Augsteins Freitag: Planlos Online
Posted by flatter under Journalismus , Netzwelt[15] Comments
12. Jun 2009 0:04
Ich habe mich lange mit Kritik zurückgehalten, was den neuen “Freitag” und dessen Online-Auftritt anbetrifft, aber angesichts des fahrigen arroganten Gequatsches, das Jakob Augstein im Interview mit der FR von sich gibt, halte ich das Wasser nicht mehr. Er sieht sich wohl als ganz große Marke in der Netzwelt wie im Journalismus, sieht die Sueddeutsche sterben, weil sie überflüssig wird, erfährt in der “Bild” hingegen “etwas über das Arbeitsleben der Leute oder über merkwürdige Beziehungssituationen” und will die Welt des Kuhjournalismus nicht den Bloggern überlassen – von denen er nach wie vor keine Ahnung hat.
Ich bin Herrn Augstein nie begegnet, aber das ist seine Schuld. Als ich im letzten Dezember mit zwei Bloggerkollegen in der Redaktion war, um über eine mögliche Kooperation zu sprechen, ließ er seinem Stellvertreter den Vortritt. Und selbst der bekam offenbar nicht einmal die allernötigsten Ressourcen zur Verfügung gestellt, um sich mit selbständigen Bloggern herumzuschlagen.
Ich war damals eingeladen worden, weil einer der Kollegen auf die Diskussion hier aufmerksam gemacht hatte, in der es um einen konzertierten Blogger-Auftritt für das “Superwahljahr” ging.
Beim “Freitag” fand man das spannend und hatte mit der “Wahlkampf-Arena” ein Projekt in Vorbereitung, das zu passen schien. Es wurde eingehend darüber gesprochen, es wurde geplant, es gab ein Wiki. Es gab viele Ideen, aber offenbar keine Ressourcen, um diese umzusetzen. Was davon beim “Freitag” noch übrig ist, wurde mir in einer Mail als “verschlankt” angekündigt. Es ist ein schlechter Witz und hat mit der Grundidee nichts mehr zu tun.
Ähnlich ergeht es mir mit den sogenannten “Blogs” des Freitag, die keine sind. Was groß als “Cross-Blogging” angekündigt wurde, findet nicht statt, einzig die Veröffentlichung von “Blog”-Beiträgen in der Printausgabe könnte den einen oder anderen eventuell locken.
Ansonsten habe ich nachhaltig den Eindruck, wir sollten dem “Freitag” möglichst für lau Content liefern – und dann noch auf die Rechte an unseren Texten verzichten. Zwar wurde zumindest einigen zugesichert, diese behalten zu dürfen, aber so recht kann ich nicht erkennen, was ich denn nun davon hätte.
So weit, so schlecht. Bis hierhin bin ich ein wenig hin- und hergerissen. Immerhin versucht die Redaktion etwas mit “Online” in einem bemerkenswerten Umfang. Das hebt ihren Auftritt wohtuend von anderen ab.
Andererseits sind sie noch meilenweit entfernt von einem Verständnis vom Bloggen, dessen Vielseitigkeit, Unabhängigkeit und Qualitäten. “Das können sie ja noch lernen”, dachte ich bislang.
Wenn aber nun der Oberchef und Eigentümer sich in einer Weise äußert, die ich bislang genau so von den verknöchtertesten Printen der Holzmedien kenne, schwindet die Hoffnung rapide. Auf die Frage der FR, welche Rolle den Bloggern zukünftig zukomme, antwortet Augstein:
“Also, ich war auf der “Re:publica”, wo ich mich auch mit einigen unterhalten habe. Das war ganz merkwürdig, denn die sollten doch eigentlich in ihrem Denken ganz vorne sein, aber die haben so geredet, als wären sie noch ganz hinten. Ich habe dort im Podium gesessen und die Leute gefragt: “Angenommen, ihr tragt bald das ganze Gewicht der vierten Gewalt, wenn jetzt die gesamte klassische Presse den Bach runter gehen sollte, wie von manchem prophezeit – seid ihr darauf vorbereitet? Habt ihr die Disziplin, habt ihr die Reife und die Professionalität dazu, könnt ihr das?”
Womit er zunächst einmal nicht antwortet. Die Frage war nämlich nicht die danach, was Blogger nicht sein werden. Ein Blogger hätte hier wohl zunächst korrigiert, daß es “die Blogger” gar nicht gibt. Noch weniger als “die Journalisten”.
Über genau diese aber hat Augstein gesprochen, über das, was er sich darunter vorstellt und warum Blogger – Überraschung! – keine sind. Und schon läuft der alte Käse wieder über den Tisch: Qualität, Disziplin, Professionalität, als seien das unveränderbare Kennzeichen des Journalismus, als gäbe es das alles nicht auch in Blogs. Vielleicht sollte Herr Augstein mehr lesen, das bildet.
Auf der re:publica lernt man im übrigen genau so viel übers Bloggen wie beim Berliner Presseball über Journalismus. Don Alphonso wird er dort schließlich auch nicht begegnet sein. Ist wohl auch besser so, zumal, wenn er ihn mit Sascha Lobo in einen Sack steckt. Das geht nämlich ähnlich gut wie Peter Hahne mit Sonia Mikich, aber wenn man nur weit genug weg ist, sehen schließlich alle gleich aus. Ich möchte auch diesen beiden keineswegs die Blogsphäre überlassen, aber das ist so banal, daß ich nicht darauf käme, es zu artikulieren.
Und am Ende ist es das, was mich nervt: Diese Banalitäten, aufgeblasen zur Alleskennerei, zum Onlinejournalismus 3.5, zur publizistischen Weltformel. Was der “Freitag” da macht, war eine gute Idee, deren Umsetzung allen Anlass zur Bescheidenheit gibt. Augstein aber tritt auf wie der bessere Holtzbrinck, der jetzt klare Online-Kante und es uns allen zeigt.
Das zeugt weder von Kompetenz noch von Lernbereitschaft. Das war nicht einmal gut gebrüllt, Löwe Bettvorleger.
Juni 12th, 2009 at 00:14
Wie gut ist es doch manchmal, das eine oder andere,das in dieser Welt aufgeblasen einherkommt, einfach zu ignorieren.
Juni 12th, 2009 at 00:36
Hast du was anderes von dem Interview erwartet?
Zeitungenlesen und sich aufregen.
Fernsehen schauen und sich aufregen.
Wählen gehen und sich aufregen.
Irgendwie ist das Einfach.
Die notwendigen Informationen für die Menschheit bleiben auf der Strecke.
Juni 12th, 2009 at 10:21
Die überhebliche Selbstbeweihräucherung vieler Journalisten geht mir langsam tierisch auf den Geist. Sie sollten sich mal lieber ernsthafte Gedanken über wirkliche “journalistische Qualität” machen! Was wir zurzeit überall erleben (mit wenigen Ausnahmen) ist folgendes:
*mediale Gleichschaltung
*abschreiben von Agenturmeldungen
*kommentarloses abdrucken von Presseerklärungen
*mitschwimmen im ideologischen Einheitsbrei
*Kampagnenjournalismus
*”Recherche” durch PR-Agenturen
*Boulevard-Journalismus
*und und und…
Bevor auf die Blogger geschimpft wird, wäre Selbstkritik angesagt. Ich vermute, Blogger sind für viele authentisch und glaubwürdig und deshalb auch beliebt. Schließlich sind hier Meinung und Ideologie offen zu erkennen und nicht wie bei vermeintlich “objektiven Journalisten” versteckt.
Juni 12th, 2009 at 10:23
@klaus baum
Dem schließe ich mich an.
Die Arroganz des etablierten Journalismus ist selbst dann noch zu spüren wenn über den Untergang desselben gesprochen wird. Bei Herrn Augstein kommt zusätzlich noch die Überheblichkeit des “alten Alphamännchens im Nebel der neuen Zeit” hinzu. ( Ähnlich wie bei Münte ). Blogger sollten unabhängig bleiben.
Juni 12th, 2009 at 10:28
Wie Volker Pispers es treffend formulierte:
“Das einzige was bei unseren Journalisten noch kritisch ist, ist ihr Geisteszustand.“
Juni 12th, 2009 at 10:43
@Systemfrager #3
Wenn es nicht auf weiten Strecken zu dem gewünschten (verheerenden) Ergebnis führen würde,
wäre dem kaum etwas hinzu zu fügen.
Juni 12th, 2009 at 12:14
und dazu passend:
https://www.zeit.de/online/2009/25/merkel-illner?page=1
Juni 12th, 2009 at 21:19
Das Problem ist – so sehe ich das jedenfalls – weniger ein Mangel an gutem Willen, sondern ein eingerostetes Denken. Man begibt sich mit seinen alten Vorstellungen auf ein neues Terrain – und verlangt, dass sich die Landschaft den Migranten anpassen soll: Falls Blogger dann tatsächlich einmal die Rolle der vierten Gewalt übernähmen, woran ich übrigens nicht glaube, dann sollte in solchen Augen doch wieder nur Journalismus dabei herauskommen – erneut alles hochseriös, gestanzt, altbaksch, rundgelutscht und damit vor allem macht- und politikkompatibel.
Juni 12th, 2009 at 22:03
Ich will hier Jakob Augstein nicht verteidigen. Aber ich wüsste gern, wie sich die Auflage des Freitag entwickelt und wie der Online-Freitag so angenommen wird.
Es könnte nämlich sein, dass das Blatt ganz gut fährt und sein Herausgeber deshalb Oberwasser hat und er deshalb leicht auf die Süddeutsche herabgucken kann.
Seien wir nicht ganz so kritisch mit ihm! Denn außer Jakob Augstein ist bis heute praktisch kein Herausgeber auch nur in Sichtweite des Web 2.0 angekommen. Gewiss: Auch er ist noch ein “Migrant”, aber wenigstens migriert er schon. So etwas braucht eben viel Zeit…
Juni 13th, 2009 at 02:15
…ja, Zeit, die wir nicht haben.
Juni 13th, 2009 at 14:04
[...] Feynsinn » Augsteins Freitag: Planlos Online Ansonsten habe ich nachhaltig den Eindruck, wir sollten dem “Freitag” möglichst für lau Content liefern – und dann noch auf die Rechte an unseren Texten verzichten. Zwar wurde zumindest einigen zugesichert, diese behalten zu dürfen, aber so recht kann ich nicht erkennen, was ich denn nun davon hätte. (tags: johournaille) [...]
Juni 14th, 2009 at 13:39
[...] Flatter | – Ich habe mich lange mit Kritik zurückgehalten, was den neuen “Freitag” und dessen [...]
Juni 15th, 2009 at 15:08
Lieber Flatter,
danke für die ehrliche Kritik. Wir haben uns letztes Jahr hier in Berlin getroffen, und es stimmt, die Wahlkampfarena unterscheidet sich tatsächlich von dem, was damals angedacht war. Aber im Lauf der Zeit verändern sich eben Ideen, fast organisch, das ist noch so typisch für dieses Medium Internet. Ich hoffe dennoch, die Arena kann ein Nukleus sein für eine Wahlkampf-Blogplattform, die Berichte aus dem Wahlkampf genauso wie streitbare Meinungsstücke vereint.
Und apropos organisch. Das trifft meiner Meinung nach auch auf das künftige Verhältnis von Bloggern und Journalisten zu. Blogger sind die journalistische Avantgarde, wohin sie den Journalismus führen, weiß nur noch keiner. Das ist das Spannende. Über Szenarien, wie es kommen könnte, diskutieren wir auch auf freitag.de, z. B. hier.
Schöne Grüße, Jörn Kabisch
Juni 15th, 2009 at 15:52
@Jörn Kabisch:
Die Arena hat sich nicht verändert, sie findet m.E. nicht statt. Von 20 Ideen ist eine übrig geblieben. Ich mag das jetzt nicht alles hier ausbreiten, aber die Manpower, die da zur Verfügung stand, war in jeder Hinsicht zu schlapp. Wenn so etwas klappen soll, braucht es entsprechhende Ressourcen. Das habe ich zu beanstanden.
ich habe Deinen Beitrag gelesen und muß feststellen, daß ich Jakob Augstein völlig anders verstehe. Seine Vorstellung von Journalist./.Blogger ist durchaus hierarchisch.
im übrigen erinnere ich mich an einen Satz, der da lautete: “Ich will keine Blogger bezahlen”. Man kann ja einen guten Willen haben, den ich Dir jederzeit abnehme. Der allein ändert aber wenig an den Verhältnissen.
Juni 17th, 2009 at 19:37
Das Augstein-Interview gibt es in ausführlicher Fassung jetzt auch hier:
https://planet-interview.de/interview-jakob-augstein-16062009.html