Mai 2012
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Politik[123] Comments 06. Mai 2012 22:24
Nie schien es so sinnfrei wie heute. Es gab Wahlen. Immerhin kamen die Erbsenzähler auf ihre Kosten – nicht nur weil sie eh viel zu tun haben, sondern auch, weil sie jetzt zum Beispiel ganz schnell vergessen müssen, was sie jahrelang behauptet haben: Dass eine niedrige Wahlbeteiligung (auch) der Linken nütze. Die ist tatsächlich aus dem Rennen, weil die Piraten die chiceren Outlaws sind und nicht mit der Feindseligkeit der versammelten Medien kämpfen müssen.
Alles ist aber überall in Ordnung. Im Frankreich der zwei Optionen wird es also jetzt ein sogenannter “Sozialist”. Wieviel von seinen Versprechen er halten wird, werden Kenner der europäischen “Sozialdemokratie” ahnen. Die bleierne Kanzlerin hat sich ihm, dem sie zuvor nicht übel genug mitspielen konnte, bereits prophylaktisch an den Hals geworfen. Selbst ein Mühlrad wäre da wohl angenehmer. Die Nachricht aber ist klar: Du darfst auch ein Roter sein, wenn du tust, was meine Freunde sagen.
Zum Davonlaufen, aber wohin?
Ganz zum Davonlaufen ist das, was die Griechen vermutlich erleben werden. Weil immer noch eine schrumpelige Schicht von Gläubigen und selig Verwirrten ein Drittel ausmacht, suchen sich jetzt die alten Kraken ein Zusatzärmchen, um weiter ihre Vettern zu füttern. “Konservative” und Pseudosozialisten hoffen jetzt, zur Rettung des Kapitalismus – in einer seiner korruptesten Varianten – auf Möchtegernsozialisten.
Dass Wahlen nichts verändern, ist die Nachricht, aber es gibt noch eine Schlimmere: Weil nämlich das ganze Pack derer, die in Europa rote Fähnchen über ihren Parteizentralen flattern lassen, das letzte Bollwerk des Kapitalismus sind, sehen Wahlgäubige nur noch den Ausweg nach rechtsaußen. Man möchte die Logik der Wahlarithmetiker beleihen und zu der Aussage kommen: Wer Sozialdemokraten wählt, stärkt die Faschisten.
Beinahe unbegreiflich: Die wirklichen Sozialisten könnten abräumen wie nie, wären sie nur in der Lage, sich auf ihre Ziele zu besinnen. Damit meine ich nicht staatstragende Verräter, denen Karriere schon immer vor Menschlichkeit ging, die nur ein Stück abhaben wollen vom Glück der Schönen und Mächtigen. Ich meine diejenigen, die den Kapitalismus kritisieren, ihn ablehnen und andere Lösungen für die Zukunft der Menschheit haben als die Verwertungskette.
Wer wählt denn sowas?
Sie aber verlieren sich intern in Debatten über den richtigen Marxismus und nach außen in Koalitionen mit dem Kapital. Extremer sollten sie werden und weniger marxistisch. Sagen, was ist und sich dem Falschen verweigern. Vergesst das Geschwafel von der „Regierungsfähigkeit“. Sammelt eure Kräfte und lasst euch nicht korrumpieren. Ich erwarte von der Linken eine Suche nach Lösungen und kein tumbes Mitmachen, das ihnen nicht den geringsten Einfluss beschert.
Nur ein Kurs, der im wahrsten Sinne dagegen hält, kann nützen, denn sonst macht man sich abhängig vom Wohlwollen derer, die alles brauchen können, nur keine Linke. Die sich nicht schämen, ein Staccato der Propaganda zu spielen, um ihre geölten Büttel nach vorn zu bringen. Es gibt immer genug Dumme, denen man nur oft genug eintrichtern muss, dass da einer sympathisch ist, groß und wichtig. Das reicht völlig aus, und wenn er dann noch fesch daherkommt, ist er ‘unser Mann’.
So kreuzdämlich sind sie, dass sie sogar die FDP wählen. Weil Kubicki und Lindner häufiger in den Medien sind als die Kanzlerin und Günther Jauch zusammen. Weil die Taktik aufgeht, einen Tölpel wie Rösler von Parteifreunden anfeinden zu lassen, um selbst als große Nummern dazustehen. Weil sie nicht kapieren, dass produzierte Sympathie für einen Vorturner nichts an der Verkommenheit seines Vereins ändert. Wie muss es um einen Verstand bestellt sein, der auf eine solche Farce hereinfällt?

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Politik[470] Comments 02. Mai 2012 19:03

In unserer kleinen Reihe “Lügen statt Atmen” befassen wir uns heute mit dem aktuell bejubelten Sinken der offiziellen Arbeitslosigkeit unter die Zahl vom 3 Millionen Erfassten. Das ist ja so gut wie Vollbeschäftigung®, wie wir durch das Ministerium für Wahrheit wisen. Schauen wir uns also eine weitere Grafik an und erinnern uns, warum Helmut Schmidt 1982 als Kanzler zurückgetreten wurde: Die Zahl der Arbeitslosen ging auf die 2 Millionen zu. Im Lambsdorff-Papier hieß es dazu:
“Die schlimmste soziale Unausgewogenheit wäre eine andauernde Arbeitslosigkeit von 2 Millionen Erwerbsfähigen oder gar noch mehr.”
Neben allen anderen sozialen Unausgewogenheiten haben sie auch das sehr schnell hinbekommen. Die Zahl der Arbeitslosen war schon kurz darauf über 2 Millionen und seitdem nie mehr darunter. Nimmt man die Bürger der DDR dazu, die gut ein Viertel Zuwachs in der Bevölkerung bedeuteten, wären nach den Ansprüchen von Tietmeyer und Lambsdorff also 2,6 Millionen eine Katastrophe. Ihre Nachfolger bejubeln jetzt knapp 3 Millionen, zuzüglich Minijobber, Befristete, Praktikanten und Frührentner.
Bescheidenheit, eine Zier
Was sind wir doch bescheiden geworden. Seltsamerweise schlägt sich das gar nicht in der Selbstdarstellung der Neoliberalen wieder. Hört man sie reden, sind sie ungeheuer erfolgreich.
Wie man sieht. Das “Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit” hat in letzterem Ansinnen vollkommen versagt, die Arbeitslosenquote von 1981 wurde selbst unter günstigsten Bedingungen nie wieder erreicht, trotz aller Tricks, allen Zwangs und aller Reallohnsenkungen, trotz Exportweltmeistertiteln, trotz allen “Wachstums”.
Entweder besteht ganz offenbar kein Zusammenhang zwischen dem nackten Wachstum und der Arbeitslosigkeit oder das Konzept hat auch in puncto Wachstum versagt – das muss ich an dieser Stelle nicht entscheiden. Bemerkenswert aber, dass es noch immer gelingt, diesen ökonomischen Firlefanz permanent zu feiern. Dabei bricht das Kartenhaus sofort zusammen, wenn man je Anspruch und Wirklichkeit miteinander konfrontiert. Sollte das nicht ab und an getan werden? Und wessen Aufgabe wäre das dann eigentlich?

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Politik[43] Comments 01. Mai 2012 20:16

Ich habe bei einigen Gelegenheiten verdeutlicht, worin das neoliberale Programm seit 1982 besteht und dabei die Hauptstrategien benannt:
- Niedrige Löhne
- Niedrige Kosten der Sozialabgaben für Arbeitgeber, Senkung der Lohnersatzleistungen
- Niedrige Steuern, insbesondere für Unternehmen
- Niedrige Staatsausgaben, “Konsolidierung” der öffentlichen Haushalte
- Deregulierung
- Privatisierung
- Bindung des Freiheitsbegriffs ans Privateigentum, Unantastbarkeit des letzteren
- Ausschließlich positive Kommunikation der wirtschaftlichen Lage.
Letzteres scheint dabei eine untergeordnete Rolle zu spielen, ist es doch keine unmittelbar ökonomische Strategie. Tatsächlich hat sich aber genau dies als eine der durchschlagendsten Veränderungen erwiesen, die uns eine beinahe gleichgeschaltete Presse und das Phänomen des aktuellen Neusprechs beschert hat.
Krisengerede von Minusmenschen
Der Zwangsoptimismus der Neoliberalen ist ungebrochen, sie gehen einfach über ihr Versagen hinweg und lassen die Öffentlichkeit mit der Macht ihrer Medien glauben, sie allein wären in der Lage, wirtschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen und könnten prognostizieren, wie es weitergeht. Ihre Prognosen und Projektionen weisen dabei gern über Jahrzehnte in eine Zukunft, obwohl sie schon keine Ahnung haben, was nächste Woche auf uns zukommt. Ein schönes Fundstück der Jubelpresse möchte ich daher kurz mit dem konfrontieren, was tatsächlich geschah. Die Grafik oben zeigt die wirtschaftliche Entwicklung der Jahre 2004 – 2008. Ende 2007 begann der große Einbruch. Was wusste die Fachpresse Mitte 2007 davon? Fragen wir Henrik Müller vom “manager magazin”, der im Juli 2007 meinte:
“Objektiv geht es der Bundesrepublik so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. [...]
Doch die Deutschen bleiben schwierig. Nach wie vor verharrt die große Mehrheit der Bürger im mentalen Krisenmodus. [...]
Die Deutschen sind immer noch die Minusmenschen Europas.[...]
Glücklicherweise teilt die Wirtschaftselite den Pessimismus der Mehrheit nicht (mehr).[...]
Gelingt es nicht, die deutsche Requiem-Atmosphäre zu überwinden, dann bleiben notwendige weitere Veränderungen schwierig. Denn wer eine schlechtere Zukunft erwartet, der klammert sich so lange wie möglich an das, was er hat.”
Ja, so sind sie, die Besitzstandswahrer und Minusmenschen. Wollen partout nicht optimistisch sein und mitfeiern, wenn die Kapelle auf dem unsinkbaren Schiff zum Walzer ansetzt. Das ökonomische Großgenie Peer Steinbrück sprach damals übrigens auch noch von “Krisengerede”, bis er in das tiefe Glas geschaut hatte, das Joe Ackermann ihm hinhielt. Dort fand er dann den “Abgrund”.
Egal. “Vorwärts und alles vergessen” ist die Devise. Dagegen hilft wie immer nur erinnern.

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