Ich habe in den letzten Monaten versucht zu verstehen, was sich hinter der Subprime-Krise, Bankenkrise, Finanzmarktkrise verbirgt. Schon seit Jahren schüttele ich den Kopf über Derivate, Termingeschäfte und den ganzen sinnlosen Hokuspokus, der ursprünglich auf Warengeschäften aufesetzte und sich längst zu einem Casino entwickelt hatte, in dem die Jetons minütlich andere Werte anzeigen.
Nun ist mir so weit deutlich, was war und wie es lief, und was ich von neoliberalem Sozialismus halte, habe ich neulich erläutert. Die neueste Entwicklung zum Aufschub des Untergangs macht mich allerdings stutzen. Wenn sich die Bushleute anschicken, mit Billionen (oder erst einmal einer halben) Dollars unnützes Zeugs zu kaufen, ist das zwar Irrsinn, aber eine interessante Variante. Wenn nämlich der Staat eingreift, um das Schlimmste zu verhindern und einen Hopplasozialismus in den Martk implementiert, könnte das sogar eine gute Idee sein. Ich weiß ja nicht, was da nun genau ablaufen soll (und ich fürchte, das weiß niemand), vermute aber, daß so sinnlos wie möglich die wertlosesten Kreditpäckchen “gekauft” werden sollen, um die dümmsten Zocker zu begünstigen und damit zu sichern, daß niemand sicher sein kann, sein Geld zu verlieren. Dies wiederum führt zu einem kranken Vertrauen in die toten Gleise des Marktes, womit verhindert wird, daß massenhaft Geld abgezogen wird. So weit richtig?
Ein selektiver Kauf von eben den Krediten, mit denen Immoblilien finanziert wurden, deren Besitzer sich das gar nicht leisten können, hätte hingegen durchaus Charme. Der Staat könnte damit diejenigen alimentieren, die wirklich darunter leiden und ihnen eine Zukunft als Mensch und Konsument sichern. Da die Sache ohnehin ein gigantisches Verlustgeschäft für den Staat ist, könnte er doch die alten Kredite den alten Kreditnehmern zu humanen Bedingungen, d.h. niedrigen Zinsen, wieder gewähren und ihre Immobilien als Sicherheit akzeptieren, auch wenn deren Wert nicht dem Kreditvolumen entspricht. Darüber hinaus könnte sogar dauerhaft ein solcher Mechanismus greifen, der in Not geratene Kreditnehmer unterstützt – und nicht die Zocker, die von den Krediten profitieren.
Es dürfte für die meisten zu spät sein – worin der Skandal besteht. Anstatt von vornherein diejenigen zu unterstützen, deren Existenz ruiniert ist, werden nunmehr die “Märkte” gestützt, nachdem die Konsumenten
bis auf den letzten Tropfen ausgelutscht sind.
So stellt sich Lieschen Flatter die Welt vor. Finanzexperten, klärt mich auf!
September 20th, 2008 at 11:52
Warum stehen die Milliardenbeträge, die jetzt scheinbar mühelos aus den mottenzerfressenen Ärmeln der öffentlichen Hände geschüttelt werden, für soziale Belange, für Bildung oder auch nur Investitionen in die immer marodere Infrastruktur immer gerade nicht zur Verfügung, vorher nicht und hinterher natürlich erst recht nicht? Vielleicht geht es gar nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern nur um die Mehrung von Kapital? Und Bedürfnisbefriedigung ist allenfalls ein Mittel zu diesem Zweck, und noch dazu ein eher umständliches – verglichen mit direkter Subvention ‘notleidend’ gewordenen Kapitals? Ich weiss, das hört sich ziemlich schäbig an, aber so läuft das ‘Spiel’ nun mal. ‘Deine Not ist mein Gewinn’ – und ein ausgelutschter Konsument immerhin noch williger und billiger als Arbeitskraft zu haben.
September 20th, 2008 at 12:19
Vorab: Es ist nicht so, dass ich hier der Mega-Experte wäre.
1. “krankes Vertrauen”
Es geht ja genau darum, ein normales (d.h. tatsächlich: ein gutes) Vertrauen am Markt wiederherzustellen, was u..a. beinhaltet, dass sich Banken wieder gegenseitig Kredit geben.
Die gegenseitige, vertrauensvolle Bankenzusammenarbeit wiederum ist dafür wichtig, damit die volkswirtschaftliche Kreditfunktion von Banken gut wahrgenommen werden kann, mit der ganzen Bandbreite: Konsumentenkredite, Hypotheken, Kredite für Unternehmen, Handwerker und Selbstständige bzw. Kredite für Investitionen und Konsum.
2. “in die toten Gleise des Marktes”
Da oben von mir war banal – hier wird es m.E. spannend. In einer Blase kann man nämlich sehr treffend von “toten Gleisen” sprechen.
Die Fragen (für mich) dazu sind: Was genau ist tot? Warum ist es tot? Was muss wieder belebt werden? Was folgt daraus für das Managen der Kreditkrise?
Die letzte Frage ist vielleicht sogar die einfachste:
Zunächst muss aus den diversen Finanzblasen genügend Luft entweichen, damit sich ein neues, stabiles (und nicht überzogenes) Vertrauen an den Finanzmärkten bilden kann. Genau deshalb waren die Bailouts der Bush-Admninistration grundfalsch, weil sie versucht, eine Blase zu stabilisieren. Entweder scheitert das schon im Ansatz oder es geht extrem zu Lasten der Steuerzahler.
Die Alternative: Über einen Zeitraum von z.B. 24 Monaten lässt man (aber: keine Finanzpanik aufkommen lassen!) eine Reihe von Blasen platzen. Hedgefonds. Faule Kredite. Irre Finanzmarktskonstruktionen:
All das muss im ersten Schritt am Markt kontrolliert zerstört werden, damit sich hinterher wieder vernünftige Bewertungsrelationen bilden.
(Nur dummerweise ist die amerikanische Ökonomie teilweise derart massiv verschuldet, dass dies ein Tanz auf dem Säbel darstellt – es gibt irrsinnige große und bedeutende potentielle weitere Brandherde: Automobilbranche. Kreditkartenunternehmen. Konsumentenkredit – und die daran hängenden Firmen. Versicherungen. Pensionskassen. Und mehr.)
Im zweiten Schritt darf (und wegen der Bedeutung der Krisenüberwindung sogar: soll) der Staat dann die Finanzmärkte wieder stabilisieren. Das geschieht einerseits durch Einführung vertrauensbildender Institutionen (z.B. eine externe Risikobewertungsinstitution) und Regulationen (z.B. Beschränkung des Umfangs von Hebelgeschäften, evtl. sogar deren Besteuerung in einer Art Lottosteuer). Andererseits geschieht das, indem der Staat (selbstverständlich unter Mit-Verpflichtung der Privatbanken) einen größeren und intelligent konstruierten Rettungsfond auflegt.
Aber wie gesagt: Nachdem die Blasen zerplatzt sind.
(öhm, ich breche das hier mal ab. Irgendwie kriege ich auf die Schnelle keine kurze Antwort zusammen – ich müsste vermutlich noch etwa fünf Mal soviel schreiben, bislang bin ich auf deine Fragen noch nicht richtig eingegangen. Aber hier kommentieren ja auch noch andere.)
September 20th, 2008 at 12:26
nein!
und zwar deshalb weil es den leuten nichts nutzt, die zuvor aufgrund ihrer einstellung keinen kredit aufgenommen haben [wofür auch immer (also auch nicht um zu spekulieren)], aber auch kein vermögen besitzen. sie wären es nämlich, die die zeche ohne eigennutz zu zahlen hätten und damit die wahren verlierer wären.
ich meine, wer ein haus gekauft hat und es sich nicht leisten kann, wenigstens die zinsen zu bedienen, sollte auch den schaden tragen. ebenfalls sehe ich hier die kreditgeber in der schuld. solche kredite unter diesen umständen zu gewähren ist mehr als fahrlässig. ich halte es für betrug.
was interbankkredite betrifft: tja, die banker wissen wer ihnen gegenübersitzt. blender im anzug. und denen würde ich auch nicht vertrauen (wollen).
zum glück ist ja geld für alle genug da ;) schade nur, daß ich es mir nicht selbst drucken darf …
September 20th, 2008 at 12:34
bin nur einfacher mallocher und steuerzahler und ich frag mich jedesmal, wer bei diesem unsinn gewinnt? geld verschwindet doch nicht einfach, auch virtuelles nicht. das lonestar gewinnt, steht ausser frage. was war aber vorher? welche banken haben ihre faulen pakete auf die ikb abgeladen? dank der fdp werden wirs nie erfahren. *gnurf*
September 20th, 2008 at 12:51
Was deine Idee der Kreditstützung für die Immobilienkrediten von Armen angeht:
Das finde ich genau falsch.
Zunächst müssen ja die Makler und Banken leiden, welche mit ihrem Kredit das dumme Risiko eingegangen sind.
Den armen Hypothekenbesitzern muss der Staat auf andere Weise helfen, was zugleich für die Allgemeinheit günstiger kommt.
Möglich wäre z.B. Folgendes, in Gestalt eines zeitlich befristeten Übergangsgesetzes:
1. Wohnrecht (gesetzlich zu implementieren) trotz Nicht-Bedienung des Kredites.
2. Verbot von Zinserhöhungen aufgrund von Kredit-Nichtbedienung – jedenfalls für bestimmte arme Kreditnehmer-Gruppen auf dem Hypothekenmarkt.
3. Gesetzliche Garantie des Erhalts der übrigen Kredit-Konditionen (trotz Kredit-Weiterveräußerung des ursprünglichen Kreditgebers)
4. Existentielle Hilfen für arme Kreditnehmer (im Fall der USA würde ich hier evtl. zu Gutscheinen tendieren, u.a. wegen Nicht-Pfändbarkeit)
5. Bestrafung von Kreditgebern/Maklern, welche arme Kreditnehmer in irre und untragbare Risiken getrieben haben inkl. nachträglicher Konfiskation der Abschlussprämien.
6. Teilweise Enteignung und Entzug des Privatvermögens jener Personen, die verantwortlich dafür waren, bzw. beteiligt daran waren, dass sich arme Menschen in Immobilienabenteuer gestürzt haben.
Moral von der Geschicht: Nur mit Eigenverantwortung geht es nicht.
September 20th, 2008 at 13:16
Diese Geschichte zeigt erstens: es kann alles dem Bedarf entsprechend hergestellt werden, sogar weit über den Bedarf hinaus.
Die Bedarfsträger können es allerdings nicht kaufen, denn das Geld liegt jenseits des Tals zu Gebirgen aufgehäuft.
Was wäre, die Gebirge noch höher auftürmend, sonst “finanziert” worden, gäbe es die Schrottkredite nicht, einschließlich der Möglichkeit, damit zu “handeln”?
Diese Geschichte zeigt zweitens, dass die Problemlösung ausschließlich in einem Gesamtbankrott liegt. Alle Billionen Schulden addiert und beglichen mit einem Schein.
September 20th, 2008 at 14:04
Ich bin auch kein Experte auf dem Gebiet, aber es ist doch seit Jahren so, dass fehlende Nachfrage durch Geld auf Pump unwiderstehlich dazu führt, dass sich Menschen dazu hinreißen lassen, doch etwas zu “kaufen”, da ihnen das Geld ja vorgestreckt wird – und genau damit machten die Banken die fetten Gewinne. Dass ein solches Wettspiel natürlich irgendwann zusammenbricht, war klar. Es ging nur darum, wer rechtzeitig seine Schäfchen ins Trockene holt. Und da die Krise so gigantische Ausmaße angenommen hat, ist auch sichergestellt, daß der Staat eingreift, und so können sich die ganzen Spieler lachend auf die Schenkle klopfen. Einmal mehr werden die Verluste sozialisiert.
Es ist ein krankes System mit noch kränkeren Akteuren, und es gehört endlich abgeschafft.
September 20th, 2008 at 16:04
@jane doe:
Erstens ist eine Maßnahme zur Krisenbewältigung immer suboptimal, sicher nicht gerecht. Immerhin hale ich es für besser, kleine Hausbesitzer zu unterstützen (um den Markt zu stabilisieren!), als die Geldhaie.
Zweitens ist der Erwerb von grund und Wohneigentum nicht irgend ein Konsum. Er macht die Eigentümer vielmehr unabhängiger von Profiteuren der Wohnungsbranche. Ich halte es eigentlich für selbstverständlich, daß jeder einmal seine eigenen vier Wände bewohnen darf. (Leider wird mir das in diesem leben auch nicht mehr gelingen.)
@John Dean: Es geht mir auch darum, den Banken gerade so viel für die Immobilienkredite anzubieten, daß ihnen kein Totalverlust entsteht und sie weiter wirtschaften können. Für den Staat, der langfristig plant, kann das sogar ein gewinn sein, durch die Kredittilgungen, wieder steigende Immobilienpreise und höhere Steuereinnahmen durch zahlungsfähige Kreditnehmer. Das Ganze ist natürlich seehr unausgegoren. Deine Vorschläge gehen in die richtige Richtung.
@Franktireur: Ich bin für eine Diskussion über die “Abschaffunng” des System jederzeit zu haben, allerdings wäre ich dankbar für einen Vorschlag, wie das in der Praxis aussehen soll. Was die inanzierung auf Pump angeht, so stimme ich zu, daß die ankensichschamlos bereichern (q.e.d.). Andererseits sollte die Möglichkeit des Erwerbs von woihneigentum m.E. auch für Menschen bestehen, die das nicht aus der Tasche zahlen können. Es gib ja durchaus seriöse Finanzierungsmodelle.
September 20th, 2008 at 16:46
Vor kurzem zum Thema ‘ne nette kleine Satire im TV gesehen – vor Publikum:
“Früher hieß es immer, wenn einem das System nicht paßt: “Geh nach drüben!”.
Tja, heute braucht man dazu nicht mehr in die DDR.
Die USA praktizieren derzeit den Sozialismus (der Gewinne privatisiert und Verluste in Billionen-Höhe an die Allgemeinheit, den Steuerzahler, abschiebt) also gehe ich gerne “nach drüben!”.
Das Publikum lachte.
Haben die den zynischen Witz eigentlich kapiert?
Geht der Kabarettist “nach drüben!”???
Mfg
Arne
September 20th, 2008 at 18:28
[...] Eine naive Idee Nun ist mir so weit deutlich, was war und wie es lief, und was ich von neoliberalem Sozialismus halte, habe ich neulich erläuert. Die neueste Entwicklung zum Aufschub des Untergangs macht mich allerdings stutzen. [Unbedingt auch die Kommentare lesen!] [...]
September 20th, 2008 at 20:09
Dazu soll – lt. dem Promi Albrecht Müller – bei Nachdenkseiten in den nächsten Tagen etwas mehr über das “Scheitern der neoliberalen Irrlehre” zu lesen sein:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=3469#more-3469
Ich bin jetzt schon gespannt drauf ;-)
Mfg
Arne
September 20th, 2008 at 22:35
Die sog. Finanzexperten haben uns ja in den Schlamassel geführt; also können wohl auch Laien ohne große Scheu ihren “Senf” zu dem derzeitigen Desaster an den internationalen Finanzmärkten abgeben.
Einer davon heißt Wolfgang Clement, der mal wieder etwas von sich öffentlich hören ließ. “Genosse” Clement ist übrigens auch für eine schärfere Kontrolle der Finanzwirtschaft. Ganz neue Töne von dem neoliberalen Rechtsaußen der SPD. Aber halt, lobt W.C. nicht zu früh! Er fügte in einem DLF-Interview noch hinzu, daß die sich kräftig verspekuliert habenden staatlichen Landesbanken in Deutschland nun zügig privatisiert werden müßten. Warum benehmen sich Landesbanken aber nur wie Privatbanken?
So sieht also die Reformwelt des Wolfgang Clement nach dem Finanzcrash der überaus privaten Pleitebanken in den USA aus. Nur in Amerika ist man schon weiter, dort wird nun fleißig “sozialisiert”.
September 21st, 2008 at 00:00
Ja unser Clement? Der wird demnächst auch eine Rolle bei den großen Drei Amigos Münte/Steinmeiner und….Clement spielen.
Wie man neuerdings mit HartzIV-KritikerInnen umgeht, dass lernten die Rechtsaußen um Steinmeier/Münte ja von Schröder/Clement – verharmlosen, totschweigen und nun Abstrafen der HartzIV-KritikerInnen mit Parteiausschluß.
Hier 2 Beispiele, der letzten Tage, die zeigen wer jetzt noch in der SPD ist, und die Agenda2010 bzw. HartzIV kritisiert, der sollte freiwillig austreten bevor ihm/ihr Schlimmes zustößt:
https://www.jungewelt.de/2008/09-20/045.php
und
https://www.jungewelt.de/2008/09-20/020.php
Mfg
Arne
September 21st, 2008 at 00:02
So bekommt der Satz von Münte/Steinmeier einen ganz neuen Sinn: “Die Agenda2010 ist von gestern”…
Wahrscheinlich weiß der letzte Kritiker/die letzte Kritikerin dann rausgeworfen ist…
Mfg
Arne
September 21st, 2008 at 05:02
Apropo “gestern” – Die SPD hat doch schon Personal von gestern….alles abgehalfterte PolitikerInnen bei der SPD….und sowas soll eine Wahl gewinnen?????
Mfg
Arne
September 21st, 2008 at 10:11
[...] den Kommentaren zu diesem Artikel bei Feynsinn, ueber den ich bei Holgi gestolpert bin(und morgens um 10 noch nicht richtig verstanden hab…) [...]