In einem Interview mit der “Welt”, das nicht weiter erwähnenswert ist, da Glos nur sagt, was er zu sagen hat, nämlich nichts, findet sich eine Passage, die auf ein Problem der Kapitalismuskritik hinweist:

[Welt:] Gerade in Ostdeutschland, aber nicht nur dort, wünschen sich viele Menschen die Rückkehr zum Sozialismus.

Glos:

Der Sozialismus hat noch nie funktioniert. Leistungsfähige private Unternehmen sind die Voraussetzung für Arbeitsplätze und Wohlstand. Das wissen auch die Menschen, sei es in Ost oder West.

In der medialen Öffentlichkeit wird noch immer gern der Antagonismus “Kapitalismus/Sozialismus gepflegt, gemeinhin mit den bekannten Stereotypen. Der böse fatale Sozialismus wird als einzige Alternative präsentiert, und das Resultat scheint logisch: Es gibt keine Alternative.
Daß die SPD in ihrem aktuellen Parteiprogramm den “demokratischen Sozialismus” wiederentdecken will, trägt dazu bei. Dieses Lavieren ist ein Alles und Nichts. Worum kann es aber wirklich gehen?
Nun hat Glos nicht einmal geifernd reagiert, sondern sogar recht moderat. Als “Sozialismus” gilt ihm das Fehlen oder Verbot privater Unternehmen. Seine Ansicht, der Sozialismus habe noch nie funktioniert, ist äußerst zweischneidig, heißt dies doch nur, daß man ihn vielleicht funktionierend gestalten könnte, weil der Kapitalismus gerade eben auch nicht “funktioniert”.
Mir ist aktuell kein “sozialistisches” Konzept bekannt, das etwas gegen private Unternehmen hätte. Ganz im Gegenteil hat sogar die Sowjetunion unter Gorbatschow solche ermöglichen wollen, und China lebt längst damit, auch, wenn die Nomenklatur eine andere Bezeichnung für “private Unternehmen” vorhalten mag. Aber wer kann schon Chinesisch?
Die schlichte Gleichsetzung von kapitalistisch/marktwirtschaftlich/unkontrolliert mit Wirtschaften schlechthin ist das eine Problem. Es ist eine quasi religiöse Ansicht, daß es keinen Handel und keine organisierte Produktion gäbe, wenn der möglichst uneingeschränkte Erwerb persönlichen Eigentums nicht die oberste Direktive wäre. Diese historische Blindheit macht sich nicht zuletzt dadurch lächerlich, daß ausgerechnet religiöse Motive zu organisiertem Handel geführt haben. Dazu muß man noch nie etwas von Max Weber gehört haben, es wäre aber durchaus angebracht, ihn wieder einmal zu lesen.
Republik und Demokratie als Ideen haben es nie zu einer Konsistenz gebracht, die sich mit der von Religionen hätten messen lassen. Dem Neoliberalismus hingegen ist es gelungen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Werte so zu verbinden, daß eine Erwerbsethik entstehen konnte, die alle Ressourcen religiöser Gesellschaftsbildung vereint hat: Macht, Status, Alltagsorientierung, Hierarchienbildung, Zielhaftigkeit und ein alle verbindendes Prinzip – um nur einige zu nennen. Diese Ideologie hat allerdings alles auf der Strecke gelassen und systematisch zerstört, was soziale Bindungen sitftet. Diese Erkenntnis ist alles andere als neu, man hat sie wohl nicht beachtet, weil sie eben alternativlos schien. Daß aber das vermeintlich große Ziel eines “Wohlstands” just verloren geht, weil nicht einmal eine akzeptierte unsoziale Verteilung mehr funktioniert, läßt alle Dämme brechen. Die Situation ist absurder als das Ende des Absolutismus. Es kollabiert nämlich nicht bloß ein längst als unsinnig erkannter Herrschaftsanspruch, der an einer neuen weltlichen Macht scheitert, sondern die herrschende Definition von Wirklichkeit selbst. Zurück bleibt auf der einen Seite eine gescheiterte Macht und auf der anderen Seite ein Vakuum. Es gibt nicht einmal ein Heilsversprechen. Es gibt kaum noch soziale Strukturen, aus denen eine Neuorientierung entstehen könnte.
Die Zukunft wird eine Variante des Vergangenen sein. Diverse Spielarten bizarrer Diktaturen stehen hoch im Kurs. Die blasse Hoffnung auf Rettung wäre die auf eine neue Aufklärung. Eine, die das Primat der Poltik begreift als eine Etablierung von sozialen Strukturen, denen “Wirtschaft” zu dienen hat. Ist das Sozialismus? Nein. Der Sozialismus hatte nie das Problem, das Soziale erst schaffen zu müssen. Er hatte nie das Problem, mit einem Wohlstandsversprechen für die Einzelnen konkurrieren zu müssen, das den Menschen aussichtsreicher erschien als die Möglichkeit eines Gemeinwohls. Was der real existierende Sozialismus “nur” mißbraucht hat, hat der Kapitalismus zerstört. Es geht heute also nicht nur um eine gerechtere Verteilung von Reichtum und Verzicht, sondern um die Rückbesinnung darauf, daß Menschen ohne Gemeinschaft nicht existieren können. Wirtschaften, produzieren und verteilen können wir. Die Techniken der Marktwirtschaft sind vorhanden und können genutzt werden. Die Frage ist, wie wir Gesellschaft so zu organiseren lernen, daß sie wieder eine ist. Eine völlig neue und offene Frage.