Die Parole “Ausländer aus” oder “Deutschland den Deutschen” gilt inzwischen als gestrig, was sogenannten Konservativen nicht durchgehend behagt. Zumindest benötigen sie daher etwas, das an die Stelle solch eindeutiger Stellungnahme tritt und diejenigen bei der Stange hält, denen man sonst nichts zu bieten hat. Einen Teil der Bevölkerung kann man immer von denen abspalten, die nichts gegen Ausländer haben – und natürlich von den Zuwanderern selbst. In schwarzgelben Kreisen hat daher längst die rechtsradikale Vokabel vom “Multikulti” Einzug gehalten. Die Kanzlerin selbst formuliert heute so: “Multikulti hat ausgedient“, “Dieser Ansatz ist gescheitert, absolut gescheitert“.

Was je damit gemeint worden sein könnte, verschweigen uns die totalen Gegner von “Multikulti”. Das einzige, was je freiwillig diesen Titel trug und zum Teil bis heute so genannt wird, sind die Stadtteilfeste, bei denen sich Kulturschaffende aus unterschiedlichen Ländern ein Stelldichein geben. Dort treffen sich meist viele Ausländer und eher linke Eingeborene. Der blanke Horror für die Ethnozentriker und Leitkulturhammel von rechts bis ganz rechts.

Ausgerechnet diese Multikulti-Veranstaltungen waren übrigens – viel zu seltene – Gelegenheiten, bei denen sich Urdeutsche und Einwanderer begegnen und annähern konnten. Gescheitert ist da gar nichts. Gescheitert ist vielmehr die Ignoranz derer, die mit den ‘Anderen’ nichts zu tun haben wollten, die das ‘Andere’ gern aus der Welt geschaffen hätten. Gescheitert ist überdies die zynische Behandlung von “Gastarbeitern”, die man nutzen und dann eigentlich wieder hinauswerfen wollte.

Gescheitert

Man hat sie zu lange gebraucht, zugelassen, daß sie hier seßhaft wurden, obwohl sie auf widrige Bedingungen trafen. Niemand wollte sie als Freunde und Nachbarn, als Schüler und Vereinsmitglieder oder Parteigenossen. Also integrierten sie sich in ein Land, ohne sich in die Gesellschaft zu integrieren. Sie haben ganz folgerichtig eigene gegründet.
“Sie”, das snd natürlich vor allem die türkischen Einwanderer, ihre Kinder und Enkel. Über Jahrzehnte hat sich kaum jemand Gedanken darüber gemacht, wie diese Bevölkerunggruppe zu Bildung und Wohlstand käme – außer denen, deren “Multikulti”-Einstellung angeblich gescheitert ist.

Die grandiose Neuerung in der neoliberalen Einwanderungspolitik soll jetzt also das Prinzip “Zuwanderung nach Nutzen” sein, wie sie querbeet vertreten wird, von BA-Chef Weise über Seehofer bis hin zu Kanzlerin Merkel und FDP-Chef Westerwelle. Der fühlt sich dabei noch bemüßigt, die rassistische Hetze eines Thilo Sarrazin gutzuheißen.

Daß Deutschland vor allem ein Auswanderungsland ist, nehmen diese Großstrategen dabei zwar offiziell zur Kenntnis, viel mehr als neuerliche Zuzugsbeschränkungen oder ein bißchen Lockerung derselben fällt ihnen dazu aber nicht ein. Es ist ja auch vertrackt: Man möchte gern bestens ausgebildete Leute, weil man es hierzulande nicht fertigbringt, eine brauchbare Ausbildung zu organisieren. Gleichzeitig aber will man nach Herzenslust auf dem unintegrierten Ausländerpack herumhacken. Dabei will so recht keine Stimmung aufkommen, die Deutschland für Zuwanderung attraktiv macht. Das eine oder andere Pogrom wird sich daraus vielleicht wieder ergeben, sicher aber keine Willkommensgeschenke an Fremde.

Eingliederung in die Wertschöpfungskette

Der widerwärtige Mix aus Diskriminierung, Herabwürdigung und Zurichtung der Masse auf Diener einer besserverdienenden Herrenriege feiert fröhliche Urständ, im Gefolge rechter Demagogen und unter der schon rituellen Beschwörung wirtschaftlicher Notwendigkeiten. Letztere werden dann noch als Toleranz verkauft, man behandelt schließlich alle diejenigen gleich, die für ‘Aufschwung’ und ‘Wohlstand’ zu sorgen haben. Für wessen unverschämten Wohlstand, das wird selbstverständlich nicht diskutiert. Der Markt, die uns alle nährende Mutter, bedarf nützlicher Arbeiter. Wer sich als solcher betätigt, darf hier auch essen. Er ist, wie Westerwelle in bräunlich welken Worten kundtut, “eingeladen”.

Die Kategorien sprechen für sich. Es gibt Nützliche und Unnützige, Eingeladene und Ungeladene. Die Einladung gilt für die Dauer der Nützlichkeit. Die Unwillkommenen werden unterteilt in solche, die man wieder loswird und solche, die man dulden muß, weil sie ganz ungeladen dennoch geboren wurden. Diese Ausgehaltenen gelten zwar längst als unwert und haben das Brot nicht verdient, von dem sie sich ernähren, immerhin stehen sie aber noch über denen, die sich der Einladung als nicht würdig erweisen.

Mit “Integration” oder irgend einem Problem, das der Verstand noch erfassen könnte, hat das nichts zu tun. Es geht nicht um eine Vorstellung von Zivilgesellschaft oder das Verhältnis von Menschen zu Menschen – im Gegenteil. Die Würde des Menschen wird endgültig und vollends unantastbar, weil sie keine Rolle spielen darf im Theater der ökonomischen Interessen. Die Frage nach der Würde betroffener Menschen wird systematisch ausgeschlossen, die soziale Frage auf die Eingliederung in die Wertschöpfungskette beschränkt. Auffälligkeiten sind unerwünscht, wer auffällt, muß hart sanktioniert werden. Er hat sein Recht verwirkt, ein Teilnehmer der Marktgesellschaft zu sein. Genau darin nämlich besteht das “neue Soziale” der Marktwirtschaft. Ob der Mensch ein Mensch ist, fragen nur noch Gutmenschen. Die anderen wissen, daß wir uns das nicht leisten können.