In der Diskussion über die Unterdrückung der Meinungsfreiheit eines Bloggers durch das Handelblatt fiel mir ein Umstand auf, der sich in dieser Maßnahme Ausdruck verschafft: Der Zwang zum Optimismus. Als Antwort auf einen Kommentar bei Thomas Knüwer habe ich folgendes geschrieben:
“Selbst wer Äußerungen nur zitiert und eindeutig als fremder Leute Inhalt kennzeichnet, kann dafür unter bestimmten Umständen haften” [Zitat des Kommentators Niels] -
das ist der Kern der Sache. Es bedeutet doch, daß öffentliche Äußerungen in die Kateorien “unbedenklich” und “bedenklich” eingeteilt werden, so daß jede “bedenkliche” Äußerung vermieden werden muß und verboten werden kann. Dies ist nicht nur das Ende der Meinungsfreiheit, sondern führt ganz nebenbei zu einer Rest-Kommunikation über Wirtschaft, die systembedingt optimistisch zu sein hat. So erzeugt der Hype erst die Krise und verbietet dann die Aufklärung, durch die allein Lösungen möglich sind. Am Ende leben wir in einer Ulkrepublik, die sich eine Art Zeugnissprache gibt, um über den Zustand von Unternehhmen zu orakeln.

Wenn die Chefs vom Handelsblatt und deren Online-Sparte meinen Artikel mit den Worten kommentieren (lassen):
In einer Situation, die ohnehin sehr fragil ist, wollten wir jedes Risiko ausschließen, durch missverständliche Äußerungen eine Panik in der deutschen Finanzindustrie zu verursachen. Dies haben wir höher bewertet als die Meinungsfreiheit unseres Bloggers.“, ist ja die Rangfolge deutlich: Eine potentiell gefährliche Äußerung ist nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt, wie sie das Handelsblatt versteht. Ich bin nicht frei von einem gewissen Verständnis für dieses Vorgehen, halte es aber in jeder Hinsicht für falsch. Das einzige, das das Handelsblatt damit erreicht hat, ist die Vermeidung einer Klage von jemandem, der sich damit geschädigt fühlen könnte. Glauben Bernd Ziesemer und Sven Scheffler aber ernsthaft, daß ein Artikel eines Bloggers “Panik in der deutschen Finanzindustrie” verursachen kann? Hier fand eine Risikoabwägung statt, und wegen dieses absurd geringen Risikos wird expressis verbis die Meinungsfreiheit des Handelsblatt-Bloggers in dieser Sache für nichtig erklärt.
Ob die Panik ausbricht, hängt von anderen Faktoren ab. Ob sie noch vermeidbar ist, ist fraglich. Aber nicht, weil jemand über Kontenbewegungen spekuliert, sondern weil das fehlende Vertrauen auf fehlender Transparenz beruht. Sie haben ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen, weil ihr Eingriff “Vertrauen” weiter abbaut.
Das Vertrauen fehlt, weil die Zockerei mit Finanzprodukten notwendig von einer Verlogenheit begleitet wird, ohne die sie nicht möglich ist. Das beginnt mit Ackermannschen Renditeversprechen und endet mit der juristisch einseitigen Einflußnahme auf die öffentliche Kommunikation. Seriöser Journalismus hätte sich dem entgegen zu stemmen.
Wenn nämlich eine öffentliche Äußerung als “geschäftsschädigend” zu betrachten ist, so ist dies justiziabel. Leere Versprechungen und die Vertuschung des Ausmaßes einer Krise gelten hingegen als “Stabilisierung der Lage” oder – in guten Zeiten – als gängige Geschäftspraxis. Es ist also gut und richtig, nur gute Nachrichten zu verbreiten? Es ist notwendig, schlechte Nachrichten nur tröpfchenweise und möglichst geschönt an die Öffentlichkeit zu lassen? Ist es die Aufgabe des Journalismus, sich dieses Prinzip zu eigen zu machen? Und ist es die Aufgabe des Rechtsstaates, derart Optimismus zu erzwingen?
Steinbrück hat sich heute für die Koalition vor die Kameras gestellt und uns aufgefordert, bis zehn zu zählen. Es wird die Panik gemanaged, die längst im schwange ist:
Die Existenzkrise der Münchner Bank Hypo Real Estate hatte die Bundesregierung am Nachmittag erstmals zu einer Garantie für alle privaten Spareinlagen in Deutschland veranlasst.
Es geht nach aktuellen Schätzungen um bis zu einer Billion Euro. Was die Banken selbst dazu beitragen wollen, ist eine Frechheit. Letzlich ist es aber wenig relevant, wer wofür birgt, und die von SpOn zitierten “Bankenkreise” sagen es: “Wir haben noch nie in einen so tiefen Abgrund geschaut“. In diesem Zusammenhang ist die Maßnahme der Bundesregierung sogar mit Abstrichen zu begrüßen.
Es kann jetzt nicht mehr darum gehen, Rücksicht auf einzelne Institute zu nehmen und sich mit Äußerungen zurückzuhalten, die “marode” nennen, was marode ist. Es ist zwingend erforderlich, einen Sturm auszulösen und nur das zu retten, was überlebensfähig ist. Mehr Offenheit tut not, allein die ganze Wahrheit kann zu einer annehmbaren Lösung führen. Jeder Tag, an dem weiter über den Zustand des Systems und der Banken spekuliert werden muß, bringt uns der “Panik” näher. Wenn die Institute “Verstecken” spielen, ist es Aufgabe des Journalismus, mutig zu sagen, was ist. Jedes Risiko auszuschließen, ist hingegen die denkbar schlechteste Strategie.

p.s.: Ich werde meine Leser nicht weiter mit Beiträgen zu diesem Thema bombardieren. Es sprengt den Rahmen dieses Blogs – ich habe fertig.