In der Auseinandersetzung mit Neoliberalen, die nicht nur die Leitlinien der westlichen Politik bestimmen, sondern sich auch ungeniert als Kommentatoren in Blogs tummeln, wird häufig übersehen, daß sie unausgesprochen ein kompaktes Weltbild transportieren. Sie fordern von ihren Gegnern sehr ernsthaft eine Rechtfertigung für jede Abweichung von diesem Weltbild, indem sie alles “Sozialismus” schimpfen, was nicht den Erwerb persönlichen Eigentums als wichtigsten Grundwert annimmt.

Dieser “Sozialismus” ist ihnen dann freilich nicht einfach eine andere Weltanschauung als ihre eigene, sondern konkret Stalinismus oder zumindest die verwerfliche Förderung von Faulheit statt Leistung. Schon die Sicherung des Existenzminimums wird als “Geschenk” bezeichnet. Dabei sind sie nicht einmal in der Lage, diesen simplen Begriff einzuführen, ohne ihn sogleich in ihr Zwiesprech zu verwickeln, denn es wird gefordert, sich das “Geschenk” zu “verdienen”.

Im sogenannten “Lexikon” der INSM, ich wies bereits darauf hin, werden die Begriffe “Eigentum“, “Freiheit” und “Leistung” als sich wechselseitig bestätigende Axiome der Gesellschaftssordnung eingeführt:

In Deutschland zählt das Privateigentum, also die grundsätzliche Zuweisung dieser Herrschaft an den einzelnen Menschen, neben der Freiheit zu den Grundpfeilern der Verfassung.
Der Liberalismus leitet das Privateigentum aus dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen und aus dem Naturrecht auf Selbsteigentum des Menschen an Leib und Leben sowie an den Früchten seiner Arbeit ab. Legitimationsgrund des privaten Eigentums ist also vor allem die persönliche Leistung.

Eine Freiheit, die unabhängig vom Eigentum gedacht wird, kommt hier nicht mehr vor, schon gar nicht die Freiheit, sich dem Aneigungszusammenhang zu entziehen. Die geschichtslose “Freiheit” dieses angeblichen “Liberalismus” wird implizit zur Religion erhoben, weil der status quo dies zuläßt und es für Menschen von bescheidener Intelligenz so aussieht, als sei das dann eben ein Naturgesetz. Die normative Kraft des Faktischen, von herrschenden Geisteszwergen interpretiert, kehrt dabei die Legitimationsbasis um, von daher ist der Glaubenssatz der INSM blanker Unsinn.

Nicht “Leistung” ist “Legitimationsgrund des privaten Eigentums”, sondern privates Eigentum wird unhinterfragt als Leistungsnachweis gewertet. Der Neoliberalismus fragt überhaupt nicht nach der Herkunft des Eigentums und den Bedingungen des Erwerbs von Eigentum, erlaubt es sich aber, diejenigen moralisch zu verurteilen, die vom Erwerb ausgeschlossen sind. In der öffentlichen Meinung, geprägt nicht zuletzt durch die Apologeten des Profits, wird nicht einmal differenziert zwischen denen, die einfach keine Chance haben und denen, die sie nicht wahrnhemen.

Letzteren wird wiederum nicht zugestanden, daß sie resignieren oder andere Lebensentwürfe verfolgen. Vielmehr gelten die Opfer ungleicher Vermögensverhältnisse, die ihr Existenzminimum nicht aufbringen, als schuldig.
Die Sozialbindung des Eigentums, die nie wirklich so gemeint war, daß eine Pflicht zur Solidarität damit verbunden wäre, ist dem Neoliberalismus dennoch ein Dorn im Auge. Im Grunde ist die im Grundgesetz genannte Pflicht nichts anderes als die, Steuern und Abgaben zu zahlen. Der Staat, der dies verlangt, wird dabei als Dieb und Räuber betrachtet, der die “Leistungsträger” “enteignet” – und das schöne Geld womöglich den Faulpelzen schenkt.

Diese Weltsicht hat nichts zu tun mit einer Wirtschaftstheorie oder irgend einer Vorstellung von einem funktionierenden Gemeinwesen, sie ist eine Wertemoral, die als solche zwangsläufig geschichtslos und im besonderen auch noch intellektuell verwahrlost ist. Sie stellt sich keiner Diskussion, sondern betreibt ein Schattenboxen mit unlauteren Mitteln. Ihren Gegnern gesteht sie nämlich die Verwendung einer Reihe von Begriffen nicht zu, ohne die man gegen ihre Moral nicht ankommt. “Sozialismus”, “Verteilung/Umverteilung”, “Freiheit” (als Unabhängigkeit von Eigentum), “Gemeinschaft/Kollektiv”, “Staatswirtschaft/staatliche Eingriffe”, um nur einige zu nennen, disqualifizieren aus Sicht der Neoliberalen denjenigen, der sie ausspricht – es sei denn, er lehnt sie vehement ab.

Diese Ideologie ist nicht einfach eine Religion fürs Volk, das sich dem zu beugen hätte, während die Eliten darüber stünden. Es ist vielmehr ein komplettes Weltbild, das gerade mit seinen Brüchen und Widersprüchen die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit alternativlos beschreiben soll. Dieses Weltbild kann vollständig von Individuen adaptiert werden, das heißt, wer keinen Grund hat, daran zu zweifeln, kann so denken. In den Sphären der halbgebildeten Eliten und derer, die nie Not kennengelernt haben, ist es traditionsfähig. Und auch diejenigen, die dem Teufel glücklich von der Schippe gesprungen sind, haben einen guten Grund, daran zu glauben: Sie dürfen dann überzeugt sein, es sich “verdient” zu haben, was sie gegen die Angst immunisiert, ihren Status vielleicht einmal unwiderbringlich zu verlieren.

Es ist also gar nicht nötig, sich in eine “gespaltene Persönlichkeit” zu flüchten, die privat andere Ziele vertritt, als sie im Job verfolgt. Die Stärke des Neoliberalismus besteht darin, die umgreifende Ungerechtigkeit durch eine geschmeidige Rationalisierung zu überspielen.