie und versuchen wissenschaftlich (Hayek argumentiert alles über Logik, welch hochtrabende Wissenschaft) die absurden Zustände zu untermauern.
Dezember 13th, 2011 at 09:28
+++OT+++
flatter
Hey flatter ,da der Beraterjob nicht die Endstation für den Mann mit den vielen Vornamen sein wird sondern er ihn als Sprungbrett für eine Europa-Karriere nutzen wird werden wir seine Internetfreiheit bald als Kommissar in Brüssel begrüßen dürfen .. wart’ nur ab *lol*
Aaaldee du erinnerst dich aber schon noch das wir da ne’ Wette laufen haben ;-)..
Dezember 13th, 2011 at 10:06
Die Erfolgsserie reißt nicht ab: FR-Online – “Buttermangel in Norwegen”
350 Euro für ein Pfund Butter. In Norwegen ist das derzeit Realität. Der verregnete Sommer und die schlechte Qualität des Futters haben zu einem echten Mangel geführt.
Einfach toll, wie wir alles unter Kontrolle haben. Ob da auch die…sagen wir mal Vorratsdatenspeicherung hilft?
Dezember 13th, 2011 at 10:11
R@iner
Dubios … Ich habe am Wochenende mit Freunden in Bergen gesprochen .. Von Butterknappheit hab ich da nicht gehört .. ?!
Dezember 13th, 2011 at 10:14
Seltsam. Wem sollte eine solche Falschmeldung nützen?
Dezember 13th, 2011 at 10:23
R@iner 18: Für diejenigen, die mal richtig was anlegen wollen, wäre das doch ein originelles Weihnachtsgeschenk anstelle eines 10-g-Goldbarrens.
Dezember 13th, 2011 at 10:25
@3 Klaus Baum
Du lebst laut Wirtschaftswoche in der wirtschaftlich dynamischsten Stadt Deutschlands.Du sollst halt auch ein Teil dieser Dynamik werden…
lg
Hagnum
Dezember 13th, 2011 at 10:28
@altautonomer: Man könnte Butterfahrten organisieren…
Dezember 13th, 2011 at 10:37
R@iner
Keine Ahnung war ja nur ‘ne Feststellung vielleicht nur rund um Oslo .. Ich denk nur wenn’s da nun absolut keine Butter gäbe hätt’ der was gesagt .. sei’s drum
..der ganze Quark geht mir im Moment sonst wo vorbei,ich kümmere mich um meinen Scheiß ;-)
Dezember 13th, 2011 at 11:23
@ chriwi (16): Logik ist schon Wissenschaft, nur lernt jeder Logiker von Anfang an, dass man durch logische Schlüsse nicht mehr rausholen kann, als in den Prämissen schon enthalten. Und wenn da der faule Zauber sitzt, dann hilft auch alle Logik nicht mehr viel.
https://xkcd.com/704/
Dezember 13th, 2011 at 11:27
@Lazarus: Wir sprachen von “Regierung”. Assistent eines B-Funktionärs in Brüssel ist auch für ihn noch drin. Ne Krönungsmesse wird’s dafür aber nicht geben, oder?
Dezember 13th, 2011 at 11:48
flatter
jaja ..schon klar ;-) drum sagte ich :Beraterjob nicht die Endstation sondern mehr Sprungbrett ,die Medien arbeiten ja munter an dem Aufbau der Resistenz beim Bürger durch Hyposensibilisierung,wenn sich da jeder ausgekotzt hat und seinen Schmäh und Hohn abgelassen hat und es keiner mehr höhren will und kann dann “I’ll be back” … besorg’ dir schon mal ‘nen “Rettungsschirm™”
Dezember 13th, 2011 at 14:43
Mal noch was anderes:
möchte vielleicht jemand da mal um die Ecke schauen?:
https://openpetition.de/petition/online/finanzen-klaeren-statt-fakten-zu-s21-schaffen-herr-schmid
Gefunden auf:
https://www.bei-abriss-aufstand.de/
https://www.ftd.de/unternehmen/handel-dienstleister/:planung-des-staatsbetriebs-deutsche-bahn-auf-falschem-gleis/60141314.html
Dezember 13th, 2011 at 15:36
Ist zwar etwas offtopic. aber das hier ist einfach zu geil.
https://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article13752714/Polizei-Blamage-im-Kampf-gegen-Zelte.html
Dezember 13th, 2011 at 21:34
@happy aua: Tipp: Beinahe alles zu Revolutionen, speziell zu Occupy, gibt es bei Frau Mop (s.o. bei “Die roten Schuhe”), die immer sehr zeitnah berichtet und sich über Kommentare freut. Monoma (“Autismuskritik”) kümmert sich auch sehr aufmerksam um das weltweite Geschehen.