Der Weg von der Demokratie in die Diktatur war schon immer von Notstands-und Sicherheitsgesetzen gepflastert. Diese historische Erfahrung, die sich nicht auf Deutschland beschränkt, zwingt Demokraten zu äußerster Vorsicht in ihren Entscheidungen und Argumenten, wenn es um die Innere Sicherheit geht. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren wäre eine Zäsur, die absolut stichhaltiger Argumente bedürfte. Man müßte konkrete Sachverhalte nennen können, in denen ein solcher Einsatz alternativlos und sinnvoll wäre. Man müßte auch dann noch abwägen, welchen Schaden ein dem entsprechendes Gesetz anrichten kann und welchen Nutzen es mit welcher Wahrscheinlichkeit hat. All dies geschieht nicht.
Was geschieht, ist ein argumentativer Amoklauf ohne jede Rücksicht auf die Gefahren für die Demokratie und den Rechtsstaat. Brigitte Zypries zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, welche antidemokratische Gesinnung sie treibt. Ihre Argumente und ihre Wortwahl sind von entlarvender Dummheit.

[FR:]Was verstehen Sie unter einem “besonders schweren Unglücksfall”, wie er jetzt im Gesetzentwurf angeführt ist?

Generell geht es dabei um ein “Schadensereignis von sehr großem Ausmaß”, so definiert es die Rechtsprechung.

“Unglücksfall” und “Schadensereignis” sind Beschönigungen und Ablenkungsmanöver. Es geht um eine militärische Operation in Inneren, eine Kriegshandlung im eigenen Land, die den Verpflichtungen der polizeilichen Exekutive entzogen werden sollen. “Sehr großes Ausmaß” ist keine Definition, sondern die Aufforderung, ein “Ereignis”, das ggf. noch gar keines ist, sondern dessen Eintreten nur vermutet werden kann, nach Gusto als gegeben zu betrachten. Es geht in letzter Konsequenz um Schießen und Töten, Zypries sagt es selbst:

Vereinfacht kann man sagen, militärisches Mittel ist alles, was schießt, also Waffen und Waffensysteme, über die nur die Streitkräfte verfügen.”

Darüber kann man meterweise Argumente aneinander reihen. Über ein dicht besiedeltes Land etwa, in dem ein militärischer Eingriff sinnvoll kaum möglich ist. Über Mittel, die der Polizei zur Verfügung gestellt werden sollen, wenn diese denn wirklich nötig sind. Über Vorwarnzeiten, die einen Armee-Einsatz nicht zulassen. Über ein zu erwartendes Kompetenzgerangel, das die angebliche Absicht zur Gefahrenabwehr ad absurdum führt.
Solche Argumente ziehen aber nicht, weil sie keine Geltung erlangen können. Stichhaltiger ist an diesem Punkt der Hinweis auf die Lüge, die der Frau Ministerin nicht dumm genug ist: Es geht nicht bloß ums Töten, was schlimm genug wäre, sondern auch und gerade um Überwachung. Die Bundeswehr verfügt nämlich über “Aufklärungsmöglichkeiten”, die nicht schießen, es sei denn Bilder. Dies wurde bereits in Heiligendamm praktiziert. Es geht um Gegenbedrohung, militärische Einschüchterung und die mögliche Eskalation einer Lage, in der Waffenmacht polizeiliches Fingerspitzengefühl ersetzt. Dieses versucht die Schäuble-Truppe parallel durch technische Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten auszuhöhlen. Es geht um die Abwehr eines Bürgerkriegs, der nicht stattfindet. Die Konsequenz dessen ist die Macht zur Unterdrückung auf Abruf.
Diese Gefahr wird ignoriert oder bewußt gefördert, sie soll nicht einmal genannt werden dürfen. Mehr noch: Zypries bedient sich der untersten Schublade eines Freund-Feind-Schemas, das alle, die nicht mitmarschieren, zu Komplizen der unheimlich heimlichen Dunkelmänner macht. Es ist dieselbe Argumentation, die Vernichtung einfordert, um Gefahren einzudämmen. Die Argumentation, die die Todesstrafe für Kinderschänder fordert und Gegner solcher Maßnahmen zu Kindesmördern erklärt:

Und ich frage mich schon, ob die FDP dafür verantwortlich sein will, dass die Bundeswehr im schweren Unglücksfall nicht helfen darf.”

Wer auch nur in den schwachen Verdacht gerät, anders abzuwägen, wird für alle Zukunft verantwortlich gemacht für jeden möglichen Fall, in dem vielleicht irgendwie die Bundeswehr den finalen Rettungsschuß setzen könnte. Die Verantwortung für den weitaus wahrscheinlicheren Fall, daß ein Mißbrauch der Armee im Einsatz gegen das eigene Volk oder auch nur eine fatale Fehleinschätzung des Nutzens militärischer Macht stattfindet, ist ihr keine Frage wert. Das ist das Holz, aus dem furchtbare Juristen geschnitzt sind. Wir dürfen fasziniert zuschauen, wie ein Rechtsstaat von bornierten Dilettanten hingerichtet wird und hoffen, daß wir den Absprung schaffen, ehe sie uns abholen.