Manchmal werde ich alt. Es fällt mir dann schwer, mich aufzuraffen, um mich zu Sachverhalten zu äußern, die ärgerlich bis empörend sind, mich aber inzwischen beinahe kalt lassen, weil sie schon quasi Normalität sind. Als junger Mensch war ich noch fassunglos, wenn bei Demonstrationen friedliche Menschen niedergeknüppelt wurden und die ganze Presse von “Krawallen” und “Chaoten” sprach. Ich erinnere mich noch an eine Sendung in den 80ern über Brokdorf (“Monitor” wahrscheinlich), in der gezeigt wurde, wie jemand, der gerade aus seiner Wohnung gekommen und auf die Straße getreten war, von einem Polizisten zusammengeschlagen wurde. Das war schon damals die ganz große Ausnahme, gemeinhin wurde nur über randalierende Chaoten berichtet.
Heute Mittag habe ich Berichte von Menschen gehört, die in London von der Polizei eingekesselt wurden, nicht einmal zum Pinkeln die Szene verlassen durften und darauf ungehalten reagiert haben. Es kam in diesem Zusammenhang zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Die Demo und der Krawall

Heute Abend lese ich fast nichts davon, es ist flächendeckend von Randale und Krawallen die Rede. Lediglich SpOn fällt auf merkwürdige Weise aus der Reihe: Nachdem ich am frühen Abend dort ebenfalls von Ausschreitungen las, gibt es jetzt einen ausgewogeneren Artikel. Die Bilder sind dieselben, der Text hat sich geändert.
Allerorten gibt es dazu bunte Klickstrecken. Information ist relativ irrelevant, Reiz ist angesagt.
Ich habe mich anlässlich des letzten G8-Gipfels noch deutlich zu bekloppten Kapuzenheinis und der willigen staatlichen “Gegenwehr” geäußert, heute frage ich mich schon, ob mich das selbst noch interessiert. Die Situation des Bloggers ist dabei paradox, zumal, wenn man das Thema “Seriosität” in diesem Kontext berücksichtigt. Blogs sind Meinungsmedien. Hier schreibt einer, der weder auf die Redaktion noch auf Verleger und Anzeigenkunden Rücksicht nehmen muß. Das führt häufig zu sehr deutlichen Äußerungen, die von den Machern anderer Medien genau deshalb gern als “unseriös” gebrandmarkt werden. Das ist schon deshalb als Pauschalität Unsinn, weil eben ein Mensch sich für sich selbst äußert und daher nicht sprachlich maskiert Meinung mitmacht, sondern das Risiko eingeht, daß die Leser einem das übel nehmen und nicht wiederkommen. Seriös ist hier derjenige, der sich an sein Geschwätz von gestern gern erinnert und sich der Kritik stellt. Daß es auch viele gibt, die mit ihrem Gepolter Clacqueure einfangen wollen, ändert nichts daran, es ist schlicht eine Aufforderung zu differenzierter Betrachtung.

Meinung ohne Affekt?

Ein Weiteres wird dem derart seriösen Blogger zum Problem: Setzt er eben nicht auf Affekt, wird ihm gewahr, daß er sich wiederholt, wenn er der ewigen Wiederkehr der Meldungen folgt. Er füllt nicht “das Blatt”, das tagesaktuell an den Mann gebracht werden muß, er veröffentlicht seine Meinung und kommuniziert mit seinen Lesern. Das Dilemma besteht darin, daß seriöse Blogger also vor der Entscheidung stehen, auch immer denselben Quark breit zu treten oder quasi schweigend auf ihr Archiv zu verweisen. Ausgerechnet Bloggern wird immer wieder vorgeworfen, sie betrieben Aufregungsarbeit und rotteten sich zu einer Herde wütender Chaoten zusammen, deren Vorurteile sich durch eine Masse unsachlicher Beiträge Aufmerksamkeit verschafften.
Was sollen sie aber tun? Wenn sie qualitativ hochwertigen Journalismus liefern wollen, wie wir ihn bei den professionellen Kollegen so schmerzlich vermissen, werden sie nicht mehr wahrgenommen. Während in den großen Redaktionen Rituale gepflegt werden, die als “News” verkaufen, was den trüben Tassen als kalter Kaffee längst zum zweiten Boden geworden ist, regiert am PC des Heimbloggers der blanke Zweifel: Was soll ich dazu noch sagen?” fragt er sich und schwankt. Zu verlockend ist oft die Möglichkeit, richtig auf die Kacke zu hauen und es dem Establishment entgegen zu schreien: Ihr seid korrupte Aasgeier, schreibt hirnlosen Mist voneinander ab und habt eine “Meinung” nur noch, wenn sie in das Antragsformular der Chefredaktion paßt. So wahr das oft ist, trifft es entweder die Falschen oder versackt in allgemeiner Systemkritik. Diese wiederum muß sich entweder zur Theorie auswachsen und verläßt die Sphäre des allgemeinen Interesses, oder sie richtet sich gegen ihren Urheber, weil sie dessen Sache nicht gerecht werden kann.

Das Dilemma der Blogger

Aus diesem Dilemma gibt es wenige Auswege, ein wirklich attraktiver ist nicht dabei. Stoisches Weitermachen ist einer. So tun, als schreibe man für den “Spiegel” und machte es besser, ist eine Möglichkeit. Aufklärung, die in Blogs mangels Aufmerksamkeit kaum jemanden erreicht, ist ein hartes Brot. Will man dann auch noch besagte Wiederholungen vermeiden, muß man einen Aspekt finden, unter dem man eine Sache noch nicht betrachtet hat und sich eben dazu äußern. Das kann im Einzelfall gelingen, aber es droht auch hier die Gefahr, zum Langweiler zu mutieren.
Selbst Themen zu setzen, kann großartig sein, geht aber notgedrungen meist am Weltgeschehen vorbei. Und schon wieder das Problem: Wie setzt man ein Thema, das die Leser nicht unmittelbar bewegt? Man entwickelt allmählich Verständnis für die “Kollegen”, die ihr journalistisches Tränengas in die Menge schießen, um Wirkung zu erzielen.
Am Ende bleibt die vage Hoffnung, durch eine besondere Qualität bestehen zu können, sei es die Sprache, besondere Sachkenntnis, schöne Fotos, gute Vernetzung, intime Kenntnisse einer Szene oder ähnliches. Obendrein ist das Ganze ein Null-Euro-Job, und nicht jeder träumt davon, für die FAZ bloggen zu dürfen. So verdammt hart ist der Job eines Bloggers, dem Seriostiät am Herzen liegt. Der nächste Journalist, der sich über die ach so unseriösen Blogger einen hobelt, möge daher einen Moment innehalten. Ihm sei dringend ans Herz gelegt:
Show some respect!