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September 2010


In dieser Gesellschaft braucht man Geld, um zu leben. Um gut zu leben, braucht man mehr davon, und um etwas zu bewegen, noch mehr. Das ist nicht schön und nicht begrüßenswert, aber der Stand der Dinge. Ganz unabhängig von Vorstellungen einer besseren Gesellschaft kommt man nicht umhin, sich welches zu verschaffen und es auszugeben. Im Alltag, der für alle auch ein ‘beruflicher’ ist, ist es aus meiner Sicht schlicht indiskutabel, Menschen abzusprechen, dabei mitzumachen. Aus moralischer Sicht ist es so gut wie unmöglich, dabei unschuldig zu bleiben. Wer im Kapitalismus lebt, ist ein Teil des ökonomischen Systems.

Diejenigen, die sich selbst als ‘links’ bezeichnen oder von anderen so bezeichnet werden, sind davon daher nicht ausgenommen. Sie werden gleichwohl von Pharisäern aller Lager verächtlich gemacht, wenn sie nicht in Sack und Asche gehen. Und selbst wenn sie es täten, bliebe ihnen die Häme auch nicht erspart. Man weiß nicht, was dümmer ist – die Doppelmoral derer, die sich mit dem System gemein machen oder die Gnadenlosigkeit linker Moralisten, denen einer nicht radikal genug ist.

Jönne könne

Ob es für Klaus Ernst schicklich ist, einen Porsche zu fahren, ist unter diesem Aspekt zunächst eine Geschmackssache oder die eines politischen Kalküls, das ihm weniger wichtig zu sein scheint als die infantile Liebe zu einem Spielzeug. Man kann das als naiv betrachten oder als sympathisch, als allzumenschlich oder dumm, aber es ist kein Grund, deshalb seine politische oder persönliche Integrität infrage zu stellen.

Wem nützt es? Daß ein Parteifunktionär und Mandatsträger in jedem anderen Verein für die Doppelbelastung auch zwei Gehälter bezieht, wird ihm am Ende noch als ‘intelligent’ angerechnet, zumindest als selbstverständlich. Wenn aber ein Profipolitiker die Gesellschaft anders organisieren möchte und anderen etwas gönnen kann, gerade weil er sich selbst etwas gönnt, wird ihm das als unmoralisch ausgelegt. Welch ein Unfug.

Das Maß der Maßlosigkeit

Unterhalb der äußerst durchsichtigen Ausschlachtung dieser Oberflächlichkeiten durch die Gegner linker Gesellschaftsentwürfe ist die Moralkeule ein primitiver Selbstschutz. Wenn man denjenigen, die den Gewissenkonflikt im Verteilungskampf sichtbar machen, Heuchelei vorwirft, läßt es sich mit der eigenen umso besser leben. “Seht nur, die Linken wollen auch nur Geld”, ist das Urteil. Als müßte man etwas haben wollen, weil man es bekommt. Als dürfte man nur mehr für die Armen fordern, wenn man selbst nicht betroffen ist. Als dürfte jemand die Ungrechtigkeit des Eigentums erst benennen, wenn er selbst alles verschenkt hat.

Soweit es um den Effekt des Kapitalismus geht, daß er eben zu Maßlosigkeit beim Haben und Behalten führt und zu unerträglichen Unterschieden bei den Anteilen am Ganzen, muß der Maßstab deshalb angelegt werden. Wo es keinen mehr gibt, ist der Zustand nicht mehr nur falsch, sondern pervers. In einem vertretbaren Rahmen aber ist jede Diskussion um zuviel oder zuwenig genau die Neiddebatte, die Linken stets vorgeworfen wird, wenn sie die Maßlosigkeit der Oberschicht kritisieren. Absurd.

Konterrevolutionäre Kleinverdiener

Am anderen Ende der Nahrungskette ist es ganz aus mit Gönnen, und die Kleinen achten wachsam darauf, daß die anderen Kleinen bloß nicht mehr haben als sie selbst. Völlig paradox wird das, wenn aus vorgeblich linker Ideologie jeder Kleinverdiener bespuckt wird, weil er sich ‘mit dem System arrangiert’. Ich bin absolut dafür, auch über alltägliche Einnahmen und Ausgaben zu diskutieren und darüber, ob sich nicht bessere Möglichkeiten finden, mit dem leidigen Mammon umzugehen. Völlig neben der Schiene sind aber Vorwürfe, die jemandem das Recht auf eine ‘linke’ Meinung absprechen, weil er bei Aldi einkauft oder beim RWE putzen geht.

Als Betreiber dieses Auftritts zur Erheiterung von Salonrevolutionären und Lampemputzern begegnen mir derlei Moralapostel mit der glasharten Analyse, meine gefälligen Textchen leisteten ja keinen Beitrag zur Revolution. Ja zu welcher denn, Kinder, ich weiß doch bloß noch nicht, auf welche Barrikade ich ein wohlgeöltes Stück Holz legen soll. Und neuerdings, das ist ja ein Unding, schreibe ich auch noch für Geld.

Man riecht geradezu den Pesthauch der Korruption, den die ersten zweihundert Euro, die ich nach knapp fünf Jahren verdeckter Vorbereitung inzwischen eingestrichen habe, hier verbreiten. Darum will ich mein Haupt tief beugen vor den edlen Spendern und Flatterern sowie meinem Werbekunden, in dessen Auftrag ich täglich über Mode schreibe. Ich gehöre fortan nur noch euch, ihr Geber. Gebt mir Befehle!

Der Unterzeichner des INSM-”Innovationsappells” und neoliberale Talkshow-Plauderer Klaus von Dohnanyi sieht sich bemüßigt, in der Süddeutschen Zeitung Sarrazins Rassimus durch konstruierte und erlogene Relativierungen weiterhin gesellschaftsfähig zu machen. Selbstverständlich befaßt er sich gar nicht erst mit der Frage, was Rassismus eigentlich sei und biegt sich das Ganze so zurecht, daß schließlich “nur” wieder auf dem Popanz der Faulen und Integrationsunwilligen herumgehauen werden kann.

Allein darin besteht schon die perfide Demagogie, die in der Öffentlichkeit stets nur die üblen Eigenschaften mit bestimmten Bevölkerungsgruppen in einem Atemzug nennt.
Dohnanyi will darüber hinaus partout nicht zur Kenntnis nehmen, daß der nicht rassistische Anteil der Hetze seines Genossens nicht dasjenige ist, was den Wind gedreht hat. Die dümmliche Einwortfrage “Rassismus?” ist eine hilflose Finte, die nicht wirkt, denn die Antwort ist “ja”. Was denn sonst?

Ein Beispiel aus der verqueren Argumentation:

Seine zentrale Kritik an einem Teil sesshafter muslimischer Zuwanderer in Deutschland richtet sich aber weder auf deren (unbekannten) individuellen Intelligenzquotienten noch auf deren islamische Religion.

Die “zentrale” Kritik sei eine andere, so wird rechtfertigt, daß ‘nicht-zentral’ bis hin zum Nazijargon vom Leder gezogen werden darf. Das gilt deshalb nämlich gar nicht so richtig und ist nur die Garnierung?
Und wenn wir den Satz Dohnanyis ernst nehmen, müssen wir inhaltich sogar zustimmen: Es richtet sich nämlich keine Kritik gegen gar nichts, da ist nichts, was als “Kritik” durchgehen könnte. Es richtet sich auch niemand gegen einen “individuellen Intelligenzquotienten”, sondern gegen einen – genetisch bedingten – kollektiven. Der Schluß, den man daraus ziehen muß, ist allerdings das Gegenteil dessen, was von Dohnanyi da veranstaltet. Wer eine Definition von Rassismus sucht, ist hier ganz nah bei der Quelle.

Zu behaupten, aus “keiner europäischen Linkspartei” wäre der Rassist ausgeschlossen worden, ist eine demagogische Verzerrung, wie sie nur von der SPD-Rechten kommen kann. Wie kommt er darauf? Gibt es dafür Belege? Oder auch nur eine Annäherung an den Begriff “Linkspartei”? Natürlich nicht. Keine linke Partei würde so etwas je dulden, und die “Sozialdemokratie” der Sarrazins, der Dohnanyis und der Seeheimer muß längst der politischen Rechten zugerechnet werden.

Am frechsten aber ist die Bezeichnung der andauernden Attacken gegen die Menschenwürde als “Thesen”. Es handelt sich nicht um Thesen, sondern um widerlegte Lügen mit der Absicht, Menschen zu schädigen, zu diskriminieren und zu Objekten zu machen. Das Recht dazu mag sich ein glühender Neoliberaler freilich nicht nehmen lassen wollen. Es entspricht schließlich dem Menschenbild, das er selbst so vehement vertritt.

Journalisten haben wohl ein striktes Verbot, sich selbst und veröffentlichte Umfragen für bescheuert zu erklären. Hätte es noch eines Belegs bedurft, daß die rücksichtslos Umgefragten nicht kapieren, was man von ihnen will, heute hätten wir wieder mal eine.

Der “Deutschlandtrend“, abgenudelt vom Experten für sinnlosen Zahlenquark Jörg Schönenborn, hat festgestellt, daß die Befragten Steinmeiers “Arbeit” so gut bewerten wie nie seit ach egal. Zwar werden wir radikal über den Umstand aufgeklärt,
“Steinmeier hatte für Schlagzeilen gesorgt, als er seiner Ehefrau eine Niere spendete. Das dürfte ein wichtiger Grund für seine gewachsene Popularität sein”,
das ficht den Demagoskopen aber nicht an, völlig blödsinnige Trendanalysen daran zu knüpfen.

Dabei hätte ein Blick in “Statistik für Doofe” genügt, um dem Papierkorb zu geben, was des Papierkorbs ist:

Eine Messung ist dann valide, wenn sie das Merkmal misst, welches sie messen soll oder welches sie zu messen scheint.

Sich schon am zweiten Tag den Titel “Depp des Monats” abzuholen, ist immerhin auch eine Leistung. Herzlichen Glückwunsch!

Wie ich lese, haben sie schon wieder den Amoktalker Arnulf Baring zu einer Talkshow eingeladen, diesmal, um als einer der letzten die rassistischen Thesen des Ihrwißtschonwer gutzuheißen. Daß der Mann allerdings von den Gazetten immer noch als “Historiker” verkauft wird, obwohl jeder wissen sollte, daß er ein Brüllmänneken vom neoliberalen Propaganda-Tanker ist, kann man nur noch “peinlich” nennen.

Wer übrigens Munition braucht für den nächsten Rasseforscher, der behauptet, es sei “weltweit Stand der Forschung”, daß Intelligenz vererbbar sei und der Jude, der Zigeuner und der Moslem drum halt anders, hier zwo Links:

Dieser hier und hier noch einer.

Das führt freilich nicht dazu, den Zünder von den selbst gelegten Sprengladungen zu entfernen. Ein paar Schmankerln aus den erkenntnisfreien Anstrengungen der Spezialdesolaten:

…die Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere der stark angewachsene Niedriglohnsektor, werden aber in Kombination mit der deutlichen Absenkung des Rentenniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung dazu führen, dass Altersarmut sehr bald wieder ein Thema wird…

Auch wenn das Alterssicherungssystem grundsätzlich nicht korrigieren kann, was durch Fehlentwicklungen im Arbeitsleben zustande gekommen ist, muss sichergestellt werden, dass niemand, der stets viel gearbeitet hat, im Alter auf Grundsicherung angewiesen ist.

Niemand soll durch die Zeit der Arbeitslosigkeit im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein. Deshalb wollen wir Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit bei der Rente höher bewerten.

Anstatt sich auch nur andeutungsweise mit den katastrophalen Hartz-Gesetzen auseinander zu setzen, gibt es reichlich Soziallyrik bei kaltem Tee und Salzgebäck. Die Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse tut uns echt leid, aber das kann man nicht korrigieren, gelle?
Stets viel gearbeitet soll er haben, der Prekär. Wenn nicht, ist er wohl “verschuldet” Arbeitslos. Dies im katholischen Sinne, nicht etwa im pekuniären.

Ganz große Literatur verbirgt sich da, impliziert doch der angestrebte juristische Salto mortale “unverschuldete Arbeitslosigkeit”, man müßte offiziell feststellen, wer wirklich wirklich nichts dafür kann. Daß er nichts hat, nichtwahr.
Könnte man auch feststellen lassen, wer unverschuldet nicht nur unverschuldet, sondern ganz und gar unverschämt im “Haben” ist? Volksvermögen vorläufig wenigstens virtuell so betrachten, als sei es irgendwie seltsam verteilt? Ursachenforschung? Kritik am falschen Zustand? So ganz ohne Schuldzuweisungen an Sozialschmarotzer und Kanaken?

Das kann ich derzeit leider nicht einmal von Ottmar Schreiner erwarten, wenn er sich als Feigenblatt seines Vereins betätigen darf. Tief blicken läßt derweil mein Freudscher Verleser “entsetzlich solidarische Rentenversicherung”. Ein Verständnis von Solidarität, werte “Sozialdemokraten”, müßt ihr euch erst wieder ganz von vorn erarbeiten. Fangt wenigstens endlich damit an!

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