Schon vorgestern wollte ich einen Artikel von Jens Berger kommentierend ergänzen, ich bin aber nicht recht dazu gekommen. Es steht beinahe alles drin, aber da die FR heute ein Interview mit Kurt Beck veröffentlicht, möchte ich auf beides noch einmal hinweisen.

Der Beck ist weg aus der Hauptstadt, und jetzt fällt auf, daß er vielleicht kein großer Philosoph ist, aber in einigem eben doch recht hatte. Vor allem fällt einmal mehr auf, wie das hier funktioniert mit der “öffentlichen Meinung”.
Bei Guttenberg kann man nur noch von “Worterbrechen” sprechen, es fiele gar nicht auf, wenn er nach einer Wahl etwas anderes sagte als davor. Vielmehr erwiese er sich als unzuverlässig, bliebe er länger als zwei Monate bei einer Grundsatzposition. Dahinter steckt sicher Kalkül: Weil die anderen in den Talkshows immer so öde sind und dauernd dasselbe sagen, macht er es eben spannend. Auch eine Strategie, um immer wieder eingeladen zu werden.

In Berlin braucht man Macht, um entweder jeden Unsinn verbreiten zu dürfen oder alles auszusitzen. Dazu gehören vor allem eine Hausmacht in der eigenen Partei und willige Schreiber in den Haupt(stadt)medien. Guttenbergs “Macht” in der Union besteht aus seiner CSU, daraus, daß er bislang nur die Schwachen Kollegen weggemobbt hat und daraus, daß die Unionskollegen farblos und zumindest heimlich zerstritten sind. Sein von-und-zu Gehabe hat sich als medienwirksam erwiesen, und es gibt kein relevantes Gegengewicht zu seinen “Positionen”. Einerseits ist das ganz logisch, weil er keine hat, andererseits leistet er sich nichts, das allzusehr gegen den Mainstream geht. Der löst sich ohnehin gerade auf, weil weder die Kasperle-Regierung noch die angesichts der Wirtschaftskrise verwirrten Medien eine Idee haben, was denn wirklich “richtig” wäre.

Beck hingegen hat seinerzeit einer schon desolaten, aber radikal neoliberalen SPD vorgestanden, die sich im Einklang mit der Presse wußte. Zwei Bemerkungen, die dort nicht ankamen, haben ausgereicht, um ihn “unmöglich” zu machen.
Dabei stimmt es nicht, daß seine rustikale Art nicht ankäme. Daheim in der Pfalz hat ihm das eine absolute Mehrheit beschert, und Kohl stand ihm diesbezüglich zu seiner Zeit in nichts nach.
Blöd nur, daß Beck sich nie um die Macht der vorherrschenden Windrichtung geschert hat. Waren die von ihm vertretenen Inhalte oft durchaus vernünftig, genau wie die von Andrea Ypsilanti, haben beide den fatalen Fehler gemacht zu glauben, es käme in der deutschen Politik auf Vernunft und Inhalte an. Sie sind keine Politiker, sie wollen eine Politik machen, die sie für richtig halten. Das geht hier gar nicht.

Möglicherweise werden wir das Comeback inhaltstreuer Politikmenschen erleben, und dazu trägt ein Flip-Flop wie Guttenberg durchaus bei. In Zeiten, in denen die politische Meinungsmache sich destabilisiert, weil das Mißverhältnis der alten “Weisheiten” zur Wirklichkeit sichtbar wird, kollabiert allmählich auch die gängige Propaganda. Zu dieser gibt es zwei Alternativen:
- Eine radikale neue Propaganda, wobei ein aufkeimender Rechtsradikalismus gute Chancen hat, sich Gehör zu verschaffen und
- Eine standhafte, von Vernunft beeinflußte Haltung, die Menschen überzeugt, anstatt sie zu dressieren, zu überrumpeln und zu überreden.

Spannende Zeiten. Wer heute darauf verweisen kann, daß er sich nicht verbogen hat, wer in den kommenden Jahren eine nachvollziehbare Linie entwickelt, kann sich vielleicht damit durchsetzen.
Andererseits kann sich im Zuge der neuen Beliebigkeit eine Kaste junger Demagogen ans Ruder intrigieren, deren Message primitiven Machthunger durch noch primitivere Parolen nach vorn bringt.
Von und zu Guttenberg wird in diesem Zusammaenhang scharf zu beobachten sein. Er hat das Potential, ein großer Führer zu werden, nimmt er sich doch schon heute das Recht heraus, dem versammelten Parlament den Mund zu verbieten.
Was immer man von diesem aufgeblasenen Kleiderständer halten mag – Leute wie er sind brandgefährlich.