Die Zeitung liest der reiche Mann
und schaut sich die Statistik an.
“Keine Armut?”, fragt er bleich -
“seid ihr nicht arm, bin ich nicht reich!”

So schlimm wird es schon nicht kommen. Man muss nur verstehen, was die Bundesregierung und ihr Vizewirtschaftskanzler Rösler unter “Armutsbericht” verstehen. Es ist das Dokument ihrer Armut an Ehrlichkeit, Realitätssinn, ja sogar an Phantasie, wenn’s ums Lügen geht. Da greift halt eins ins andere. Das Skandälchen liegt in der Formulierung “Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt.” Das will man nicht wissen, was erstaunlich ist, denn die Privatvermögen sind überall ungleich verteilt, wo es Kapitalismus gibt, sehr ungleich sogar. In Deutschland gilt aber die Erzählung, die heilige Mutter Marktwirtschaft sei gütig und eben sozial®. Das verträgt sich nicht mit der Realität, also muss die ausgeblendet werden.

Warum eigentlich? Die Neoliberalen interessiert ihr Geschwätz von gestern doch sonst nicht. Zu Zeiten des Lambsdorff-Papiers wurde eine Arbeitslosigkeit von Dauerhaft zwei Millionen Menschen als Katastrophe bezeichnet. Wir haben heute deutlich mehr allein in Westdeutschland, trotz des Kahlschlags bei Vollzeitjobs, von denen man noch leben kann und trotz aller Statistiktricks.

Uns geht’s gut

Armut beginnt für jene, die sie sich eh nicht vorstellen können, erst beim Hunger. Wer einen Fernseher hat, kann demnach nicht arm sein. Sie haben wirklich nicht die geringste Vorstellung davon, was es heißt, nicht dabei sein zu können bei ganz normalen Aktivitäten. Kein Theater, kein Kino, kein Kneipenbesuch, keine Pizzeria, kein Urlaub. Bei vielen Gelegenheiten muss man sich als “bedürftig” outen, um teilnehmen zu können. Und das Schlimmste: Es darf nie etwas Unvorhergesehenes passieren und man darf nie so dumm sein, zu viel Geld auszugeben – oder es sich von windigen Firmen aus der Tasche ziehen zu lassen. Dann ist nämlich tatsächlich der Kühlschrank leer und bleibt es auch, bis irgendwie wieder Geld reinkommt.

Für Menschen, die es nicht schaffen, das alles völlig abgebrüht durchzuziehen, bedeutet das ein Leben in Angst. Wer das durchhält, wird an den Pranger gestellt und als “Sozialschmarotzer” beschimpft, die anderen in ihrer Depression nicht wahrgenommen oder obendrein auch noch abgeurteilt.

Nichts Neues für die, die so etwas wissen wollen. Neu wäre es für die Röslers und von der Leyens, aber die haben sich abgeschottet. Das Politbüro interessiert sich nicht für die Werktätigen – und noch viel weniger für die nicht Werktätigen. Das Beste nämlich ist der Titel des dilettantisch manipulierten Berichts: “Arbeit schützt am besten vor Armut“. Das ist so bescheuert, dass es die ganzen Beschönigungen lang in den Schatten stellt. Am besten, um das kurz auf den banalen Punkt zu bringen, schützt Reichtum vor Armut, und den erwirbt man nicht durch Arbeit. Jemand hatte das bereits im 19. Jahrhundert ähnlich formuliert. Zweitens ist das immer weniger wahr, denn wenn eines in Deutschland steigt, ist es die Zahl der arbeitenden Armen. Drittens ist das unfassbar zynisch angesichts der katastrophalen Beschäftigungsentwicklung in Europa.

Warum erscheint ein solcher “Armuts- und Reichtumsbericht” überhaupt noch? Meinen diese Clowns ernsthaft, sie könnten dauerhaft die Betroffenen über ihre eigene Lage belügen? Jene Betroffenen, die immer mehr werden?
Nein, die Paranoia der Mittelschicht ist inzwischen zum Narrativ einer Nation geworden: Uns geht’s gut! Es könnte uns zwar besser gehen, gäbe es bloß nicht so viele Faulpelze, aber wer was leistet, dem geht es gut, und wer Arbeit will, findet auch welche. Jeder kriegt, was er verdient.