Für Rechtskonservative von Broder über Matussek bis Fleischhauer (und auch für solche, die nicht den Spiegel beschmieren) ist das Feindbild klar: Die 68er. Sie sind Schuld am Internet, Kinderpornographie und vor allem daran, dass man nicht mehr frei reden darf. Man darf nicht mehr “Neger” sagen oder dass der Araber minderwertig ist, dass Frauen an den Herd gehören und am Wochenende ordentlich durchgenudelt werden müssen oder dass ungezogene Kinder eins in die Goschn brauchen. Kurzum: Das Gutmenschentum regiert.

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Tatsächlich ist der Umbruch im Deutschland der Studentenrevolte einer, der große Wirkung entfaltet hat und einiges verändert. Es war ein Umbruch im größten Teil Europas, in der BRD freilich ein besonders heftiger, weil neben überkommenen Konventionen auch die Karrieren der Nationalsozialisten öffentlich hinterfragt wurden. Ein Generationenkonflikt, wie er heftiger kaum hätte ausfallen können. Wer heute wirklich hinter die Errungenschaften dieser Zeit zurück will, ist nicht bloß ein Reaktionär, der nach autoritären Machtstrukturen schreit. Er ist ebenso Frauenfeind, Revisionist und vor allem genau das, was er dem vermeintlichen Feind andichtet: Ein Gegner der Meinungsfreiheit.

Die Freiheit, “Neger” zu sagen

Man schaue sich doch bitte an, was in der Zeit von Adenauer bis Kiesinger Öffentlichkeit war. Der Muff war unerträglich, und von “Meinungsvielfalt” kann keine Rede sein. Nun gut, man durfte noch “Neger” sagen und überhaupt alles, was unter den Adenauers und Globkes als gute Sitte galt. Mit Demokratie hatte das nur allzu oft herzlich wenig zu tun.

Dass Brandt dann “mehr Demokratie wagen” konnte, hatte er zu einem beträchtlichen Teil dem Druck der Straße und den langhaarigen Halbaffen zu verdanken. Es gab in den Medien, den Parteien und sonstwo keine Lobby, die Interesse gehabt hätte an einer freieren Sexualmoral, Gleichberechtigung oder einer Aufarbeitung der Naziherrschaft. Schon gar nicht an Rock’n Roll. Diese Entwicklung hätte ohne unaufhaltsame Proteste nicht stattgefunden.

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Bilduelle: Wikimedia Commons / Colin Smith

Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Wachstum der Produktivität ist ein weiteres Beispiel dafür, dass ohne Druck von außen die Macht an der Macht sich nimmt, was sie kriegen kann. Bis in die 80er Jahre hinein waren die Gewerkschaften eine Gegenmacht in Deutschland. Zwar streikte man hierzulande bei weitem nicht so oft und so lange wie etwa in Großbritannien, aber die Kohle- Stahl- und Industriearbeiter waren in einem Maße organisiert, das den Arbeitgeberverbänden jederzeit Paroli bieten konnte. Es war neben dem Rückgang von Kohle und Stahl vor allem das Verdienst Schröders und Blairs, die Gewerkschaften weitgehend entmachtet zu haben. Seitdem sind die Löhne von der Entwicklung der Produktivität abgekoppelt.

Millionen gegen Millionen

Das Regime der DDR wurde ebenso auf der Straße gestürzt wie die Diktatoren und Oligarchien Nordafrikas. Und selbst ein deppertes Projekt wie Stuttgart 21 wird erst infrage gestellt, wenn der Mob immer wieder marschiert und nicht aufgibt. Was hingegen passiert, wenn eine außerparlamentarische Bewegung sich im Parteiensystem einrichtet, sieht man an den Grünen. Sie mögen mehr oder weniger ‘erfolgreich’ sein in den Parlamenten, dabei verlieren sie aber ihre Ziele aus den Augen. Basisdemokratisch? Sozial? Gewaltfrei? Davon ist nichts mehr übrig. Die Partei zehrt von einem Mythos. Noch.

Wenn die Bürger also wirklich etwas erreichen wollen, müssen sie etwas dafür tun. Alle paar Jahre ein Kreuzchen machen hilft gar nicht. Die Programme der Parteien sind Richtlinien, die unter äußeren Einflüssen jederzeit ins Gegenteil verkehrt werden können. Gerade an der Nichtregierungsorganisation Merkel II sieht man sehr deutlich, dass nur mehr zwischen Populismus und Lobbyismus austariert wird. Es geht also darum, Einfluss auszuüben. Für diejenigen, denen die nötigen Millionen in Euro fehlen, bedeutet das, Millionen Füße zu bewegen. Nur so ist Demokratie unter den gegebenen Umständen zu haben.