Wikileaks, der Baron und der Qualitätsjournalismus
Posted by flatter under Journalismus[15] Comments
23. Okt 2010 18:36
Ein Abgrund von Landesverrat” war für Bundeskanzler Adenauer und seinen Verteidigungsminister Strauß ein Artikel des “Spiegel” über die Verteidigungsdoktrin und den Zustand der Bundeswehr im Jahr 1962. Die Redaktionsspitze einschließlich des Chefs Rudolf Augstein wurde verhaftet. Diese Konfrontation von freier Presse mit einer bedingt demokratisch gesinnten Regierung war einer der größten Skandale der Bundesrepublik Deutschland, aus der das “Sturmgeschütz der Demokratie”, Augsteins Spiegel, als klarer Sieger hervorging.
Seitdem hat sich die Landschaft enorm verändert, allen voran der “Spiegel”. War dessen Stärke und in der Tat eine Demokratie sichernde Funktion dessen investigativer Journalismus und eine entschieden kritische Haltung gegenüber den Eliten – bis in die späten 80er Jahre hinein – , so hat sich dies inzwischen völlig verkehrt. Spätestens mit dem Chefredakteur Aust und dessen Kampagnen für Angela Merkel war Kritik nicht mehr en vogue und wurde durch Hofberichterstattung ersetzt. Anstatt Skandale aufzudecken, wurden Durchhaltejournalismus für das Volk geboten und Pferdegschichten für die Oberschicht.
Vom Sturmgeschütz zum Pustefix
Der Mangel an investigativem Journalismus, teils aus Kostengründen, teils aus einem devoten Zeitgeist, betrifft freilich nicht nur das ehemalige Nachrichtenmagazin. Es zählt, was sich verkauft, und da setzt man heute auf Entertainment, Glamour und Effekt. Information ist teuer und sperrig, und für die paar Gelegenheiten, bei denen sich Recherche auszahlt, will man nicht dauerhaft investieren und teures Personal beschäftigen.
Man kann ja auch zukaufen und darauf setzen, daß andere den Job machen, zum Beispiel Wikileaks. Besser geht’s eigentlich nicht, denn die liefern Empörungspotential auf allen vermarktbaren Ebenen. Schockierend, was da in diesem Krieg passiert! Schlimm, daß die einfach Geheimnisse verraten! Furchtbar, wie sie das Leben von Soldaten gefährden! Toll, wie die aufklären!
Lieber Blut und Samen
Darum herum tolle Geschichten, von tumben Geheimdienstlern in die Welt gesetzt, aber man nimmt ja, was man kriegt: Ist der Chef von Wikileaks ein Vergewaltiger? Auch der komplette Schwachsinn ist eine Story, wenn Blut und Samen fließen. Ja, und vielleicht findet man den einen oder anderen Protagonisten bald tot auf, unter mysteriösen Umständen. Es bleibt spannend.
Der “Spiegel” fragt derweil bei den Folterern nach, ob ihnen die Enthüllung ihrer Arbeit behagt.
Dem gegenüber jazzt unser Café-Journalismus sich einen Baron zum Superhelden hoch, der übrigens zufällig Verteidigungsminister ist. Was ich inzwischen über die Garderobe des Gelhaar-Beaus weiß, reichte aus für einen Artikel in einem Modemagazin. Was das Volk über seine Amtshandlungen weiß, reicht offenbar nicht einmal für einen Zweizeiler. Die Tanklaster-Affäre, in der Guttenberg von einem Fettnäpfchen ins nächste getreten ist, ist bereits vergessen. Ganz nobel hat er einige Bauern und Offiziere geopfert und ist zum nächsten Photoshoot gejettet.
Der Poser
Schicke Bilder in Panzerweste machen ihm Spaß, ebenso wie semantische Spielchen. Der letzte Hit ist “nicht-internationaler bewaffneter Konflikt” als Sprachregelung für den Krieg in Afghanistan. Zuvor hatte es neue Orden gegeben und Durchhalteparolen. Ein Abzug als “Selbstzweck” komme nicht infrage, das Land werde sich aber “nie absolut stabilisieren lassen“. Eine Haltung, wie er sie in seinem Maßzwirn so gern zur Pose perfektioniert, ist politisch schlicht nicht vorhanden. Ein einziges Blabla, keine Spur von Linie oder Kompetenz.
Ausgerechnet dieser Poser, den das Töten und Sterben im Nirgendwo nur als Folie für seine Selbstdarstellung interessiert und der sich gar nicht erst die Mühe macht, einen Bezug zur entsetzlichen Wirklichkeit herzustellen, ist der Liebling der hiesigen Medien.
Um den Dreck und die unfassbar brutalen Machenschaften, die uns noch wahlweise als “Verteidigung” der Demokratie oder “Aufbau” eines Landes verkauft werden, kümmern sich derweil andere. Die Freaks aus dem Internet, deren lebensgefährliche Arbeit man jederzeit ausbeuten oder für illegitim erklären kann. Wikileaks wäre unnötig, gäbe es noch verantwortungsbewußten Journalismus. Und es ist vermutlich wirkungslos, weil es eben keinen gibt.
Oktober 23rd, 2010 at 18:50
So isses exactamundo. Mich quält eigentlich nur die Frage, welches Haargel unser Friedenstauberich (aka ‘Die deutsche Antwort auf Chuck Norris’) benutzt. Dann wüßte ich alles oder zumindest genug.
Oktober 23rd, 2010 at 21:58
r@iner, wie kommst du bloß auf chuck norris?
eleganter, eleganter. brosnan-bond wäre der treffendere vergleich. brosnan wirkt stets elegant, auch wenn er in einem öligen maschinenraum for her majesty the queen kämpft.
https://www.klaus-baum.info/2009/10/27/hollywood-hat-einen-neuen-hauptdarsteller-fur-den-nachsten-james-bond-film-gefunden-karl-theodor-zu-guttenberg/#more-2851
Oktober 23rd, 2010 at 22:04
hier wird offenbar noch recherchiert:
https://manubloggt.de/index.php?/archives/188-Datenklau-im-Klassenzimmer.html
Oktober 23rd, 2010 at 22:22
Dieser “Beitrag” wurde gelöscht. Beim nächsten Kommentar dieser Art wird die in den Nutzungsbedingungen erwähnte Gebühr von 100,- Euro für DIESEN Kommentar fällig, zuzüglich einer Werbeprämie.
Oktober 23rd, 2010 at 22:30
-> klaus baum: Das mit dem Pierce gefällt mir tatsächlich besser. Der Norris kam mir in den Sinn, weil mir noch die Bilder vom Afghanistan-Shooting im Kopf herumschwirrten. Aber Du hast völlig recht, denn kein Stäubchen war am Minister je zu sehen. Damit kann ich mir auch die Frage nach der Herkunft des Gels selbst beantworten: Es ist aus der Lotusblume gewonnen.
Oktober 24th, 2010 at 05:42
dass theodor zum liebling hochstilisiert wird, entspricht ja dem von dir erst kürzlich angesprochenen operettenhaften der deutschen politik. politik als operette mit fatalen folgen für die realität vieler.
Oktober 24th, 2010 at 09:47
VOM STURMGESCHÜTZ ZUM PUSTEFIX
Ich greif mir das mal raus und sag zum US-lancierten (Christoph Hörstel spricht unverblümt vom “CIA-Wunschkandidaten”) zu Schmalzhaar und auch Wikileaks mal nichts, sonst wird das zu lang.
Sieht man sich den Artikel des Spiegel auf https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,724978,00.html an, wird eigentlich alles klar. Ja, ja: “Das Auswärtige Amt war weit tiefer in nationalsozialistische Verbrechen verstrickt als bisher bekannt”. DER SPIEGEL findet das “erschreckend()”!
Ja, das ist natürlich “erschreckend” wenn es 65(!) Jahre (seit 1945) brauchte, ehe das bekannt wurde. Aber das meint DER SPIEGEL gar nicht. Das findet er ganz normal. Schließlich kann man ja nicht immer alles sofort herausfinden! Also konnte man auch nix davon wissen, weil ” Historiker” das doch erst jetzt “zusammengetragen” (schon das Wort!!) haben. Warum erst jetzt “zusammengetragen” wurde, verrät der SPIEGEL nicht. Immerhin ist “zusammentragen” doch nicht schwieriger als eins und eins zusammenzuzählen. Es handelt sich also nicht darum, daß, sagen wir mal, ein alter Nazi-Sack jetzt auf dem Sterbebett noch eine sensationelles Information über seine Lippen ließ und alle Historiker müssen jetzt “erschreckt” die Hände über dem Kopf zusammen. Nein – es ging nur darum ein bißchen “zusammenzutragen”.
Warum man nicht 1946, 1947, 1950, 1955, 1960, 1965, 1070, 1975, 1980, 1985, 1990, 1995, 200, 2005 zusammengetragen hat, will uns der SPIEGEL nicht groß erläutern. Darüber will er auch nicht “erschrecken”.
Nein! Der SPIEGEL findet das E r g e b n i s so erschreckend! Wörtlich: “Es sind erschreckende Ergebnisse, die Historiker da zusammengetragen haben”! Was findet der SPIEGEL “erschreckend? Erschreckend sei, daß das Auswärtige Amt 1936 doch tatsächlich Berührung mit dem Nationalsozialismus hatte.
Warum das “erschrecken” sein soll, daß ein bis h e u t e(!) (siehe “Genscher-Jugoslawien”, “Schröder-Fischer-Jugoslawien”, “Honduras” oder “Thailand” usw.) stets reichsdeutsch/faschistoid agierendes Ministerium im Nazi-Jahr 1936 auch schon nazibesetzt war, wird uns nicht erklärt. Auch ist es doch nicht “erschreckend”, daß der Name “Weizäcker” auftaucht! Wer soll dann da erschrecken!!
Und dann seht doch mal welchen(!) Figuren der SPIEGEL es erlaubt, diese prachtvolle Gelegenheit nutzen zu dürfen, dem Nationalsozialismus einmal ein entschiedenes ‘äh-bä’ oder ‘so-nicht!’ oder auch nur ein vielsagendes ‘pfuipfuipfui’ entgegenzurufen:
Westerwelle, Steinmeier, Fischer!
Wörtlich: “Ein ‘gewichtiges Werk’ sei die Studie, erklärte Guido Westerwelle (FDP) im SPIEGEL. ‘Unglaublich’, kommentierte Frank-Walter Steinmeier (SPD). ‘Ich las den Bericht und war entsetzt’, sagte Joschka Fischer (Grüne) der ‘Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung’”
ALLEIN DAS MASS, MIT WELCHEM DIE KOTZGRENZE ÜBERSCHRITTEN WURDE, IST “ERSCHRECKEND”!
Oktober 24th, 2010 at 09:55
Wenn Frau Merkel weiter in den Medien das Wasser abgegraben wird, bleibt ihr noch die Methode Kohls, einfach ein paar Leute zu ersetzen. Kleiner Blick ins Ausland: https://www.sueddeutsche.de/Q5338k/3667174/Zapatero-wechselt-sechs-Minister-aus.html
Zitat: “Zapatero, der am Mittwoch kraftvoll und gelöst wirkte, hofft auf eine bessere Außendarstellung. Seine Popularität war im Zuge der Wirtschaftskrise und der Reformen stark abgesackt.”
Scheinbar hatten die neuen Kleider noch nicht gereicht. https://www.faz.net/s/RubB62D23B6C6964CC9ABBFCB78BC047A8D/Doc~E057200AF26DB4ED0A6335F35C249DC61~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Vielleicht bleibt auch etwas Zeit, weil sich Frau Merkel das hier noch nicht bieten lassen muß: https://www.youtube.com/watch?v=xIw-aQSUYsQ
Oktober 24th, 2010 at 10:13
-> Necsolicedit: Als ich das las, verstand ich zuerst auch nicht, wie die das meinten. Man erhält den Eindruck, daß sie das auswärtige Amt zu jener Zeit als ‘Widerstandsnest’ stilisieren wollen. Bis man dann auf den Gegenwartsbezug gebracht wird, dessen Botschaft lautet: “Keine Gefahr für den Bürger – Polizei und Regierung behielten in jedem Moment die Lage unter Kontrolle.” Der Artikel emotionalisiert eingangs, um den Leser am Ende zu beruhigen. Nicht neu, aber immer wieder subtil.
Kennt eigentlich jemand ‘Yes, Prime Minister’? https://www.youtube.com/watch?v=pIXH3-A8zMI
Oktober 24th, 2010 at 10:20
Aust schrieb zunächst für die Sankt-Pauli-Nachrichten Schmuddelkram, ist heute Gestütsbesitzer und Herrenreiter, war zwischendrin ein wenig “links” und genügend rafverbandelt, dass er die Meinhoffkinder für Papa entführen konnte. So what? Ein beneidenswertes, buntes Leben.
Wäre Mutti bereits ein wenig früher Kanzlerin gewesen, stünden wir Deutschen jetzt auch im Irak, hat sie zu Protkoll gegeben. An der Seite der Polen. Da hatte Joschka es doch gleich besser gemacht und Yugoslowien überfallen, was ja auch eine gewisse Kontinuität hatte. Die Leute dort sind zumindest weniger widerspenstig als diese Scheißaraber.
Oktober 24th, 2010 at 11:48
@ #8 R@iner
“Yes, Minister” ist eines der witzigsten Serien überhaupt. Klar, daß man in der BRD jeden Müll zig-fach wiederholt sieht – nur das nicht.
Die “Splendid Isolation” und das “devide et impera” ist jedoch für das UK gruselig brutal gescheitert. Denn inzwischen hat das Us-israelische Imperium die Rolle des “British Empire” längst übernommen und die Verhälnisse im UK sind vor, seit und nach Harold Wilson (danach kamen noch M. Thatcher und T. Blair) einfach immer schlechter geworden.
@ #9 NochEiner
Zu Aust (angeblicher RAF-Spezialist) und dem SPIEGEL: Ich trennte mich vom SPIEGEL bereits Ende der 70ger Jahre (vorher hatte ich das Blatt jede Woche gekauft).
Nachdem im Fall der toten Stammheimhäftlinge praktisch alle Beweismittel vernichtet worden waren (z. B.: obwohl die Anstallt mit Videokameras massiv bestückt war, waren, potzblitz, plötzlich überhaupt keine Videobänder vorhanden! Huch!) und der Verdacht der Ermordung auf der Hand lag, tauchte doch noch ein Beweismittel auf:
Bei den Stammheim-Morden wurde eine Blutprobe aus der Zelle von Raspe genommen. Sie stammte von einer Kugel aus der Pistole Raspes. Er hatte noch auf etwas geschossen. Wäre das von der Kugel gegen die Wand gebrachte Blut dasjenige von Raspe gewesen, wäre dies ein Beweis für Selbstmord gewesen. Wäre es fremdes Blut gewesen, war jemand anderes in seine Zelle eingedrungen und hatte ihn ermordet. Was passierte? Es wurde damals verkündet, daß in das gerichtsmedizinischen Institut eingebrochen und die Blutprobe dabei “entwendet” wurde. Nun könne man leider nichts mehr feststellen.
So jedenfalls war die Berichterstattung des SPIEGEL damals. Deutlich erkennbar versuchte der SPIEGEL damals, den E i n d r u c k zu erwecken, die forensische Untersuchung habe noch gar nicht stattgefunden – und nun sei sie ja unmöglich. Aber genau dies sagte der SPIEGEL gerade nicht e x p l i z i t ! Und daraus schließe ich, daß das Ergebnis durchaus längst vorlag, dieses Ergebnis aber gewissen Leuten nicht gefiel. Damals laß ich regelmäßig den SPIEGEL (heute faß ich dies Zeug nur noch mit Fingerspitzen an!) und Woche für Woche versuchte ich herauszubekommen, was denn die staatanwaltliche Ermittlung in Sachen dieses unerhörten Einbruchsdiebstahls ergeben habe und ob die Ermittlung auch gut vorankomme. Ihr müßt bedenken, daß dieses Thema der Stammheimtoten damals d a s Thema schlechthin war. Aber, ob ihr es glaubt oder nicht – bis heute habe ich keine e i n z i g e n Artikel zu diesem Ermittlungsverfahren mehr gelesen. Auch bei andern Zeitungen nicht – aber erst recht nicht beim SPIEGEL!
Oktober 24th, 2010 at 12:38
Schöne Zusammenfassung flatter!
Oktober 25th, 2010 at 09:42
@
nescolicedit
Ach weißt du, Nero, die Toten der RAF gehen einem mittlerweile am Arsch vorbei. RIP. Es wird soviel gestorben, gewaltsam. Das kann mensch nachlesen im neusten Spiegel. Will mensch den “Paradigmenwechsel” dieser Gesellschaft durchschauen, sollte sie/er eben möglichst breit alles lesen. Und manchmal hilft wirklich nur noch breitsein, um das auszuhalten.
Oktober 26th, 2010 at 11:38
Vorsicht mit Bildern von Dirk V… der zieht schon mal die Abmahnkarte, will dann aber nicht mehr namentlich genannt werden:
https://todamax.kicks-ass.net/blog/2010/vorfahrtstrasse-abmahnwahn/
https://todamax.kicks-ass.net/blog/2010/vorfahrtstrasse-abmahnwahn-sieg-nach-punkten/
Oktober 26th, 2010 at 12:42
Nunja, ich halte mich an die Lizenzbedingungen und mache mir da keine Sorgen. Mich muß man verklagen, wenn man Geld will – achja, und gewinnen obendrein.