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Bundesarchiv, Bild 183-57000-0139 / CC-BY-SA

Im Alter von 13 Jahren habe ich zehn Tage die DDR bereist, war in Leipzig, Dresden und Meißen, wo meine Familie Verwandte hatte. Damals war ich noch kein politischer Mensch, gleichwohl nahm ich wahr, wie die Öffentlichkeit von der Obrigkeit vermeintlich politisiert wurde. Wo im Westen Reklametafeln hingen (auch das war damals nicht so flächendeckend wie heute, es dominierten noch Litfaßsäulen), hingen in der DDR die Banner der VEBe, vor allem aber Parolen der Staatsführung. Ich erinnere mich vor allem an “Der Sozialismus siegt”, u.a. in mannshohen Lettern an einem Bahnhof.

Ich konnte mir damals nicht recht erklären, gegen wen oder über was der Sozialismus denn siegen sollte, und die Erklärungen meiner Verwandten halfen mir auch nicht weiter. Auch der Parteifunktionär, der auffallend gut ausgerüstet war und uns Speisen kredenzen konnte, die bei anderen Mangelware waren, verlor das Rennen. Er wurde von seinen erwachsenen Kindern fürchterlich lang gemacht, die seine geschnitzten Propagandasprüche in der Luft zerrissen. Die Szenerie empfand ich – aus heutiger Sicht beschrieben – als surreal.

DDR reloaded

DDR reloaded, das fällt mir immer öfter ein angesichts der plumpen Propaganda, der Ritualisierungen, Wiederholungen, Verdrehungen, kurz: angesichts des Neusprechs, mit dem wir eingedeckt werden. Ich frage mich, wie sie das selbst aushalten, die Pfaffen der neoliberalen Religion, ob sie wirklich glauben, was sie da verkünden, ob sie tatsächlich so abgestumpft sind, dass sich keinerlei Ekel oder Aggression in ihnen regt, wenn sie ihre Formeln herunterleiern.

Sie gründen “Think Tanks”, von denen man mit Recht annimmt, dass die so schlau sind wie Panzer, nur “Denken” kann man das nicht wirklich nennen, was dort zelebriert wird. Sie tragen Namen, denen man schon ablesen kann, dass sie das Gegenteil meinen. Berüchtigt die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft”, ein Laden, der den alten asozialen Kapitalismus aufhübscht und dabei so initiativ ist wie alle anderen Pharisäer. Neulich habe ich einen entdeckt, den ich noch nicht kannte. Er trägt den Namen “Neue Verantwortung”, womit klar sein dürfte, dass sich niemand für nichts verantwortet, wie wir das seit Jahrzehnten kennen. Weil sich aber welche aufmachen und sich ein poliertes Türschild besorgt haben, gilt ab sofort das Gegenteil – der Wirklichkeit.

Einige der Assoziierten sind z.B.:McKinsey, Scholz&friends, Bayer, Quandts, BMW, Telekom, RWE, Bilfinger Berger, BKA und diverse Bundesministerien. Ein erschreckendes Konglomerat. Als involviert lassen sich fast alle relevanten Verlage und Redaktionen dort nennen, übrigens auch Carta. Haben wir drauf gewartet, dass sich die versammelte Mischpoke zur Denkfabrik erklärt. Es wäre ja sogar ehrlich, denn was dort als “Denken” gilt, ist industriell produziert, Mehrwerterzeugung für Privateigentümer.

Ich bin in der Milch und die Milch ist in mir

“Verantwortung”, das ist ein tolles Wort, hatten wir schon. “Verantwortung” ist ja auch die neue Gaucksche “Freiheit”. Eigentum ist Freiheit, Freiheit ist Verantwortung, das ist keine Satire, das meinen sie ernst. Was ist das für eine Freiheit? Was für eine Verantwortung, von wem vor wem? Wer soll da noch Sinn oder Bedeutung finden in diesem psychotischen Sprachbrei?

Gestoßen bin ich auf den Verein durch ein Interview mit Tobias Leipprand, einem Leadership Fellow Advanced Nonsense Cititzen oder auch Vorstandsmitglied, der keine drei brauchbaren Sätze in die Reihe kriegt. Macht sich permanent in rhetorischen Armutsbezeugungen selbst klein. Zusammengefasst sagt er ungefähr: “Ein bisschen Sympathie mit unseren Führungskräften ist ein bisschen ein ein großer Kraftakt, würde ich sagen“.
Beruhigend, wenn die Leadership Eliteforce Tanks solche Knallchargen sind. Vor ihnen müsste man keine Angst haben.

Beunruhigend allerdings, dass immer mehr Zirkel und Stammtische entstehen, die Bürger und Verbraucher auch noch finanzieren dürfen, in denen sich die immer gleichen Hohlfrüchte treffen, um ihren Formelsalat mit geschmacklosem Dressing zuzubereiten. Der Qualitätsjournalismus ist diesmal gleich involviert und muss nicht mehr kompliziert indoktriniert werden. Alle sind eins und eins ist alles. Wachstum! Wohlstand! Vollbeschäftigung!