In aktuellen Umfragen kriegt’s die SPD derzeit knüppeldick, sie liegt noch bei gerade 24%, während die Union auf 39% kommt. Damit hätte Schwarzgelb derzeit die Nase vorn. Hätte, denn bei einer Wahl kommt es bekanntlich anders. Dennoch ist dieses historische Tief der Spezialdemokraten ein Zeichen, und wie ich finde, kein schlechtes.
Daß die Union trotz oder gerade wegen des Raubbaus am Grundgesetz, den ihr Innenminister mit Zustimmung der Kanzlerin treibt, sich recht gut hält, zeigt zweierlei: Erstens ist das Klientel nicht unzufrieden, ihnen geht Sicherheit vor Recht. Zweitens: Es ist nützlich, ein Freak zu sein. Besser unangenehem auffallen und sich überall Feinde machen, als aalglatt jeden Blödsinn abzunicken und es nachher als Erfolg zu verkaufen.
Genau das ist nämlich derzeit die Strategie der SPD, und sie fährt damit von Wand zu Wand. Man wundert sich, daß von der alten Mühle überhaupt noch etwas übrig ist und wäre nicht überrascht, wenn sie demnächst drittstärkste Kraft im Bund wäre.
Kurz zu den anderen: Die “Linke” ist schwer im Aufwind, ihre Anhänger sind entsprechend begeistert, und Zulauf sorgt für Zulauf. Das wird sich wieder einpendeln, aber sicher deutlich über fünf Prozent. Mit ihnen muß in den nächsten Jahren gerechnet werden.
Die F.D.P. hat ihr Stammklientel, das sich von der Koalition am schlechtesten regiert fühlt. Ihre Anhänger stehen Gewehr bei Fuß, und wer etwas anderes will als die GroKo, ist bei ihr gut aufgehoben. Nichts Neues von daher. Strukturell hat die F.D.P. einen so guten Stand, daß sie auch ohne fähiges Personal zurechtkommt. Das ist sehr bedauerlich, denn sie hätte eine Erneuerung dringend nötig. Wobei “Erneuerung” vor allem hieße, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Die schwache Stimme der Brürgerrechtler wird bei ihnen nur von denen erhoben, die in der Partei wenig bis gar nichts zu sagen haben: Leutheuser-Schnarrenberger, Baum, Hirsch. Aber auch hier zeigt sich deutlich: Charakter wird von der Öffentlichkeit honoriert.
Ähnlich sieht es bei den Grünen aus, mit dem Unterschied, daß sie zwar nicht immer schreien, aber doch immer die Bürgerrechte verteidigen. Nur konsequent ist es daher, daß Claudia Roth als erste den Rücktritt Schäubles gefordert hat. Mit Christian Ströbele haben sie, quasi gegen ihren Willen, ein Aushängeschild, das sich durch einen eigenen Kopf sehr hervorgetan hat. Nach Joschka Fischer fehlt es hier an einem kantigen Charakter, der von der Partei auch getragen wird. Insgesamt aber sind die Grünen eine recht agile Truppe, der man nicht vorwerfen kann, sie bringe nur Funktionäre hervor. Auch das honoriert der Wähler nachhaltig.
Sie werden nicht vom Himmel fallen, die Querdenker, die Unangepaßten und Unbequemen. Im Gegenteil ist die Binnenstruktur der politischen Organisationen ja längst so bürokratisch, daß sie seelenlose Roboter fördert und Menschen mit einer echten Meinung abschreckt. Allerdings wird diese Struktur zunehmend zu einem Hemmnis für den Erfolg beim Volk. Lafontaine wird nicht zuletzt deshalb so angefeindet, weil er ein leidenschaftlicher Politiker ist. Und die Leute haben derart dem Kaffee auf von rhetorisch unterbelichteten Funktionsmöbeln, daß ihnen ein überzeugter Demagoge lieber ist als ein zurechtgebogener staatstragender Schwätzer. Die etablierten Parteien haben daher zwei Möglichkeiten: Entweder sie öffnen sich und lassen den Streit um die besten Ideen wieder zu oder sie setzen weiter auf Parteiräson und Fraktionszwang. Letzteres kann zu erschreckender Erosion führen.