Anfang Oktober habe ich in Aussicht gestellt, einen Artikel über die größte Schrödersche Sünde zu verfassen: Daß es keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr gibt. Wohlan!
“HartzIV” bedeutet nicht nur Gängelung für diejenigen, denen es nicht gelingt, einen Job zu finden. Es bedeutet überdies ein großes Hemmnis für gerade diejenigen, die angeblich davon profitieren sollen: Die Fleißigen, Zielstrebigen – die Sorte Mensch, die will, daß es “ihren Kindern einmal besser gehen” soll. Um den sozialen Aufstieg zu schaffen, bedarf es einer passenden Berufswahl, der Wahl einer passenden Arbeitsstelle, an der man seine Stärken nutzen kann. WIe kommt man an eine solche? Man bewirbt sich, wählt aus, probiert aus, schaut sich das eigene Fortkommen an und entscheidet sich eventuell, etwas anderes oder einfach dasselbe woanders auszuprobieren. In den fünfziger bis siebziger Jahren war die Phase des Probierens in der Regel recht kurz, bis man einen Betrieb fand, in dem man viele Jahre, oft ein ganzes Leben lang, beschäftigt war.
Heute ist die Situation anders. Mehr Fluktuation ist die Regel, dazu wird mehr Flexibilität gefordert. Diese Belastung der Arbeitnehmerschaft birgt viele Probleme, etwa die Schwierigkeit, Familien zu gründen oder die generelle Unsicherheit von Jobs.
Auf der anderen Seite birgt ein solcher Arbeitsmarkt die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Beschäftigungen zu versuchen und den Arbeitgeber häufiger zu wechseln. Hier aber schlägt die aktuelle Gesetzgebung gnadenlos zu. Die Flexibilität, die von den Arbeitnehmern verlangt wird, ist dem Gesetz und seinen ausführenden Agenturen selbst völlig fremd. Will sich jemand verbessern und kündigt deshalb eine Stelle, wird ihm das Arbeitslosengeld zumindest gekürzt. In der Regel bedeutet das für Empfänger eines Gehalts, von dem man leben kann, daß sie drei Monate vom Ersparten leben müssen. Dies hat zwar nur am Rande mit “HartzIV” zu tun, hat aber für die tatsächliche “Flexibilität am Arbeitsmarkt” fatale Folgen. Der Druck, eine Stelle zu behalten, weil man sich eine Kündigung nicht leisten kann und eben nicht die Gelegenheit hat, sich halbwegs in Ruhe eine andere Stelle zu suchen, ist eine psychologische Totalblockade. Allein die Aussicht, durch die Ablehnung von Stellen von heute auf morgen arm zu werden, verhindert durchaus berechtigte Versuche, sich zu verändern.
Und selbst, wenn man eine Stelle in Aussicht hat, während man noch beschäftigt ist, wird es äußerst schwierig. Man muß ja die Kündigungsfrist abwarten. So viel Zeit hat der potentielle neue Arbeitgeber aber oft nicht. Es ist also ein Glücksfall, wenn es Menschen noch gelingt, eine bessere Beschäftigung zu finden. Wer kündigt, gilt als Arbeitsflüchtling und wird so behandelt. Selbst wenn der Job unerträglich wird, weil man mit den Kollegen, dem Chef oder den Arbeitsbedingungen nicht zurecht kommt, ist dem so, denn wer kann dies schon nachweisen? Kündigt man nicht, wird man sich einigeln, die Leistung nachlassen und das Beschäftigungsverhältnis für alle Beteiligten zur Qual. Arbeitgeberverbände und neoliberale Politiker rufen gern und laut nach einem “gelockerten Kündigungsrecht”. Hier könnte man lockern – wenn man Arbeitnehmern eine sinnvolle Kündigung ermöglichen würde.
Flankiert wird diese Blockade durch den organisierten Abstieg von ehemaligen Angestellten durch “HartzIV”. Auch und gerade diejenigen, die sich auf ein Leben am Existenzminimum einlassen, dürfen diese Investition in ihre Laufbahn nicht tätigen. Ihre Aussicht besteht darin, in ausbeuterische Beschäftigungen vermittelt zu werden oder sogar ihr Existenzminimum zu verspielen. Sie werden gezwungen und herumgereicht, ihnen wird nicht gestattet, sich auf Angebote zu konzentrieren, die ihren Fähigkeiten und Vorstellungen von einem guten Job entsprechen. Mindestens ebenso hart trifft sie der Status als “Sozialschmarotzer” und der Verlust kultureller Teilhabe. Gerade, wer seinen eigenen Weg gehen will und wirklich das leisten will, was er kann, ist ja selbst schuld – er hätte doch Arbeit haben können. Wer soll unter solchen Bedingungen beruflich vorankommen?
Es gibt so viele Hintergründe, die völlig unberücksichtigt bleiben, was die Entwicklung der Menschen in ihrem Berufsleben massiv behindert.
Zur Illustration: Ich selbst befinde mich aktuell in dieser Situation. Nach elf Jahren in einem Beruf, für den ich qausi nebenbei qualifiziert bin, weil ich als promovierter Geisteswissenschaftler auch im (sozial-)pädagogischen Bereich tätig sein darf, habe ich ziemlich fertig. Ich leite ein Team von derzeit vier Mitarbeiter/innen an der Front, die diese Gesellschaft durch ihre sprichwörtliche Kinderliebe geschaffen hat. Ich stelle fest, daß ich meinen Job nicht mehr als sinnvoll betrachte. Nicht, weil die ganze Branche überflüssig wäre, sondern, weil mein konkretes Aufgabengebiet letztendlich ein Feigenblatt ist. Was Schule, einzelne soziale Hintergründe und die Realität meines Klientels kaputt machen, ist durch die von mir verantwortlich durchgeführten Maßnahmen oft nicht einmal mehr zu reparieren. Ich glaube, wir machen einen geilen Job, aber das ist einfach nicht ausreichend. Wie gehe ich damit um? Ich werde ordentlich bezahlt (wenngleich die 80km zur Arbeitsstelle eine Menge meines Gehaltes auffressen), und es ist durchaus erträglich, da, wo ich bin. Soll ich aber tumb meinen Streifen durchziehen, darauf warten, daß meine Motivation völlig aufgebraucht ist und meine Kollegen irgendwann mit einer “Null-Bock”-Haltung infizieren? Es gibt noch einige Gründe mehr, “nein” zu sagen, aber diese gehören nicht hierher.
Ich habe mich also entschlossen, etwas anderes zu suchen. Mein Ausstieg steht quasi fest, er könnte allerdings daran scheitern, daß ich nicht bereit sein werde, selbst zu kündigen. Die Folgen dieses Details werden unter Umständen zu einem absurden Theater führen.
Nun sind die allermeisten Arbeitnehmer nicht so entschlossen, das Richtige zu tun, und sie haben meist auch deutlich schlechtere Aussichten, damit nicht im totalen Absturz zu enden. Ihnen ist jede Aussicht genommen: Zu einer Betriebsgemeinschaft zu gehören, in der man sich einrichten kann, wie in einer funktionierenden Ehe, ist Schnee von gestern. Freude am Beruf und der Tätigkeit gilt nichts im Angesicht von Hartz. Auf Veränderung steht die Höchsttrafe. In diesem Land ist der Versuch verboten, sich einen Beruf zu suchen. Eine Tätigkeit, die als Teil des eigenen Lebens angenommen werden kann, die der Gemeinschaft, den eigenen Interessen und einem bißchen Wohlstand dient, ist von Gesetztes wegen irrelevant. Man hat dem Profit zu dienen – entweder dem eigenen oder dem der anderen. Dieser Zustand ist sogenannten “Sozialdemokraten” zu verdanken, die inzwischen nur noch eines können: So zu tun, als könnten sie mit Geld umgehen. Menschen und ihre Lebenswelt kommen in ihrem Wirken nicht mehr vor. Die Ironie besteht darin, daß diese Menschenverachtung just in ein nachhaltiges wirtschaftliches Desaster führt.