Es ist Zeit für einen Strategiewechsel. Die Gelegenheit war nie so günstig, den sturen Anti-Atom-Kurs zu verlassen, Wirtschaftskrise und Klimawandel geben den Grünen den nötigen Rückenwind, um das Tabu über Bord zu werfen und endlich universell politikfähig zu werden.
Alle anderen alten Zöpfe sind bereits abgeschnitten, sodaß die CDU inzwischen weniger Berührungsängste mit den Grünen hat hat diese mit der Linken. “Grüne” sind allein schon deshalb Volkspartei, weil mit ihnen alles geht. Nie wieder soll es eine politische Aussage geben, die sich nicht mit grüner Realpolitik in Einklang bringen läßt.

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Wir erinnern uns an ganz andere Zeiten: “Ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei” hieß es da noch, als bärtige Hippies und pathetische Emanzen das Bild bestimmten. “Grün” war aber nicht nur sichtbar anders, grün war ein ganz neuer Politikansatz. Als linke “sozial”, als Kind von Umwelt- und Friedensinitiativen ökologisch und pazifistisch, grenzte sich die neue Partei von den etablierten inhaltlich deutlich ab. Und weil sie nicht so enden wollten wie die staats-und krawattentragenden Abnicker der seinerzeit real existierenden ParlamantarierInnen, gab es reichlich Abweichungen von den Strukturen einer “normalen” Partei.
 

Das hieß nicht nur Frauenquote und großes “I” im Plural, sondern vor allem “Basisdemokratie”. Es wurde gestritten und diskutiert bis zur Erschöpfung, ehe eine Entscheidung Position und im Namen der Grünen vertreten wurde. Es war die Gesamtpartei, das bunt gemischte Kollektiv, dessen Wille zählte. Die Gewählten waren Vertreter des Ganzen. Damit sie gar nicht erst auf die Idee kämen, ihre Eitelkeit über den Willen des Plenums zu stellen und sich durch Ledersessel und Machtgewohnheit korrumpieren ließen, sollten die Amts- und Mandatsträger nur jeweils für eine Wahlperiode im Amt bleiben. Niemand sollte darüber hinaus gleichzeitig Parteifunktionär und Parlamentarier bzw. Regierungsmitglied sein.

Von alledem ist dreißig Jahre später so gut wie nichts mehr übrig. Die Trennung von Amt und Mandat besteht faktisch nicht mehr, Promis bestimmen die Linie. Unter Joschka Fischer gab es nur eine von der Partei vertretene Meinung, nämlich seine. Wie “sozial” so etwas ist und wie weit entfernt von den einst radikal linken Positionen der Grünen, kann man an der Agenda 2010 ablesen, die die grünen Fischerchöre gemeinsam mit der SPD beschlossen haben.
Und die Gewaltfreiheit?

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Quelle: Wikimedia/Bundesarchiv

Der erste kapitale Schuß in den Bug der ehemaligen Pazifisten war 1999 der Kosovokrieg, den Generalgenosse Fischer für alternativlos erklärte. Die Partei folgte ihm, mit dem Argument, man wolle ein zweites Auschwitz verhindern. Diese Alternativlosigkeit wurde nicht einmal in den bürgerlichen Parteien so gesehen, da aber die Basisdemokratie der Parteihierarchie gewichen war, fiel mit dem Pazifismus eine weitere ehemalige Säule der Grünen. Das Völkerrecht wurde mit einem eleganten Dunking in denselben Papierkorb gestopft.

Die Trauer um diesen Verlust hielt sich allerdings in Grenzen, denn schon zwei Jahre später stimmte ihre Bundestagsfraktion dem Einmarsch in Afghanistan zu, nachdem Kanzler Schröder eine seiner Rücktrittsdrohungen ausgesprochen und die “Vertrauensfrage” gestellt hatte.
Damit die Parteibasis daraufhin nicht die Koalition platzen ließe, brachte Boss Fischer mit seiner Rücktrittsdrohung die Partei auf Linie, so daß diese ebenfalls zustimmte. Die Begründung:
Bündnis 90/Die Grünen wollen die rot-grüne Koalition fortsetzen, weil sie gut ist für die Menschen und für dieses Land.”
Wo kurz zuvor noch Auschwitz herhalten mußte, reichte da schon die schiere Sicherung der “Regierungsfähigkeit”.

Der Wandel hin zum allseits belastbaren Mitmacher- und Handheber-Verein war dann nur noch eine Frage kürzester Zeit. Inzwischen fordert Kerstin Müller ein Schweigegebot für die Kritiker des Kriegseinsatzes, aus “Respekt” vor den toten Soldaten. Die zivilen Opfer liegen ihr offenbar nicht gar so am Herzen.
Vom Pazifismus zum rasselnden Bellizismus in drei schneidigen Schritten – wer seine Grundsätze derart lässig fahren läßt, ist zu allem mit jedem fähig. Das Signal kommt an.

Die nächste Koalitionsverhandlung kommt bestimmt, und nachdem die Jamaicaner im Saarland noch gemietet werden mußten, wird es für die Rechten sicher bald den Nulltarif mit Öko-Rabatt geben. Atomkraft? Warum nicht? Bürgerrechte? Es gibt Wichtigeres, das haben sie schon unter Otto Schily gelernt. Der Bund und die Länder müssen schließlich regiert werden, und mit den Linken geht das schon mangels Regierungsfähigkeit nicht. Wer seine Stimme also mit größter Aussicht auf Erfolg loswerden will, wählt die GrünInnen. Wer hingegen partout nicht auf Grundsätze oder Charakter verzichten will, muß das Kreuzchen halt woanders machen.