Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.

Meine allerersten Erfahrungen mit “Politik” waren geprägt von der Verehrung für Willy Brandt. Ich erinnere mich dunkel an das konstruktive Misstrauensvotum und dass Rainer Barzel ein böser Mann gewesen sein muss. Grundsätzlich war meine Kindheit also – wie die gesamte Zeit der 70er Jahre – sozialdemokratisch geprägt. Ich hatte Verwandte in der DDR, die ich im Alter von 13 Jahren besuchte. Sozialismus fand ich schlimm, weil viele Leute sich nicht trauten, laut ihre Meinung zu sagen, weil sie weinten, wenn eine Flasche Ketchup für ein paar Pfennige zu Bruch ging und man dort alle möglichen Waren nicht bekam.

Ich lebte hingegen in der “sozialen Marktwirtschaft”, dem damaligen Original. Selbst CDU-Anhänger hätten jemanden für verrückt erklärt, der gesagt hätte, man könne sich den Sozialstaat nicht leisten. Dennoch begann schon bald das Ende dieser Phase.

Was ich damals noch nicht wusste: Alle Parteien waren sich im Grunde einig gewesen, dass es keinen Kapitalismus mehr geben sollte, das stand jedenfalls in den Programmen, so auch im Ahlener Programm der CDU, aus dem das Zitat am Eingang stammt. Die Lösung schien also die besagte zu sein. Der Begriff “Kapitalismus” kam nicht vor in den öffentlichen Debatten, übrigens auch nicht der des “Profits”. Die Wirklichkeit schien das zu bestätigen. Es gab sogar Lehrmittelfreiheit. Jedes Jahr neue Bücher gratis, die man nachher wegwarf, manchmal fast ungelesen. Später galt das als “Verschwendung”. Seitdem müssen die Eltern diese Praxis finanzieren. Es gab Sozialhilfe und ihre Empfänger, die man bedauerte. Es gab auch Arbeitslose, für die es es eine Vorsorge gab. Niemand machte sich darüber schlimme Sorgen. Selbst die “Ölkrise” zwang das Land nicht in die Knie.

Die Wende

1982 zerbrach die sozialliberale Koalition. Das hatte diverse Gründe, u.a. den Kalten Krieg und den NATO-Doppelbeschluss. Aber auch die Tendenz in der FDP, höhere Profite zu ermöglichen. Damals dachte ich noch nicht daran, eine Krise des Kapitalismus zu erkennen. Wieso auch, es war ja nur eine “Marktwirtschaft”. Das Lambsdorff-Papier habe ich damals auch nicht gelesen. Ich erinnere mich aber sehr wohl, dass mit der “geistig-moralischen Wende” eine große Erzählung Einzug hielt, die uns glauben machen sollte, wir könnten uns den “überbordenden Sozialstaat nicht mehr leisten”. Was sehr merkwürdig war: Ausgerechnet, als der gebraucht wurde, denn es gab eine stabile Arbeitslosigkeit von mehr als einer Million Menschen.

Es begann eine Phase jahrzehntelanger Propaganda in diesem Sinne. Die ersten Regierungen unter Kohl haben dabei nur sehr vorsichtig in den Sozialstaat eingegriffen, allerdings wurde der Ton immer rauher. Sozialdemokraten, vor allem Oskar Lafontaine, verteidigten leidenschaftlich die Armen und Arbeitslosen gegen den sozialen Abstieg. Gleichzeitig kam mit den Grünen eine Partei auf, in der sich viele Kommunisten und Sozialisten tummelten. Seltsam fand ich die Reaktion der SPD, die diese Partei härter bekämpfte als die “Bürgerlichen”. Sie ließ sich von dem Vorwurf des “rot-grünen Chaos” zu immer absurderen Abgrenzungen gegen die Grünen treiben und driftete dabei inhaltlich deutlich nach rechts. Bis 1989 kam nur eine rotgrüne Koalition zustande. Erst als mit der PDS im Osten eine linke Konkurrenz auf den Plan trat, wurde Rotgrün salonfähig.

In dieser Phase wurden die Grünen durch die “Realos” unter Fischer und seiner Frankfurter Seilschaft von den als “Fundamentalisten” diffamierten Linken befreit. Am Ende des Prozesses zogen die “Pazifisten” in zwei Kriege, sitzt einer ihrer Oberen im Verein Atlantikbrücke, ist die “Basisdemokratie” zur Führerpartei avanciert und der Kommunismus bei Hartz IV gelandet. Von Sozialismus ist lange keine Rede mehr. Im Gegenteil wird die Linke vom vereinten Rotgrün exakt so gemobbt wie zu Anfang die Grünen von der SPD. Inhaltlich ist vor allem die SPD auf einem Niveau des Mobbings gegen Arbeitslose und Minderheiten angekommen, das sie vor 1989 mit schäumender Empörung quittiert hätte. Mit Maschmeyer, Hartz und Konsorten ließ sich Rotgrün von den übelsten Profitgeiern und Halbgöttern des Kapitals die Entscheidungen vorgeben. Damit stand die Einheitsfront, denn Schwarz und Gelb mussten nicht lange davon überzeugt werden, dass es dem Kapital stets gut gehen sollte.

Rechts ab, Vollgas

So weit der “Linksrutsch” im Lande. Ich selbst habe das mit wachsender Verwunderung begleitet und lange gegrübelt, warum eigentlich der Weg der friedlichen und halbwegs solidarischen Marktwirtschaft verlassen worden war. Zwar war mir Marxens Kritik des Kapitalismus weitgehend bekannt, aber der hatte sich ja nie mit einer sozialen Marktwirtschaft befasst. Bei ihm las sich das so, als müsse das Kapital grundsätzlich die Ausbeutung ins Extrem treiben. Wir hatten aber den Beweis des Gegenteils.

Das ist die Krux, die viele sicher vor dem persönlichen Linksrutsch bewahrt: Dass sie die Marktwirtschaft nicht als das erkennen, was sie am Ende doch ist: Kapitalismus und sonst nichts. Die schöne Phase, in der sich das Ganze wirklich anfühlte wie etwas “Soziales”, als es Aufstiegschancen en masse gab und selbst die Verlierer in Frieden gelassen wurden, war ein Glücksfall, der von Anfang an ein Haltbarkeitsdatum hatte. Die Klügeren unter den Dienern des Kapitals haben das frühzeitig erkannt und schon Anfang der 80er jene Propaganda gestartet, mit der sie inzwischen eine ‘Krise’ nach derselben begleiten und die Reaktionen darauf als schmerzhaft, aber notwendig® verklären.

Dazu gehört ebenfalls die Illusion, es werde schon wieder besser werden. Daran klammern sich all jene verzweifelt, die sich nicht zu Staatsfeinden und Anhängern einer Diktatur stempeln lassen wollen. Die den einen Schritt nicht wagen zu erkennen, dass es nie mehr besser wird mit der “Marktwirtschaft”. Dass der Kapitalismus die Welt immer wieder auffressen und ausspucken wird, wenn man ihm nichts entgegensetzt. Zum Beispiel einen neuen Sozialismus.