Kinder und Kapitalisten brauchen Grenzen. Wie Kinder nicht nur jede Orientierung verlieren, wenn man sie machen läßt, was ihnen einfällt, sondern auch immer radikaler Grenzen einfordern, so verhalten sich auch die grauen Herren an den Börsen. Sie wissen, daß ihr Treiben schädlich ist, aber die kurzfristige Befriedigung ihrer Geltungssucht und der Ansprüche ihrer Geldgeber treibt sie zu immer heikleren Aktionen. Ähnlich wie in einer Gruppe entgrenzter Kinder bestimmen dabei auf lange Sicht diejenigen das Geschehen, deren Mut zur Devianz am größten ist. Wer keine Grenzen erfährt, der braucht das Ausufernde, die Ekstase, das Extrem – denn es ist die einzige “Grenze”, die noch erfahrbar ist.

Dummerweise ist das Extrem, das nur in den Grenzen des Machbaren besteht, verschiebbar. Wer sich daran orientiert, muß zwangsläufig immer wieder testen, ob die Grenze noch besteht oder schon wieder überschritten werden kann. Ein entgrenzter Kapitalismus ist zwangsläufig extremistisch.
Es besteht daher die dringende Notwendigkeit, das Treiben an dem Märkten zu begrenzen, und diese Aufgabe kann nur der Staat erfüllen. Diese Binsenweisheit muß ernsthaft wieder zu ihrem Recht gebracht werden, nachdem Jahrzehnte neoliberaler Indoktrination die Logik der Wirtschaft auf den Kopf gestellt und festgedübelt haben.

Der Staat muß bestimmen, was gehandelt werden darf. Ohne eine solche Begrenzung ist er selbst dem Untergang geweiht – und mit ihm die quengelnde Wirtschaft, die nicht einsieht, daß sie ohne die politische Ordnung nicht existieren kann, von der sie zehrt. Selbst das gebrannte Kind will weiter mit dem Feuer spielen und die Mutter dazu verpflichten, immer schön mit dem Feuerlöscher daneben zu stehen. Wenn es dann abends nichts zu futtern gibt, wird wieder gequengelt und auf die blöde Mama geschimpft.

In der Welt politisch-ökonomischer PR ist der Totschlager “Globalisierung” der Renner in der Hitparade absurder Argumente. Es wird behauptet, die anderen Kinder dürften auch alles, also müsse Mama ebenfalls alles erlauben. Sonst gehe man halt bei Kowalskis spielen, deren Vater immer besoffen ist, das sei dann noch gefährlicher.
Die Struktur ist immer dieselbe: Es wird etwas verlangt, was für Wirtschaft und Gesellschaft langfristig fatal ist, aber man müsse das kurzfristig tun, weil es sonst andere tun, was noch schlimmer wäre.

Nicht mit allem ist der ökonomische Extremismus bislang durchgekommen, und darin liegt der Grund dafür, daß es noch eine zivile Ordnung gibt. Hätte man sich wirklich auch in Europa schrankenlos auf den Wettbewerb mit Niedriglohnländern und Steuerparadiesen eingelassen, wir hätten heute keine Krise, sondern einen Weltkrieg. Die Ideologie, der die Staaten schon viel zu weit gefolgt sind, liefe aber genau darauf hinaus. Alles spricht dafür, daß Mutter ihren Erziehungsauftrag wieder bewußt und souverän ausführen sollte. Das schafft nicht nur eine Sicherheit, die die liberalisierten Märkte völlig verzockt haben, sondern im Endeffekt auch den Wohlstand, der in der Realität nur als Dauerlüge existiert.

Hohe Lohnquoten, ein Finanzmarkt mit überschaubaren Produkten, der sich an der produzierenden Wirtschaft (und deren Wachstumsraten) orientiert – das sind die Säulen einer Marktwirtschaft, die so stabil und sozial wie möglich ist. Darüberhinaus kann man Alternativen diskutieren, aber sicher keine, die so grandios gescheitert ist wie der neoliberale Renditewahn.

Das wüßte jeder, der sich mit der Geschichte der Ökonomie oder auch nur den aktuellen Entwicklungen beschäftigte. Leider profitieren noch immer zu viele Entscheidungsträger von diesem maroden und zutiefst ungerechten System.
Wie anders ließe es sich erklären, daß der Gangchef mit dem horrenden Waffenarsenal noch immer Mamas Liebling ist? Ackermanns Deutsche Bank müßte dringend zerschlagen werden, statdessen darf er noch weiter expandieren und kriegt obdendrein seine Schnittchen im Kanzleramt geschmiert. Mutti versagt, weil sie sich zum Komplizen ihrer mißratenen Kinder macht, anstatt endlich ihren verdammten Job zu erledigen.