Deutschland ist sauber – bis zum Hals
Posted by flatter under WirtschaftKommentare deaktiviert
10. Apr 2008 1:08
Die FTD und das Fachmagazin “Werben & Verkaufen” haben sich etwas Tolles ausgedacht: Eine supi Kreativattacke gegen die Schwarzmaler! Wer nur die Erbsenhirne der Elite im Blick hat, die unsere Bananerepublik führen, sieht nämlich nicht die “99%” weißen Schafe. Daß die nix zu blöken haben, muß ja die bekoksten Werber nicht stören. Schon 99% der Deutschen waren keine Nazis, und sind heute 99% ehrlich. Wie man da jetzt die ganzen Sozialschmarotzer rausrechnet, wird leider nicht erklärt, aber Mathematik ist halt nicht Jedermanns Sache. Immerhin: Wenn es dem Image der Großen dient, sind auch die faulen Arbeitslosen plötzlich “sauber”.
Ein Ruck geht durch die Republik, wenn Werber und Wirtschaft sich zusammentun. Korruption, Ausbeutung, Rechtsbeugung, Klüngel, Ignoranz, Diskriminierung und Bereicherung sind eigentlich kein Problem. Es gibt halt nur ein paar schwarze Schafe, die furchtbar unmoralisch handeln. Unter dem Druck der Kampgane der Ehrlichen werden diese aber ganz schnell geläutert werden, und man wird wieder sehen, daß das Gemeinwohl allen am Herzen liegt. Von Springer über Bertelsmann und der INSM bis hin zur Deutschen Bank und Siemens stehen die Bataillone der Aufrichtigkeit parat, um Tag und Nacht für unser aller Wohlergehen zu kämpfen.
Der Ruck ist da! Selbst der stets so ungerecht geschmähte Jo Ackermann wird nicht müde, für Moral einzutreten:
“Wir sind entschlossen, unser Haus selbst sauber zu machen und es nicht den Regulierern zu überlassen, das für uns zu tun.”
“Banken wollen Aufsicht zuvorkommen” ist die Überschrift der FTD. Ich bin gerührt, und doch schüttelt’s mich. Eine peinliche Panne, die Moraloffensive so zu annoncieren. Da könnten den 99% doch schnell der Verdacht kommen, hier wolle jemand unbeaufisichtigt, quasi im Dunkeln, operieren. Aber alles wird gut, denn:
“Bis zu 20 Manager und Experten der Finanzindustrie sollen die Branche auf Schwachstellen und Entwicklungen hinweisen, die das System gefährden können.”
Noch so ein Fauxpas: “Bis zu 20″ könnte doch auch einer sein. “Manager” ist eine Bezeichnung, die Mißtrauen erwecken könnte, und “Experten” ist nicht wirklich ein geschützter Beruf, selbst wenn “Terrorismusexperten” wie Udo Ulfkotte uns in unsicheren Zeiten großes Vertrauen einflößen. Es werden sicher mindestens 20 sein, da bin ich zuversichtlich. 20 Experten und Manager sind mehr als genug, um die Korruption in Finanzsystem und Politik in den Griff zu kriegen.
Wenn “das System” gefährdet ist, muß natürlich etwas getan werden. “Das System” meint übrigens nicht die Bundesrepublik, sondern “die Branche”. Böse Zungen aus der Fraktion der 99% Weißen weisen darauf hin, daß Demokratie sich systemgefährend auswirken könnte. Darin sind sie sich mit dem übrigen Prozent auch völlig einig. Ergo: Deutschland ist weiß, sauber und gut. Endlich sagt es uns auch jemand, wo doch die Massenmedien ständig in hysterische Systemkritik verfallen.
Sobald meine Zweifel bezüglich dieses Umstandes endlich beseitigt sind, werde ich mein lästerliches Blog schließen. Ich sehe es schon vor meinem geistigen Auge, wie meine Hände von der Tastatur abgleiten, höherer Einsicht folgend. My cold, dead hands.
April 10th, 2008 at 16:40
Mein Gott, sind diese Vorschläge peinlich. Das sind also unsere Kreativen! Oh Graus, oh Graus. Das ist eine Ansammlung von schlechter (weil unfreiwilliger) Satire. Lasse mal machen…
April 10th, 2008 at 23:16
Ich habe den Eindruck, daß die Links in den Artikeln oft nicht angeklickt werden und hatte deshalb schon mit dem Gedanken gespielt, in diesem Fall wirklich mal reinzuschauen. Aber muß halt jeder selbst entscheiden. Was da geboten wird, ist allerdings ganz billige Geisterbahn.
April 11th, 2008 at 18:24
Was für eine Dreckskampagne. Korruption und Cashgeschäfte sind doch inzwischen systemtragender Bestandteil der Gesellschaft, wozu der Scheiss?