Ein Abgrund von Landesverrat” war für Bundeskanzler Adenauer und seinen Verteidigungsminister Strauß ein Artikel des “Spiegel” über die Verteidigungsdoktrin und den Zustand der Bundeswehr im Jahr 1962. Die Redaktionsspitze einschließlich des Chefs Rudolf Augstein wurde verhaftet. Diese Konfrontation von freier Presse mit einer bedingt demokratisch gesinnten Regierung war einer der größten Skandale der Bundesrepublik Deutschland, aus der das “Sturmgeschütz der Demokratie”, Augsteins Spiegel, als klarer Sieger hervorging.

Seitdem hat sich die Landschaft enorm verändert, allen voran der “Spiegel”. War dessen Stärke und in der Tat eine Demokratie sichernde Funktion dessen investigativer Journalismus und eine entschieden kritische Haltung gegenüber den Eliten – bis in die späten 80er Jahre hinein – , so hat sich dies inzwischen völlig verkehrt. Spätestens mit dem Chefredakteur Aust und dessen Kampagnen für Angela Merkel war Kritik nicht mehr en vogue und wurde durch Hofberichterstattung ersetzt. Anstatt Skandale aufzudecken, wurden Durchhaltejournalismus für das Volk geboten und Pferdegschichten für die Oberschicht.

Vom Sturmgeschütz zum Pustefix

Der Mangel an investigativem Journalismus, teils aus Kostengründen, teils aus einem devoten Zeitgeist, betrifft freilich nicht nur das ehemalige Nachrichtenmagazin. Es zählt, was sich verkauft, und da setzt man heute auf Entertainment, Glamour und Effekt. Information ist teuer und sperrig, und für die paar Gelegenheiten, bei denen sich Recherche auszahlt, will man nicht dauerhaft investieren und teures Personal beschäftigen.

Man kann ja auch zukaufen und darauf setzen, daß andere den Job machen, zum Beispiel Wikileaks. Besser geht’s eigentlich nicht, denn die liefern Empörungspotential auf allen vermarktbaren Ebenen. Schockierend, was da in diesem Krieg passiert! Schlimm, daß die einfach Geheimnisse verraten! Furchtbar, wie sie das Leben von Soldaten gefährden! Toll, wie die aufklären!

Lieber Blut und Samen

Darum herum tolle Geschichten, von tumben Geheimdienstlern in die Welt gesetzt, aber man nimmt ja, was man kriegt: Ist der Chef von Wikileaks ein Vergewaltiger? Auch der komplette Schwachsinn ist eine Story, wenn Blut und Samen fließen. Ja, und vielleicht findet man den einen oder anderen Protagonisten bald tot auf, unter mysteriösen Umständen. Es bleibt spannend.
Der “Spiegel” fragt derweil bei den Folterern nach, ob ihnen die Enthüllung ihrer Arbeit behagt.

Dem gegenüber jazzt unser Café-Journalismus sich einen Baron zum Superhelden hoch, der übrigens zufällig Verteidigungsminister ist. Was ich inzwischen über die Garderobe des Gelhaar-Beaus weiß, reichte aus für einen Artikel in einem Modemagazin. Was das Volk über seine Amtshandlungen weiß, reicht offenbar nicht einmal für einen Zweizeiler. Die Tanklaster-Affäre, in der Guttenberg von einem Fettnäpfchen ins nächste getreten ist, ist bereits vergessen. Ganz nobel hat er einige Bauern und Offiziere geopfert und ist zum nächsten Photoshoot gejettet.

Der Poser

Schicke Bilder in Panzerweste machen ihm Spaß, ebenso wie semantische Spielchen. Der letzte Hit ist “nicht-internationaler bewaffneter Konflikt” als Sprachregelung für den Krieg in Afghanistan. Zuvor hatte es neue Orden gegeben und Durchhalteparolen. Ein Abzug als “Selbstzweck” komme nicht infrage, das Land werde sich aber “nie absolut stabilisieren lassen“. Eine Haltung, wie er sie in seinem Maßzwirn so gern zur Pose perfektioniert, ist politisch schlicht nicht vorhanden. Ein einziges Blabla, keine Spur von Linie oder Kompetenz.

Ausgerechnet dieser Poser, den das Töten und Sterben im Nirgendwo nur als Folie für seine Selbstdarstellung interessiert und der sich gar nicht erst die Mühe macht, einen Bezug zur entsetzlichen Wirklichkeit herzustellen, ist der Liebling der hiesigen Medien.

Um den Dreck und die unfassbar brutalen Machenschaften, die uns noch wahlweise als “Verteidigung” der Demokratie oder “Aufbau” eines Landes verkauft werden, kümmern sich derweil andere. Die Freaks aus dem Internet, deren lebensgefährliche Arbeit man jederzeit ausbeuten oder für illegitim erklären kann. Wikileaks wäre unnötig, gäbe es noch verantwortungsbewußten Journalismus. Und es ist vermutlich wirkungslos, weil es eben keinen gibt.