Die “Zeit” berichtet heute von einer Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, SpOn und “Welt” haben das bei der Gelegenheit gleich abgeschrieben. Ich werde nicht recht schlau aus dem Gedöns und werde versuchen, mir dieses Werk einmal in Gänze zu besorgen. Es wird von der Presse ein Item zitiert, das mich stutzen macht, die Aussage:
“Wohlstand ist für mich weniger wichtig als Umweltschutz und der Abbau von Schulden“, der knapp drei Viertel der Befragten wohl zustimmen.
Wer läßt sich solche Fragen einfallen? Sind mir Kugelschreiber weniger wichtig als Feuerzeuge und Nagelscheren?
Was sich wohl erkennen läßt, ist, daß mit Schuldenabbau und “Wachstum” Schlagworte abgefragt werden, die der gängigen politischen Landschaftspflege durch Politik und Medien dienen. Es wäre sicherlich im Sinne der Erfinder gewesen, wenn die damit verbundene Doktrin besser angenommen würde. Dann hätte man sich wunderbar bestätigt fühlen können, obwohl bei den Probanden kaum eine inhaltliche Vorstellung davon vorhanden sein dürfte, geschweige denn fundiertes Hintergrundwissen.
Jetzt hat nicht einmal das geklappt, und es ist vermutlich angeraten, die “Linke” noch schärfer zu beobachten. Irgendwie müssen diese Halunken es ja geschafft haben, daß sich das Volk nur sehr ungenügend mit der Pflicht gegenüber dem Eigentum identifiziert.
Die Deutung der Hoheiten aus dem Expertentum und ihrer Verlautbarer fokussiert sich wie manisch auf etwas, das sie “Wachstum” nennen. Die einen erkennen “Wachstumsskeptiker”, die anderen wollen eine “Wachstumsdebatte”. Was bitteschön soll das sein?
Die Wissenabschaftler gehen ihrer wahnhaften Terminologie derart selbst auf den Leim, daß sie eine Kuh nur noch erkennen, wenn sie lila ist. Wenn man schon panisch den Begriff “Kapitalismus” meidet, wäre es dann nicht angebracht, wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, daß die als unantastbar geltende Marktwirtschaft von niemandem mehr als “sozial” betrachtet wird? Daß wir es mit einem fundamentalen Systemversagen zu tun haben, auch wenn die Leute immer noch brav ihre Wahlkreuzchen bei den vier Trägervereinen des Neoliberalismus machen?
“Wachstum”, “Aufschwung” und “neue soziale Marktwirtschaft” sind Slogans, die nie dazu gedacht waren, einen Bezug zur Realität zu wahren. Sie sind nachweisbar Hirngespinste, die dem Zwang zur Schönfärberei entspringen, wie er von Lambsdorff bis Schröder verordnet wurde. Was gibt es da zu diskutieren? Wenn ihr Umfragen startet, deren Resultat eurer Realitätsverweigerung eine Klatsche verabreicht, dann haltet sie unter dem Deckel oder trollt euch auf die stille Treppe! “Diskutieren” können wir erst dann, wenn ihr zu einem Minimum an Respekt gegenüber erwachsenen Leuten bereit seid.
August 19th, 2010 at 01:24
Die Wissenabschaftler
Ich würde eher die Wissenproduzierer draus machen, aber das ist jetzt auch nicht mehr so wichtig. Man muss auch nicht unbedingt schlau draus werden. “Gedöns” reicht vollkommen aus ;-) Zehn zu eins, das wir mit steigender Frequenz mit Bertelsmannstudien nur so zugemüllt werden. Implantation mit Nachhaltigkeitseffekt. Interessant aber der neuerliche Bezug zum Club of Rome. Ein gutes Zeichen dafür, das es keine neue Strategie gibt, sondern lediglich alte Pferde neu aufgezäumt werden. Frau Mohn wird alt.
August 19th, 2010 at 02:36
Bei dem zitierten Item frage ich mich, ob mit dieser Umfrage eigentlich gar nichts eruiert werden soll, sondern vielmehr Indoktrination betrieben wird.
Der Schuldenabbau wird auf die gleiche Stufe mit dem für uns ‘heiligen’ Umweltschutz gestellt (durch die und-Verknüpfung). Beide werden in Stellung gebracht gegen den Wunsch nach Wohlstand (=gutes Leben (durch guten Lohn)). Wenn wir dem Umweltschutz zuliebe auf Wohlstand verzichten würden (weil ja das individuelle Streben nach Wohlstand dem Umwelschutz grantiert nachgeordnet ist), so müßten wir das auch zum Zwecke des Schuldenabbaus gerne tun. Ist das nicht die Suggestion, die in dem Item steckt? Es wird zwischen den Zeilen neoliebe Auffassung verabreicht.
August 19th, 2010 at 04:00
Ein Knoten wird dadurch in der Propaganda der Bertelsmänner sicher nicht entstehen, geht es jetzt doch nur darum, die Resultate dem eigenen Weltbild anzupassen. Es heißt: “Laut ‘Zeit’ sind vier von fünf Deutschen der Ansicht, dass jeder seine Lebensweise dahingehend überdenken sollte, ob wirtschaftliches Wachstum für ihn alles ist” – Das schlägt eher in die Kerbe “Wir alle haben über unsere Verhältnisse gelebt.” Passend dazu natürlich der heilige “Abbau von Schulden.” Was ist denn der Wunsch nach Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit wert, wenn es nichts kosten darf, da nun alle tugendhaft Sparen? Ich vermute, es hat am Ende irgendwas mit Eigenverantwortung zu tun…
August 19th, 2010 at 04:46
die “studie” wäre nicht publik geworden, wenns den bertelsmännern nicht gepasst hätte
“sind vier von fünf Deutschen der Ansicht, dass jeder seine Lebensweise dahingehend überdenken sollte, ob wirtschaftliches Wachstum für ihn alles ist” heisst übersetzt:
wie könnten die habenichtse weiter ausgepresst werden, denen das “wachstum” am geldbeutel vorbei geht.
außerdem, welcher halbwegs vernünftige mensch glaubt denn, immerwährendes wachstum sei in einem geschlossenen system möglich? ich fürchte nicht wenige unserer spezialexperten glauben den stuss, den sie verzapfen, und ich fürchte, die glauben auch, dass sich der gemeine proll einen auf den fetisch “exportweltmeister” und “wachstum xxl” von der palme wedelt und man ihm ein onanieverbot schmackhaft machen will.
btw. wollte die fdp nicht ein nationales raumfahrtprogramm?
golfspielen auf dem mond müsste doch interessant sein. und die synergieeffekte durch terraforming dürften das wachstum auf dem mars auch ankurbeln
ich vermute, uns wird als konsumenten demnächst vorgeworfen werden, unserer eigenverantworung nur ungenügend gerecht zu werden und wir uns auf weitere zwangsmaßnahmen ala energiesparlampe gefasst machen dürfen. heute stand schon in der waz etwas über drosselfilter für duschen. unsere eliten haben nichts gegen umweltschutz, solange sie sich davon freikaufen können.
August 19th, 2010 at 07:36
war frau mohn nicht mal eine einfache sekretärin?
wieso werden wir immer über die bertelsmann-studien unterrichtet? ich meine, in den medien? wieso erfahren wir nie etwas über die reemstma-studien aus dem hause des hamburger institus für sozialforschung? reemstma ist doch auch multimillionär. oder sind hier die milliarden ausschlaggebend. je mehr kohle, um so stärker ist dann die medienpräsenz.
August 19th, 2010 at 09:37
@klaus baum
Nein, vielmehr kömmt es darauf an, wie und wozu das Geld eingesetzt wird. Die Mohnsuppe will das Kapital vermehren, die Stiftung hilft den geistigen Nährboden dafür zu schaffen, was als ‘Investition’ durchgehen kann. Reemtsma hingegen ‘investiert’ in einem ganz anderen Sinne, und ist daher diesem Gelde nicht (mehr) zugehörig. Nicht nur das, es ist sogar pfui, und ein Herr Papier vermöchte daraus wohl noch einen Verstoß gegen Art14GG zu konstruieren – er lässt sein Geld ja gar nicht ‘arbeiten’.
August 19th, 2010 at 09:50
Diese Form der Suggestion findet man ja selbst in den Wahlumfragen in den Öffentlich-Rechtlichen.
Da werden Parteien verglichen mittels der Frage: “Welche Parteien haben die höhere Wirtschafts-Kompetenz”. Begründet wird die Frage mit: “Wirtschaftskompetenz” sei ja das Wahl-entscheidende Kriterium.
Regelmäßig haben dann die CDU und die FDP die höchsten Werte. Ich würde wetten, dass die Grafen den gleichen Verlauf zeigen würden, wenn man fragen würde: “Welche Parteien setzen sich hauptsächlich für die Interessen der Wirtschaft ein?” Oder “Welche Parteien zeigen die größte Wirtschaftskriminelle Energie.”
Alle Fragen, die das Wort “Wirtschaft” enthalten, würden exakt zur gleichen Balkenhöhe bei den Parteien führen. Und zwar deshalb, weil der Bürger eigentlich weiß, dass bestimmte Parteien mehr als andere nicht seine, sondern die Interessen der Wirtschaft vertreten.
Damit wird klar, dass die Frage nach der “Wirtschaftskompentenz” inklusive der konnotativen Kommentierung, dies sei bei Wahlen das wichtigste Kriterium, eine massive Manipulation einer Wahl durch Meinungsumfragen darstellt.
August 19th, 2010 at 10:45
…postmaterielles, grünes Denken
Dieser Zeit-online-Beitrag und die Reflexion hier sind derart vom Feinsten, dass man fast geneigt ist, postmateriell grünend und grübelnd dazu einen Kommentar abzugeben.
August 19th, 2010 at 11:16
“Ich werde nicht recht schlau aus dem Gedöns und werde versuchen, mir dieses Werk einmal in Gänze zu besorgen.”
Verschwendete Lebenszeit, so ein Werk zu lesen.
Es ist wie bei einem Buch von Dieter Bohlen. Man weiß schon vorher, dass es sch.. ist, aber man will sich nicht den Vorwurf einhandeln, dass man keine Ahnung hat, worüber man redet.
August 19th, 2010 at 13:59
Ich stimme “unschland” #4 und “Blog Roaming” #2 zu.
So straff wie die Bertelsmänner organisiert sind, kann das kein Zufall sein.
Es geht, überspitzt formuliert, darum “das Volk” auf eine neue Sportpalast – Rede vorzubereiten, bzw. die Leidensfähigkeit zu erhöhen.
August 19th, 2010 at 14:28
Gehard Schrödibär meint: “Damit wird klar, dass die Frage nach der “Wirtschaftskompentenz” inklusive der konnotativen Kommentierung, dies sei bei Wahlen das wichtigste Kriterium, eine massive Manipulation einer Wahl durch Meinungsumfragen darstellt.”
Einfach kurz und prägnant auf den Punkt gebracht, dieses ganze Meinungsumfrage- Unwesen! Kompliment!
August 19th, 2010 at 15:55
ich hasse es recht zu behalten:
heute wird in der waz gegen den fleischkonsum gewettert!
300 bis 600 gramm fleisch in der woche ist genug! darf dort eine oekotrophologin zum besten geben, womit sie wahrscheinlich recht hat , wenn man es sich ansonsten leisten kann, eine gesunde und abwechslungsreiche ernährung durchzuhalten. sicher schmeckt fleisch von freilaufenden, homöopathisch gebauchpinselten kühen besser, mit demetersiegel und geleitwort von frau kühnarsch auf der verpackung. aber wo im hiv-satz ist dieser posten verbucht, wenn das geld so schon nicht zu einer gesunden ernährung reicht? klar könnte man sich teureres fleisch leisten, wenn man davon weniger äße, aber was passiert nochmal mit dem preis, wenn man das angebot verknappt?
man kann seine privilegien auch dadurch vergrößern, indem man den rest verarmt oder deren lebensqualität mindert.
aber bestimmt werden demnächst nur noch muskelbepackte, marathonlaufende hochleistungsrinder auf der regierungsbank sitzen. versprochen! ehrenwort!
wie sagte steve noch so lieb bei al bundy: war das schön mit dem aufkleber “eure armut kotzt mich an” auf dem porsche durchs armenviertel zu düsen.
wenn neolibs vernunft heucheln, wirds so richtig kriminell.
scheiße wir sind am arsch
August 19th, 2010 at 18:07
Die im Artikel zitierte Fragestellung widerspricht so ziemlich allen Gütekriterien einer ernst zu nehmenden empirischen Untersuchung. Nachzulesen in jedem Einführungsskript einer Statistikveranstaltung in jeder beliebigen Sozialwissenschaft oder wegen mir auch bei Wikipedia.
So eine Frage bekäme jeder Erstsemester von seinm Dozenten um die Ohren gehauen.
Also reine Propaghanda.
August 19th, 2010 at 22:04
das mit der propaganda ist klar, die sind nie über den moralischen anspruch von landserheftchen hinausgekommen,
aber welche stoßrichtung?
August 19th, 2010 at 22:41
hier wäre eine reimform:
bei der sache könnte es auch um greenwashing gehen. normalerweise denkt man ja, es muss immer um irgendetwas “gehen”. mit dieser publikation wetten sie aber darauf, dass die sofort gedachte kritik, nämlich: “wieso ausgerechnet bertelsmann?” als zu schlicht erscheint – “denn dann würden die das ja nicht machen”. sie wetten also darauf, dass die zuschauer nicht schlicht denken wollen. wer will das schon. also funktioniert die wette.
grundsätzlich haben sie ja recht (imho) mit dem was sie da schreiben, andererseits machen sie sich zum bannerträger der idee, während sie in ihrer sonstigen arbeit ja doch etwas ganz andere pläne verfolgen(“effizienzsteigerung” als staatstherapie, der staat soll als unternehmen geführt werden (o-ton und “principia maxima” des herrn mohn), “schlank” werden; rente mit 67 usw. kommt ja auch mit aus diesem haus).
genau dieselbe masche verfolgt auch die insm, indem sie sich z.b. gegen höhere mehrwertsteuern ausspricht, obwohl das genau ihr wille ist (niedrigere einkommens- und gewinnsteuern). sie denkt aber, sie würde mit der entscheidung nicht in verbindung gebracht bzw. versucht mit diesen publikationen diesen eindruck zu erwecken.
zuletzt kam die bertelsmann-stiftung erneut unter kritik, z.b. hier: https://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/die-methode-bertelsmann-1/
die umfrage könnte die antwort darauf sein.
August 19th, 2010 at 23:56
@peinhart, doch, doch, reemstma lässt sein geld auch arbeiten, um dann damit erkenntnisprozesse zu finanzieren.