Das Geschrei ist groß. Der Herr Westerwelle, der nicht wirklich weiß, was er tut, hat ein wenig gebellt, und die Reaktion ist ein großes Jaulen. Ich behaupte, er wisse es nicht, weil er stets für sich selbst und seine Klientel das Beste wollte und jetzt wild herumpöbelt, weil er das nicht mehr unter einen Hut bringt. Gegen faule Parasiten zu hetzen, hatte bis vor kurzem noch gereicht. Inzwischen ist das komplizierter geworden, und es war offenbar nicht so klug, noch einen drauf zu setzen und das in einen historisch depperten Kontext zu texten. Er hätte gleich sagen können, HartzIV sei schlimmer als der Überfall auf Polen oder alle Arbeitslosen seien Nazis.

Wo das Ressentiment nicht zündet, legt er Plattitüden nach und fordert empört, wer arbeite, müsse doch mehr verdienen als wer nicht arbeite – und garniert das wie üblich mit falschen Zahlen. Angeblich geht es ihm darum, den Abstand zwischen Existenzminimum und Löhnen zu erhöhen. Ja wer will das denn nicht? Jeder weiß auch, was daraus folgt: Daß nämlich die Löhne erhöht werden müssen, und zwar anständig. Alles andere würde nämlich in der statistisch unerhört reichen Sphäre der Industriestaaten zu Hungerrevolten führen oder alternativ in eine Diktatur, die sich darauf gleich einrichtet.

Wenn das Ressentiment nicht zündet

Nein, noch muß man nicht verhungern. Aber das Konzept der Westerwelles würde dorthin führen – es sei denn, man richtete staatliche Armenküchen ein. Das kann nicht der Plan sein, denn wenn sich die so Verarmten dort zusammenrotten, kippt das System, von dem die neoliberalen Amokläufer leben.
Wie soll das gehen, daß fünf Millionen Arbeitslose entweder von Mitteln leben, die weit unterhalb von Niedriglöhnen liegen oder zur Aufnahme von Arbeit gezwungen werden, die es nirgends gibt? Einen staatlich finanzierten Arbeitsmarkt für alle diese Menschen lehnt doch gerade die FDP ab, “weniger Staat” wäre das ganz sicher nicht. Es gibt bereits Löhne teils deutlich unter 5 Euro pro Stunde, es gibt “Ein-Euro-Jobs”, und dennoch wäre bei erfolgreicher Besetzung aller freien Stellen gerade einmal jeder zehnte Arbeitlose beschäftigt. Und was kommt dann?

Selbst die optimistischste Vorstellung eines Beschäftigungswunders kommt nicht aus ohne Menschen, die sich von ihrem Einkommen Waren und Dienstleistungen kaufen können. Wie soll das gehen, wenn die Masse immer weniger Geld zur Verfügung hat? Wie soll das gehen, wenn noch Mindestlöhne Tabu sein sollen, von denen weitere Millionen Geringverdiener kaum selbst über die Runden kommen? Wie soll angesichts anstehender massenhafter Altersarmut in einer überalterten Gesellschaft ein Markt funktionieren, wenn immer mehr Menschen weniger ausgeben können?

Marktwirtschaft, zu Tode gefördert

Flankiert wird dieser größte anzunehmende Schwachsinn durch eine von Neoliberalen zu Tode geförderte Marktwirtschaft, die Produktion und Dienstleistungsgewerbe ausblutet, weil “Investoren” glauben, ein losgelassener Finanzmarkt allein sichere Reichtum. Gewinnerwartungen im zweistelligen Bereich werden von Vollpfosten in Nadelstreifen nach wie vor geweckt, und wer versucht, stattdessen real unternehmerisch tätig zu werden, wird mit der Eselsmütze ums Bankenviertel geprügelt. Schuld sind, man möchte spucken vor Lachen, zu hohe Löhne und faule Arbeitslose?

Nehmen wir einmal an, jeder Arbeitslose würde unter Androhung der Todesstrafe dazu gezwungen, für Wasser und Brot eine Vollzeitstelle anzutreten. Was sollten diese Leute machen, um auch nur höhere Gewinne für Superreiche zu ermöglichen? Na, dämmert’s? Wie viele Putzfrauen, Frisöre und Maler braucht ein Leistungsträger? Wie viele Autos kann er fahren? Wir bauen euch das alles, Jungs und putzen eure Karren mit der Zahnbürste. Und dann rafft ihr immer noch nicht, wieso die Immobilienpreise weiter sinken und kein Schwein mehr Aktien kauft?

Koks gegen Kater

Zuerst bräuchte man natürlich die eine oder andere Verfassungsänderung, denn selbst das kochgewaschene und gefriergetrocknete Hirn des Wählers zwänge ihn bald dazu, den Stand der Abgehobenen mit Bonusmeilenrabatt nach Dubai auszuweisen. Der Sturzflug ist im vollen Gange, der Kater hat selbst die sturztrunkenen Wähler solcher Wirtschaftskompetenz schon so kurz nach der Wahl voll erwischt. Gut, wenn sie sich wenigstens schämen. Den Wirtschaftskriegsgewinnler Westerwelle hingegen ficht das nicht an, denn er kann sich den Koks leisten, der ihn zu seinen jüngsten Heldensprüchen ermutigt.

In der Tat erfüllt sich in diesen Tagen meine erste Hoffnung, die ich in eine siegesbesoffene FDP gesetzt habe. Sie machen sich mit ihren debilen Planspielchen vom ewigen Aufschwung auf Kosten der Massen derart lächerlich, daß selbst die geübten Schönschreiber der kürzlich noch gleichgepolten Presse nicht mehr wissen, wie sie das noch dem Stimmvieh ins karge Futter mischen sollen. Die einen hetzen darum noch primitver, die anderen wenden sich ab oder liefern lustlos ausgewogene Leere.

Fauxpas zur Lage der Nation

Den Freudschen Fauxpas zur Lage der Nation hat der Guy d’Eau mit seinem Dekadenz-Gefasel selbst geliefert. Man sollte ihm dafür dankbar sein. Das neoliberale Imperium geht seinem Untergang entgegen, weil der Pöbel nicht mehr zu kontrollieren ist. Wer führt schon Krieg für widerliche Despoten und ihre Hofschranzen, die sich in ihren Marmorhallen Champagner-Einläufe kredenzen lassen und lauthals die Sklaven verachten, die ihnen den Hintern wischen? Woher nehmen wir auf Dauer die willigen Helfer, die Ihresgleichen erschlagen, um dieser Majestät weiterhin dienen zu dürfen?

Wenn alles andere “Sozialismus” ist, gebührt Guido Westerwelle noch einmal Dank, von Seiten aller anderen, die sich nunmehr als Sozialisten betrachten dürfen, vor allem aber von denen, die sich schon immer so nannten. “Sozialismus oder Tod” ist das Motto, vorgegeben vom Ikarus des dümmsten “Liberalismus” aller Zeiten. Er hat zu früh gebrüllt. Die Zustände, die er will, sind nicht herstellbar. Noch sind wir nicht schon wieder so weit.