Die Rückzugsgefechte des Neoliberalismus lassen an Unverschämtheit ebensowenig vermissen wie die Renditeversprechen der Finanzmarkt-Gurus. Während niemand, der noch bei Trost ist, bezweifelt, daß ein auf Gier und soziale Schieflage basierendes System kollabiert, suchen die Poppnieten des politisch-publizistischen Komplexes Halt an dem faulen Holz, das ihr Schiff zum Sinken brachte. Jochen Hoff hat bereits auf den dümmlichen Artikel in der “Zeit” hingewiesen, in dem Olaf Wittrock den Kunden die Schuld an der Krise zuschiebt, jetzt legt die “Welt” nach und zitiert Soziologen, “Wissenschaftler”, die angeblich “die Mittelschicht” für den Zusammenbruch verantwortlich machen. Halbgar werden dort Kleinanleger zwar als Getriebene beschrieben, die nur ihren Lebensstandard sichern wollten, aber es werden letztlich Behauptungen in die Welt gesetzt, die an jeder Realität vorbei “Verantwortung” allen zuschieben, nur nicht den Verantwortlichen.
“Verschwörungstheorien” und “narzisstische Kränkungen” sehen sie als Reaktion auf ein System, dem sich der Mittelstand “lustvoll” hingegeben hätte. Abenteuerliche Assoziationsketten ersetzen Argumente:
Was hat der Ausbau von Kinderkrippen mit der Verstaatlichung von Banken gemein? Beide Male trägt der Staat Kosten, die eine verunsicherte Mittelschicht notgedrungen verursachte, aber nicht tragen kann“;
Andererseits wollten Teile der westlichen Mittelschicht ihren Lebensstandard behaupten, indem sie hohe Renditen auf den Finanzmärkten suchten, bis die kollabierten – worauf auch hier die Staaten die Folgekosten schultern müssen.
Was erlaube Mittelschicht? Wollen ihren Lebensstandard behaupten! Für die Folgen kommt der Staat dann auf. Der Staat kann den Lebensstandard der Mittelschicht nämlich auch dann nicht halten, wenn sich diese mit eigenen finanziellen Mitteln absichern wollen, nachdem sie vom Staat genau dies auferlegt bekommen haben und von den Banken in Angebote gelockt wurden, die als “sicher” verkauft wurden. Aber die Mittelschicht hat es besser zu wissen als die Ratingagenturen. Wenn nicht- selber schuld!?
Diese Argumente sind so hirnlos, daß ich mich nicht lange damit aufhalten will. Sie sollen schließlich auch nur von den Ursachen ablenken. Im Zentrum des Problems steht sowohl beim Verhalten der Mittelschicht als auch bei dem der Banker das verkehrte Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Die Krise, die längst ein Untergang ist, ist das Symptom der Krankheit, die im Glauben an die Märkte besteht. Diese können nicht einmal die wirtschaftliche Basis einer Gesellschaft sichern. Umso weniger sorgen sie für Wohlstand oder auch nur ein Mindesmaß an Gerechtigkeit, ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht existieren kann. Die Staaten haben sich die Regeln des Handelns und der Verteilung von Kapitalisten vorgeben lassen. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten nichts dafür geleistet, Gesellschaft zu organisieren und sich darauf beschränkt, denen alles recht zu machen, die das angeblich besser besorgen könnten. Wenn man nach Verantwortung sucht, ist man tatsächlich bei Managern, Kapitaleignern und ihren Organisationen an der falschen Adresse. Sie haben ihr Geschäft im besten Glauben, d.h. Profitinteresse besorgt. Das war ihr Job und ihr Ziel. Womöglich haben sie auch wirklich gedacht, sie könnten ganz nebenbei für allgemeinen Wohlstand sorgen, das ist aber irrelevant. Der Staat, die Politik, hatte die Kontrollfunktion und die Verantwortung für das Wohl ihrer Bürger. Sie haben völlig versagt.
Politiker haben ihren Wählern eingetrichtert, so wenig Staat wie möglich sei gut für alle. Daß sie selbst “Staat” waren, focht sie nicht an. Sowohl staatliches Eigentum als auch staatliche Souveränität haben sie ausgelagert und sich redlich bemüht, diese Kapitulation vor der eigenen Charakterlosigkeit und ihrem Mangel an Ideen als alternativlos zu verkaufen. Kritik war nicht gefragt. Genauso kläglich haben die Medien versagt, die den fleißigen Heizer auf demselben Zug gegeben haben. Für ihre Unfähigkeit, etwas anderes zu tun, als blind auf den Abgrund zuzurasen, erfanden sie die “Globalisierung”, was bedeutet, daß alle klug sind, wenn sie nur denselben Blödsinn machen. Inzwischen profitieren Länder wie Italien von ihrer Unbeweglichkeit und Ignoranz und stehen als die Klügeren da, weil sie ganz versehentlich anders gehandelt haben als die ach so klug Globalisierten.
Die Köpfe sind noch immer dieselben, es finden sich halt auf die Schnelle keine, die anders denken. Gleichgeschaltet und gedankentaub sind ihre Helden und Feinde immer noch dieselben. Lafontaine böse, Steinbrück gut. Wenn die FTD schreibt:
“Ich bin überzeugt, dass wir mit Von-Fall-zu-Fall-Lösungen nicht mehr weiterkommen. Das ist ausgereizt”, sagte Steinbrück vor einem Treffen der G7-Finanzminister und -Notenbankchefs. Die Finanzbranche erwarte eine sektorübergreifende Lösung. Nötig seien umfassende Maßnahmen, die für den Finanzsektor insgesamt einen stabilisierenden Charakter haben. Details zu einer solchen “systemübergreifenden Lösung” wollte Steinbrück nicht nennen. Er betonte, Lösungspakete müssten sich – bei internationaler Abstimmung – weiter von Land zu Land unterscheiden.” “, und diese haarsträubenden Binsenweisheiten unter dem Titel “Steinbrück arbeitet an Mega-Plan” postet, ist das ein Offenbarungseid. Seit Monaten weiß jeder, der es wissen will, daß eine Katastrophe im Gange ist. Jetzt kommt der Superexperte Peer daher und stellt fest, daß gegen einen Waldbrand kein Autofeuerlöscher hilft. “Details” seines Mega-Plans kennt er nicht. Daß “mega” “millionen” heißt und es um billionen geht, ist ein Bonmot am Rande, aber es paßt. Btw: Was macht eigentlich der ausgeglichene Haushalt?
Der Knaller: Die Finanzbranche erwartet also eine sektorübergreifende Lösung. “Die Finanzbranche” hat keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Höre ich Bescheidenheit, gar Demut? Nein, es ist ein Befehl: Macht hinne, wir wollen wieder abkassieren!
Wir werden von einer derart unfähigen “Elite” regiert, monetär betreut und desinformiert, daß man sich schon freuen darf, wenn einer einfach seufzt, sich ins Treppenhaus setzt und zugibt, daß er nicht weiter weiß. Es ist ganz wunderbar, wenn Menschen, die das Desater haben kommen sehen und erfolglos Alternativen angeboten haben, nicht als triumphierende Dämonen dargestellt werden. Wirklich schön wäre es, wenn sich die Erkenntnis durchsetzte, daß beinahe alles schiefgelaufen ist und wir es einmal völlig anders versuchen müßten. Zum Beispiel damit, daß in Zukunft das organisierte Wohl der Bürger in den Händen des von ihnen kontrollierten Staates zu liegen hat. Aber das wäre sicher Stalinismus.