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September 2008


Als Kurt Beck SPD-Chef wurde, nachdem innerhalb eines halben Jahres zwei Vorsitzende verbraucht waren, schrieb ich:
Das letzte Aufgebot quasi ist das letzte Schwergewicht der SPD. Nicht nur deshalb, so sei hier wieder ein Orakel gewagt, wird er lange ihr Chef bleiben.
Ich hatte mit einigem gerechnet, den Intrigen der Agenda-Fraktion und der Presse etwa, setzte aber darauf, daß es nach Beck keine Alternative gäbe. Zumindest damit behielt ich recht. Wer hätte gedacht, daß die SPD derart rückwärtsgewandt ist, einen bereits verschlissenen Vorsitzenden noch einmal ins Rennen zu schicken? Zumal die Voraussetzungen noch dieselben sind: Nahles und die Kohorten, die Münte damals seinen Generalsekretär vorschreiben wollten, sitzen noch immer fest im Sattel. Was mich damals bewog, zu prognostizieren, man müsse sich den Namen des Neuen (Platzeck) nicht lange merken, war die Substanzlosigkeit der SPD 2010 und ein Personal, das weder Inhalt noch Charakter zu bieten hat. Heute serviert man also einen Aufguß dessen, in der ernsthaften Hoffnung, damit etwas, nämlich die Bundestagswahl, zu retten.
Das Symbol, das ein Vorsitzender Müntefering darstellt, ist die schiere Resignation. Er ist bereits verbraucht und mit 68 Jahren kein Mann für die Zukunft. Er und die Agenda-Kumpels fahren seit Jahren den Kurs “nach uns die Sintflut”, und mit ihm bringen sie einen nach vorn, dem tatsächlich alles wurscht sein kann. Dazu paßt auch das Verfahren: Ein kleiner Kreis klüngelt erst den Kanzlerkandidaten aus, wobei dem Vorsiztenden offenbar hintenrum übel mitgespielt wird. Als nächstes kungelt wiederum ein durch nichts legitimiertes Klübchen denjenigen aus, der den Vorsitz übernehmen soll. Die Partei wird nicht gefragt, sie hat das gefälligst abzunicken. Müntefering ist kein Kandidat, sondern die Lösung der Agenda-Fraktion, die sich inzwischen ganz offen als Entscheidungsmacht von Gottes Gnaden aufspielt.
Der Gedanke, der dahinter steht, ist halbwegs nachvollziehbar: Münte ist bei den Seeheimern und der Presse beliebt und gilt bislang auch als ein “Mann der Partei”. Strategisch betrachtet also der einzig Richtige. Darin aber liegt noch immer das Problem: Die 2010er kennen keine Diskussion, keine andere Meinung und schon gar keine Menschen, die sie überzeugen müßten. Das gilt für die Partei ebenso wie die Wähler. Sie sind das Fleisch gewordene Schrödersche “Basta”, und Müntefering ist das Mittel, die Partei ruhigzustellen.
Es wird nicht funktionieren. Die ganze Mannschaft stinkt der Partei. Steinmeier, Steinbrück, Scholz, Heil und wie sie alle heißen, sind politische Funtktionsmöbel ohne jeden Esprit. Münte haftet jetzt auch noch der Makel an, Kurt Beck gemeuchelt zu haben, gemeinsam mit seinen Weggefährten aus der Hartz-IV-Schmiede. Zu glauben, er könnte unter den aktuellen Bedingungen die Partei hinter die Führung bringen, ist nicht mehr naiv, sondern schon debil. Und als sei das noch nicht dumm genug, macht sich die Führungsclique noch immer nicht klar, daß Steinmeier, Müntefering und Co. die falsche Politik verkaufen. Die Besetzung der Hauptrollen ist da nur Symptom, wenngleich ein deutliches.
Vielleicht gelingt es Münte dennoch, die Partei ein wenig zu einen. Am besten holt er dazu Wolfgang Clement wieder ins Boot. Das würde ihm noch einmal so viele Parteiaustritte bescheren wie zu seiner letzten Amtszeit und vielleicht endlich die Befreiung bringen – von den letzten Sozialdemokraten in der SPD.

Die Sommerposse geht weiter: SpOn, in Besitz intimster “Spiegel-Informationen” weiß zu berichten, daß Steinmeier K-Kandidat wird. Dies habe er aktiv und in einem Gespräch mit Kurt Beck durchgesetzt und “Beide vereinbarten Stillschweigen“.
Das ist bis hierhin ja schon amüsant genug. Zwei Leute vereinbaren Stillschweigen, und der “Spiegel” weiß sofort bescheid. In der SPD können sich also nicht einmal zwei Leute für mehr als eine Stunde an getroffene Vereinbarungen halten? Es ist nicht anzunehmen, daß Kurt Beck besonders scharf darauf ist, den “Spiegel” mit Informationen zu versorgen. Steinmeier hätte hingegen allen Grund, dem Vorderlader der Agenda-Presse dankbar zu sein. Zeigt er sich also erkenntlich? Oder lanciert der Hamburger Komödienstadel bloß dreist, was ohnehin zu erwarten ist?
Wie dem auch sei, die Entscheidung für Steinmeier ist alternativlos, ich wundere mich nur ein wenig darüber, daß er das mitmacht. Er ist dümmer als ich dachte. Kanzlerkandidat der SPD 2009, das ist ein Job für jemanden, dem das Versagen Herzensangelegenheit ist. Von daher wäre Peer Steinbrück noch passender, aber Forsa mag nun mal den Außenmini lieber. Was auf der Brücke der Sozen derzeit von sich hin dilettiert, ist zum Absaufen geboren. Wenn sich nun wirklich einer gefunden hat, der auf einer grotesken Irrfahrt den Kapitän mimt und sich für alle Zukunft zum historischen Horst machen will, ist das gut so – für die, an denen der Kelch vorüber ging.
Kurt Beck wird wie immer unterschätzt. Er wird sich genüßlich anschauen können, wie die unvermeidliche Meuterei spätestens nach der Wahl einen anderen trifft. Es gibt keine inhaltliche Unterstüzung für Steinmeier in der Partei. Er ist eine Symbolfigur für das Scheitern der Agenda 2010 und wird von “Freunden” genau so ausgeweidet werden wie vom außerparteilichen Gegner. Entweder läßt er sich für ein Programm vor den Karren spannen, das er vehement ablehnt, oder er zieht einen Streifen durch, den in seiner Partei niemand mehr sehen und hören möchte. Das niederschmetternde Wahlergebnis und die Aussicht, im “besten” Falle Anhängsel einer Union zu werden, die gar keine Koalition mit diesem Juniorpartner mehr will, werden zum Fanal für die Stones und den Rest der Schröderbande werden. Danach wäre ein Neuanfang möglich. In der Opposition.

[update:] Nun hat sich diese Gurkentruppe doch tatsächlich dafür entschieden, nicht nur einen weiteren Wechsel an der Parteispitze herbeizuführen, sondern auch noch diesen! Ernsthaft wollen die Agenda-Piloten Münte wieder nach vorn bringen – der absehbar ob seines Alters den Job nicht wirklich lange wird machen können. Derweil können sie die Partei weiter ruinieren, die genau so wenig Zukunft hat wie ihr Vorsitzender. Mal sehen, was die Basis sagt, denn immerhin muß der Chef ja noch gewälht werden. Egal – lächelt und seid froh, es kann kaum noch schlimmer kommen.

Die Tagesschau meldet, daß jeder Zehnte ein Sozialschmarotzer ist. Dieser Typus Mensch ist Gegenstand einer Kampagne für Anstand und Sitte, welche derzeit von Springer und anderen betrieben wird. Empörenderweise erwarten die Lobbygruppen der Faulenzer noch mehr Geld fürs Nichtstun, obwohl die Wissenschaft festgestellt hat, daß sie schon jetzt zuviel bekommen. 345 € jeden Monat, obwohl 132 €auch genug wären!

asicard

Originalbild: Commons.Wikimedia

Aber macht es Sinn, auf halbem Wege stehen zu bleiben? Wer nicht arbeitet, muß auch nicht essen, braucht vor allem nicht auch noch Geld, das er für Drogen und Vergnügungen ausgeben kann. Zurecht haben die fleißigen Wissenschaftler darauf hingewiesen, daß es Möbel von der Caritas und Futter bei der Tafel gibt. Warum nicht alles aus einem zweiten Wirtschaftkreislauf, der den ersten nicht mit Abgaben belastet? Wer nachweisen kann, daß er bedürftig ist, bekommt eine Kreditkarte für Bedürftige (siehe oben). Mit dieser tut er kund, daß er nicht kreditwürdig ist und der Almosen bedarf. Diese werden ihm dann in Naturalien von gemeinnützigen Organisationen verabreicht. Im Gegenzug und als Bedingung darf man den Bedürftigen jederzeit unterstützende Tätigkeiten abverlangen. Dies wäre gerecht, kostenlos und würde auch diejenigen in Arbeit bringen, die auf dem Markt nicht zu vermitteln sind. Es hätte obendrein den Vorteil, daß diese einzige Kreditkarte, die ein Bedürftiger führen darf, ihn, die Banken und den Handel vor Überschuldung schützt. Wer den Weg in die Gemeinschaft der Tätigen und Selbstsorgefähigen zurück gefunden hat, tauscht die Karte einfach gegen eine handelsübliche Bankkarte aus – erhält aber keine Almosen mehr. Kein anständiger Mensch kann sich diesem Vorschlag verweigern. Achten Sie einmal darauf: Es werden sich vor allem wieder Linke und Arbeitslose darüber echauffieren. Ein guter Hinweis darauf, daß dies der richtige Weg ist!

Allmählich amüsiert es mich. Aus dem Sommerloch steigen die Blasen nicht mehr einzeln hoch, der ganze Kessel “SPD” dampft. Die Agenda-Journaille reagiert souverän darauf und versucht, den Deckel drauf zu pressen: Jetzt muß Steinmeier ganz schnell K-Kandidat werden, meinen die eifrig zitierten Seeheimer, die pauschal als “Wirtschaftspolitiker” verkauft werden, und Herr Müntefering wird zur “Legende” hochgejubelt, die “ins Gewissen redet” – und ich hab Lenor genommen!

pinin

Ypsilanti schmiedet ihre Koalition, der soziale Rest der Partei fordert laut und deutlich eine Abkehr von der Agenda 2010, im Saarland schickt sich die LINKE an, mehr Stimmen zu holen als die SPD. Da kann der unermüdliche Hermann Scheer noch so zäh die nötige Zeit für eine nötige Diskussion einfordern, es soll nicht sein. “Weiter so” ist das Motto, bloß nicht auf die Wähler hören, geschweige denn Realitäten akzeptieren. Die Neoliberalen wissen es so viel besser, machen sie uns weis, und geraten doch sichtlich in helle Panik.
Der wie immer souverän ratlose Kurt Beck findet, die Forderung der “SPD-Linken” sei ein “wichtiger Beitrag”. Ebenso wichtig und gut wie das Gekläff von Clement, das Geschlinger von Steinmeier und die Rosenkränze der Seeheimer. Alles “wichtig”, “interessant” und “wertvoll”. Mit seiner nicht vorhandenen Meinung steht er gar nich mal so schlecht da, so lange es eben keine Diskussion geben darf. Die Experten, die angesichts der Lage noch immer zum “Augen zu und durch” raten, sind an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Etwas lebt noch in der SPD. Wenn sie es töten wollen, sollen sie es tun. Die Würmer lebendig zu begraben, ist freilich ein putziges Unterfangen.

Es ist nicht auszuhalten. Den ganzen Tag über dudelte mich WDR2 voll mit sogenannten “Nachrichten”, in denen es um die Bestrafung der bösen Russen für ihre Aggression gegen Georgien ging. Es spricht tatsächlich niemand mehr davon, das der leicht irrsinnige Herr Saakaschwili auf die geniale Idee kam, Südossetien zu überfallen, und ich frage mich, in welchem Irrenhaus ich wohl lebe. Das Maß an Desinformation in dieser angeblichen Demokratie ist erschütternd. Die Nachdenkseiten bringen dies auf den aktuellen Stand.
Ein besonderes Lob gebührt Markus Wehner und der FAZ, die sich der billigen Propaganda mutig entziehen und stattdessen ein wenig Aufklärung leisten. Zunehmend bekommt man Informationen nur noch im Netz. Der einzige Trost angesichts der Scharen gedungener Büttel in den Holzmedien: Was die Journaille sich hier zurechtlegt und zusammenlügt, wird sich langfristig selbst richten.

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