In dieser Gesellschaft braucht man Geld, um zu leben. Um gut zu leben, braucht man mehr davon, und um etwas zu bewegen, noch mehr. Das ist nicht schön und nicht begrüßenswert, aber der Stand der Dinge. Ganz unabhängig von Vorstellungen einer besseren Gesellschaft kommt man nicht umhin, sich welches zu verschaffen und es auszugeben. Im Alltag, der für alle auch ein ‘beruflicher’ ist, ist es aus meiner Sicht schlicht indiskutabel, Menschen abzusprechen, dabei mitzumachen. Aus moralischer Sicht ist es so gut wie unmöglich, dabei unschuldig zu bleiben. Wer im Kapitalismus lebt, ist ein Teil des ökonomischen Systems.

Diejenigen, die sich selbst als ‘links’ bezeichnen oder von anderen so bezeichnet werden, sind davon daher nicht ausgenommen. Sie werden gleichwohl von Pharisäern aller Lager verächtlich gemacht, wenn sie nicht in Sack und Asche gehen. Und selbst wenn sie es täten, bliebe ihnen die Häme auch nicht erspart. Man weiß nicht, was dümmer ist – die Doppelmoral derer, die sich mit dem System gemein machen oder die Gnadenlosigkeit linker Moralisten, denen einer nicht radikal genug ist.

Jönne könne

Ob es für Klaus Ernst schicklich ist, einen Porsche zu fahren, ist unter diesem Aspekt zunächst eine Geschmackssache oder die eines politischen Kalküls, das ihm weniger wichtig zu sein scheint als die infantile Liebe zu einem Spielzeug. Man kann das als naiv betrachten oder als sympathisch, als allzumenschlich oder dumm, aber es ist kein Grund, deshalb seine politische oder persönliche Integrität infrage zu stellen.

Wem nützt es? Daß ein Parteifunktionär und Mandatsträger in jedem anderen Verein für die Doppelbelastung auch zwei Gehälter bezieht, wird ihm am Ende noch als ‘intelligent’ angerechnet, zumindest als selbstverständlich. Wenn aber ein Profipolitiker die Gesellschaft anders organisieren möchte und anderen etwas gönnen kann, gerade weil er sich selbst etwas gönnt, wird ihm das als unmoralisch ausgelegt. Welch ein Unfug.

Das Maß der Maßlosigkeit

Unterhalb der äußerst durchsichtigen Ausschlachtung dieser Oberflächlichkeiten durch die Gegner linker Gesellschaftsentwürfe ist die Moralkeule ein primitiver Selbstschutz. Wenn man denjenigen, die den Gewissenkonflikt im Verteilungskampf sichtbar machen, Heuchelei vorwirft, läßt es sich mit der eigenen umso besser leben. “Seht nur, die Linken wollen auch nur Geld”, ist das Urteil. Als müßte man etwas haben wollen, weil man es bekommt. Als dürfte man nur mehr für die Armen fordern, wenn man selbst nicht betroffen ist. Als dürfte jemand die Ungrechtigkeit des Eigentums erst benennen, wenn er selbst alles verschenkt hat.

Soweit es um den Effekt des Kapitalismus geht, daß er eben zu Maßlosigkeit beim Haben und Behalten führt und zu unerträglichen Unterschieden bei den Anteilen am Ganzen, muß der Maßstab deshalb angelegt werden. Wo es keinen mehr gibt, ist der Zustand nicht mehr nur falsch, sondern pervers. In einem vertretbaren Rahmen aber ist jede Diskussion um zuviel oder zuwenig genau die Neiddebatte, die Linken stets vorgeworfen wird, wenn sie die Maßlosigkeit der Oberschicht kritisieren. Absurd.

Konterrevolutionäre Kleinverdiener

Am anderen Ende der Nahrungskette ist es ganz aus mit Gönnen, und die Kleinen achten wachsam darauf, daß die anderen Kleinen bloß nicht mehr haben als sie selbst. Völlig paradox wird das, wenn aus vorgeblich linker Ideologie jeder Kleinverdiener bespuckt wird, weil er sich ‘mit dem System arrangiert’. Ich bin absolut dafür, auch über alltägliche Einnahmen und Ausgaben zu diskutieren und darüber, ob sich nicht bessere Möglichkeiten finden, mit dem leidigen Mammon umzugehen. Völlig neben der Schiene sind aber Vorwürfe, die jemandem das Recht auf eine ‘linke’ Meinung absprechen, weil er bei Aldi einkauft oder beim RWE putzen geht.

Als Betreiber dieses Auftritts zur Erheiterung von Salonrevolutionären und Lampemputzern begegnen mir derlei Moralapostel mit der glasharten Analyse, meine gefälligen Textchen leisteten ja keinen Beitrag zur Revolution. Ja zu welcher denn, Kinder, ich weiß doch bloß noch nicht, auf welche Barrikade ich ein wohlgeöltes Stück Holz legen soll. Und neuerdings, das ist ja ein Unding, schreibe ich auch noch für Geld.

Man riecht geradezu den Pesthauch der Korruption, den die ersten zweihundert Euro, die ich nach knapp fünf Jahren verdeckter Vorbereitung inzwischen eingestrichen habe, hier verbreiten. Darum will ich mein Haupt tief beugen vor den edlen Spendern und Flatterern sowie meinem Werbekunden, in dessen Auftrag ich täglich über Mode schreibe. Ich gehöre fortan nur noch euch, ihr Geber. Gebt mir Befehle!