Nach dem Siegeszug des Lambsdorff-Papiers, den ausgerechnet eine sogenannte “linke” Regierung durchgesetzt hat, blieb für die genuin neoliberale FDP unter Westerwelle quasi nichts mehr zu tun. Selbst die Propaganda besorgen private Stupidity-Tanks wie die INSM und eine ganze Reihe sogenannter “Institute”, die die willigen Medien mit “Studien” und Slogans beliefern. Die Parteiliberalen und ihr Chef schrumpften auf einen Einzeiler zusammen. “Steuern runter”. Auch in der Variante “Einfach, niedrig, gerecht”. Der Kampf gegen Erbschafts- und Vermögenssteuer war alles, was noch sinngebend erschien.

Jenseits der Klientelpolitik für Eigentümer gab und gibt es nichts, was der FDP als “liberal” gilt. Dem liegt das forcierte Mißverständnis von Liberalität als Schutz des Privateigentums zugrunde. Tatsächlich war mit dem Aufkommen des liberalen Bürgertums das Recht auf Eigentum mit dem Begriff verknüpft. Gemeint war damit aber eine Forderung, die heute nachgerade sozialistisch wäre: Daß nämlich die Erzeuger von Produkten nicht durch eine herrschende Klasse (dereinst eine echte feudale) nach Belieben enteignet würden. Wie das Leben so spielt, haben sich in der Folge die Ursachen geändert, aber nicht die Symptome. Die kleine Kaste erfolgreicher Kaufleute hat zum Adel aufgeschlossen, und man einigte sich dahingehend, daß künftig nicht der Stammbaum, sondern der Reichtum über die gesellschaftliche Stellung entschied. Damit konnten beide Stände gut leben.

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Die Freiheit des Individuums, für die der Pöbel auf die Barrikaden gegangen war, wurde zunehmend zu geltendem Recht bei ausbleibender Wirklichkeit. Daher flammte nur gelegentlich ein Liberalismus auf, der es ernst meinte mit der Freiheit des Einzelnen. Während die Besitzstandswahrer die Freiheit einzelner meinten, also einer überschaubaren Gruppe derer, die sich das leisten können, gab es immer auch andere, die diese Freiheit für alle forderten. Damit sind wir bei dem, was ich unter “liberal” oder auch “sozialliberal” verstehe.

Da die Leibeigenschaft doch schon etwas länger als abgeschafft gelten darf, ist der Bezug aufs Eigentum weitgehend irrelevant geworden. Hinzu kommt, daß selbsternannte “Liberale” stets das Recht verteidigen, Eigentum behalten zu dürfen, ohne sich darum zu scheren, wie es verteilt ist und wer überhaupt welches erwerben kann. Dies ist der unüberbietbar reaktionäre Kern des “Liberalismus”, der in seiner aktuellen Ausprägung die Krallen nach allen Institutionen ausfährt und einen unbegrenzten Herrschaftsanspruch stellt. Allein damit widerspricht er allen Konzepten von Liberalismus, der sich selbst in der bürgerlichsten Variante noch bewußt war, daß die Freiheit des einen die des anderen einschränkt – und daß das geregelt werden muß.

Obendrein ist den Herrschaften inzwischen alles wurscht, was Freiheit sonst noch bedeuten könnte. Es geht ihnen nur ums Geld – um ihr Geld. Ansonsten sind sie zu allen Kompromissen bereit, ihr einziger Koalitionär ausgerechnet die Konservativen, deren Sicherheitswahn gegen alle Freiheiten stets mitgetragen wurde. Lauschangriff, Asylrechtseinschränkung, Anti-Terror-Gesetze, Strafrechtsverschärfungen – das ganze Programm wurde mit Billigung jener durchgezogen, die sich nicht schämen, das auch noch “liberal” zu nennen.

frog Die grundlegendsten Freiheiten der Menschen – Meinungsfreiheit, Freizügigkeit, Freiheit von Zwang – sind längst für Millionen eingeschränkt. Ein wirklich liberaler Geist müßte Sturm laufen gegen die Hartz-Gesetze, gegen Teile des Lissabon-Vertrages, gegen Antiterrorwahn und nicht zuletzt gegen unerhört ungerechte Eigentumsverhältnisse, die für die überwältigende Mehrheit Unfreiheit bedeuten.
Schon gar nicht darf man in solchen Verhältnissen erwarten, die abgehobenen Scheinliberalen hätten noch Ideen, wie gelebte Freiheit mit Lust und Freude gestaltet werden könnte. Lieber säßen sie den ganzen Tag auf einem finsteren Locus, könnten sie nur Taler scheißen.

Dabei reicht ein Blick in ihre Gesichter, ein Satz ihrer gelangweilten Reden, der Anblick ihrer traurigen Gestalten, um das Elend zu erkennen. Jeden Morgen binden sie sich das Relikt einer Adelsmode aus dem 17. Jahrhundert um, der Zeit, als sie sich allmählich mit dem Klassenfeind gemein machten. Wer tagein tagaus mit dem Krawattenknoten vor dem Kehlkopf durchs Leben geht, hat sich von seiner Freiheit gründlichst verabschiedet. Vielleicht denken sie ja, sich selbst einen Strick um den Hals zu legen schütze sie vor der Guillotine, jenem “Messer der Gleichheit”, die ihnen zum blanken Horror geworden ist.