Hatte ich sie neulich noch gelobt, wartet Susanne Gaschke nun mit einem Leitartikel in der Zeit auf, den man ihr nur um die Ohren hauen kann. Es ist traurig: Wenn deutsche Journalisten über das Internet schreiben, haben sie meist Schaum vor dem Mund und schalten ihren Verstand vollständig ab.
Schon in der Einleitung macht Frau Gaschke deutlich, was “Pirate Bay” für sie ist: Die

weltgrößte Anleitungsbörse für Film- und Musikdiebstahl im Internet“.

Das ist inhaltlich zunächst unzutreffend, was aber nicht so sehr ins Gewicht fällt. Gaschke ist der Meinung, daß hier organisiert geklaut wird. So kann man das sehen, es sollte sich dann aber freilich eine Begründung für diese Sichtweise einstellen. Darauf warten wir vergeblich.

Nun ist es mit dem Diebstahl so: Die einen meinen, alles gehöre irgendwem, und wenn man es ihm wegnimmt, sei das Diebstahl. Auch das kann man so sehen, muß man aber nicht. Vor allem wird die Sache deutlich komplizierter, wenn ein Gut nicht den Besitzer wechselt, sondern vervielfältigt wird. Wer würde von “Diebstahl” sprechen, wenn der Apfel nach dem pflücken noch am Baum hinge? Es ist schlicht Unfug, hier von “Diebstahl” zu sprechen. Es wird auch niemand wegen Diebstahls angezeigt oder verurteilt, selbst bei nachgewiesenen Urheberrechtsverletzungen. Aber es klingt so klar und einfach: “Diebstahl”. Genau deshalb führen auch diejenigen den Begriff im Munde, die nicht die Absicht haben zu diskutieren.

Wer seinen Gewinn geschmälert sieht, mag sich dazu berufen fühlen, so zu reden, für Journalisten hingegen ist diese Schreibweise nur peinlich. Worum geht es wirklich?
Es fallen ja nicht die Hunnen ins Dorf ein und rauben und plündern. Es werden Daten kopiert, deren Urheber einen Anspruch darauf erheben, daß sie für solche Verfielfältigung kassieren dürfen. Die Frage ist nun: Haben Sie ein Recht darauf, bekommen sie es, und warum?

Sie bekommen kein Recht bei denen, die sich einfach einen runterladen und nicht zahlen. Die das tun, sind Millionen. Sind sie alle Diebe? Dann ist Diebstahl wohl etwas, das nicht mehr als Unrecht gilt. Man sollte dem Rechnung tragen.
Sind sie gar im Recht? Haben die Rechteinhaber, die übrigens selten die “Urheber” sind, womöglich kein Recht auf ihre Tantiemen? Werden vielmehr sie als Diebe betrachtet, denen man nicht auch noch obendrein gibt?
Auch so kann man das sehen, und offenbar sehen allzuviele das so. Wenn man das Problem also lösen will, hilft es nicht, die Ketzter zu verbrennen, denn die Sünde wird fortbestehen.

Ausgerechnet Joanne Rowling zum Opfer der Diebe zu stilisieren, ist ein gelungener Witz. Sie hat Milliarden mit ihren Produkten gemacht. Muß man sie wirklich schützen vor Leuten, die sich die Werke ihres Konzerns nicht leisten können oder wollen? Ist das Kopieren der Daten, von denen sie so unvorstellbar profitiert hat, wirklich ein größeres Unrecht als “Eigentum” in solchen Dimensionen?
Eine derartige Auffassung von Recht und der ihr zugrundeliegenden Moral ist nicht zu vermitteln. Hier wird niemand geschädigt, und deshalb sind die Menschen auch völlig schamlos bei der Verletzung der Rechte dieser Inhaber.
Dasselbe gilt für die großen Hollywood-Produktionen. Wer wissen will, wie diese finanziert wurden und wer davon profitiert, geht den Leuten nicht mehr mit dem Argument auf den Wecker, hier würden arme Künstler um ihr Brot gebracht. Das ist lächerlich.

Nicht zuletzt durch die Ignoranz auf Seiten der Rechteinhaber und ihrer Verteidiger fühlen sich diejenigen bestätigt, die sich einfach bedienen. Es wird niemand ein schlechtes Gewissen haben, der hier und da sein Geld für Medien ausgibt und sich noch ein bißchen zusätzlich saugt, was er nicht mehr bezahlen kann. Der Schaden dürfte in etwa bei Null liegen.
Und weil das eben so ist, können sich sogar diejenigen hinter der großen Masse der Hobbysauger verstecken, die im ganz großen Stil produzieren und selbst noch Geld daran verdienen. Diese sind aber der extreme Ausnahmefall, und sie haben mit keiner Gnade zu rechnen. Nicht vor Gericht, und nicht einmal beim Gelegeneheits-Downloader von nebenan.

Die Pauke, auf die Frau Gaschke haut, ist schließlich so groß, daß ihr Lärm unerträglich wird. Die Opfer der Diebe, die sie am Boden liegen sieht, sind nicht weniger als Kunst, Literatur, Wissenschaft und Journalismus:

Die Ideologen eines »befreiten Wissens« mögen der Meinung sein, die elitäre »etablierte« Kunst könne so leicht durch das unlektorierte Mitteilungsbedürfnis der Nutzermassen ersetzt werden wie der professionelle Journalismus durch Jedermann-Reporter; YouTube-Filmchen seien ohnehin kurzweiliger als großes Kino [...].
Die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft ist ein hohes Verfassungsgut. Zu dieser Freiheit gehört das Recht des Urhebers, nicht im Internet enteignet zu werden.

Freiheit ist das Eigentum der Eigentümer, da haben wir’s mal wieder. Wer enteignet denn die Urheber? Das sind doch in aller Regel die Verlage, Filmgesellschaften und Großkonzerne. Wer regelt denn den Zugang zum Markt? Wie viele Schriftsteller werden nicht veröffentlicht, weil sie keine prominenten Eltern haben oder Modelmaße? Wie viele hervorragende Wissenschaftler werden ausgebeutet, von ihren Professoren oder den Konzernen, für die sie forschen? Wie viele Musiker haben ihre Plattenfirma und Manager reich gemacht und sind dabei selbst arm geblieben? Angesichts der Profite, die mit den Werken gemacht werden, kann man die Entlohnung der Urheber oft bestenfalls als Entschädigung betrachten. Und Frau Gaschke macht sich Sorgen um Enteignung im Internet.

Man kann die Sache ganz trocken juristisch betrachten. Da ist Recht, was aufgeschrieben und gesprochen wurde. Kommentare dazu fallen recht nüchtern aus und machen nicht viel her in der Presse.
Man kann aber auch darüber räsonieren, was recht sein sollte und was gerecht wäre. Die Diskussion über das sogenannte “Urheberrecht” weist dabei mitten hinein in die Verwerfungen einer Eigentumsgesellschaft, in der Gerechtigkeit nur mehr eine Floskel ist. Daß der Richter, der das Urteil im Pirate-Bay Fall gesprochen hat, selbst organisierter Urheberrechtschützer ist, setzt dem das Sahnehäubchen auf. Davon wußte Frau Gaschke freilich nichts, und das ist das andere Problem:

Qualität hat sich noch meist bezahlt gemacht, ganz egal, ob einige Schmarotzer daran ihren Anteil haben oder nicht. Was aber nicht geht, das ist Kassieren, weil man schon immer an der Kasse saß und glauben, man hätte für jeden Mist einen Anspruch auf das Geld der Leute. Ob ich mir die Druckausgabe der “ZEIT” noch einmal kaufe, werde ich mir angesichts dieses kuhjournalistischen Auftritts jedenfalls gut überlegen.