Und zwar sowohl an sozialdemokratischer Politk, wie sie derzeit im Parteienspektrum am ehesten bei der LINKEn aufgehoben ist, als auch an der SPD, die sich unter Schröder vollends von ihrer Tadition als Arbeiterpartei “befreit” hat. Nicht erst die Wirtschaftskrise hat gezeigt, daß der Kapitalismus nichts hat, das dem gemeinwohl dient, und früher haben das Sozialdemokraten zumindest einmal geahnt, weswegen sie auf dem “sozialen” der Marktwirtschaft beharrten. Dieses wurde zuvörderst durch politische Leitlinien sichergestellt, die u.a. vorsahen, daß der Statt das Recht hätte, die Wirtschaft zu maßregeln, wenn es notwendig erschiene. Eine größt mögliche Freiheit sollte der Wirtschaft dennoch bleiben. Dies sollte vor allem dadurch gesichert werden, daß starke Gewerkschaften mit Arbeitgebervereinigungen um Tarife und die Arbeitswirklichkeit stritten.

Das Ende der Sozialen Marktwirtschaft

Diese Basis wurde in den 80ern und 90ern fast vollständig zerstört. Nicht nur über das Arbeitsrecht wurden Arbeitnehmerinteressen zurückgedrängt, sondern vor allem durch eine Schwächung der Gewerkschaften. Dies hat mit vielem zu tun, aber auch in dieser Frage ist die Sozialdemokratie mitverantwortlich: Da selbst die SPD massiv neoliberal argumentierte, sahen sich die Gewerkschaften immer wieder zu Tarifabschlüssen genötigt, die zu Lohneinbußen führten. (Die sophistische Formel “Reallohn” schenke ich mir hier einmal).
Da die Regierungen Kohl durch die “Wiedervereinigung” und desaströse Personalpolitik des politischen Gegners noch bis 1998 regieren durften, war es also dem Lautsprecher Schröder vorbehalten, sich zum Kanzler wählen zu lassen, auf den Schild gehoben durch den Parteivorsitzenden Lafontaine. Während letzterer die Partei und das Programm organisiert hatte, war ersterer derjenige, der sich mit Positionen durchsetzte, die kaum jemand in seiner Partei vertrat. Allerdings hatte er geschickt dafür gesorgt, daß alle Macht von der Bundestagsfraktion ausging, die er fest im Griff hatte. Daß die Partei dem nichts entgegensetzen konnte, lag nicht zuletzt daran, daß ihr personifizierter Machtfaktor vor dem Intrigen des Armani-Kanzlers kapituliert hatte.
Diese Spaltung hält die SPD seitdem in Atem, und weil sie sich daraus nicht befreien kann, erodiert sie seitdem in atemberaubendem Tempo. Wahlerfolge ezielt sie nur noch, wenn jemand Politik gegen die Bundestagsfraktion und den Vorstand macht. Das gelang etwa Andrea Ypsilanti oder auch Kurt Beck. Dieser wurde zwar als “links” verschrien, solange er nicht nach der Pfeife der Seeheimer tanzte, regiert aber seit Jahren mit der FDP regierte aber jahrelang mit der FDP. Solche Widersprüche spielen in den Angriffen der Parteirechten allerdings keine Rolle – laut und oft genug ausgesprochen, gilt dergleichen als “wahr”.
Albrecht von Lucke sieht für die “Blätter” daher die SPD im Dilemma:
Ob in der Regierung oder in der Opposition – die SPD verliert an Stimmen. Das ist das Dilemma der deutschen Sozialdemokratie.

Das Dilemma der Sozialdemokratie

Das stimmt natürlich, ist aber nur das Problem der fehlenden Machtperspektive. Das größere Problem besteht freilich in der fehlenden Politik. Seit der neoliberalen Wende unter Schröder macht die SPD alles mit, was der CDU gefällt: Kahlschlag der Grundrechte á la Schily und Schäuble, Mehrwertsteuererhöhung á la Merkel, Gesundheitspolitik á la Carte, weil sie sich hier mit der besseren Alternative nicht hat durchsetzen können, Außenpolitik á la Merkel, die sich feiern läßt und deren militaristische Orientierung an der Bush-Administration bis heute gilt etc..
Ein Highlight setzte das Duo Glos/Steinbrück. Der eine hat schlicht nichts getan, der andere schöngeredet. Glos kann man das gut nachsehen, denn es war schon immer die Wirtschaftspolitik der CDU, nämlich die der FDP, die da gerade den Bach runtergeht. Da ist das Schließen beider Augen nur konsequent. Hier aber eröffnet sich das wahre der Dilemma der SPD: Sie hat seit Schröder gequakt, was alle quaken, dafür ihre Klientel und die eigene Partei verraten und jede sozialdemokratische (Wirtschafts-)Politik in die Tonne getreten. “Die SPD”, das ist die Partei in der Partei, ein Netzwerk von Lobbygesteuerten und Abgehobenen, die gern zur Elite der Menschheit gehören wollen. Sie sind wohlorganisiert, aggressiv und gnadenlos dem neoliberalen Mainstream Untertan. Sie wissen sich im Bunde mit jeder Macht, die nicht mit dem Grundgesetz unterm Arm spazieren geht.

Demokratie oder Ideologie

Die Medienmacht, die über Andrea Ypsilanti hereinbrach und noch heute zu Hetzartikeln wie dem jüngsten in der Sueddeutschen führt, ist dafür symptomatisch. Wer nicht für die Ideologen ist, ist gegen sie. Daß unbelehrbare Tendenzjournalisten es sich leisten können, ohne Widerstand ihr Werk zu vollbringen, liegt vor allem daran, daß die Stimme der SPD “Solidarität” nur noch kennt als die des Mobs, der den Rest der Partei am Nasenring führt. Gäbe es noch einen Hauch von Anstand in den maßgeblichen Parteigremien, man hätte die hessischen Verräter gevierteilt, anstatt sie unter Hand zu Helden stilisieren zu lassen.
Der Verrat besteht dabei nur in der letzten brutalen Konsequenz darin, daß ein neues Maß für Illoyalität und Verlogenheit angesetzt werden muß, um ihr Verhalten noch zu beschreiben. Ihr wahrer Verrat ist der an sozialdemokratischen Werten. Daß die Partei sich ein “Willy-Brandt-Haus” leistet, ist an Hohn nicht zu überbieten, sie sollten besser im Ackermann-Center oder im Saunaclub “Peter Hartz” tagen.
Die Sozialdemokraten in der SPD, so es sie noch gibt und sie nicht zur LINKEn konvertiert sind, wissen das nur zu gut. Warum stehen sie nicht auf? Wie lange wollen sie sich von Netzwerkern und Seeheimern in Grund und Boden regieren lassen? Was soll noch schlimmer werden?
Die SPD steht an der Schnittstelle aller relevanten politischen Fragen der Gegenwart. Sie sollte sich diese und diesen endlich stellen:

Am Scheideweg

Was ist am Neoliberalismus noch zu retten? Wie sichert man Solidarität gegenüber Einzelinteressen? Wie kann das Primat des Politischen wiederhergestellt werden, wenigstens in einer Zeit, da der wütende Ökonomismus gescheitert ist? Wie kann Demokratie hergestellt werden, die nicht Tag für Tag dem vorgeblichen Sachzwang geopfert wird? Wie können Verflechtungen von Interessensgruppen so gebändigt werden, daß demokratisch legitimierte Instanzen überhaupt noch an der Macht beteiligt sind?
Diese letzten beiden Fragen deuten direkt auf das Dilemma der Sozialdemokratie. Die SPD selbst leidet nämlich an den Strukturen, die sie in der Wirtschaft bekämpfen müßte. “Basta” statt Diskussion, Intrigen statt Solidarität, Parolen statt Argumente, Machterhalt weniger statt Engagement für die berechtigten Interessen der Vielen. Die SPD hat ein großes Machtpotential, aber eben nur im konsequenten Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Es ist für sie nicht nur die Chance, sondern eine Frage des Überlebens, daß sie kompromißlos dafür kämpft, anstatt alles zu opfern, wofür sie programmatisch einmal stand.
Sie kann und darf sich deshalb gar nicht von der LINKEn abgrenzen. Was die neoliberalen Großstrategen ihr da noch immer abverlangen, ist der Kampf bis zum letzten Mann für eine wahnsinnige Ideologie mitten im Untergang. Wiesbaden ist das Stalingrad der Sozialdemokratie. Die Positionen der LINKEn sind längst die der SPD, das Godesberger Programm würde die LINKE heute mit satter Mehrheit bestätigen. Die SPD kann das Schröder-Trauma nur überwinden, wenn sie sich eingesteht, daß woanders inzwischen mehr Sozialdemokratie ist als bei ihr selbst. Noch hat sie eine Infrastruktur und eine Tradition, auf der sie aufbauen und beweisen kann, daß soziale Demokratie bei ihr am besten aufgehoben ist. Mit feinem Sinn für Ironie könnte sie gar die “Einheit” wirklich vollziehen und machtvoll, erzdemokratisch und diesmal ohne Makel mit den Genossen von links verschmelzen. Dies würde die Vision von Willy Brandt wirklich erfüllen: Mehr Demokratie wagen und zusammenwachsen lassen, was zusammen gehört. Ganz nebenbei täte sie dem christlichen Abendland den Gefallen zu beweisen, daß mit gutem Willen auch ein Kamel durch ein Nadelöhr geht.