“Wortbruch” ist mein Unwort des Jahres, weil die Wörterschmiede der neoliberalen Front in ihrer beispiellosen Kampagne gegen Andrea Ypsilanti den Mißbrauch ihrer Definitionsmacht in unerträgliche Dimensionen gesteigert hat. Daß es im politischen Tagesschäft seit Jahrzehnten Usus ist, sich an sein “Geschwätz von gestern” nicht erinnern zu wollen, ist Grund genug, die Vokabel als dreiste Lüge zu entlarven. In diesen Zeiten gilt als “ernstzunehmend”, wer nach Waschlappenart sich jederzeit so verknautscht, daß er auch dann noch als gut und nützlich durchgeht, wenn er bis zur Unkenntlichkeit herumlaviert.
Ein feines Beispiel dafür gibt Peter Struck ab. Vor einigen Tagen machte er sich für “Kampfeinsätze” gegen “Piraten” stark, ohne jede rechtliche Legitimation. Ich habe dies moniert und ihn zitiert:
Es kann nicht sein, dass wir tatenlos zusehen, wie Schiffe gekapert werden und Lösegeld erpresst wird für Geiseln und auch für die Ladung.
Kurz darauf trumpfte er als großer Kritiker der Reeder auf:
‘Die Reeder machen es sich zu leicht, wenn sie nur auf den Schutz der Marine zählen. Sie müssen auch selbst Abwehrmechanismen auf ihren Schiffen installieren’, sagte Struck dem Tagesspiegel.
Als Beispiel nannte er sogenannte Schallgeschütze, mit deren Hilfe Piraten außer Gefecht gesetzt werden können. Zugleich forderte der SPD-Politiker die Reeder dazu auf, ‘unter deutscher Flagge zu fahren’. Es sei ‘unanständig, den Schutz der Bundesmarine in Anspruch zu nehmen, aber in Deutschland keine Steuern zu zahlen.’

Zwiesprech, Schizophrenie, eine nationalistische Ideologie im Gewand “vernünftiger” Argumente. Wenn dieser Unsinn noch einen Inhalt hat, kann ich ihn nur so übersetzen:
Wir schicken die Marine in Kampfeinsätze, um deutsche Reeder zu schützen. Dafür dürfen gern deutsche Soldaten sterben. Es ist zwar völlig unnötig, weil es andere Mittel zur Bekämpfung von “Piraten” gibt [wie ich in meinem Artikel bereits erwähnte], aber für Steuern zahlende deutsche Reeder betreiben wir dennoch eine expansive Flottenpolitik.
Strucks Worterbrechen, seine zynische Blut-für-Geld Politik wird ihm niemand zur Last legen. Er hat ja nicht wirklich etwas gesagt, und er hat nicht gegen den neoliberalen Konsens verstoßen. Er hat sich lediglich als nationaler Militarist entlarvt.
Wenn er demnächst in den Ruhestand geht, wird man ihn als “großen Sozialdemokraten” feiern.