Einen bermerkenswerten Artikel zum Problem der “Piraterie” am Horn von Afrika haben Andrea Böhm und Heinrich Wefing in der “ZEIT” veröffentlicht. Wo deutsche Minister grundgesetzwidrig und aus Steuermitteln nur “deutsche Reeder schützen” wollen, gehören eigentlich Völker vor dem Hungertod geschützt, deren Lebensgrundlagen von der internationalen Industrie zerstört werden.
Das Innenministerium hat in der Sache vor allem die Sorge, “Piraten”, die festgenommen werden, könnten hier Asyl beantragen. Das wäre ja auch noch schöner, wenn diese Hungerhaken vor deutschen Gerichten ihre Geschichte erzählen und uns nachher der Thunfisch nicht mehr schmeckt.

Der Kapitalismus ist nicht für jedes Verbrechen verantwortlich, aber zu viele finden in seinem Gefolge statt. Daß in und vor Somalia die “Piraterie” zu einem Industriezweig werden konnte und die Reste einer Infratstruktur aufrecht erhält, ist in diesem Maße nur möglich, weil Fischerei dort eben unmöglich wurde. Wer will jetzt solche “Piraten” dafür verurteilen, daß sie gegen Gesetze anderer Länder verstoßen? Dort, wo sie leben, gilt kein Gesetz mehr. Genau dies haben die Fangflotten der Fischindustrie ausgenutzt, um ein bereits furchtbares Elend noch einmal zu vergrößern. Was ist das für eine Geisteshaltung, die solche Geschäfte für legitim hält? Was ist das für ein zynisches Verständnis von Recht und Wirtschaftt, wenn “staaliche Eingriffe” in die Geschäfte als verwerflich gelten, aber die Bundesmarine nach Afrika schippert, um die Kähne der Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit vor den Folgen des Raubkapitalismus zu schützen?

Das Widerwärtige an der Ideologie selbsternannter “Liberaler” ist ihr parasitäres Verhältnis zur Allgemeinheit, deren Existenz sie schlicht leugnen. Eines ihrer Standardargumente besteht darin, ein höheres Interesse der Gesellschaft per se anzuzweifeln. Für sie ist die Allgemeinheit die Summe der Einzelinteressen, die durch den Markt zu einem Gleichgewicht finden. Allein das Strafrecht hat in diesem Sinne noch eine gewisse Relevanz, der Schutz von Leib und Leben und natürlich der des Eigentums. Daß aber selbst diese minimalen Grundlagen von Rechtsempfinden im Handeln der Marktreibenden keine Berücksichtigung findet, blenden sie gern aus. Daß das nackte Überleben von wirtschaftlichen Vorgängen abhängig ist, wollen sie nicht wissen. Im Falle der Piraten werden sie darauf verweisen, daß Somalia gesetzlos ist und man daher den Menschen nicht helfen kann. Sie sollen sich halt Gesetze geben und eine erfolgreiche Wirtschaft aufbauen, dann wird auch für sie alles gut. Daß es gerade die wirtschaftlichen Interessen einzelner (Konzerne) sind, die anderen die Lebensgrundlagen rauben, wäre das nicht auch und gerade für “Liberale” ein Grund, innezuhalten? Besteht darin nicht ein mächtiges Argument für mehr Staat und mehr Gesetze, die den Markt einschränken?

Die ethische Indifferenz der Martkideologie bewirkt, was alle soziale Regellosigkeit bewirkt: Sie fördert die Rücksichtlosen, zerstört soziale Strukturen und führt ins Elend. Dieses Elend ist die Basis für die Gewinne der eifrigsten “Unternehmer”. Wer moralische Skrupel hat, kann hier nichts holen. In einer ehemals “aufgeklärten” Mediengesellschaft folgt daraus, daß gewaltige Mühen aufgewendet werden, um das Elend zu kaschieren, für unvermeidlich zu erklären und den Zusammenhang zwischen Hungertod und satten Gewinnen zu leugnen. Wer so wirtschaftet, muß entweder ein rücksichtloser Schweinehund sein oder die Möglichkeit haben, sein Tun vor sich selbst und anderen reinzuwaschen. Dies war es, was ich mit meinem letzten Posting meinte.

Wer dieser Kognitiven Dissonanz entgehen will, muß Verantwortung für wirtschaftliches Handeln einfordern, bevor die Geschäfte gemacht werden. Es gibt keine wirksame Moral und keine Vernunft im Kapitalismus, es sei denn die staatlicher Vorschriften. Nur wirksame Gesetze können das Schlimmste verhindern. Es ist eine klare Entscheidung: Wer möglichst barrierefrei Gewinne machen will, vertritt eine vorzivilisatorische Moral in einer hochtechnologischen Welt. Es ist das pure Grauen, das daraus entsteht, und wer hinschaut, kann es sehen.